Frau Tezel, in "Unbroken" geht es um Zwangsprostitution, illegale Leihmutterschaft, regretting motherhood, Säuglingsraub, und zu Beginn irren Sie blutverschmiert durch den Wald – warum muss Krimi eigentlich zusehends so drastisch sein?
Ich finde es als Schauspielerin, aber auch Zuschauerin wichtig, komplexe Figuren in komplexen Geschichten zu erschaffen. Da war mir diese überhaupt nicht zu drastisch, sondern genau richtig. Zumal sie eine starke Frau in den Mittelpunkt stellt, was noch immer zu selten in Film und Fernsehen passiert. Durch "Bad Banks" oder "Babylon Berlin" bewegt sich da mittlerweile aber einiges. Durch Filme und Serien haben wir die Chance Zuschauer auf emotionaler Ebene mit wichtigen Themen zu konfrontieren. Das ist nochmal eine andere Rezeption als eine reine Informationsaufnahme, wie zum Beispiel beim Schauen der "Tagesschau".
Die Sie also emotional kalt lässt?
Nein, ich fühle auch da viel. Aber was "Unbroken" angeht: Die Serie geht einem emotional nahe, weil man sich mit den Gefühlen der Hauptfigur identifizieren kann.
Aber sorgt die geballte Ladung Drama, mit der besonders ihre Figur zu tun hat, nicht eher für Distanz, weil es so unwahrscheinlich ist, dass all dies in der Realität geschieht?
Nur weil der Fall von unseren Lebensrealitäten weit weg ist, ist er es ja nicht automatisch von denen anderer. Und frauenfeindliches Verhalten in männerdominierten Branchen wie der Polizei etwa ist für viele ebenso real wie regretting motherhood.
Ist die ein rein dramaturgischer Nebenaspekt oder geht es der Serie darum, die dunkle Seite der hell überhöhten Mutterschaft publik zu machen?
Eher, sie zu enttabuisieren. Wobei Alex die Mutterschaft in dem Moment nicht mehr bereut, als ihr Baby verschwindet. Auch in "Am Himmel der Tag" hatten wir uns mit einem Tabu befasst, ich spielte eine Frau, die eine Todgeburt hat und damit klarkommen muss. Ich empfinde es als große Kraft von Film und Fernsehen, das Publikum auf sensible Art mit so schmerzhaften Dingen zu konfrontieren.
Können Sie für die Darstellung solcher Extreme irgendwo aus dem Inneren schöpfen oder müssen Sie das rein schauspielerisch abstrahieren?
Ich arbeite mit einem Schauspielcoach, dessen Methode mir einen sehr physischen Zugang zu Figuren, ihren Gefühlen und Entscheidungen verschafft. Denn jede Figur, die ich spiele, hat eine ganz eigene Lebensrealität und Persönlichkeit, die man erstmal erforschen muss. Das Besondere und Spannende an meinem Beruf ist, dass fast alles, was ich spiele, nichts oder nur am Rande mit mir und meinem Leben zu tun haben muss.
Auch nicht mit Teilaspekten ihrer Persönlichkeit?
Doch, aber ich habe noch nie mich selber gespielt und das auch nicht vor. Klar bringt man seinen Ausdruck mit, das Äußere, den Duktus, seine Aura. Trotzdem sind und bleiben es andere Menschen, die ich hinter mir lasse, wenn ich wieder zuhause bin. Privat bin ich gern ich. Method Acting liegt mir nicht so.
Aber haben Sie denn mal so was wie eine Urschreitherapie gemacht?
(lacht) Wie kommen Sie denn jetzt darauf?
Weil Ihre Alex mehrfach, teils alleine und sehr überzeugend aus voller Brust brüllt; das ist selbst für gute Schauspielerinnen nicht selbstverständlich.
Das ging auch ohne Urschreitherapie. Dafür reicht es, sich emotional ganz auf die Figur einzulassen.
Wo verlieren Sie als Mensch denn so die Fassung, dass Sie laut schreien möchten?
