Frau Reschke, "Panorama" wird 60 und Sie moderieren die Sendung auch schon seit 20 Jahren. Was wünschen Sie sich zum Jubiläum?

Anja Reschke: Ich wünsche mir, dass diese Form des unbequemen Journalismus, das kritisch hinterfragende und manchmal auch auf die Nerven gehende, seinen Stellenwert behält. Dass dieser Journalismus weiterhin gesehen und geklickt und außerdem unterstützt wird, sowohl in den Häusern, als auch von den Rahmenbedingungen her.

Ist der Journalismus, den Sie betreiben, schwieriger geworden in den vergangenen 20 Jahren?

Nein, schwieriger geworden ist es nicht. Die Recherche von Themen hat sich eigentlich in den 60 Jahren nicht verändert. Was sich immer wieder verändert, und auch das gehört zur Geschichte von "Panorama", ist die Frage, wie alles von außen wahrgenommen wird. Da geht es auch darum, welchen Stellenwert politische Magazine in einem öffentlich-rechtlichen System haben.

Und wie hat es sich verändert?

"Panorama" war immer eine Herausforderung für alle Chefs, weil man so eine Sendung, die ja durchaus Ärger macht, nach außen verteidigen musste. Die Intendanten mussten für die Sendung immer gerade stehen. Das war früher viel extremer, als es nur drei Programme gab, heute ist das nicht mehr so krass. Wenn man "Panorama" aber pars pro toto nimmt, erleben wir natürlich schon massive Angriffe gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Da geht es vordergründig um Reformen und Einsparungen, aber natürlich geht es bestimmten Gruppierungen auch einfach um Programminhalte, um Ausrichtung von Berichterstattung und damit um einen Angriff auf Rundfunkfreiheit und freie Berichterstattung. Dem müssen wir uns entgegenstellen.

Spüren Sie Auswirkungen dieser Angriffe in Ihrer täglichen Arbeit?

Ja, das spüren wahrscheinlich alle Journalisten in diesem Land. Weil die Angriffe von außen eben sehr laut und vehement sind. Das trifft die Öffentlich-Rechtlichen sicher mehr als private Medien. Seit sieben Jahren werden uns Begriffe wie "Lügenpresse" entgegen geschmettert. Die ständigen Behauptungen der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei, in welcher Form auch immer, zu einseitig, zu links oder regierungsgesteuert, beeinflusst irgendwann die Wahrnehmung , dagegen müssen wir uns permanent wehren. Die Frage nach der Ausgewogenheit wird auch immer wieder gestellt, nicht nur durch Teile des Publikums, sondern auch intern. Die Intendanten und Programmdirektoren achten sehr darauf und fragen danach.

 

"'Panorama' war immer eine Herausforderung für alle Chefs."

 

Intendanten und Programmdirektoren hinterfragen die Ausgewogenheit? Wie muss ich mir das vorstellen? 

Natürlich. Genauso wie Redaktions- oder Abteilungsleiter. So ein Programmist ja kein monolithischer Block, der da einfach gesendet wird. Über die Bewertung von Themen, ihren Stellenwert im Programm wird auch intern viel debattiert – durchaus auch sehr kontrovers. Wäre ja schlimm, wenn es nicht so wäre. Und natürlich wird auch "Panorama" mal stark hinterfragt. Grundsätzlich arbeitet die  die Redaktion autonom. So eine kritische Berichterstattung funktioniert nur, wenn eine Redaktion gut und vertrauensvoll zusammenarbeitet. "Panorama" ist eine sehr gut eingespielte Maschine. Da gehört auch dazu, dass man teilweise brutal ehrlich miteinander ist und sich in Redaktionskonferenzen hinterfragen kann. Es ist ein dauerhaftes Ringen um Themen. Denn die Frage ist ja: Was ist unsere Aufgabe? Ist es unsere Aufgabe, unbequem zu sein? Ich bin der Meinung: Ja. Wer sonst, wenn nicht wir? Aber es ist nicht immer leicht auszuhalten. Ab und zu gibt es da sicherlich den Wunsch, keinen Ärger zu machen. Aber ich glaube, das ist der Sinn der Sendung. "Panorama" muss auch Ärger machen.

