Herr Zaik, Frau Etspüler, Sie wollen als Doppelspitze eine neu aufgestellt i&u TV führen. Was ist denn neu bei i&u TV?
Andreas Zaik: Wir sind künftig in fünf Feldern aktiv bei i&u TV, in die sich unser Geschäft aufteilt. Da wären „Stern TV“, Unterhaltung und Dokumentation als etablierte Bereiche und neu Digital und Comedy. Alle fünf Bereiche haben auch jeweils Verantwortliche, eine Veränderung zu früher.
Und wie sieht die Aufgabenteilung zwischen Ihnen in der Geschäftsführung aus?
Nina Etspüler: Wie schon von Andreas eben angedeutet, wollen wir klare Verantwortlichkeiten schaffen, weil i&u TV mehr geworden ist als Information und Unterhaltung. Comedy ist ein Bereich, der ganz neu etabliert wird und den ich übernehmen werde. Da haben wir Pierre Uebelhack von Endemol Shine Germany geholt und bauen gemeinsam ein Team auf. Die anderen Bereiche bleiben wie bislang in der Verantwortung von Andreas, weil ich ja auch in München noch ein paar Aufgaben für Leonine zu erledigen habe.
Sie ziehen also nicht nach Köln?
Nina Etspüler: Das haben mich tatsächlich viele gefragt, aber ich bleibe in München und werde künftig regelmäßig in Köln vorbeischauen. Worauf ich mich sehr freue.
Andreas Zaik: Früher gab es bei i&u TV die Achse Potsdam-Köln, jetzt freuen wir uns auf die Verbindung zwischen München und Köln.
Woher kommt der Wunsch mit i&u TV künftig auch Comedy zu produzieren?
Nina Etspüler: Zum Einen ist es ein wahnsinnig gefragtes Genre, das sowohl die linearen Sender als auch Streamer interessiert, weil man Comedy sehr gut lokal besetzen und sich damit lokal verankern kann, auch wenn wir da natürlich in die ewige Talente-Diskussion kommen. Und dann haben wir über die Show-Expertise der i&u TV, wo mit großen Talenten gearbeitet wird, die jahrelange Arbeit von Fred Kogel und meinem Hintergrund in der Comedy einen starken Zugang zu dem Genre. Daher ist das ein No-Brainer in der i&u TV mehr Comedy zu machen. Ich hab da einfach mega Lust drauf.
Gleichzeitig ist Comedy ein heißes Eisen.
Nina Etspüler: Ja, ist es. Aber wenn man mit einer gewissen Haltung und den richtigen Leuten vor und hinter der Kamera herangeht, dann ist Comedy eigentlich ein Genre, das alle zusammenbringen kann. „LOL“ bei Prime Video zeigt das ja gerade sehr gut, das ist breiteste Familienunterhaltung. In die Richtung wird sich viel öffnen. Wenn Comedy zusammenbringt statt spaltet, dann sind auch wieder mehr Talente dafür zu gewinnen.
Andreas Zaik: Wir schreiben uns Wachstum auf die Fahnen. Im Bereich der großen Primetime-Unterhaltung gibt es bereits viele etablierte Formate, zu denen wir u.a. „Denn Sie wissen nicht was passiert“, „Klein gegen groß“, „5 gegen Jauch“ und „Quiz ohne Grenzen“ beisteuern. Da werden wir auch weiter experimentieren, aber Comedy ist derzeit nicht so präsent wie früher schon mal. Das macht es für uns zum Wachstumsfeld zusammen mit dem Digital-Bereich.
Zum Digitalen kommen wir noch. Sie sprechen aber auch gerade die Unterhaltungsformate an. Wäre es korrekt zu sagen, dass i&u TV sich auf generationenübergreifendes Programm als Markenzeichen fokussiert?
Andreas Zaik: Freut mich, wenn Sie das so empfinden, weil das tatsächlich unsere Absicht ist. Wir möchten Menschen zusammenführen und sie gemeinsam informieren und unterhalten. Natürlich gibt es manchmal auch spitzere Programme, aber wir wollen mit den meisten unserer Produkte die Familie in Gänze erreichen und diese Positionierung auch behalten.
"Live ist die große Stärke des linearen Fernsehens."
