Einen Film über ein aktuelles Thema zu machen, ist riskant. Erst recht, wenn es um ein derart brisantes Ereignis geht wie den Wirecard-Skandal. Der Absturz des ehemaligen DAX-30-Konzerns, in dem es um Betrug und Geldgier geht, ist beispiellos - und noch immer sehr präsent. Anders als Jan Marsalek, der noch immer flüchtige Wirecard-Manager, von dem "Der große Fake" handelt, jener von UFA Fiction produzierte Doku-Thriller, der sich mit den Hintergründen des Skandals beschäftigt und innerhalb weniger Monate entstand.
Marc Lepetit: Es werden und wurden viele Dokumentation zum Thema Wirecard gemacht, gleichzeitig ist es aber deutlich zu früh, eine rein fiktionale Geschichte zu machen, weil es noch ungehörte Stimmen gibt und auch noch kein Urteil gesprochen wurde. Daher war relativ schnell klar, auf eine Mischform zu setzen und so besondere Momente sichtbar zu machen.
Wie schwierig war es, die Gesprächspartnerinnen und -partner zu finden?
Lepetit: Das war sehr schwierig, denn nicht jeder, der mit dem Unternehmen in Kontakt stand oder gar für die Führung gearbeitet hat, möchte nach vorne gehen und erzählen, wie es vielleicht wirklich war. Dazu kommt, dass wir uns in einem schwebenden Verfahren und daher im Bereich der Verdachtsberichterstattung befinden. Wir müssen daher extrem aufpassen und das wissen auch die Gesprächspartner. Gleichzeitig entstehen gerade, wie schon erwähnt, viele Dokumentationen über Wirecard, sodass bei manchem eine gewisser Ermüdung auftritt, weil er bereits an anderer Stelle gesprochen hat. Wir haben jedoch die Chance genutzt, viele Hintergrundgespräche zu führen, und einige davon im Film letztlich auch visualisiert.
In Ihrem Film kommt Markus Braun, über den man in der Vergangenheit viel lesen konnte, oft zu Wort. Herr Herbst, Sie spielen den Chef von Wirecard. Wie haben Sie sich der Figur genähert?
Christoph Maria Herbst: In der Frage, die Sie stellen, steckt schon ein Teil des Problems. Man konnte viel über Markus Braun lesen, hat aber nicht allzu viel von ihm gesehen, weil er während seiner Zeit bei Wirecard, so sagt man, stets kamera- und medienscheu gewesen sei. Das habe ich für mich letztlich als Vorteil ausgelegt. Es hat ja in der Vergangenheit schon einige Dokudramen gegeben, etwa über Helmut Kohl oder Helmut Schmidt. Das waren jedoch Personen, die sich im kollektiven Bewusstsein befanden. Da wusste jeder ganz genau, wie diese Figuren zu sein haben. Bei Markus Braun ist das anders, weil ihn das Publikum nie so sehr auf dem Schirm hatte. Am Ende habe ich mir gesagt: Ich spiele meinen eigenen Markus Braun. Klar, ich habe Interviews gelesen und mir das wenige Bewegtbildmaterial angeschaut. Aber das ist eher in mein Unterbewusstsein eingeflossen, als dass ich versucht hätte, ihn zu imitieren. Die Imitation ist die kleine Schwester der Parodie - und das wollten wir nicht.
Was empfinden Sie für Markus Braun, nachdem Sie sich so ausgiebig mit ihm befasst haben?
Herbst: Von Empfindungen und Gefühlen würde ich bei diesem Typen erst mal nicht reden. Was ich aber glaube korrekt in Erfahrung gebracht zu haben, ist, dass er wohl nicht gerade eine Partybombe war und ihm anscheinend Smalltalk zuwider war; er wirkte auf mich empathiebefreit und sicher nicht als der große Menschenfänger. Ich trete ihm sicher nicht zu nahe, wenn ich sage, dass er das Charisma nicht unbedingt erfunden hat. Er hat auch keinen Hehl daraus gemacht, ein riesiger Steve-Jobs-Fans zu sein und sich deshalb gleich ein paar schwarze Rollkragenpullover gekauft und sich eine rahmenlose Brille gekauft. Das war sicherlich viel Fassade.
