Seit Donnerstagmorgen hat der WDR seine Berichterstattung zunächst über seine Radio-Wellen, dann auch im WDR Fernsehen intensiviert. In Pressemitteilungen rühmt man sich einer umfassenden Präsenz, auch in der vergangenen Nacht. War also alles halb so wild? Auch gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de verteidigt Stefan Brandenburg, Programmbereichsleiter Aktuelles und Leiter des Newsrooms im WDR, einerseits erneut das vermeintlich starke Angebot in der vergangenen Nacht. Bemerkenswert wie nachträglich der Eindruck verankert werden soll, es hätte im Radio eine umfassende Berichterstattung gegeben.
Brandenburg sagt andererseits aber auch: "Im Nachhinein ist man immer klüger." Und gerade bezogen auf die Radio-Berichterstattung in den dramatischen Stunden räumt er gegenüber DWDL.de ein: "Natürlich hätte man in Anbetracht des Ausmaßes in der Nacht entscheiden sollen, dass WDR 2 aus der ARD-Nachtversorgung aussteigt und eine eigene Sondersendung macht." Das sind dann doch ungewöhnlich selbstkritische Worte. Für das folgende Interview wurden ursprünglich WDR-Intendant Tom Buhrow bzw. die Programmdirektoren Jörg Schönenborn und Valerie Weber angefragt. Die schriftlichen Antworten kamen dann von Stefan Brandenburg.
Herr Brandenburg, in den Programmrichtlinien des WDR von 2013 heißt es "Rund um die Uhr schärfen Journalistinnen und Journalisten das Informationsprofil des Westdeutschen Rundfunks". War das Angebot in dieser u.a. für NRW dramatischen Nacht das beste, was man vom WDR erwarten kann?
Damit wir das bestmögliche Programm auch nachts senden können, wurde vor zwei Jahren der WDR Newsroom gegründet. Erst seitdem ist die Aktualität überhaupt rund um die Uhr besetzt – und zwar für alle Medien.
"In der Information sind wir die Nummer 1", heißt es weiter. In der vergangenen Nacht hat der WDR zunächst nur einen Text-Ticker im Netz aktualisiert. Ist der Rundfunk als Mediumgattung in Nachrichtensituationen nicht mehr zeitgemäß?
Wir waren bei der jungen Welle 1Live wie bei dem Informationsprogramm WDR 5 alle 15 Minuten live mit einer Sonderausgabe der Nachrichten, einem Korrespondent:innenbericht oder mit Stimmen von Betroffenen on air. Wir haben in der Nacht auch auf den anderen Wellen alle 30 Minuten Sonderausgaben der Nachrichten gebracht und kontinuierlich im Netz auf WDR.de und über unsere digitalen Kanäle von WDRaktuell zur Situation in Wuppertal, Euskirchen und im Rhein-Sieg-Kreis informiert.
Die Sonderausgaben waren kurze Nachrichten, sonst lief das Regelprogramm, etwa bei WDR2 die ARD-Popnacht. Im Fernsehen gab es erst spät ein Laufband...
Die Berichterstattung im Fernsehen haben wir heute massiv ausgebaut und streamen alle Sondersendungen des WDR Fernsehen auch live über unsere digitalen Kanäle und aktualisieren unsere Webseite laufend. So werden alle Bürger:innen im Land gleichermaßen mit aktuellen Informationen und Einschätzungen zur Lage versorgt – unabhängig vom Ausspielweg. Das zwanzigminütige WDR extra, das gestern um 20:15 Uhr ins Programm genommen wurde, verfolgten 1,32 Mio. Menschen in NRW, die halbstündige WDR Aktuell-Ausgabe um 22:05 noch 810.000 Menschen. Das zeigt, welche wichtige Rolle auch das lineare Fernsehen nach wie vor bei aktuellen Lagen und Nachrichten spielt.