Andreas Zaik
Eine Sendung, die dazugehört, ist „Denn sie wissen nicht was passiert“. Nie galt der Titel so wie in dieser Staffel, würde ich sagen…
Andreas Zaik: (lacht) Wir haben da richtig Spaß dran. Natürlich tut es uns leid, dass Günther und dann Thorsten Schorn erkrankt sind, aber eine etablierte Live-Show kurzfristig neu zu denken, ist eine Aufgabe, die jede Fernsehmacherin oder jeden Fernsehmacher doch zu Höchstform auflaufen lässt. Das war so aufregend wie Privatfernsehen vor 20 oder 25 Jahren, wo man einfach ausprobiert hat. Da steckt man die Köpfe zusammen und überlegt sich was. Daraus das Beste zu machen, war eine Dynamik, die das ganze Team und die von uns angefragten Gäste angesteckt hat. Das war ein richtig gutes Gefühl. Live ist die große Stärke des linearen Fernsehens und ich freue mich über jeden Sender, der diese Erkenntnis teilt. Zeuge zu sein bei etwas, was gerade in diesem Augenblick passiert und von Millionen Menschen gesehen wird, ist so viel aufregender als eine Aufzeichnung zu sehen. Das ist Fernsehen, wie es schöner nicht sein kann.
Und es erscheint, als habe die Branche gerade kollektiv diese Erkenntnis und eine neue Lust entwickelt…
Nina Etspüler: Ist das nicht super? Ist das nicht total toll? Das macht mir einfach ganz viel Freude, diese Bewegung im Markt zu sehen und ich teile dieses Gefühl. Das zeigte sich ja auch in den ersten Wochen der Corona-Pandemie im vergangenen Jahr, wo auf einmal mehr ausprobiert wurde als sonst in einem ganzen Jahr. Oder man schaut sich an, was sich ProSieben gerade traut mit den alten Kolleginnen und Kollegen von Florida.
Andreas Zaik: Was bei ProSieben passiert, ist bemerkenswert. Und was die Experimentierphase im März letzten Jahres anging: Da sind wir mit den drei Folgen der „Quarantäne-WG“ ja in ihrer Flop-Galerie gelandet, aber es war trotzdem aufregend, spontan so etwas auf Sendung zu bringen. Das war ein heißer Ritt, die Technik war noch nicht die Beste und wir haben uns inhaltlich vielleicht etwas vertan, weil die Menschen zur Primetime nicht nochmal darin erinnert werden wollten, dass wir gerade alle zuhause hocken müssen, aber geblieben ist allen die Einsicht, dass man spontaner sein kann. Und am Ende des Jahres wurden wir ja von Ihnen doch noch geehrt.
Und doch scheint es - die „Quarantäne WG“ mal ausgenommen - eine Erkenntnis auch aus dem Erfolg von TikTok oder Instagram Stories zu sein: Die Idee ist wichtiger als die Highend-Umsetzung…
Andreas Zaik: Unser mehrtägiges YouTube-Projekt YouTopia im vergangenen Jahr, das in der damals noch viel kleineren Digital-Abteilung vorbereitet wurde und das wir dann mit dem KnowHow von Leonine umgesetzt haben, ging auch in die Richtung. Da zählte die Absicht, das Thema Nachhaltigkeit nach vorne zu bringen. Dann übersteht man auch mal einen Stromausfall mittendrin. Das hatte einfach Sendungsbewusstsein, ebenso wie unser erfolgreicher YouTube-Kanal Breaking Lab, und bestärkt uns darin, weiter digitale Projekte zu entwickeln, die über die Verlängerung von TV-Marken hinaus gehen.
Nina Etspüler: Wir sind auch in der Vorbereitung für eine zweite Ausgabe von YouTopia, die noch in diesem Jahr kommen wird. Dazu sind wir im europäischen Ausland in Gesprächen über YouTopia-Adaptionen, mehr kann ich dazu noch nicht sagen. Das ist aber ja ohnehin ein Thema bei i&u TV, das ich voranbringen will: Der Export von eigenentwickelten Formaten, auch da sind wir in sehr guten Gesprächen und ich hoffe, da bald auch Vollzug vermelden zu können.
Export statt Import also…
Nina Etspüler: Ja, aber das geht in beide Richtungen. Wir haben jetzt ja auch unsere französische Schwester Mediawan. i&u TV ist historisch sehr stark in der Eigenentwicklung, was toll ist. Aber on top können jetzt noch starke Formate von Mediawan dazu kommen.
Viele Produzentinnen und Produzenten klagten in den vergangenen Jahren, dass Eigenentwicklungen nicht gut verkaufbar wären, eher schon die Adaption eines im Ausland erprobten Formats. Da hat i&u TV andere Erfahrungen gemacht. Was machen Sie anders?
Nina Etspüler: i&u TV hat aus der Not eine Tugend gemacht. Wenn man auf einen großen Katalog zurückgreifen kann, verlässt man sich vielleicht auch zu sehr darauf und ist gar nicht gezwungen so intensiv selbst zu entwickeln wie es i&u TV seit seiner Gründung gemacht hat, weil es keinen Zugriff auf irgendeinen Formatkatalog gab. Da macht unser Entwicklungsteam rund um Dirk Jennemann einen Spitzenjob. „Import optional“ ist natürlich eine gute Ausgangslage.
