Frau Furtwängler, Frau Klein. Die erste Staffel von "Ausgebremst" war für den guten Zweck, unter anderem gingen alle Werbeeinnahmen bei TNT Comedy an die KunstNothilfe. Wie viel Geld ist damals insgesamt zusammengekommen?

Maria Furtwängler: Wir lagen bei circa 60.000 Euro, also eine solide Summe. Und alle Kreativen, Autor*innen, Schauspieler*innen und andere haben ohne Gage mitgemacht.

Lena Klein © Nell Killius Lena Klein
Lena Klein: Das ist gar nicht so einfach ganz konkret zu beziffern, weil TNT auch alle Werbeeinnahmen im Umfeld der Ausstrahlung gespendet hat. Zudem hat sich die Anzahl der eingegangenen Spenden bei der #KunstNothilfe während der Vorbereitungs- und Ausstrahlungszeit mehr als verdoppelt. Da waren auch viele Klein- und Kleinstbeträge dabei. Es wollten offenbar auch Leute, die nicht viel geben können, etwas zu der Aktion beitragen. 

Furtwängler: Ja, das war schön, dass durch die Aufmerksamkeit, die unsere gemeinsame Aktion auf die #KunstNothilfe gelenkt hat, neue Spender*innen gewonnen werden konnten.

Gehen die Einnahmen aus Staffel zwei wieder an die KunstNothilfe?

Furtwängler: Es fließen weitere Gelder, ja. Unter anderem spendet TNT die Lizenzeinnahmen, die mit dem Verkauf der ersten Staffel erwirtschaftet werden. Und viele der beteiligten Schauspieler*innen haben ihre Gage gespendet. Und natürlich werden wir wieder intensiv auf die #KunstNothilfe aufmerksam machen und damit das Thema hochhalten.

Die erste Staffel ist damals noch an die ARD lizenziert worden, bei Staffel zwei ist der NDR gleich von Anfang an mit dabei. Wie ist es zur Zusammenarbeit gekommen?

Furtwängler: Durch den "Tatort" bin ich dem NDR eng und konstruktiv verbunden. Da war es naheliegend, sie auf eine Kooperation anzusprechen, zumal die erste Staffel seinerzeit ja nach der TNT-Auswertung im Ersten lief. Übrigens die erste Kooperation überhaupt von TNT mit der ARD. Dass beide Sender das jetzt bei Staffel zwei wiederholen, ist eine tolle Sache. So konnten wir in allem etwas professioneller und hochwertiger werden - ohne den Charme des Improvisierten zu verlieren. Das alles war nur möglich, weil die Partner*innen senderseitig einfach unglaublich kooperativ und unkompliziert waren, allen voran Anke Greifeneder von TNT und Thomas Schreiber vom NDR.

Den hochwertigen Look in Staffel zwei kann man sehen. Das Budget ist also gestiegen?

Klein: Bei Staffel eins haben wir im Prinzip mit fast nichts gearbeitet. Das war alles so spontan, dass wirklich wenig möglich war. Dieses Mal hatten wir immer noch sehr wenig. Aber im Vergleich zum ersten Mal ist das Budget gestiegen, ja.

Wir rennen nicht allein wegen unseres Fokus auf Geschlechterdiversität Türen ein, es geht immer um das gesamte Projekt.
Lena Klein

Entstanden ist die Serie damals aus der Coronakrise heraus. Wie hat die Pandemie die Branche verändert?

Furtwängler: Letztendlich haben wir im vergangenen Frühjahr aus der Not des Lockdowns eine Tugend der Improvisation auf allen Ebenen gemacht und daraus ist "Ausgebremst" entstanden. Im März saßen wir alle plötzlich da und nichts ging mehr. Damals haben wir zusammen mit unserem Koproduzenten Mark Popp überlegt, was wir aus dem brachliegenden, kreativen Potenzial machen können. Zudem wollten wir auch auf die Künstler*innen hinweisen, die vor großen Problemen standen. Als erstes fiel uns das Thema Lebenshilfe ein. Der fabelhaften Autorin Annette Hess war das zu langweilig. Sie hat aus Beate eine Fahrlehrerin gemacht, die suizidal ist und die Notfälle irrtümlich auf ihren Fahrsimulator gespielt bekommen hat. Mittlerweile drehen die meisten wieder und alle, die im Bereich Film und TV arbeiten, können sich glücklich schätzen. Wir können arbeiten, auch wenn es etwas mühsam ist mit Maske und dem Testen. Wirklich hart betroffen sind all die, die auf Live-Auftritte angewiesen sind, ob im Rahmen eigener Programme oder an den Theatern.

