Herr Fuhrmann, wie plant man die Berichterstattung über sportliche Großereignisse, wenn man selbst Wochen vorher zum Teil noch nicht weiß, ob, wann und wo sie stattfinden werden?

Das ist schon eine ordentliche Herausforderung, die es in der Form in der Tat noch nie gab. Mit dem Beginn der Pandemie im vergangenen Jahr sind wir dazu übergangen, auf Sicht zu fahren, sehr kurzfristig zu planen. Eine andere Chance hatten wir gar nicht. Dabei gilt es, die Nerven zu bewahren, ruhig zu bleiben und vor allem sich auf nichts festzulegen, was noch nicht festgelegt werden kann. Wir versuchen vom Worst Scenario aus zu planen. Ein Beispiel: Im vergangenen Herbst haben wir mit der ARD und den Ausrichtern der Finals Anfang Juni in Berlin und NRW gesagt: Wir produzieren und senden auch ohne Zuschauer vor Ort. Diese 18 deutschen Meisterschaften an vier Tagen sind produktionell ein Mega-Event für ZDF und ARD. Sollte es mit etwas Glück trotzdem möglich sein, Zuschauer vor Ort zu haben, dann wird das ohne große Ticket-Vergabe organisiert werden. In der vergangenen Wintersport-Saison war ich nach jedem Wochenende froh, wenn trotz vieler Umplanungen alles gut über die Bühne gegangen ist.

In den kommenden Wochen und Monaten stehen die Fußball-EM und die Olympischen Sommerspiele an - sicher mit weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort. Wird’s dadurch eigentlich günstiger oder teurer, weil sich ohnehin alles verschoben hat?

Wir hatten auch für 2020 mit einem nationalen Fernsehzentrum hier in Mainz geplant und das zahlt sich jetzt aus. Im vergangenen Jahr sind Stornierungskosten entstanden, die wir durch ein verändertes Konzept jetzt kompensieren. Die massivsten Veränderungen gibt es mit Blick auf Olympia: In Tokio sind nur rund 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ZDF und ARD vor Ort im Einsatz. Stattdessen werden in Mainz 300 bis 400 Kolleginnen und Kollegen von ARD und ZDF im Schichtbetrieb arbeiten. Ich bin sehr froh, dass wir unser Studio, gewissermaßen unser Schaufenster zu den Olympischen Spielen, in Tokio betreiben können. Wir gehen neue Wege: Die Regie bleibt in Mainz. Die Moderatorinnen und Moderatoren bekommen ihre Anweisungen nur über den Knopf im Ohr. Absprachen über 9.000 Kilometer Entfernung – das gab es bei Sommerspielen noch nie.

Was planen sie konkret bei der bevorstehenden Fußball-EM?

Wir hatten schon im vorigen Jahr geplant, aus einem temporären Studio in Mainz zu senden. Hier finden wir die beste technische Anbindung vor, um über diese besondere, über den gesamten Kontinent verteilte EM berichten zu können. Wir moderieren also aus einem zentralen Ort – der „Sportstudio-Arena“. Konzipiert war das mit Zuschauern – vielleicht haben wir Glück, und in einem Monat ist es möglich, einige wenige doch zuzulassen. Bei allen weiteren Aussagen zu den Planungen sind wir wieder am Anfang: Was lässt Corona zu? Können unsere Kommentatoren in die Stadien? Wie sind die Einreise-Bedingungen in den einzelnen Ländern? Da ist noch erstaunlich viel offen – gut vier Wochen, bevor es losgeht. Über allem steht natürlich, dass keine Mitarbeiterin, kein Mitarbeiter gefährdet wird oder in Quarantäne muss. Ich bin daher froh, dass für die wichtigen Spiele der deutschen Mannschaft in München alles klar ist.

Das ist vermutlich das ungünstigste EM-Konzept, das man sich zu diesem Zeitpunkt vorstellen kann, oder?

Da haben Sie Recht, das ist schon eine deutliche Verkomplizierung. Ich bin immer noch überrascht, dass ein solches EM-Format mit elf Stadien während einer Pandemie von der UEFA durchgezogen wird. Würde die Europameisterschaft in ein oder zwei Ländern stattfinden, dann wären die organisatorischen und logistischen Herausforderungen wesentlich einfacher. 

