Frau Greifeneder, dass sich kein Mensch etwas unter dem Titel „The Mopes“ vorstellen kann - nimmt man das in Kauf oder ist das Absicht?
Beides. Es ist definitiv nicht selbsterklärend wie „Polizeiruf 110“. Also Mat, unsere männliche Hauptfigur, ist ja Musiker und „The Mopes“ klingt ein bisschen wie eine Band. Dass die Assoziation nicht jeder sofort hat oder sie jetzt nachfragen, hat also idealerweise Neugier geweckt. In der wörtlichen Bedeutung sind Mopes nicht weit entfernt vom Blues. Also Trübsal blasen, schlecht drauf seien.
Wie kommt man auf diese Serienidee rund um eine personifizierte Depression?
Ipek Zübert kam in einem frühen Stadium mit der Idee zu uns, da war Prämisse noch ein bisschen anders: Die Serienidee spielte in Paris und ein amerikanischer StandUp-Comedian bekommt eine Depression, die deutsch ist. Das war natürlich reizvoll, dass die Depression ausgerechnet deutsch ist. Würde man Länder so ganz stereotyp durchgehen, wäre das vermutlich weltweit etwas, was man den Deutschen zuschreiben würde. Der Wunsch Nora die Depression spielen zu lassen, bestand schon sehr früh.
Was prädestiniert Nora Tschirner denn dazu, eine Depression zu verkörpern?
(lacht) Das war vielleicht missverständlich. Nora und ich kennen uns schon sehr lange und Ipek ist auch mit Nora befreundet. Man überlegt, wer die nötigen Voraussetzungen für diese Rolle mitbringt und da gibt es wenige, die ein so phantastisches Timing besitzen, das für eine Dramedy wichtig ist. Und Nora kann so wunderbar ironisch sein, immer noch einen kleinen Fußtritt mitgeben. Vor allem hat sie es geschafft, die Entwicklung Monikas von gleichgültig auf Mitgefühl grandios zu spielen. Es hatte bei der Besetzungsfrage auch erstmal nichts damit zu tun, dass Nora schon mal eine Depression hatte. Christian Zübert, Nora, Nataly Kudiabor und ich haben ja auch schon gemeinsam „Arthurs Gesetz“ gemacht und natürlich ist es auch kein Nachteil, wenn man bereits gerne und erfolgreich zusammengearbeitet hat.
Wie viel gute Absicht steckt in der Serie?
Viel. Deswegen haben wir auch noch rumgebastelt und die Idee mit viel Leidenschaft weitergedacht. Weil mir auch dieses Thema wahnsinnig wichtig ist. Mentale Gesundheit und die Stigmatisierung derer, die Hilfe suchen, braucht Aufmerksamkeit und Aufklärung. Aber wir sind nicht das Bundesgesundheitsministerium oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Die Idee muss uns und hoffentlich viele Zuschauerinnen und Zuschauer packen. Wir machen ja mit dieser Dramedy Unterhaltung, aber wenn die mit Relevanz daherkommt, umso besser.
Ein sehr dünnes Eis, weil in der Vergangenheit auch oft Themenfilme produziert wurden, die dann mit einer begleitenden Dokumentation Aufmerksamkeit für wichtige Themen generieren sollten…
Vielen dieser Filme lag aber nicht die ernorme Kreativität und Lust einer komplexen Erzählwelt zu Grunde, wie sie Ipek bei „The Mopes“ erschaffen hat. Als wir überlegt haben, eine Selbsthilfegruppe mit anderen Störungen zu erzählen - allein dieses Brainstorming dazu hat so viele Ideen hervorgebracht. Was wäre, wenn eine Winterdepression dabei wäre, die sich dann auf dem Flur mit einem „Wir sehen uns nächstes Jahr wieder“ verabschiedet. Es gibt so viele Möglichkeiten zu erzählen mit der geschaffenen Zentrale für psychische Erkrankungen. Eine solche Welt zu erschaffen war für mich das Spannendste.