"Natürlich hätte man in Anbetracht des Ausmaßes in der Nacht entscheiden sollen, dass WDR 2 aus der ARD-Nachtversorgung aussteigt und eine eigene Sondersendung macht."
Aber die Nachrichtenlage der vergangenen Nacht kam nicht überraschend, ließ sich nach dem anhaltenden Starkregen am Tag erwarten. Warum war der WDR trotzdem nicht vorbereitet auf eine einzuplanende Nachrichtenlage?
Im Nachhinein ist man immer klüger. Die Reporter:innen waren gestern am späten Abend seit zehn, zwölf Stunden ununterbrochen im Einsatz, die hatten einen Knochenjob, ihre Crews ebenso, Kamerafrauen und Kameramänner. Und mussten am nächsten Tag in der Frühe für die Primetime wieder ran. Wenn man an so vielen Orten gleichzeitig sein muss und aufgrund der dramatischen Situation auf den Straßen auch nicht die Möglichkeit hat, ohne weiteres zusätzliche Kräfte dorthin zu bringen, ist es eine ganz schwere Abwägung, wo man dann die Priorität setzt. Wir haben uns entschieden, nicht noch gegen Mitternacht eine weitere Fernsehsendung zu starten. Und dass sich die Lage so dramatisch zuspitzt an den Talsperren, war nun mal erst nach Mitternacht ersichtlich. Aber natürlich hätte man in Anbetracht des Ausmaßes in der Nacht entscheiden sollen, dass WDR 2 aus der ARD-Nachtversorgung aussteigt und eine eigene Sondersendung macht. Im Nachhinein ist das für alle leichter zu bewerten. Klar ist aber auch: Im Unterschied zu anderen waren wir die ganze Nacht da. Auf allen Radiowellen und auch online, ohne Unterbrechung. Nicht ganz unwichtig ist, dass wir zum Beispiel in unserem Studio in Wuppertal auch selbst stark vom Unwetter betroffen waren, so dass der Sendebetrieb gestört war. Die Stadt Wuppertal hatte in den frühen Morgenstunden aus Sicherheitsgründen den Strom abgestellt. Das Studio Wuppertal war in dieser Zeit nicht livefähig, und so mussten wir in der Nacht und am Morgen andere Lösungen finden.
Vor solchen Herausforderungen stand auch Radio Wuppertal mit weitaus bescheideneren Mitteln. Wer entscheidet in einer solchen Situation eigentlich über den Umfang der Berichterstattung und ggf. das Hochfahren des Sendebetriebs?
Es ist ganz klar geregelt: Der Newsroom entscheidet in der Nacht für alle WDR-Angebote. Und dort wurde entschieden, dass alle 30 Minuten – zusätzlich zu Reporter:innen-Schalten in den Sendungen – Sonderausgaben der Nachrichten auf allen Radiowellen laufen.
Bevor das Argument möglicherweise kommt: Kann der Sparzwang der Öffentlich-Rechtlichen und damit auch beim WDR ein Argument dafür sein, ausgerechnet in der Information als Kerngenre zu sparen? Muss da im Zweifelsfall bei den Prioritäten justiert werden?
Nein.
Der WDR gelobte 2014 Besserungen nach schweren Vorwürfen über unzureichende Berichterstattung über das Pfingstunwetter damals. Das hat gestern Nacht nicht funktioniert. Was können und wollen Sie diesmal für die Zukunft geloben?
Alles geht immer noch besser. Aber wir waren die ganze Nacht mit Reporter:innen draußen und haben im 15- oder 30-Minuten-Takt aktuell informiert und berichtet. Unser Schwerpunkt lag auf der Primetime und einer fast monothematischen Berichterstattung im Radio wie im Fernsehen. Der WDR war in den vergangenen 48 Stunden mit über 100 Reporter:innen an 108 Orten im Einsatz.
Herr Brandenburg, herzlichen Dank für die Antworten.