Wie stark hat die Pandemie die Atalante Film getroffen? Die Produktionsfirma ist 2017 gegründet worden. Im Herbst 2020 wollten Sie auch mit den ersten größeren Projekten starten.

Klein: Durch "Ausgebremst" hatten wir erst einmal zu tun. Bei unseren größeren Projekten war Corona natürlich ein Stör-Faktor. Im April diesen Jahres steht ein Dreh an, den wir eigentlich schon im vergangenen Herbst machen wollten. Damals wäre das nicht möglich gewesen, nicht zuletzt weil Teile in Tschechien gedreht worden wären.  

Um welche Produktion ging es da?

Furtwängler: Wir wollten zusammen mit der UFA eine Produktion für die Degeto realisieren - "Kaltenmorgen". Die Geschichte einer Politikerin. Da sind uns die gravierenden Veränderungen seit Beginn der Pandemie, aber auch die Ereignisse am Kapitol in Washington, dazwischen gekommen. Das ist immer das Risiko von sehr aktuellen Stoffen, dass einen die Wirklichkeit plötzlich überholen kann.

In dem Zweiteiler spielen Sie eine parlamentarische Staatsministerin, die mit ihrer rigiden Sicherheitspolitik Karriere macht und Verteidigungsministerin wird. Später stellt sie fest, dass dunkle Mächte von rechts ihr den Weg bereitet haben. Wie ist es dann, wenn man so etwas sieht wie den Sturm auf das US-Kapitol? Haben Sie gleich gewusst, dass Sie noch einmal ran müssen an die Bücher?

Furtwängler: Schon. Es gab jedoch weitere Faktoren. Unsere Dystopie muss dem aktuellen Irrsinn standhalten können. Es ist ein schmerzhafter Prozess, alles neu aufzurollen, obwohl man kurz vor Dreh stand. Aber es ist unabdingbar, dass wir mit unserer Geschichte auf der Höhe der Zeit bleiben, beziehungsweise ihr ein Stück voraus sind und nicht umgekehrt.

Ich bin selbst voller Vorurteile und es bedarf großer Anstrengungen, Vorstellungen in meinem Kopf zu durchbrechen.
Maria Furtwängler

Welche weiteren fiktionalen Projekte stehen für die Atalante Film demnächst noch an?

Klein: Als nächstes ein "Tatort", den wir in Hamburg drehen. Wir produzieren gemeinsam mit Studio Hamburg für den NDR. Das ist das erste Mal, dass wir mit der Atalante Film als Co-Produktionspartner mit dabei sind. Detlev Buck führt bei dem Film Regie und wir haben Udo Lindenberg als Special Guest dabei.

Furtwängler: Udo hatte mich vor ein paar Jahren zu einer musikalischen Zusammenarbeit eingeladen, worüber ich mich sehr gefreut habe. Dabei kam dann der Gedanke auf, dass es doch toll wäre, wenn er mal bei einem Lindholm-Tatort dabei wäre. Dann kam Uli Brée mit dieser sehr schönen Idee dazu und ich glaube, die Geschichte wird Charlotte Lindholm mal auf ganz anderen Wegen erzählen.

Was kann man von einem "Tatort" erwarten, der von Ihnen koproduziert wird? Und worin liegt Ihr Ansporn?

Furtwängler: Ich bin in das Produktionsgeschäft eingestiegen, weil ich große Lust habe, den kreativen Prozess von einem sehr viel früheren Zeitpunkt an zu begleiten und auch eigene Ideen umzusetzen. So ein Projekt von Anfang an zu betreuen ist eine herausfordernde und spannende Aufgabe. Zumal ich in 30 Jahren in dieser Branche eine Menge gelernt habe, dass über das Schauspielen hinausgeht. Und natürlich ist es naheliegend, dass auch mit dem Format, mit dem ich so sehr verwoben bin, zu machen. Unser Ehrgeiz ist es, besondere Stoffe zu erzählen. Und das wird der nächste "Tatort" definitiv sein. Das garantiert schon unser Partner, der NDR.

Sind Sie künftig dauerhaft als Ko-Produzentin mit an Bord?

