Herr Grasmück, seit dem 1. Mai sind Sie Intendant des Saarländischen Rundfunks (SR). Vorher waren sie unter anderem Hörfunkdirektor. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag in den kommenden Monaten aus? Werden Sie gestalten oder damit beschäftigt sein, Löcher zu stopfen?
Natürlich will ich gestalten, das ist ja ganz klar. Das ist mein Anspruch. Ich komme nicht unvorbereitet in die neue Position. Ich habe zuvor bereits neun Jahre in der Intendanz des Saarländischen Rundfunks gearbeitet. Zwei Jahre als Referent des damaligen Intendanten Fritz Raff und später auch als Leiter der Intendanz. Vom Ablauf und Themenmanagement habe ich schon völlig unterschiedliche Situationen erlebt. Es ist natürlich etwas anderes, wenn man ganz oben steht in der Verantwortung. Aber darauf freue ich mich, ich will gestalten und nicht den Themen hinterherlaufen. Das erfordert ein gutes Management und eine gute Vernetzung, sowohl hier im Haus, als auch in der ARD. Das bringe ich mit.
Aber wie viel finanziellen Spielraum haben Sie? Beim SR sind die Finanzen immer ein Thema, durch die Nicht-Erhöhung des Rundfunkbeitrags noch einmal mehr.
Wir schauen auf Karlsruhe, ganz klar. Wir müssen abwarten, wann das Bundesverfassungsgericht sein Urteil fällt, davon hängt bei uns sehr viel ab. Ich bin aber auch der ARD sehr dankbar: Es hat eine große Solidaritätsbekundung gegeben, sowohl allgemein beim Finanzausgleich und auch bei der jetzt getroffenen Übergangsregelung dazu. Das verringert unsere Lücke, aber dennoch fehlen uns auch jetzt noch jährlich vier Millionen Euro. Finanziell müssen wir also sicherlich vorübergehend Löcher stopfen, um auf ihre erste Frage zurückzukommen. In unserem Programm, das bereits etliche Sparrunden hinter sich hat, soll sich das jedoch jetzt nicht niederschlagen.
Die ARD-interne Übergangsregelung des Finanzausgleichs, die dem SR und Radio Bremen hilft, war für Ihr Unternehmen sehr wichtig. Zuletzt hieß es, das Ausbleiben der Beitragserhöhung könnte zu einer "existenziellen Bedrohung" des SR führen. Wie ist das Unternehmen finanziell aufgestellt?
Die Einigung auf den vorläufigen Finanzausgleich war für uns sehr wichtig. Wir können damit zunächst sicherstellen, dass wir nicht von heute auf morgen in direkte Schwierigkeiten geraten. Damit überbrücken wir eine gewisse Zeit und das verschafft uns Spielraum. Dennoch sind wir darauf angewiesen, dass die Beitragserhöhung und der dauerhafte Finanzausgleich am Ende kommen. Das ist für uns die langfristige Basis für einen ausgeglichenen Haushalt.
"Wir sind auf ein Volumen im Programm herunter geschrumpft, das aus meiner Sicht das absolute Minimum darstellt, das eine Landesrundfunkanstalt anbieten muss."
Andere ARD-IntendantInnen betonen, dass Sie bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erst einmal keine Kürzungen am Programm vornehmen wollen. Hat der SR diesen Spielraum auch?
Ich finde es völlig falsch, am Programm zu sparen. Das ist unser Auftrag und wir haben auch Anspruch darauf, dass dieser Auftrag entsprechend finanziert wird. Von daher bin ich bereit, ein Stück weit ins Risiko zu gehen. Es ist einfach so: wir benötigen das Geld dringend zur Erfüllung unseres Programmauftrags. Der SR ist hierbei in einer Sondersituation, weil wir einen massiven Abbau über zwei Jahrzehnte hinter uns haben. In dieser Zeit sind wir auf ein Volumen im Programm herunter geschrumpft, das aus meiner Sicht das absolute Minimum darstellt, das eine Landesrundfunkanstalt anbieten muss. Ich persönlich kann nicht verantworten, dass wir noch unter dieses Minimum gehen. Deshalb ist das Programm für mich unantastbar, eine rote Linie. Wir würden einen Fehler begehen, wenn wir in einer solchen Situation hier Einschnitte vornehmen würden.
Wie sehen Sie den SR derzeit positioniert? Wenn der Sender jetzt schon nur noch das absolute Minimum sendet, gibt es sicherlich einiges an Verbesserungspotenzial.
