Frau Behrends, Frau Hofem, Sie befinden sich nach vielen Jahren in Fulltime-Führungsjobs gerade in einer Art Ruhepause, noch laufen Ihre Verträge mit NBCUniversal und ProSiebenSat.1. Wie nutzen Sie die Zeit?
Katharina Behrends: Unter anderem, um endlich mal wieder viel zu lesen. Herrlich! Und man bleibt ja neugierig und der Branche treu. Ich finde es sehr bereichernd, mir in Ruhe die Perlen der neuen Filme und Serien der verschiedensten Anbieter anschauen zu können.
Katja Hofem: Mein fiktionales Serien-Medienbudget war zwischendurch auch sehr hoch. Ich mache all die Dinge, die ich jahrelang aufgeschoben habe. Das tut sehr gut.
Wie verändert sich in der Freistellung Ihre Sicht auf die Branche?
Behrends: Mir wird bewusster, wie sich diese Medienbranche in einem permanenten Wandel befindet. Ich hatte fast jedes Jahr einen neuen Vorgesetzten, andere Geschäftsmodelle, neue Brands, mal mehr internationale Ausrichtung, mal mehr lokales Geschäft. Das heutige Zauberwort der Stunde, “Agilität”, ist ja den Medien systemimmanent. Kein Zögern, sondern gestalten! Somit sind wir für die Anforderungen der heutigen Zeit bestens geschult. Daneben durfte ich über die Jahre in und mit vielen internationalen Teams arbeiten und viele spannende Menschen kennenlernen. Das hat mich persönlich sehr bereichert. Mir ist klar geworden, dass es vor allem in der Medienbranche besonders viele charismatische, interessante und inspirierende Personen gibt.
Sie kennen beide Arbeitgeberseiten, US-amerikanische wie deutsche. Wie divers sind internationale Medienkonzerne im Vergleich zu hiesigen Anbietern?
Mit Ihnen verliert die Branche zwei weitere Führungsfrauen, bei den Screenforce Days wurde die Dominanz der Männer in Chefpositionen gerade offensichtlich. Wie stufen Sie die Entwicklung ein?
Hofem: Wenn Frauen wie Julia Jäkel ihre Chefpositionen aufgeben und durch männliche Talente ersetzt werden, ist zu befürchten, dass der weibliche Blick ein Stück weit verloren geht. Ich hoffe, dass mit der Internationalisierung der Branche die Selbstverständlichkeit, wie divers globale Konzerne ihre Führungspositionen besetzen, auch auf Deutschland übergreift. Vielleicht beruhen die bunteren Strukturen in US-Unternehmen auch darauf, dass die Gesellschaft in den USA sehr divers ist. Weibliche Chefs, Vorgesetzte mit anderen ethnischen Hintergründen – das war in meiner Discovery-Zeit vorbildlich. Maßgeblich hängt es davon ab, dass weibliche Führungskräfte Frauenförderung oben auf ihre Agenda stellen. Außerdem sitzen häufig in den zweiten und dritten Reihen der Medienhäuser wichtige Frauen an Schnittstellen, die nach innen viel bewirken und intern als Role Models agieren, auch wenn sie nach außen kaum sichtbar sind.
Welche Umbrüche stecken dahinter?
Behrends: Die Konzerne werden immer globaler und vertikal integrierter. Nehmen wir den Mai: Dass allein in einer Woche eine Tech-Company wie Amazon das Hollywoodstudio MGM kauft und sich zwei riesige Content-Häuser wie Warner und Discovery zusammentun, das hätte es vor einigen Jahren so nicht gegeben. M&A-Prozesse werden verstärkt auch Europa und Deutschland prägen. Dieser größte Umbau der Branche seit Jahrzehnten führt unterdessen dazu, dass die Chancen für Frauen so hoch sind wie nie zuvor. Ich kann nur sagen: Frauen greift zu!
"Auffallend, dass bei den Öffentlich-Rechtlichen viel konsequenter als bei den Privaten darauf geachtet wird, möglichst divers zu besetzen."
Katharina Behrends
Sie sprechen von „Nachholbedarf“ im deutschen Markt. Gilt das für alle Anbieter?