Furtwängler: Das wird davon abhängen, ob wir von der Atalante einen Stoff bringen, der so attraktiv ist, dass der Sender ihn unbedingt haben will. Das entscheiden nicht wir und zudem wollen wir jetzt erst einmal einen wirklich tollen Film mit dem Dreigestirn Buck, Lindenberg, Furtwängler machen.

Wie hat Ihr Dasein als Produzentin Ihre Haltung und Sichtweise zum Produkt und zum gesamten Entstehungsprozesses eines Films oder einer Serie verändert?

Furtwängler: Vor zehn Jahren habe ich gedacht, dass ich bei Drehbüchern eigentlich alles besser weiß und habe einfach mal ein Drehbuch geschrieben. Das war ein sehr heilsamer Prozess, der mir unmittelbar vor Augen geführt hat, dass zwischen "etwas besser zu wissen" und etwas ganz neu zu erfinden Welten liegen! Und ich habe am eigenen Leib erfahren wie unfassbar verletzbar man ist, wenn man eine Geschichte geschrieben hat, wie jede Kritik einen bis ins Mark treffen kann. Das war sehr heilsam. Genau so sollte man jeden Regisseur dazu ermutigen, auch mal zu spielen. Es ist einfach enorm lehrreich mal die Seiten zu wechseln. Ähnlich ist es jetzt mit dem Produzieren. Ich dachte nicht, dass es so komplex ist. Ich bin überrascht und hingerissen von der großen Freude, die es macht, wenn alles gelingt. Aber man braucht ein dickes Fell und vor allem Durchhaltevermögen.

Klein: Total. Es ist ein Zusammenwirken von wahnsinnig vielen Kreativen und genau so vielen Unwägbarkeiten. Das ist schon fast eine Art von Alchemie, bis man zu einem richtigen Ergebnis kommt. Wir bei der Atalante haben darüber hinaus einen Fokus auf besonderen Stoffe, in denen wir uns auch mit der Vielfältigkeit von weiblichen Lebenswelten beschäftigen wollen. Es ist für uns beide ein großer, zusätzlicher Ansporn, in diese Richtung zu denken.

Wenn Sie, Frau Furtwängler, sagen, dass Ihnen die Arbeit der Autoren bewusster geworden ist. Hat sich da bei Ihnen auch etwas konkret im Schauspiel verändert? Sind Sie weniger forsch und wollen Stellen in Drehbüchern seltener geändert haben?

Furtwängler: Ja, durchaus. Es gibt immer noch Unwohlsein an bestimmten Stellen von Texten. Heute würde ich aber eher versuchen, mir mehr Mühe zu geben zu begreifen, warum die Figur es trotzdem so oder so machen könnte. Und darin einen Reichtum zu sehen, auch wenn es zunächst vielleicht widersinnig erscheint.

Sie setzen viel auf Geschlechterdiversität. Inwiefern rennen Sie da offene Türen bei den Sendern ein und wie sehr ist das Thema durch Corona vielleicht auch in den Hintergrund geraten?

Klein: Wir rennen nicht allein wegen unseres Fokus auf Geschlechterdiversität Türen ein, es geht immer um das gesamte Projekt. Wir wollen da auch nicht zu didaktisch sein und mit dem erhobenen Zeigefinger voranschreiten. Das kann auch mal absolut richtig sein, wir wollen aber nicht zu monothematisch werden. Nicht zuletzt legen wir viel Wert auf Unterhaltung.

Und ist das Thema durch Corona irgendwie in den Hintergrund geraten?

Klein: Das Thema ist nach wie vor präsent und es gibt eine große Offenheit für Repräsentation und Diversität, da geht es nicht nur um das Geschlecht. Wir wollen da auch über die Rolle der Frau hinausgehen. Und wie gesagt: Das ist alles ein Fundament, auf dem man dann gute Geschichten bauen muss.

Ich frage mich, was sich branchenweit getan hat…

Furtwängler: Ich glaube, es hat sich einiges getan.

Klein: Das glaube ich auch.

… auch über das manchmal etwas abstrakte Verständnis für das Thema hinaus? Es gibt Unternehmen wie die UFA oder das ZDF, die sich entsprechende Selbstverpflichtungen oder Ziele auferlegt haben. Gleichzeitig waren Frauen in der Corona-Berichterstattung deutlich unterrepräsentiert. Wie passt das zusammen?

Klein: Ja, der Bereich Information ist ein großes Thema.