 

Die Super League war von vornherein von einem gewissen Größenwahn geprägt.

 

Und vor der Kamera müssen Sie auch noch auf Ihr bewährtes Duo aus Oliver Welke und Oliver Kahn verzichten.

Wir haben einen größeren Umbruch vor uns. Oliver Kahn und Oliver Welke haben die Berichterstattung der vergangenen Jahre geprägt, keine Frage. Es war aber immer klar, dass die EM im vergangenen Jahr wegen seines neuen Jobs beim FC Bayern das letzte Turnier von Oliver Kahn gewesen wäre. Nach der Verschiebung war er also raus – was nicht zwangsläufig bedeutete, dass auch Oliver Welke nicht moderieren würde. Aber vor dem Hintergrund der im nächsten Jahr im Winter stattfindenden WM, zu der es parallel auch die „heute-show" geben wird, haben wir uns einvernehmlich darauf verständigt, die personelle Veränderung schon jetzt zu vollziehen. Glücklicherweise können wir mit Katrin Müller-Hohenstein und Jochen Breyer auf bekannte und kompetente Gesichter setzen und haben mit Per Mertesacker einen erfahrenen Experten im Einsatz. Und Christoph Kramer, der schon 2018 dabei war, ist mit seinen 30 Jahren auf einmal ein alter Hase. (lacht)

Als neue Dachmarke für die ZDF-Sportberichterstattung dient fortan das „Sportstudio“. Was sprach dafür – und was bedeutet das eigentlich für die „Sportreportage“?

In der heutigen Medienwelt sind starke Marken immer wichtiger. Dieser Gedanke hat uns geleitet – und von dieser Analyse war der Schritt zu der Erkenntnis, auf unsere stärkste Marke zu setzen, ein kleiner. Und die stärkste Marke des ZDF-Sports ist „das aktuelle sportstudio“. Das fand die Zustimmung der Kolleginnen und Kollegen vom Marketing und aus anderen Fachabteilungen im Haus – und war sicherlich ein überfälliger Schritt, auch im Vergleich zu anderen Marken wie „Sportschau“ oder „ran“. Und um Ihre zweite Frage zu beantworten: Die Sendung am Sonntag wird in Zukunft den Namen „Sportstudio-Reportage“ tragen.

Neu ist auch die Wettbewerbssituation. Dass sich ARD und ZDF einmal die Rechte an großen Turnieren mit der Telekom teilen würden, hätte man sicher vor einigen Jahre noch für undenkbar gehalten. Haben Sie nicht die Sorge, dass für die Öffentlich-Rechtlichen in Zukunft nur noch die Krümel übrig bleiben werden?

Der Wettbewerb ist schwieriger, ohne Frage. Aber: Wir haben für die kommenden Jahre die Rechte an den wichtigen internationalen Sportereignissen – EURO 2020 jetzt in 2021, die WM in 2022 und die Heim-EM 2024. Dazu kommen die Rechte an den Olympischen Spielen bis 2024. Das ist eine sehr gute Versorgung für die Beitragszahler, finde ich. Krümel sehen anders aus. Gleichzeitig gilt: Der Sportrechte-Markt ist durch die globalen Markt-Teilnehmer wie DAZN oder Amazon Prime Video komplizierter und schwieriger geworden.

Vor wenigen Wochen hat es große Aufregung um die Super League gegeben. Hätten Sie um die Rechte mitgeboten?

Nein. Die Super League war von vornherein von einem gewissen Größenwahn geprägt und ist ja auch erstmal sehr schnell in sich zusammengefallen. Ich habe es auch nicht als attraktives Programm erachtet, weil diese Idee einen Kardinalfehler hat: Es gibt keinen sportlichen Wettbewerb. Das ist für das Publikum nicht attraktiv. Wir haben eine andere Sport- und Fankultur als in den USA, wo ganze Teams hin und her geschoben werden, es keinen Auf- und Abstieg gibt. Das haben die mehrheitlich amerikanischen Eigentümer grandios falsch eingeschätzt.

Herr Fuhrmann, vielen Dank für das Gespräch.