Hofem: ARD und ZDF machen gerade viel richtig. Sie denken jetzt einheitlicher in der Struktur und diverser im Programm. Erstklassige Serien belegen das. Die Berufung von Christine Strobl in die Programmdirektion des Ersten ist ein gutes Beispiel für den Wandel. Vielleicht es aber auch so, dass gerade Frauen in Krisensituationen zum Einsatz kommen. Wie einst Angela Merkel bei der CDU.
Behrends: Es ist auffallend, dass bei den Öffentlich-Rechtlichen sowohl in den Chefetagen als auch On Screen viel konsequenter als bei den Privaten darauf geachtet wird, möglichst divers zu besetzen.
Bei all der Globalisierung: Wie steht es um die Gestaltungsfähigkeit deutscher Managements?
Hofem: Eine lokale DNA ist immens wichtig geworden. Wachstum findet in lokalen Märkten statt. Eigenproduzierte Inhalte, die für die jeweilige Region relevant sind, gewinnen an Bedeutung. Im Idealfall schaffen es diese Produktionen auf den internationalen Markt. Als ich 1995 beim Fernsehen angefangen habe, spielten deutsche Serien und Filme international keine Rolle. Dass sich das verändert hat, ist eine großartige Entwicklung, die dem Hunger nach neuem Content geschuldet ist.
"Die Konsolidierung wird weitergehen."
Ex-Joyn-Chefin Katja Hofem über den Streaming-Markt
Im lokalen deutschen Markt wirkt es so, als ob Free- und Pay-TV gegenüber Streaming abgewertet würden, selbst der große Privatsender Sat.1 hat neuerdings keine eigene Spitze mehr für sich …
Hofem: „Neu bewertet“ trifft es besser. Ob der Absender Sat.1 ist, ein Streaming-Anbieter oder ein Studio: Die Frage ist, wie ich gute Inhalte am besten und am wirtschaftlichsten zum Endverbraucher bringe. Streaming ist nun einmal der Markt, der wächst und den jetzt alle bedienen müssen. Daher werden überall Kräfte gebündelt, Allianzen geschmiedet und Partnerschaften geschlossen, über die man vor zwei Jahren noch nicht einmal gewagt hätte zu sprechen. Es ist eine Zeit der kompletten Transformation.
Behrends: Streaming hat ganz klar oberste Priorität – es ist der Wachstumsmarkt, in dem man die komplette Wertschöpfungskette kontrollieren kann, bis hin zur direkten Verbindung zum Konsumenten. Nehmen wir die Studios: Dort sorgen neue Strukturen dafür, dass die Verwertungskette und die komplette Organisation dem Wachstumsfeld Streaming untergeordnet sind. Es ist schon eine Zeitenwende, wenn einige große Hollywood-Produktionen auch nach der Corona-Pandemie exklusiv zunächst im Streaming angeboten werden.
Ihre Prognosen für den Streaming-Markt lauten …?
Behrends: Size matters. Am Ende werden wohl nur maximal fünf bis sechs globale Player übrigbleiben, die das weltweite Geschäft beherrschen werden. Zudem wird dieser Produktions-Hype, wie wir ihn gerade erleben, nicht ewig dauern. Ich schätze, vielleicht fünf Jahre. Auf jeden Fall wird zunächst die Content-Vielfalt weiter zunehmen, lokal wie international. Und das ist doch großartig.
Hofem: Absolut richtig, die Konsolidierung wird weitergehen. Ich hoffe, dass Serien und Filme "Made in Germany" weiterhin Bestand und Wichtigkeit haben.
Wo werden wir Sie wiedersehen? Ist auch der Schritt in die Selbstständigkeit denkbar?
Behrends: Ich habe immer gern international gearbeitet, Neues aufgebaut und digitale Transformation gestaltet. Das ließe sich auch in anderen Branchen finden, somit bin ich offen. Unternehmerisches Arbeiten kann man in der Selbstständigkeit bestens umsetzen. Warum nicht?
Hofem: Der Blick weitet sich auf jeden Fall. Die Fähigkeiten, die ich in mehr als zwei Jahrzehnten in der agilen Medienszene erlernen durfte, sind in anderen Branchen sehr gefragt. Doch ehrlicherweise wird mein Inhalte-Herz immer schlagen.
Frau Behrends, Frau Hofem, herzlichen Dank für das Gespräch.