Was wir dringend tun müssen, wie alle anderen übrigens auch, ist das Arbeiten gegen den Generationenabriss. Im Bereich der digitalen Medien müssen wir Angebote schaffen, um auch weiterhin alle Menschen zu erreichen. Im Endeffekt heißt das, dass wir uns ausprobieren und an einigen Stellen auch investieren müssen. Und dann sollten wir schauen, welche der neuen Formate sich bewähren und bei welchen Formaten es bei einem Versuch bleibt. Das alles passiert wie schon gesagt vor dem Hintergrund der angespannten Finanzsituation. Das ist nicht leicht. Wir werden auch hier im Haus noch einmal kreativ schauen, wie wir nach den bereits durchlaufenen Sparprozessen uns noch einmal weitere Spielräume aus eigener Kraft erschließen, auch mit Hilfe der Digitalisierung.
Kai Gniffke hätte da vermutlich eine Idee. Der SWR-Intendant hat im Interview mit DWDL.de weitreichende Kooperationen zwischen SR und SWR vorgeschlagen, das geht bis hin zu gemeinsamen Justiziariaten und Buchhaltungen. Was halten Sie davon?
Ich kenne Kai Gniffke seit vielen Jahren, und natürlich haben wir nach meiner Wahl auch schon miteinander gesprochen. Ich kann guten Gewissens sagen, und da können Sie gerne bei ihm nachfragen: Kai Gniffke will keine Fusion mit dem Saarländischen Rundfunk.
Das hat er nie gesagt. Es ging immer um eine sehr weitreichende Zusammenarbeit, die nicht das Programm betrifft. Also Verwaltung, Produktion oder Justiziariat. Hier hat er senderübergreifende Strukturen vorgeschlagen.
Ich bin ein überzeugter Verfechter von sinnvollen Kooperationen. Das sind aber vor allem solche Kooperationen, die die Eigenständigkeit des Saarländischen Rundfunks nicht gefährden. Ich sehe da ehrlich gesagt keine Gefahr, auch nicht nach den Gesprächen, die ich geführt habe. Ich habe mit solchen Kooperationen auch ganz praktische Erfahrung: So war ich für die Deutsche Radio Philharmonie zuständig, das ist der gemeinsame Klangkörper von SWR und SR für das Saarland und Rheinland-Pfalz. Als Programmchef war ich zuletzt außerdem verantwortlich für die Hörfunkwelle UNSERDING, dort arbeiten wir intensiv mit DasDing vom SWR zusammen. Und ich war damals dabei, als wir die gemeinsame Hauptabteilung IDA - Information, Dokumentationen, Archive - aufgesetzt haben. Auch dort gehen wir gemeinsam mit dem SWR wichtige Themen an, wie etwa die Digitalisierung von Archivmaterial. Von daher habe ich keine Berührungsängste. Wir müssen die Mittel effektiv einsetzen und unsere guten Kontakte sowie die nachbarschaftliche Beziehung weiter pflegen. Ich bin optimistisch und sicher, dass es da keine Verwerfungen geben wird.
"Die Existenzsicherung des Saarländischen Rundfunks ist immer eine Daueraufgabe, das ist bei diesem Job so. Das stand auch ganz oben in der Ausschreibung für den neuen Intendanten."
Wo hört für Sie der Willen zur Kooperation auf? Kai Gniffke hatte ja ganz konkrete Beispiele genannt, wo man zusammenarbeiten könnte.
Es ist relativ simpel: Wenn man so ein Haus wie den Saarländischen Rundfunk eigenständig führen will, braucht man in den Führungsetagen Expertise und Loyalität zum eigenen Unternehmen. Die Führungskräfte brauchen auch einen gewissen eigenen Stab an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die diese Expertise praktisch darstellen. Alles, was nötig ist, damit wir unsere Rolle im Saarland, aber auch innerhalb der ARD, wahrnehmen können, muss diese Loyalität zum SR haben. In der ARD gibt es unterhalb der Intendantinnen und Intendanten die sogenannten Fachkommissionen, und auf dieser Ebene werden wichtige Themen für die Intendantensitzungen vorbereitet. Was dort nicht gut vorbereitet ist, fangen auch die Intendantinnen und Intendanten später kaum noch ein. Auf dieser Ebene müssen wir mit eigenen Leuten souverän unterwegs sein. Und diese brauchen auch einen kleinen Unterbau. Beim SR haben wir diese Strukturen bereits extrem schlank aufgestellt. Bei anderen Prozessen, die das Programm zum Beispiel unterstützen, aber auch bei einzelnen Themen in der Verwaltung, können Kooperationen hingegen absolut Sinn machen. Das heißt aber nicht, dass Menschen gleich den Arbeitgeber wechseln müssen.