Was ist denn gerade gefragt im Markt?
Andreas Zaik: Es gibt eine Renaissance des echten Lebens. Es braucht Programme, die mit der Lebensrealität der Menschen verbunden sind, weil sie dann auch eine Relevanz haben. Nicht ohne Grund sind derzeit Informationsprogramme so gefragt und werden überall ausgebaut. Wir leben in erklärungsbedürftigen Zeiten. Corona kann niemand mehr hören, aber es bleibt für unser aller Alltag das dominierende Thema, auch die Folgen der Pandemie. Das hilft auch den Sendern im Vergleich zu internationalen Plattformen, weil sie hier lokale Stärke ausspielen können.
Nina Etspüler: Und auf der Unterhaltungsseite geht es um die klassische Familienunterhaltung, also Programme, die man mit der ganzen Familie schauen kann. „LOL“ haben wir ja schon erwähnt, „The Masked Singer“ oder „Denn sie wissen nicht was passiert“ fallen auch in die Kategorie. Je absurder die Welt da draußen ist, desto gefragter ist Wohlfühlunterhaltung.
Wenn der Erklärbedarf so groß ist, ärgert es Sie dann wenn Markus Lanz in der Pandemie zum Erklärer und Frager der Nation wurde und nicht „Stern TV“?
Andreas Zaik: Die Frage habe ich erwartet. Und möchte vorweg meine Anerkennung für die Redaktion der Sendung und Markus Lanz persönlich ausdrücken. Ich finde das großartig, was die da in Hamburg machen. Wenn wir auch einen Talk machen würden, der drei Mal die Woche läuft - was auch eine attraktive Aufgabe ist -, wäre ich vermutlich angegriffener, aber wir machen ein wöchentliches Magazin, das natürlich auch wahnsinnig viel zu Corona gemacht hat und im April 2020 sogar jeden Mittwoch fast vier Stunden lang die Corona-Berichterstattung von RTL unterstützt hat.
Begrüßen Sie die Informationsoffensive von RTL?
Andreas Zaik: Ich finde es toll, dass Relevanz wieder eine größere Rolle spielt und der Live-Gedanke wieder präsenter ist. Es gibt so viele Sondersendungen wie nie, weil das Fernsehen wieder flexibler geworden ist. Natürlich hoffen wir, bei dieser neuen Ausrichtung von RTL helfen können.
Was war dann Ihr erster Gedanke als RTL eine wochentägliche Nachrichtensendung mit Jan Hofer am späten Abend ankündigte, die mutmaßlich „Stern TV“ betreffen wird?
Andreas Zaik: (lacht) Lassen wir uns mal überraschen, was genau geplant ist. Ich bin zuversichtlich, weil wir mit „Stern TV“ nach mehr als 30 Jahren zum Markenkern von RTL gehören, wöchentlich gute Leistungen und Quoten bringen und sich das gegenseitig befruchten wird.
Passt Oliver Pocher bzw. „Pocher - gefährlich ehrlich“ zum neuen RTL?
Nina Etspüler: Wir freuen uns mit Oliver zu arbeiten. „5 gegen Jauch“ geht ja weiter und da ist er gesetzt. Oli ist - und ich kenne ihn schon seit fast 20 Jahren, als wir ‚Rent a Pocher‘ gemacht haben - ein sehr großes Comedy-Talent. Er gibt einem Sender wie RTL hier und da ein paar Spitzen, die ein so großer Sender auch weiterhin braucht. Wie es konkret mit „Pocher - gefährlich ehrlich“ weiter geht, wird der Sender dann entscheiden. Aber wir werden sicher weiter mit ihm und unserer gemeinsamen Firma Pool of Brainz entwickeln.
Andreas Zaik: Ich finde schade, dass bei Oliver Pocher oft Dinge untergehen. Nach dem Tod von George Floyd haben Amira und er ein Zeichen gesetzt mit dem vermutlich längsten Schweigen im deutschen Fernsehen. Er hat sich mit Attila Hildmann auseinandergesetzt und zwar mit persönlichem Einsatz. Beim Tönnies-Skandal war er auch dran und hat es in eine der Wohnungen der Billiglöhner dort geschafft. Natürlich hat Oliver auch eine andere Seite, die dann vielleicht dazu verleitet diese starken Momente zu vergessen. Aber es wäre schade, wenn untergeht, dass Oliver Pocher mit Haltung und klarer Kante arbeitet und es wie kaum ein anderer schafft, Öffentlichkeit herzustellen und zwischen den verschiedenen Medien zu transportieren. 2020 mit den vielen Formaten war ja sein Jahr.
Weil sie vorhin die Lebensrealität erwähnten, Herr Zaik: Das Genre Reality kann man aber ausschließen bei i&u TV, nehme ich an?