Die Serie scherzt mitunter sehr locker über Themen, die anderen Menschen sehr nahe gehen. Wie stellt man sicher, nicht über das Ziel hinaus zu schießen?
Wir haben in der Umsetzung von „The Mopes“ viele Leute involviert, die betroffen waren oder sind und ein Auge darauf hatten. Aber natürlich nimmt so etwas jeder anders auf und geht anders damit um. Mir ist klar, dass „The Mopes“ nicht alle abholen kann, aber zumindest darf es niemanden verletzen. Ipek hat sich dafür gründlich vorbereitet, mit Koryphäen gesprochen und die Drehbücher wurden auch mit dem Münchener Bündnis gegen Depression, die auch zur Deutschen Depressionshilfe gehören, gecheckt. Und am Ende haben wir auch Nora, die als ehemals Betroffene weiß, wie sich das anfühlt und da zum Glück auch sehr offen mit umgeht. Das waren einige wichtige Kontrollelemente.
Was war schwieriger zu gestalten im Sinne der Glaubwürdigkeit der Serienidee: Die Szenen zwischen Monika und Mat in der realen Welt oder die Zentrale der psychischen Erkrankungen?
Komplexer war natürlich die Erschaffung und Inszenierung dieser komplexen Welt der psychischen Erkrankungen. Wie funktionieren die in sich? Wie sehen diese Erkrankungen aus, wenn man sie visualisiert. Wie sieht die Zentrale aus? Das ist ja im Grunde wie eine Behörde, in der es übrigens immer ein paar Grad kälter ist, deswegen fröstelt es einen leichter. Im Archiv der Gefühle wiederum ist es total warm. Ipek hat sich da sehr viele Details überlegt und wir wollten so viel wie möglich umsetzen, was aber eine sehr komplexe Prüfung von Logik bedeutet, damit diese Welt, die wir erzählen, auch Sinn ergibt.
Aber den ganzen Aufwand betreibt man nicht für nur sechs Folgen, oder?
Wir haben natürlich eine Riesen-Spielwiese damit kreiert, auf der man immer wieder andere Erkrankungen thematisiert. Eine Panik-Störung oder einen Narzissmus. Es gibt nun einmal eine ganze Welt von psychischen Erkrankungen.
"Das bietet sich natürlich an für weitere Staffeln."
Das ist richtig, aber noch keine Antwort auf die Frage, die sich hier aufgrund des enormen Aufwands, mit der diese Zentrale der psychischen Erkrankungen eingeführt wurde, stellt...
Tatsächlich ist uns das im Prozess klar geworden. Diese Zentrale der psychischen Erkrankungen ist in der Entwicklung immer konkreter geworden, dank der Detailverliebtheit von Ipek und weil sie „The Mopes“ besser macht. Wenn wir uns anschauen was daraus geworden ist, dann ja: Das bietet sich natürlich an für weitere Staffeln. Aber erst einmal sind wir gespannt, wie „The Mopes“ jetzt ankommt. Die Serie steht so wie sie ist auch in sich abgeschlossen sehr gut da.
Und woran bemisst sich für Sie als Pay-TV-Sender im Jahr 2021, ob man die Serie fortsetzt?
Sie fragen ja im Grunde, wie wir Erfolg definieren. Das sind ganz viele Faktoren. Da ist es uns wichtig, ob die Branche sagt, wir haben qualitativ abgeliefert. Also: stimmt das Handwerk? Dann natürlich die Pressestimmen, weil die schonungslos ehrlich sind. Da bekommt man keine Geschenke. Nominierungen und Auszeichnungen sind natürlich auch schöne Anerkennungen und die Frage, wie sich die Serie international verkauft. Das sind qualitative Kriterien und dann kommt es natürlich auf die Zahlen an. Da muss man dann Werte sammeln, die Quote und Abrufzahlen.
Welche Rolle spielt die internationale Verwertung bei HBO Max?