Eine ausschließlich redaktionelle Unabhängigkeit des Saarländischen Rundfunks reicht aus Ihrer Sicht also nicht aus?
Nein, das reicht nicht aus. Das wäre zu wenig. Eine Landesrundfunkanstalt ist zwar ein Programmbetrieb, man braucht aber auch eine Expertise jenseits des Programms, weil man sonst irgendwann abgehängt wird. Das wäre ein klassisches Landesfunkhaus, das im Wesentlichen auf das Programm reduziert wäre. Wir sind eine eigenständige Landesrundfunkanstalt, die eine Funktion hat, sowohl hier im Saarland, als auch in der ARD. Und deshalb müssen wir bei ganz verschiedenen Themenkomplexen sprechfähig sein und diese auch gestalten. Das kann man nicht, wenn man ein reiner Programmbetrieb ist.
Es wird also auch in Zukunft ein eigenes Justiziariat oder eine Buchhaltung geben.
Das Justiziariat ist ein gutes Beispiel: Die Justiziare sind in einer der ARD-Fachkommissionen zusammengeschlossen und dort geht es um sehr wichtige medienpolitische Fragestellungen, die ich als SR-Intendant mit unserem Justiziar erörtern muss. Dies sind strategische Fragen und dafür brauchen wir die detaillierte Fachkenntnis hier im Hause. Wie gesagt: Das gilt nicht für alle Bereiche und Ebenen und über andere Dinge kann man sicherlich reden.
Haben Sie Beispiele? Wo sehen Sie noch Spielraum für weitere Kooperationen?
Bei der Rundfunkversorgung gibt es verschiedene Möglichkeiten, einander zu unterstützen. Etwa wenn es um die Wartung von Sendeanlagen geht. Auch die Frage, wo Server heute stehen, ist nicht mehr so wichtig. Wichtig ist nur, dass die Server guten Support haben. Es muss nicht jede Landesrundfunkanstalt eigene Server aufbauen, damit der Betrieb läuft. So etwas kann man bündeln, da schlummert noch Potenzial.
Glauben Sie, dass es den Saarländischen Rundfunk in der aktuellen Form in zehn Jahren noch geben wird?
Es wird den Saarländischen Rundfunk, der ja übrigens auch eine wichtige Brückenfunktion zu Frankreich wahrnimmt, als eigenständige Landesrundfunkanstalt auch in zehn Jahren definitiv noch geben. Da bin ich absolut sicher. Ich will selbstverständlich auch nicht der letzte Intendant des SR sein.
Wird die Existenzsicherung des SR die größte Herausforderung für Sie?
Die Existenzsicherung des Saarländischen Rundfunks ist immer eine Daueraufgabe, das ist bei diesem Job so. Das stand auch ganz oben in der Ausschreibung für den neuen Intendanten. Aber wir müssen vor allem programmlich für alle Bevölkerungsschichten relevant bleiben. Ich glaube ganz fest an unseren Auftrag, weil wir einen Auftrag für die gesamte Gesellschaft erfüllen. Wir arbeiten ständig auch daran, dass es einen besseren Zusammenhalt in der Gesellschaft gibt. Das schaffen wir nur, wenn wir dort hingehen, wo die Menschen sich gerade medial aufhalten. Das sind inzwischen oft eben auch Drittplattformen. Dort findet leider viel Desinformation statt, die dazu beiträgt, die die Gesellschaft zu spalten. Und deshalb müssen wir mit unseren Qualitätsangeboten auf solchen Plattformen stärker präsent sein. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben für mich: Unser Programm fit machen für diese Zukunft und das Spiel, das teilweise nicht mehr auf unseren eigenen Plattformen stattfindet. Wir dürfen nicht so arrogant sein, die Leute nur auf unsere eigenen Plattformen locken zu wollen, weil das alte Sender-Empfänger-Modell heute nicht mehr funktioniert.
Aber mit Verlaub: Das ist doch keine neue Entwicklung? Müsste das nicht alles schon längst umgesetzt sein?