Andreas Zaik: Wir werden uns konzentrieren auf seriöse Information und möglichst familientaugliche Unterhaltung und Comedy. Ich könnte mir aber schon vorstellen, dass man das Thema Dating auch auf unschuldige Art und Weise angeht, wenn ich an „Nur die Liebe zählt“ oder „Herzblatt“ denke, dann ist das ein ganz anderes Niveau als Reality-Datingshows heute.
Nina Etspüler: Aber grundsätzlich tun sich in diesem Genre dann auch die Kolleginnen und Kollegen leichter, die sich auf einen internationalen Formatkatalog stützen. In dem Genre spielt ein erfolgreicher Track Record eine große Rolle. Wir werden dann, von „Stern TV“ kommend, eher über Doku- und Factual-Elemente kommen und überlegen, was man damit noch machen kann. Soziale Experimente beispielsweise. Das liegt näher an der i&u TV-Expertise als das, was gerade als Reality läuft.
Welche Rolle spielen Talente eigentlich für Sie? Hilft es als Produktionsfirma Formatideen gleich mit Personen zu koppeln?
Nina Etspüler: Die Ideen müssen stimmen, aber man tut sich natürlich leichter, wenn man auch mit dem richtigen Namen durch die Tür geht. In der Talentpflege und im Talentaufbau haben eigentlich alle Sender in den letzten Jahren selbst zu wenig getan und die Produktionsfirmen müssen sich da auch an die eigene Nase fassen. Deswegen ist die schwierigste Frage bei einem Pitch heute in der Regel „Und wer kann es moderieren?“ Das ist oft auch die anstrengendste Entscheidung. Da sind wir alle zusammen gefordert, mehr in die Breite zu gehen, damit auf diese Frage nicht immer erstmal ein großes Seufzen kommt.
Es ist auch deshalb ein wichtiges Thema, weil gerade im Genre der Show eigentlich alle großen Formate von Männern moderiert werden. Auch bei i&u TV…
Nina Etspüler: Ich bin fest davon überzeugt, dass wir schon innerhalb der nächsten zwölf Monate eine Veränderung sehen werden. Ich freue mich über Sabine Heinrichs Show beim ZDF und Katrin Bauerfeinds Show bei RTL. Aber das kann erst der Anfang sein.
"Den Sendern beweisen, welchen Mehrwert und welche Perspektiven sie bislang oft verschenkt haben."
Nina Etspüler
Die neue i&u TV-Produktion „Die Gegenteilshow“ wird aber von einem Mann moderiert…
Nina Etspüler: Das ist richtig, aber auch nicht verwerflich. Wir haben über verschiedene Optionen beratschlagt mit dem Sender, auch an Moderatorinnen gedacht, aber dann gibt es in diesem Fall Daniel Boschmann, der über das erfolgreiche Frühstücksfernsehen sehr eng mit dem Sender verbunden ist und wir sprachen eben über die Bedeutung von Talentpflege, dazu gehört auch den vorhandenen Köpfen neue Möglichkeiten zu geben. Aber ich kann versichern: Mir liegt das Thema sehr am Herzen. Es gibt nach wie vor den Plan, wie schon angekündigt, bei Leonine noch eine weibliche Entertainment-Marke zu etablieren. Das Projekt steht auf meiner Prioritätenliste zusammen mit der Comedy bei i&u TV ganz oben.
Was verstehen Sie unter einer weiblichen Entertainment-Marke? Geht es um die Genres oder die Macherinnen?
Nina Etspüler: Es geht sowohl um die Talente vor als auch hinter der Kamera, von denen es da draußen sehr viele gibt. Und wir wollen das jetzt angehen, um dann mit konkreten Vorschlägen den Sendern beweisen zu können, welchen Mehrwert und welche Perspektiven sie bislang oft verschenkt haben.
Leonine hat in München gerade einen Neubau bezogen, der viele Beteiligungen unter einem Dach bündelt. I&u TV allein ist in Köln aber längst über den Hauptsitz am Ring hinaus auf diverse Häuser verteilt…
Nina Etspüler: Jaja, das „schmucklose Stammhaus“, wie Sie es genannt haben. Das haben wir uns gemerkt.
Andreas Zaik: Wir haben gerade tatsächlich vier Standorte, aber das wollen wir ändern und suchen jetzt eine Immobilie, in der i&u TV im nächsten Jahr gemeinsam arbeiten und wachsen kann.
Letzte Frage: Wer von Ihnen würde in der Wand hängen, wer die Fragen beantworten?
Nina Etspüler: Ich melde mich freiwillig für die Wand. Ich kann mich sehr gut zusammenklappen.
Frau Etspüler, Herr Zaik, herzlichen Dank für das Gespräch.