HBO Max ist eine wichtige neue Auswertung für unsere Serien. „4 Blocks“, „Andere Eltern“ und „Arthurs Gesetz“ sind international schon in vielen HBO Max-Märkten verfügbar. und dafür werden wir natürlich auch vergütet. In Deutschland haben wir ja noch Möglichkeiten, weil wir hier mit HBO Max noch nicht gestartet sind.
Sie exportieren deutsche Comedy. Passiert nicht oft…
(lacht) Die Vorstellung ist toll. Zu wissen, wie viele dutzend Millionen Menschen mehr unsere Arbeit jetzt entdecken können. Man bekommt natürlich auch Presse aus den anderen Ländern mit, was schon super ist. Und dann mein schönstes Beispiel: Ricky Gervais, der sich auf Twitter als „4 Blocks“-Fan geoutet hat. Und Feedback aus der US-Branche ist auch eine schöne Bestätigung und eine gewisse Genugtuung, wenn insbesondere deutsche Comedy international wahrgenommen wird, etwa mit einem Rockie Award für „Arthus Gesetz“ und schon zwei Nominierungen für „Andere Eltern“. Für unsere Comedy sind wir Deutsche ja nicht so berühmt in der Welt. Werde nie vergessen, wie wir unseren US-Kollegen erklärt haben, in Deutschland einen Comedy-Sender starten zu wollen. Zehn Sekunden Stille und dann großes Gelächter. Und jetzt haben wir von HBO auch schon wieder positives Feedback zu „The Mopes“ bekommen.
Alle Eigenproduktionen von TNT-Sendern können aber nicht direkt auf die Marke einzahlen, weil ich die Serien nur über Umwege sehen kann. Wie sehr sehnen Sie sich den Start von HBO Max in Deutschland herbei?
(Lacht) Natürlich wünsche ich mir den Start von HBO Max in Deutschland und das sage ich nicht nur weil ich bei WarnerMedia arbeite, sondern HBO mich als Marke schon immer fasziniert hat und ich HBO Max ein wirklich gutes Produkt finde. Aber auch unser jetziges Modell ist eine Erfolgsgeschichte für sich: Wir haben sehr früh agiert und mit Investitionen in Eigenproduktionen dafür gesorgt, dass unsere Sender keine Abspielstationen sind sondern einen eigenen kreativen Beitrag leisten - für unsere Verbreitungspartner und über diese dann für unsere Zuschauerinnen und Zuschauern. Das ist eine gemeinsame Anstrengung, bei der wir unseren Partnern auch danken, wie aktiv sie unsere Produktionen auch in ihren VoD-Angeboten platzieren und wir gemeinsam für Programm-Highlights wie „The Mopes“ werben.
Richtig, aber wenn ich eine Netflix-Serie empfehle, muss jemand einfach Netflix haben. Das ist TNT Comedy nicht "Direct-to-consumer"...
Wir erreichen über unsere diversen Verbreitungswege schon jetzt rund sieben Millionen Abonnenten. Dennoch ist es umso wichtiger ist es, dass wir uns Themen und Produktionen suchen, die so viel Interesse auslösen, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer sie sehen wollen. Unsere Anreize sind hoffentlich stark genug. Und wenn, wo auch immer, HBO Max startet, haben wir hoffentlich schon gezeigt, welchen kreativen Beitrag WarnerMedia mit Produktionen aus Deutschland leisten kann.
Hätten Sie sich das damals bei „Add a friend“, was ja noch eher Low Budget war, gedacht?
Ich war damals Programmchefin und für den Einkauf verantwortlich - und hatte gemerkt, dass es immer schwieriger wurde, an Programmrechte ranzukommen. Deswegen sind wir in die Eigenproduktion eingestiegen. Heute wirkt das wie eine visionäre Idee, aber wir hätten auch voll daneben liegen können, mit der Strategie und den gewählten Projekten. Dass das gut lief, hat dann von Jahr zu Jahr die Erwartungshaltung gesteigert.