Und wenn "Panorama" Ärger macht, gibt's wieder Kritik.

Wenn man Verantwortliche hinterfragt, wenn man unbequem ist, geht das nicht geräuschlos und harmonisch vonstatten. Wir erleben ja schon eine Gesellschaft, die sich in sehr unterschiedliche Wahrnehmungen und Auffassungen zerteilt. Und irgendeiner fühlt sich immer angegriffen. Da stellt sich die Frage, auf welche Gruppen wir gucken. Wer ist in der Mehrheit und wer in der Minderheit? Wer ist laut und wer nicht so? Ich glaube nicht, dass man zu sehr auf die hören sollte, die am Lautesten sind.

"Panorama" ist das erste deutsche, politische Magazin im Fernsehen und hatte damals auch eine entsprechende Stellung. Heute gibt es viele solcher Formate. Worin unterscheidet sich "Panorama" von "Monitor", "Report Mainz" und so weiter? Und wie schwer ist es, aus dem Wust an Polit-Magazinen herauszustechen? 

Das empfinde ich witzigerweise ganz anders als Sie. Damals, als ich bei "Panorama" angefangen habe, war es ganz wichtig, dass wir anders waren als "Report München" oder "Monitor". Jede Redaktion hat für sich den Anspruch, die beste Sendung zu machen. Das ist ja ganz klar, da herrscht eine gewisse Binnenkonkurrenz. Ich glaube aber, das hat sich verändert. Untereinander sehen wir uns nicht als Konkurrenz und ich finde überhaupt nicht, dass es einen Wust an Magazinen gibt. Es gibt in der ARD genau sechs, plus "Frontal 21" im ZDF. Was es sehr wohl gibt, sind unfassbare viele Meldungen und hochgejazzte Nachrichten, das ist ein Wust. Deshalb brauchen wir ja hintergründigen, sauber recherchierenden Journalismus. Davon kann es gar nicht zu viel geben. An einigen Geschichten arbeiten wir Jahre. Ich bin froh, dass es uns sechs Magazine plus "Frontal 21" gibt. Deswegen freue ich mich, dass auch ProSieben nun auf dieses Genre setzt. Das stärkt uns und dieser Form von Journalismus den Rücken.

Sprechen Sie sich mit den Redaktionen der anderen ARD-Magazinen eigentlich ab, wenn es um Themen oder Gesprächspartner geht?

Nicht detailliert Gesprächspartner, aber Themen koordinieren wir. Das heißt jetzt nicht, dass ein Magazin sich mit Corona beschäftigt und allen anderen Sendungen ist es dann nicht mehr möglich (lacht). Aber einmal in der Woche haben wir eine Schalte und sprechen uns ab, damit nicht plötzlich zwei Magazine an einem Thema arbeiten.

 

"Ist es unsere Aufgabe, unbequem zu sein? Ich bin der Meinung: Ja. Wer sonst, wenn nicht wir?" 

 

Der damalige Minister für gesamtdeutsche Fragen, Herbert Wehner (SPD), stänkerte mal öffentlich über "Panorama". Helmut Kohls Interview-Absage an "Panorama" ist legendär, ebenso Oskar Lafontaines Aussage über "Schweine-Journalismus". Wie haben sich Wahrnehmung bzw. Reaktionen der Politik auf die Sendung geändert? So direktes Feedback gibt es wohl nicht mehr?