Furtwängler: Die Selbstverpflichtung der UFA ist ambitioniert und ein großer Schritt in die richtige Richtung. Und in den letzten drei Jahren ist sowohl vor als auch hinter der Kamera viel in Bewegung gekommen. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse unserer neuesten Studie, die wir im Sommer veröffentlichen werden. Ich denke schon, dass sie zeigen wird, dass sich etwas bewegt hat. Ein tolles Vorbild ist die BBC mit ihrem Projekt 50:50. Die haben sich vorgenommen in den Informationssendungen eine Geschlechterverteilung von 50:50 vor Kamera und Mikrofon zu erreichen, also dass Expert*innen, Reporter*innen und Moderator*innen in der Information ausgeglichen besetzt werden. Dort gibt es seit einigen Jahren einen hausinternen Wettbewerb. Inzwischen machen 600 BBC-Teams mit, sowie 70 weitere Organisationen weltweit und die BBC hat es auf andere Diversity-Kriterien ausgeweitet. In Deutschland gibt es auch erste Bestrebungen, dazu werden wir sicher bald mehr hören. Bei "Ausgebremst" sind wir ja auch fast ein All-Girls-Team: Die Redaktion unter Anke Greifeneder, das Autorenteam um Annette Hess, Regisseurin Charlotte Rolfes und ich als Hauptdarstellerin. In dem Fall haben wir aber gar nicht darauf geachtet. Es gibt inzwischen einen größeren Fundus, auf den man zurückgreifen kann.

Es reicht eben nicht, die Arme zu öffnen, sich als divers zu bezeichnen und dann zu meinen, dass man schon weiß, wie es geht.
Maria Furtwängler

Und über die Rolle der Frauen hinaus? Wie sieht es da bei "Ausgebremst" aus?

Furtwängler: Thelma Buabeng und Idil Baydar spielen zentrale Rollen. Und mein Seriensohn wird verkörpert von Rauand Taleb. Und ich lerne nicht aus: Es gab etwa eine Geschichte über die neue, arabische Frau meines Ex-Mannes. Oder eine über die meines Sohnes. Und dann hat insbesondere Idil Baydar gesagt, dass wir gewisse Dinge nicht so erzählen können, wie wir das eigentlich wollten.

Was war passiert?

Furtwängler: Es reicht eben nicht, die Arme zu öffnen, sich als divers zu bezeichnen und dann zu meinen, dass man schon weiß, wie es geht. Man muss sich hinsetzen und zuhören. Zuhören, wie sich die Schauspieler*innen die Geschichte vorstellen. Dinge, die wir als lustig empfunden haben, gingen für Idil gar nicht. Und anderes, was wir uns selbst nie getraut hätten, war eigentlich kein Problem. Ich dachte immer, ich bin total woke. Aber ich sehe bestimmte Dinge eben auch nur aus meinem Erfahrungshorizont. Aber auch untereinander hatten wir Diskussionen.

Nämlich?

Furtwängler: Meine Figur ist unerträglich, sie ist politisch unkorrekt und haarscharf dran am Rassismus, am Sexismus, an allem eigentlich. Uns war immer klar, dass sie gewisse Sachen sagen darf. Aber eben nicht unkommentiert, es muss dann jemanden geben der das zurechtrückt. In einer Situation liegt ein Mann weinend am Boden und Beate fordert ihn auf, damit aufzuhören, weil heulende Männer unerträglich seien. Da hatte ich dann eine Diskussion mit Lena.

Klein: Ja, ich fand das sexistisch. Sexismus funktioniert ja in beide Richtungen.

Furtwängler: Am Ende habe ich mich durchgesetzt und die Szene ist drin geblieben. Aber es war ganz interessant zu sehen, dass es verschiedenste Stufen der Empfindlichkeit gibt. Wir führen darüber intern lebendige Diskussionen. Aber auch wenn wir sagen, dass wir für Diversität stehen, sind wir alles andere als ausgelernt. Wir machen alle dauernd Fehler. Das war auch immer meine Motivation, die Studien zu machen. Ich bin selbst voller Vorurteile und es bedarf großer Anstrengungen, Vorstellungen in meinem Kopf zu durchbrechen. Deshalb ist es toll, mit Lena eine Kollegin zu haben, die noch viel schärfer auf bestimmte Dinge schaut.

Frau Furtwängler, Frau Klein. Vielen Dank für das Gespräch!

Die neuen Folgen von "Ausgebremst" sind am Samstag, den 20. März, ab 18:30 Uhr bei TNT Comedy zu sehen.