Es ist ja nicht so, als wären wir in der Sache nicht schon unterwegs. Wir haben beim SR mit "offen un' ehrlich" ein sehr erfolgreiches funk-Format, das gerade für einen Grimme-Preis nominiert wurde. Das ist ein Format, das sich mit dem Treiben der Influencer auf verschiedenen Plattformen auseinandersetzt und sie kritisch hinterfragt. Und natürlich sind wir auch auf Facebook und Instagram unterwegs. Ich glaube aber, dass wir noch viel stärker passgenaue Angebote für diese Plattformen entwickeln müssen. Es ist nicht so, dass wir dort jetzt erst starten. Aber wir können und müssen besser werden.
"Es wird den Saarländischen Rundfunk [...] als eigenständige Landesrundfunkanstalt auch in zehn Jahren definitiv noch geben. Da bin ich absolut sicher."
Noch einmal zu den möglichen Einsparungen. Was ist da aus Ihrer Sicht beim SR noch drin?
Das müssen wir jetzt gemeinsam ausloten. Ich habe hier schon einmal drei Jahre lang eine Taskforce geleitet, in der wir uns sehr bemüht haben, Einsparmöglichkeiten zu finden, damit der SR keinen Kredit aufnehmen muss. Das war nicht leicht, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass man mutige Fragen stellen muss.
Was für Fragen sind das?
Das sind Fragen, für die man auch im eigenen Haus nicht viel Applaus bekommt, wenn man sie stellt. 2021 haben wir etwa Möglichkeiten, anders zu produzieren als in der Vergangenheit. Die technische Entwicklung gibt uns Werkzeuge an die Hand, die es vor wenigen Jahren nicht gab. Vor ein paar Monaten habe ich mit unserem Programmdirektor Lutz Semmelrogge darüber nachgedacht, was wir tun können, um zum Beispiel in der Produktion mit modernen und kostengünstigen Lösungen wieder Avantgarde zu werden. Der SR kann sich hier sicher schneller bewegen als größere Anstalten. Wir werden das nun gemeinsam mit den Mitarbeitenden entwickeln. Am Ende soll aber immer ein optimaler Programm-Output stehen.
Ein paar Dinge haben wir schon besprochen, zum Schluss aber ganz konkret die Frage: Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Zeit als Intendant gesetzt?
Ein Ziel ist für mich, dass wir uns programmlich frisch halten und dass wir die Herausforderungen, die die digitalen Medien an uns stellen, aktiv annehmen. Wir müssen uns ein Stück weit vom linearen Denken lösen und können uns dann auch freuen, wenn wir es geschafft haben, uns digital eine neue Relevanz zu erarbeiten und dort unser Publikum erreichen. Das andere Ziel ist natürlich, den SR als selbstständige Landesrundfunkanstalt zu erhalten. Wir wollen nach vorne gehen und dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft wieder stärker zusammenwächst. Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft macht viele Menschen ratlos. Ich bin absolut davon überzeugt: Der Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist viel höher als die Kosten, die er verursacht. Das müssen wir der Bevölkerung, aber auch der Politik, besser vermitteln.
Wie gespalten die Gesellschaft ist, hat sich zuletzt bei der SchauspielerInnen-Aktion #allesdichtmachen gezeigt...
Die Personen, die an der Aktion mitgemacht haben, müssen zunächst für sich selbst beurteilen, was sie damit ausgelöst haben. Ich bin selbstverständlich ein Verfechter der Meinungsfreiheit. Umgekehrt hat jede und jeder für sich eine Verantwortung, wenn man öffentlich auftritt. Aus dieser Verantwortung darf man die Menschen nicht raus lassen. Aber es darf umgekehrt nicht so sein, dass immer gleich heftige Konsequenzen gefordert werden, wenn jemand sich artikuliert, an einer Aktion teilnimmt und dies anderen Menschen nicht gefällt. Das halte ich für die falsche Herangehensweise. Wir sind eine offene Gesellschaft und die braucht Meinungen. Ich mache mir diese Aktion gewiss nicht zu Eigen und sehe sie sehr kritisch. Aber ich fände es schlimm, wenn jetzt einzelne Schauspielerinnen oder Schauspieler nicht mehr ihrem Beruf nachgehen könnten. Viele haben ja auch schon gesehen, dass das, was sie erreichen wollten, nicht funktioniert hat. Das haben sie bedauert und sich teilweise entschuldigt.
Herr Grasmück, vielen Dank für das Gespräch!