Richtig, das ist nicht mehr so. Daran sieht man wie die Demokratie gewachsen ist. In den Anfangsjahren haben Politiker viel Druck und Einfluss ausgeübt. Das ist vorbei. Natürlich fühlt sich ein Minister oder ein anderer Politiker mal auf den Schlips getreten, wenn ein Beitrag gelaufen ist. Aber sie stellen nicht mehr die Existenz von "Panorama" oder die Leitungsfunktionen in Frage, wie das in den Anfangsjahren war. Es ist ja auch gut, dass es nach 60 Jahren politischer Magazin-Berichterstattung eingespielt ist, dass Politiker wissen, dass es richtig und wichtig ist, was wir tun. Als wir jetzt zum 60. Geburtstag im Bundestag nach "Panorama" gefragt  haben, war unter den demokratischen Parteien, also allen mit Ausnahme der AfD, häufig die Antwort, dass sie sich zwar nicht immer über die Berichterstattung freuen, aber einhellig der Meinung sind, dass ein solches Magazin wichtig ist.

Wann ist eine Sendung für Sie ein Erfolg?

Für mich ist eine Sendung ein Erfolg, wenn wir es geschafft haben, ein neues Thema gut und interessant darzubieten. Oder aber auch neue Perspektiven bei einem Thema anbieten, das viele Zuschauer schon kennen. Zum Beispiel haben wir eine ganze Sendung zum G20-Gipfel in Hamburg gemacht und aus vielen Blickwinkeln betrachtet. Wir haben recherchiert, welche Linksradikalen da an Krawallen beteiligt waren, aber wir haben eben auch die Polizeigewalt untersucht und geschaut, wie Politiker die Ausschreitungen für ihre eigene politische Agenda benutzt haben. Stolz bin ich auch, dass unsere Reporter*innen auf der SeaWatch3 waren, als ganz Europa über dieses Schiff und Kapitänin Carola Rackete berichtete, die trotz Verbots in den Hafen von Lampedusa einfuhr. So konnte der Zuschauer sich ein eigenes Bild machen über das, was sich auf dem Schiff abgespielt hat. Das war schon sehr besonders. Da hatten wir Reporterglück.

Und auf welche Erfahrung in den vergangenen 20 Jahren hätten Sie gerne verzichtet?

Am blödesten gefühlt habe mich in den 20 Jahren 2016, als wir kurz nach Silvester gesendet haben. Es war wenige Tage nach der "Kölner Silvesternacht" und wir hatten nichts dazu. Zu dem damaligen Zeitpunkt hatte niemand einen echten Überblick darüber, was genau  passiert war. Über die Weihnachtstage kriegt man ja keine frische Sendung hin, deshalb hatten wir einen langen Film in Planung und haben den gesendet. Ich habe das anmoderiert und hatte das Gefühl, dass das ganz doof ist. Ich hatte das Gefühl, wir hätten da was auf die Beine stellen müssen, obwohl ja immer gesagt wird, dass es nichts bringt, zu berichten, zu bewerten, ohne die Fakten zu kennen. Journalistisch handwerklich, war es also richtig, aber es hat sich trotzdem schrecklich angefühlt, weil die Sendung nicht in den Moment gepasst hat.

Gibt es bei Ihnen einen gewissen Quotendruck? Vergleichen Sie sich mit den anderen Magazinen?

Klar schauen wir auch immer auf die anderen Magazine, Konkurrenz belebt ja das Geschäft. Was man aber auch mal ganz klar sagen muss: Die politischen Magazine liegen am Donnerstag da wie ein Brett. 2,5 Millionen Zuschauer schalten immer ein, das ist echt nicht wenig in der heutigen Zeit. Wenn der Vorlauf ein bisschen besser ist, werden es auch manchmal 4 Millionen. Es gibt also ganz klar ein Publikum, dass sich für diese Sendungen interessiert. Von daher stehen wir nicht unter Quotendruck. Grundsätzlich ist die lineare Quote schon länger nicht mehr soo entscheidend. Viel interessanter für uns ist, wie sich ein Thema in den sozialen Medien verbreitet  und was dort für Kommentare kommen.

Was sind die Herausforderung für "Panorama" in den nächsten Jahren?