Christoph Maria Herbst gelingt es, dem unnahbaren Manager nicht nur ein Gesicht zu geben, sondern auch Emotionen. Kurz vor Schluss, als Wirecard wie ein Kartenhaus in sich zusammenzubrechen droht, lässt Herbst den Chef laut werden: "Ich lass mir die Wirecard nicht wegnehmen", schreit der gerade entlassene Markus Braun in einer tristen Tiefgarage - noch immer hoffend, dass sich alles zum Guten wenden wird. Jan Marsalek, eindringlich verkörpert durch Franz Hartwig, fährt dagegen zum Schluss davon - "ohne Schulabschluss, aber mit fünf Pässen". Wohin, das wissen auch die Filmemacher nicht.
Am Ende des Films sieht man einen verzweifelten und damit fast schon ungewöhnlich emotionalen Markus Braun.
Herbst: Es ging uns nicht darum, einen Zombie oder eine Abziehfigur zu erzählen. Das ist schon ein Mensch aus Fleisch und Blut, mit schlagendem Herzen. Ich will ihm die Ahnung von der Thematik auch gar nicht absprechen. Aber ab einem gewissen Zeitpunkt ging es ihm vermutlich ausschließlich darum, wie sich der Chart des Aktienkurses entwickelt. Und das klingt nicht gerade substanziell, sondern vor allem exponentiell - und ist sicher nicht gesund.
Der Film spielt mit verschiedenen Ebenen, also mit fiktionalen Elementen ebenso wie mit echten Gesprächen. Birgt das nicht eine große Gefahr?
Lepetit: Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, war es uns wichtig, entsprechende Markierungen vorzunehmen, damit wir die Zuschauer nicht in eine Falle locken. Deshalb haben wir beispielsweise deutlich gemacht, an welcher Stelle wir ein Hintergrundgespräch inszeniert haben. Diese Trennung ist elementar, weil kein falscher Eindruck entstehen darf.
Wie schwierig ist es überhaupt, einen solchen Film zusammenzustellen, wenn man keinen Einfluss auf das hat, was die Interviewpartner sagen?
Lepetit: Da das gesamte Projekt zeitlich sehr eng getaktet ist, war das eine große Herausforderung. Noch bis kurz vor der Ausstrahlung befanden wir uns in der Fertigstellung, weil es eben kein klassisches Drehbuch gab. Passt die Reaktion eines ehemaligen Aktionärs, der sich darüber aufregt, eine halbe Million verloren zu haben, zu einer ruhigen Sequenz? Solche Fragen klären sich erst im Schnitt. Außerdem mussten wir immer wieder auf die aktuellen Ereignisse reagieren. An einigen Stellen konnten wir mutiger werden, an anderen Stellen wiederum mussten wir uns zurückhalten, weil wir auf keinen Fall dem Prozess vorgreifen wollen.
Wie kurz war da der Draht in die juristische Abteilung?
Lepetit: Wahnsinnig kurz! Wenn Sie in meinen Kalender schauen würden, dann könnten Sie sehen, dass ich in den letzten drei Wochen mehr mit Anwälten gesprochen habe, als mich mit meinem Hund einigermaßen gesund durch die Umwelt zu bewegen. (lacht)
Was bedeutete die Mischung aus Fiktion und Realität für Ihre Arbeit als Schauspieler?
Herbst: Ohne Vertrauen funktioniert kein Dreh besonders gut, aber das Vertrauen war bei diesem Dreh in noch viel stärkerem Maße erforderlich, weil das Drehbuch naturgemäß sehr fragmentarisch war. Gerade hier ist die Montage essenziell, weil dadurch erst die Dramaturgie entsteht, die dafür sorgt, dass der Film aus einem Guss daherkommt. Für meine konkrete Arbeit bedeutete das, dass mir beim Improvisieren immer ein wenig die Handschellen angelegt waren. Da kam es mitunter auf jedes Wort an. Die Legals saßen uns ja ständig im Nacken.
Regisseur Raymond Ley, der zusammen mit Hannah Lay auch das Drehbuch entwickelte, gelingt es, die echten Interviews, die unter anderem mit einer New Yorker Shortsellerin, einem früheren Wirecard-Projektmanager und dem Chef der Deutschen Bank geführt wurden, mit den Spielszenen zu einem glaubwürdigen Gesamtkonstrukt zu verbinden. Das liegt auch daran, dass die von Nina Kunzendorf verkörperte Journalistin Maria Sager wie eine Mittlerin daherkommt. Nach eineinhalb Stunden stellt sich ein Gefühl für die handelnden Personen und das Ausmaß des Skandals ein - und doch ahnt man, dass "Der große Fake" allenfalls die Spitze des Eisbergs zeigt.