Wie Sie vielleicht merken, rede ich lieber über meine Arbeit als über mein Privatleben. Aber wer mit mir über meine Arbeit spricht, kriegt vielleicht trotzdem ein Gefühl für mich als Person, oder?
Geht so.
Trotzdem frage ich mich, was es der Welt bringen soll, Privates über mich zu erfahren. In einer Zeit, in der sowieso fast jeder auf Instagram und anderen sozialen Medien schon so viel Persönliches zur Schau stellt, finde ich Privatsphäre enorm wichtig.
Interessiert Sie das Privatleben persönlich unbekannter Kolleginnen und Kollegen denn auch nicht weiter?
Doch, das interessiert mich schon. Gerade, wenn ich sie in ihrer Arbeit bewundere. Das Interesse verstehe ich total, will es aber von meiner Seite nicht bedienen.
Wie privat ist denn die Frage nach Ihrer Herkunft?
(stöhnt) Die Frage sollte meiner Meinung nach einfach total überflüssig sein.
Immerhin sind Sie eine der ersten Schauspielerinnen, die von Beginn ihrer Karriere an nie sonderlich damit in Verbindung gebracht und unabhängig davon besetzt wurde…
Ehrlich gesagt – allein, dass Sie mir diese Frage stellen, macht mich ein bisschen traurig. Warum ist es Ihnen, warum ist es generell nicht egal, ob meine Augen blau oder braun sind und mein Vater aus der Türkei oder Bayern kommt? Warum?
Weil wir halt einfach noch nicht so weit sind, dass Herkunft völlig egal ist und nicht jede Frage danach von Vorurteilen geleitet wird?
Trotzdem kann man sich doch über andere Aspekte eines Menschen unterhalten. Meine Herkunft ist nur ein winziger Teil von mir. Ich wünsche mir so sehr, nicht mehr in Schubladen gesteckt zu werden, und glaube, dass die Frage danach allein das Gegenteil bewirkt. Verstehen Sie mich nicht falsch – ich sehe es als Riesengeschenk an, aus zwei Menschen mit so unterschiedlichen Kulturen, Religionen, Ursprüngen kreiert worden zu sein.
Sie wollen dieses Riesengeschenk nur nicht dauernd thematisieren.
Zumindest nicht im Rahmen eines kurzen Interviews, in dem man sich gar nicht richtig kennenlernen kann.
Dann zu etwas völlig anderem: War es für die Geschichte wichtig, dass Sie in Ihrer sehr physischen Rolle als Alex beim Kampfsporttraining in den Spagat gehen oder wollte die Regie, dass alle Welt weiß, Aylin Tezel kann so was?
Weder noch. Ich habe mich einfach aufgewärmt, und der Regisseur meinte dann begeistert, oh ja, das nehmen wir mit. Bin ich total fein mit, denn Dehnen gehört zum Kampfsport halt dazu. Und diese Figur, das war mir beim ersten Lesen klar, zieht viel Kraft aus ihrer Körperlichkeit. Weil ich das spüren und meine Stunts ohnehin selber machen wollte, hab ich mich sehr intensiv darauf vorbereitet.
Hilft solche Physis im Rahmen einer Rolle auch dabei mit, Dampf abzulassen?
Ich drücke mich generell gern physisch aus und bin dankbar, dass mein Körper da mitspielt. Ich habe ja auch viel getanzt im Leben und dadurch gelernt, mich körperlich auszudrücken.
Suchen sie solche Rollen daher gezielt?
Ich glaube grundsätzlich daran, dass die richtigen Dinge auf einen zukommen. Im "Club der singenden Metzger" zum Beispiel habe ich eine Artistin gespielt. Solche physischen Herausforderungen machen mir unglaublich Spaß.
Frau Tezel, vielen Dank für das Gespräch.
ZDFneo zeigt "Unbroken" am Dienstag, 23. März und Mittwoch 24. März, jeweils drei Folgen am Stück ab 21:45 Uhr. Alle Folgen stehen auch in der ZDF-Mediathek zum Abruf bereit.