Herr Kramer, wie sehr nervt es eigentlich, nach fast jedem Fußballspiel Interviews geben zu müssen?

(überlegt) Kommt immer aufs Ergebnis an. Wenn man gerade das dritte Spiel in Folge verloren hat, dann gibt man nicht so gerne Interviews. Wenn man aber das Last-Minute-Siegtor erzielt hat, können Interviews umso mehr Spaß machen. (lacht)

Aber einige Fragen können Sie doch sicherlich nicht mehr hören, oder?

Ich habe manchmal das Gefühl, dass es einen geheimen Fragenkatalog gibt, der unabhängig vom Spielverlauf abgearbeitet wird - wenn beispielsweise über Emotion und Wille geredet wird. In der einen Woche wird mir der Wille zugesprochen, in der nächsten wird er mir wieder abgesprochen. Da wundert man sich manchmal schon, wie schnell das geht. Aber generell stehe ich nach dem Spiel trotzdem gerne Rede und Antwort.

Dazu kommt, dass Sie als Profi immerzu bewertet werden.

Ach, das bringt der Leistungssport mit sich. Ich habe kein Problem damit, ständig bewertet zu werden, weil das einfach zu diesem Job dazu gehört. 

Aber ist es nicht gerade für junge Profis schwer, wenn eine Zeitung sie nach einem schlechten Spiel mit der Note ungenügend abkanzelt?

Da muss letztlich jeder seine eigenen Erfahrungen machen. Früher habe ich mir solche Bewertungen und Noten vielleicht noch ein wenig mehr zu Herzen genommen als heute. Mit 30 warte ich nicht mehr Montagmorgens aufgeregt auf den „Kicker“, weil ich selbst weiß, wie ich gespielt habe, und mir wichtiger ist, was mein Trainer und oder mein Umfeld dazu sagt. Mit der Zeit lernt man, dass es Wichtigeres gibt als solche Noten.

Wird man als junger Spieler auf solche Dinge vorbereitet? Medientraining steht doch sicher regelmäßig auf der Tagesordnung…

Das haben mich schon viele Menschen gefragt, aber mir wurde das ehrlich gesagt noch nie angeboten. Einmal hätte es beim ZDF mal eine Art Training geben sollen, aber dann kam es letztlich doch nicht dazu. Aber ich bin ohnehin nicht so sehr der Kopfmensch, der sich von Meinungen beeinflussen lässt.

 

Wenn ich zuhause mit meinen Freunden Fußball schaue, gebe ich ständig meinen Senf dazu. Dann mach ich’s jetzt halt in einem Fernsehstudio.

 

Gilt das auch für Ihre Arbeit beim Fernsehen? Auch da gibt’s ja Bewertungen - in Form von TV-Kritiken oder Einschaltquoten. Sehen Sie das ähnlich entspannt?

Das sehe ich sogar noch entspannter. Beim Fußball macht sich kurz vor dem Anpfiff um 15:29 Uhr große Anspannung breit, die ich beim Fernsehen gar nicht habe. Wenn mir Jochen Breyer eine Frage stellt, kann ich sie schlimmstenfalls nicht beantworten - und das sage ich dann auch. Was soll schon passieren? Wenn das schon der Worst Case ist, dann gibt es wirklich keinen Grund aufgeregt zu sein.

Ich kenne Fernsehmoderatoren, die kurz vor einer Sendung völlig angespannt sind. Woher kommt Ihre Gelassenheit? 

Ich bewege mich in einer Komfortzone. Klar weiß ich, dass da ein paar Leute zugucken, und dass alles, was man vor der Kamera macht, sofort in den sozialen Netzwerken bewertet wird. Aber wenn ich zuhause mit meinen Freunden Fußball schaue, gebe ich ständig meinen Senf dazu. Dann mach ich’s jetzt halt in einem Fernsehstudio. (lacht)

Ihre Meinung könnten Sie auch in den sozialen Medien kundtun. Ist Fernsehen für Sie spannender als Instagram?

Ich kann mit sozialen Medien nicht so viel anfangen und bediene sie auch nicht wirklich. Generell finde ich den Einblick ins Fernsehen spannend. Man denkt ja immer, dass da bloß ein Kameramann im Studio steht, aber der wahre Aufwand solcher Sendungen wird einem erst bewusst, wenn man das alles mal selbst erlebt hat 

Sie haben schon vor drei Jahren für das ZDF einige WM-Spiele als Experte begleitet. Wie kamen Sie und das ZDF überhaupt zusammen?

Die Verbindung kam über Jochen Breyer zustande, den ich einige Male im „Sportstudio“ getroffen habe und mit dem ich immer wieder Kontakt stand. Da gab es also keinen großen Masterplan.

Wie bereiten Sie sich auf Ihre TV-Einsätze vor?

Notizen mache ich mir im Vorfeld nicht. Jochen und ich sind immer gut damit gefahren, dass er sich vorbereitet und ich einfach antworte. Wenn ich mich auf etwas einstellen würde, hätte ich automatisch einige Sachen im Kopf, die ich unbedingt sagen will. Das kommt dann allerdings sehr aufgesagt rüber. Daher werden wir da weitermachen, wo wir vor drei Jahren aufgehört haben.

EM 2021 im ZDF © ZDF/Torsten Silz Per Mertesacker, Katrin Müller-Hohenstein, Christoph Kramer und Jochen Breyer im EM-"Sportstudio" des ZDF.

Im Unterschied zu anderen Experten sind Sie immer noch als Profi aktiv. Kann das nicht mal problematisch werden?

Ich wusste, dass es ein schmaler Grat sein kann, hatte aber für mich das Verständnis, dass ich diesen Grat durchaus treffen kann. Der Unterschied besteht sicher darin, dass ich gegen den einen oder anderen Spieler, den ich vor der Kamera beurteile, in Zukunft selbst spielen muss. Ich empfinde das aber nicht als Problem, weil ich den Job mit Respekt und dem nötigen Anstand mache. Daher gab es bislang auch nie Probleme. Dadurch, dass ich noch immer spiele, bringe ich Empathie für die Spieler auf. Ich stelle mich ja nicht da hin und erzähle, wie schlecht dieser oder jener Spieler ist. Das macht keinen Sinn und wäre ohnehin nicht meine Art.

Woher rührt Ihr Interesse für Journalismus?

Es ist ja keine richtige journalistische Arbeit, der ich nachgehe, weil ich ohnehin eine Meinung rund um den Fußball habe. Es ist mehr ein genereller Spaß daran, Neues zu entdecken. Ich interessiere mich zum Beispiel auch für Kriminalpsychologie…

… vielleicht sehen wir Sie perspektivisch als Moderator von „Aktenzeichen XY“? Rudi Cerne war früher immer auch mal Profisportler…

(lacht) Der Job des Moderators wäre eher kein Job, der mich reizen würde. Aber vielleicht schule ich nach der Karriere noch zum Kriminalpsychologen um. 

Denken Sie schon an die Zeit nach der Fußballkarriere?

Ich mache mir momentan Null Komma Null Gedanken darüber, was ich nach meiner Karriere machen könnte, weil das Hier und Jetzt einfach viel zu gut ist. Der Gedanke darüber würde mir vermutlich eher Angst machen, denn Fußball ist für mich das Schönste, das es gibt. Zum Glück ist mein Körper noch fit genug, um nicht ans Aufhören denken zu müssen.

Herr Kramer, vielen Dank für das Gespräch.