Nun ist „Der große Fake“ nicht das einzige Projekt, das sich mit dem Wirecard-Fall beschäftigt. Inwiefern war es vor diesem Hintergrund wichtig, schnell zu sein?
Lepetit: Ich habe Nico Hofmann im September während einer Autofahrt im Radio gehört, als er von dem Projekt sprach - und dachte mir noch, dass das jetzt aber schnell gehen muss. Fünf Minuten später hatte ich ihn am Telefon und war als Produzent an Bord. (lacht) Klar, wenn Konkurrenz vorhanden ist, geht es um Geschwindigkeit. Allerdings darf man nicht einfach nur schnell sein, sondern muss Qualität, Wahrheitsgehalt und die Geschichte sehr klar im Auge behalten. Das geht immer vor. Ich kann also – je nach Ausrichtung des Stoffes – jeden verstehen, der für das Projekt länger braucht. Uns selbst war es wichtig, die Geschichte bis zum Sommer des vergangenen Jahres abzubilden. Alle, die nach uns kommen, werden versuchen, noch weiter zu erzählen und neue Erkenntnisse einzubauen.
Herbst: Unser Film ist ganz klar eine Momentaufnahme und vermutlich würde er anders aussehen, wenn wir ihn heute noch einmal drehen würden.
Lässt sich ein solches Projekt eigentlich von heute auf morgen abschließen?
Herbst: Während der Dreharbeiten habe ich mich dabei ertappt, wie ich mit vier bis fünf Stunden Schlaf ausgekommen bin. Mehr braucht der Manager des oberen Managements angeblich ja auch nicht. Da hat diese Arbeit also tatsächlich irgendetwas mit mir gemacht. Das Thema hat mich nicht kalt gelassen - und in der Arbeit vor der Kamera habe ich diese Kälte auch wieder ein Stück weit rausgelassen. Ich muss sagen, ich habe mich vor dem Dreh schon ein paar Grad kälter eingestellt als ich es sonst bin. Das war mir für die Rolle Markus Braun wichtig. Deshalb war ich am Set nicht gerade unterhaltsam, ja fast schon pöbelhaft. (lacht) Aber das hat der Rolle in meinen Augen gutgetan.
Lepetit: Ich habe dich nicht pöbelhaft erlebt, sondern ausgesprochen höflich und gut gelaunt. Aber klar, das Thema lässt einen nicht so schnell los. Seit Wirecard beschäftigt mich auch der ein oder andere sonstige Finanzskandal in Deutschland, aber auch das Thema der Finanzethik. Aber im Augenblick komme ich auch selten zu mehr als fünf Stunden Schlaf. Die Geschichte beschäftigt einen sehr.
Herr Herbst, „Der große Fake“ ist nicht Ihr einziges Projekt für TVNow. Schon in Kürze folgt die neue Comedyserie „Tilo Neumann und das Universum“. Worum wird es darin gehen?
Herbst: Die neue Serie hat die Network Movie produziert. Darin spiele ich einen Lehrer, der eine Pechsträhne nach der anderen hat und eines Morgens, nachdem er hässlich viele Drogen geschnupft, getrunken und zu sich genommen hat, eine Stimme hört. Diese Stimme behauptet, das Universum zu sein - und er wird sie nicht mehr los. Mit ihr geht er schließlich einen Deal ein, in der Hoffnung, ein besserer Mensch zu werden.
Wie wichtig ist es Ihnen bei der Wahl der Stoffe, den Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und Humor zu schaffen?
Herbst: Dieser Spagat ist mir extrem wichtig. Ich liebe insbesondere das Genre Tragikomödie, das von den Deutschen leider erst sehr spät entdeckt worden ist. Wir haben die Schublade ja gewissermaßen erfunden: Ein Stoff muss entweder Komödie oder Tragödie sein. Das ist schade. Dabei ist doch gerade die Mischform spannend, wenn also eine Komödie Substanz hat und wir wirklich an die Figuren rankommen oder mit ihnen leiden können. Über die Komödie lassen sich Botschaften und Substanzielles viel eher einbringen, weil das Lachen dazu führt, dass sich die Menschen öffnen.
Herr Herbst, Herr Lepetit, vielen Dank für das Gespräch.
"Der große Fake - Die Wirecard-Stoy", ab sofort auf TVNow sowie am Donnerstag, den 22. April um 20:15 Uhr bei RTL