Herr Lippe, auf welcher Basis entscheiden Sie und die anderen Mitglieder des Fernsehrats morgen über die Wahl der neuen ZDF-Intendanz? Wie muss ich mir die Entscheidungsfindung vorstellen?
Ich habe, wie alle Fernsehräte auch, im Vorfeld sehr umfangreiche Materialien von der Kandidatin und dem Kandidat zugeschickt bekommen. Wir haben da ein sehr fähiges Gremienbüro, das uns dabei sehr gut unterstützt. Das fing an mit den ersten Bewerbungen, was erstmal ein grober Überblick war, was die beiden sich vorstellen. Dann haben wir im Nachhinein die Präsentationen erhalten, die im Personalausschuss vorgestellt wurden. Die meisten Fernsehräte, die ich kenne, sind dann auch noch mit Frau Hassel und Herrn Himmler ins persönliche Gespräch gegangen. Das habe ich genauso gemacht.
Würden Sie den Prozess als Wahlkampf bezeichnen?
Nein, ich würde das nicht als Wahlkampf bezeichnen. Es ist ja keine Entscheidung Gut gegen Böse und auch keine Entscheidung Rot gegen Schwarz. Das ist eine Einordnung, die von außen ganz massiv hochgeschrieben wird, gerade in den letzten Wochen, zuletzt im „Tagesspiegel“. Beide Bewerbende sind meines Wissens nach parteilos und integre Persönlichkeiten, die in unserer Medien-Bubble gut bekannt sind und jeweils ihre Stärken und Schwächen haben. Es geht um die Frage, in welche Richtung sich das ZDF entwickeln soll. Da geht es um inhaltliche Fragen in einem immer intensiveren Wettbewerb, die sich nicht mit Rot oder Schwarz, auch nicht mit Mann oder Frau beantworten lassen. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass es eine Entscheidung über das bessere Konzept ist.
Das klingt so, als wäre der Lagerkampf des roten und schwarzen Freundeskreis eher ein Mythos?
Nun, die Kandidatinnen und Kandidaten für das Amt der Intendantin oder des Intendanten werden vom Fernsehrat vorgeschlagen. Man kann sich darauf ja nicht frei bewerben. Der Fernsehrat hat das alleinige Vorschlagsrecht und aus dem roten Freundeskreis heraus gab es das Bedürfnis, eine Alternative aufzustellen. Ich habe es nicht so wahrgenommen, dass Norbert Himmler als schlechter Kandidat beurteilt wurde, aber im Sinne einer demokratischen Wahl ging es darum Optionen zu haben, um einen Wettbewerb der Ideen zu fördern. Sonst wäre es eine Abstimmung über nur einen Kandidaten gewesen.
Jetzt sprechen Sie selbst vom roten Freundeskreis. Wie politisch ist er denn nun, der ZDF-Fernsehrat?
Es geht nicht um die Farbe, es geht um die Inhalte. Aber ich bin erst seit einem Jahr Mitglied im ZDF-Fernsehrat und kann das vielleicht nicht in aller Tiefe beurteilen. Für mich selbst kann ich sagen: Mich interessiert das Konzept für die Führung des größten Medienbetrieb Deutschlands mit tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und die soll in guten Händen sein.
Die Gender-Frage steht im Raum bei dieser Wahl der neuen ZDF-Intendanz, die noch nie eine Frau inne hatte. Hat Herr Himmler dieses Thema denn z.B. mit Personalvorschlägen für weitere Posten im ZDF adressiert?
Ich habe für mich entschlossen, dass ich meine Wahl nicht an Team-Lösungen festmachen will, sondern mit dem Konzept überzeugt werden muss. Ich glaube daran, dass es zuerst um die Idee und dann um Personalien gehen sollte - beim ZDF wie in der Politik. Aber sowohl Tina Hassel als auch Norbert Himmler wissen - und das beantwortet Ihre Frage vielleicht ein bisschen - dass die Erwartung besteht, die Geschäftsleitung des ZDF ausgeglichener zu besetzen. Eine Frau und fünf Männer können es nicht bleiben.
Gut, blicken wir über die Wahl hinaus: Was ist denn Ihrer Auffassung nach die wichtigste Aufgabe der ZDF-Intendanz in den kommenden Jahren?
Das ZDF steht vor großen Richtungsentscheidungen in den nächsten zehn Jahren. Es steht wie andere Sender vor der großen Frage: Wie lange funktioniert noch lineares Programm und auf welchem Weg erreicht man weiterhin die gesamte Bevölkerung, die mit ihrem Rundfunkbeitrag den Sender finanziert. Welche Programme braucht es auf welchem Weg für welche Zielgruppen? Ich bin mit 24 - und mit über zehn Jahren Abstand - das jüngste Mitglied im ZDF-Fernsehrat, was bedauerlicherweise eine seltene Ausnahme ist. Und für mich ist das natürlich die zentrale Frage: Was kann das ZDF tun, um junge Leute zu erreichen? Und diese Frage drängt, weil dieser gedachte Automatismus „Wenn die erstmal älter werden, sitzen sie auch vorm Fernseher und gucken öffentlich-rechtlich“ nicht mehr funktionieren wird. Diese Selbstverständlichkeit, mit der die Öffentlich-Rechtlichen sich als Bestandteil des Alltags der Menschen begreifen, ist fürs junge Publikum nicht mehr zutreffend. Und das wird eine Herausforderung der neuen Intendanz sein, dafür personell und strategisch die Weichen zu stellen.
Oder es gibt Situationen, in denen junge Menschen erklären, kein ZDF mehr zu schauen. Aber jede Woche Böhmermann gucken.