Erfolge sorgen für das Dilemma, ob begrenztes Budget nun in eine zweite Staffel einer bestehenden oder stattdessen eine neue Serie gesteckt wird…
Dilemma war für mich früher die gegenseitige Schuldzuweisung, warum wir in Deutschland keine außergewöhnlichen Serien hinbekommen. Die Sender beklagten mangelnde Kreativität, die Kreativen mangelnden Mut. Und alle zusammen waren gefrustet, weil ungewöhnliche Ideen Mangelware waren und wir oftmals Skripte bekamen, die vorher anderen Sendern auf dem Tisch lagen. Jetzt in einer Situation zu sein, wo es keinen Mangel an Ideen sondern viel mehr einen lebhaften Wettbewerb gibt, empfinde ich nicht als Dilemma sondern schön. Wir haben so viel mehr Offenheit, die auch neue Kreative ermutigt. Und aus dieser Vielzahl von Ideen dann noch mehr realisieren zu können, ist natürlich etwas worauf ich mich sehr freue.
Das klingt euphorisch, aber wie wägt man derzeit das Budget ab. Wenn sie zunehmend mit Partnern arbeiten, die sie schon kennen - wie offen ist man dann für neue?
Es hängt immer vom Stoff ab. Ja, wir haben nach „Add a friend“, „4 Blocks“, „Para“ und „Almost Fly“ mit Wiedemann & Berg gearbeitet und Nataly Kudiabor, hat auch schon „Arthurs Gesetz“ gemacht. Aber ich werde Leute mit einem guten Stoff nicht bestrafen, weil sie schon mal mit uns gearbeitet haben. Und trotzdem arbeiten wir ja auch immer wieder mit neuen Partnern und jungen Firmen zusammen: Bantry Bay für „Weinberg“, Good Friends für „Arthurs Gesetz“ oder Eitelsonnenschein für „Andere Eltern“, UFA für „Hackerville“ das waren für uns jeweils eine neue Zusammenarbeit.
"Wir dürfen nicht Diversität auf dem Pressefoto verwechseln mit dem, was dann erzählt wird."
Sie sprachen „Almost Fly“ an, das nächste Serienprojekt. Wie ist da der Zwischenstand?
Wir drehen seit Anfang März und es läuft bislang sehr gut. Wir erzählen Ende der 80er Jahren drei Jungs in einer hessischen Kleinstadt, die durch eine nahegelegene Basis der US-Army mit Hiphop in Berührung kommen. Für sie ist es ein Erweckungserlebnis, für alle anderen um sie herum eine Beleidigung für die Ohren.
Das kürzlich gestartete „Para“ erzählt eine Mädchen-Clique, „4 Blocks“ erzählte von schweren Jungs. Entsteht Diversität weniger innerhalb einer Produktion als im Gesamtangebot?
Bei Diversität gibt es zwei Ansätze. Einerseits muss es eine Selbstverständlichkeit geben, dass eine Fachärztin schwarz, ein Firmenvorstand eine Frau oder ein Bauarbeiter schwul sein kann, ohne dass das dann das Thema der Geschichte ist sondern beiläufig gegeben ist. Das Zweite ist: Wirklich divers erzählen und nicht nur nach Quoten United Colors of Benetton zu casten. Es gibt einen Unterschied ob ich Diversität integriere oder ob sie Kern der Geschichte ist. Einen Schwulen habe ich schon oft erzählt bekommen, aber „All you need“ von Nataly Kudiabor und Benjamin Gutsche erzählt schwules Leben. Und unser „Para“ ist nicht divers gecastet, aber divers erzählt. Wir dürfen nicht Diversität auf dem Pressefoto verwechseln mit dem, was dann erzählt wird. Darauf kommt es an. Sonst sind wir wieder bei dem, was wir vorhin schon ansprachen: Werken mit guten Absichten und einer Dokumentation dahinter, die aber inhaltlich nicht überzeugen.
Frau Greifeneder, herzlichen Dank für das Gespräch.