Die größte Herausforderung von "Panorama" und allen anderen Magazinen ist die Tatsache, dass sich die Sehgewohnheiten verändern und ja zunehmend "on demand" geschaut wird. Zum Beispiel in der ARD Mediathek. Da wird aber tendenziell eher Längeres gesehen. Da haben es achtminütige Beiträge eher schwer, genau das ist aber unser Geschäft. Solche Beiträge werden auch in Zukunft ihre Berechtigung haben, aber wo landen die? Wie tragen wir sie an das Publikum? Wie erreichen wir neues Publikum? STRG_F, das junge Format der "Panorama"-Familie ist zum Beispiel unser Versuch, mit "Panorama" Themen ein junges Publikum zu erreichen. Und das läuft äußerst erfolgreich.

 

"Wenn man "Panorama" aber pars pro toto nimmt, erleben wir natürlich schon massive Angriffe  gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk."

 

Die Jubiläumssendung soll "im Stil einer Polit-Late-Night" gesendet werden. Was bedeutet das?

(lacht) Das ist etwas missverständlich. Wir machen nicht wie sonst drei Beiträge, es ist zum Jubiläum alles viel kleinteiliger und ich führe durch die Sendung. Es gibt kleine Einspieler, kurze Gedankenflashes, aber auch zwei- bis dreiminütige Beiträge. Ich will mich natürlich überhaupt nicht mit Jan Böhmermann vergleichen (lacht), aber ich sitze im Studio an einem Schreibtisch und erzähle ein bisschen mehr, als das sonst der Fall ist.

Und inhaltlich ist es eine Reise zurück? Wie hat alles angefangen und wieso ist "Panorama" wichtig?

Genau. Wir haben uns gefragt, was uns wichtig ist. In der Tat ist es so, dass uns die Angriffe gegen den Journalismus, gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Sorgen machen. Deswegen geht’s auch um unsere Kritiker und Kritik an der Sendung: Was ist nachvollziehbar und wo geht es eigentlich nur darum, andere Inhalte präsentiert haben zu wollen .Und wie hat das alles angefangen? Man darf ja nicht vergessen: Es gibt einen Grund, wieso es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt.

War es schwierig, Kritiker vor die Kamera zu bekommen?

Wir haben mit Alexander Gauland gesprochen, das war nicht schwierig. Aber auch ein Zuschauer, der "Panorama" und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritisiert, kommt zu Wort. Man merkt schon, und auch das hat sich verändert im Vergleich von vor zehn Jahren, dass es eine gewisse Unversöhnlichkeit gibt. Die Leute, die sich auf uns eingeschossen haben, kann man nicht mehr gut erreichen. Das hat sich verschärft. "Panorama" hat immer wütende Zuschriften bekommen, aber die Tatsache, dass viele Leute die Berichterstattung sehr scharf und pauschal kritisieren, aber keine Argumente oder Fakten mehr hören wollen, ist problematisch. Und man merkt, dass wir eine Partei in den Parlamenten haben, die anheizt, die sich nicht an Spielregeln des Diskurses hält, die den Diskurs nicht führen, sondern eher zerstören will. Die AfD bietet selten Lösungen, sondern ist meist gegen etwas. Hinzu kommt die Verstärkung durch die sozialen Netzwerke, in denen Empörung belohnt wird. Das ist eine bedrohliche Mischung.

Bis 2019 waren Sie Teil von "Zapp". Vermissen Sie es manchmal, sich mit Medienthemen auseinanderzusetzen?

Total. Ich vermisse "Zapp" wirklich sehr. Ich habe die Sendung geliebt und die Arbeit dort sehr gerne gemacht. "Zapp" ist eine besondere Sendung und ich beschäftige mich gerne mit Medienthemen. Ich sauge da alles auf und bin natürlich auch konstanter DWDL.de-Leser. Deswegen ein ganz klares: Ja, das vermisse ich sehr.

Frau Reschke, vielen Dank für das Gespräch!