Das gleiche Thema haben wir auch bei Funk, was an und für sich gut funktioniert. Aber den Transfer herzustellen ist schwierig. Nur weil bei Funk etwas gefällt, schaltet niemand später das ZDF ein, wenn sich das nicht auch bewegt. Was Funk aber sehr gut leistet, ist eine Qualität ins Netz zu bringen, die vielleicht bei den Nutzerinnen und Nutzer den Anspruch und die Erwartungshaltung an Inhalte steigert, die sich im TV eher bei den Öffentlich-Rechtlichen als den Privaten wiederfindet.
Wir erleben gerade auch eine Debatte darüber, ob es den Wettbewerb zweier öffentlich-rechtlicher Sender braucht. Was sagen Sie dazu? Ich könnte jetzt unterstellen, dass Gremien sich gerne selbst erhalten wollen…
Ich würde nicht sagen, dass ARD und ZDF im extremen Wettbewerb zueinander stehen. Sie haben unterschiedliche Fokussierung: Bei der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands stehen die Landesrundfunkanstalten im Vordergrund. Das Erste ist zwar das Vollprogramm, aber es speist sich aus Beiträgen vieler Anstalten - und die arbeiten manchmal mit- und manchmal gegeneinander. Ich persönlich komme aus dem Radio und auch das ist ein Unterscheidungskriterium. Ich fühle mich mit den ARD-Radioprogrammen sehr wohl. Aber hier ist die ARD regional, nicht national fokussiert. Das ZDF ist da anders aufgestellt, eben ein deutschlandweites Vollprogramm. Es müssen nur beide Sender diese Fokussierung leben.
Hatten Sie vorher eine Vorstellung von der Arbeit des Fernsehrats und deckt sich die mit dem, was Sie erleben?
Ich bin ehrlicherweise gar nicht mit einer großen Erwartung an diese Aufgabe herangegangen. Vielleicht gebe ich kurz Kontext, wie ich in den Fernsehrat gekommen bin: In Brandenburg ist die Entsendung eines ZDF-Fernsehratsmitglied in die Bereiche Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgeteilt. Für diese vier Bereiche entscheiden dann jeweils Verbände, in meinem Fall der Landesjugendring. Ich bin jetzt also der Vertreter der Jugend, maximal vier Jahre im Fernsehrat. Danach kommen Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen Frauen, Familie und Senioren. Der nächste Vertreter für die Jugend kommt also im Regelfall erst wieder in zwölf Jahren.
Und mit welchem Ziel sind Sie die Aufgabe angetreten?
Ich hab mir vorgenommen, mir das mal anzuschauen und zu sehen, was ich eigentlich bewegen kann. Die erste Sitzung war noch in Präsenz, bei der zweiten Sitzung war ich beruflich verhindert. Das ist ja auch so eine Sache: Der Fernsehrat und seine Gremien tagen meistens donnerstags und freitags. Wenn man vollberuflich tätig ist und Medien nicht Teil des beruflichen Aufgabenbereichs sind wie etwa bei einem Staatssekretär, dann ist es kniffliger. Nach einem Jahr jetzt würde ich sagen, dass ich einen gewissen Einblick habe und weiß, wie und wo ich meine Themen - eben auch für die Perspektive der Jugend - anbringen kann.
"Es braucht Atmosphäre und Arbeitsbedingungen, die allen den Weg zum ZDF offen halten"
Ein Thema, welches Sie auch auf Twitter öffentlich beschäftigt: Die Frage, wie das ZDF seine Berufseinsteiger bezahlt.
Ich halte das für eine existentielle Aufgabe und einen der Gründe, warum ich im Fernsehrat bin. Vor einigen Wochen wurde auf Twitter kontrovers diskutiert, dass das ZDF Praktikantinnen und Praktikanten künftig 350 Euro im Monat zahlt. Ich will da niemandem etwas Böses unterstellen – es ist ja auch ein Fortschritt, wenn es vorher weniger oder sogar gar nichts gab. Aber 350 Euro, das ist doch nicht genug! Es darf nicht so sein, dass man es sich leisten können muss, für das ZDF zu arbeiten. Mich ärgert es, wenn auch noch ausgerechnet aus der rechten Ecke vorgehalten wird, dass die Redaktionen des ZDF selbst ja auch nicht divers wären. Und das hat auch damit zu tun, welche Schwelle es überwinden gilt, um im ZDF überhaupt anfangen zu können. Diversity im Programm zu thematisieren ist wunderbar, aber es braucht Atmosphäre und Arbeitsbedingungen, die allen den Weg zum ZDF offen halten. Das hat auch mit der Frage zu tun, ob man noch Geld mitbringen muss um es sich leisten zu können, beim ZDF in die Medien einzusteigen. Das sind strukturelle Probleme, die oft übersehen werden, aber dazu führen, dass manche Lebensrealitäten z.B. in Redaktionen nicht bekannt sind.
Also sind positiv aufgenommene Neuverpflichtungen und Marktanteilsrekorde kein Grund zu sagen: Alles gut, alles kann bleiben wie es ist…
Nein, aber da muss ich auch eine Lanze brechen: Egal ob ich mit dem Intendanten, dem Programmdirektor oder Redakteurinnen und Redakteuren gesprochen habe. Ich sehe, dass im Haus alle die Erkenntnis teilen, dass mehr getan werden muss. Ich erlebe keine unangemessene Selbstzufriedenheit. Und deshalb wird der Fernsehrat auch nicht als Gremium gesehen, das Vorwürfe macht, sondern sinnvolle Perspektiven aufzeigen kann, die sonst vielleicht übersehen werden. In meinem Fall eben beim Thema Jugend, sowohl in der Programmgestaltung als auch Nachwuchsförderung.
Herr Lippe, herzlichen Dank für das Gespräch.