Herr Maiwald, Sie waren mit dabei, als die Lach- und Sachgeschichten und im weiteren Verlauf auch die "Sendung mit der Maus" vor 50 Jahren entstanden sind. Sie haben damals schon die ersten Sachgeschichten umgesetzt. Hätten Sie gedacht, dass Sie 50 Jahre später als das Gesicht der "Sendung mit der Maus" gelten und Interviews zum Jubiläum geben?
Armin Maiwald: (lacht) Nein, nicht im Traum hätte ich daran gedacht. Ich glaube, niemand hatte damit gerechnet, welchen Erfolg die "Maus" mal haben würde.
Anfangs gab es viel Kritik, weil die Sendung in direkter Konkurrenz zur importierten "Sesamstraße" stand. Wie haben Sie das erlebt?
Aller Anfang ist schwer, das war auch bei uns so. Uns wurde alles vorgeworfen, was man sich nur vorstellen kann. Nach Ansicht von Pädagogen und Kindergärtnern war die Sendung viel zu schnell geschnitten. Dass es damals keinen Text gab, sondern nur Musik, wurde uns zum Vorwurf gemacht. Da hieß es dann, wir würden die Dinge nicht benennen. Dazu kam, dass wir die Geschichten Anfangs rückwärts erzählt haben, sie begannen also beispielsweise auf dem Frühstückstisch und endeten beim Huhn oder der Kuh. Das alles war damals revolutionär.
War das das Ziel? Eine Revolution?
Wir wollten uns gegenüber dem gemütlichen Kinderfernsehen, das es zu der Zeit gab, abheben. Um das zu erreichen, haben wir das Studio verlassen und den Kindern die Welt gezeigt, in der sie leben. Wir wollten den Kindern hinter sonst verschlossene Türen blicken zu lassen. Zu der Zeit wussten Kinder nicht, wie eine Kuh gemolken wird, sofern sie nicht auf dem Land lebten.
Nachdem die ersten Filme sehr schnell geschnitten waren, und das waren sie aus der damaligen Sicht, haben wir in einer zweiten Staffel alles ganz langsam erzählt. Da gab es erstmals auch Stichworte in den Beiträgen. Der erste Satz, der jemals in der "Sendung mit der Maus", die Sendung hieß damals noch nicht so, gefallen ist, war: "Hier soll eine Autobahn gebaut werden." Bis heute glaube ich, dass das die schlechtesten Filme sind, die ich jemals gemacht habe. Erst in der dritten Staffel, als es um Themen wie Gabel, Löffel und Stuhl ging, haben wir den Stil gefunden, der die Sendung Jahrzehnte lang geprägt hat und den es auch heute noch gibt.
Wie hat sich die "Sendung mit der Maus" im Verlauf der Zeit verändert? Ich habe das Gefühl, dass vieles aus früheren Jahren auch heute noch so ist.
Wir recherchieren nach wie vor so gut es geht und versuchen, die Wahrheit möglichst genau zu erfahren und abzubilden. Manchmal auch im Widerstreit von Wissenschaftlern. Aber eine Recherche allein macht noch keine Geschichte. Aus den Dingen, die man erfahren hat, muss man eine Geschichte bauen. Wir erzählen meist eine Reise, auf der wir etwas herausfinden wollen und an deren Anfang wir auch noch nichts wissen.
Die Zuschauer der ersten Stunde sind heute fast schon Rentner. Haben sich die Fragen der Kinder über die Zeit hinweg verändert?
Aus der jeweiligen Erfahrungswelt der Kinder zu einer bestimmten Zeit entstehen immer neue, für die Zeit typische Fragen, die wir auf den Schreibtisch bekommen. Die sind entsprechend der Zeit immer ein wenig anders, aber es kommen auch immer wieder die gleichen Fragen. Warum ist der Himmel blau, die Milch weiß oder Wasser durchsichtig. Jedes Kind entdeckt für sich die Welt neu. Auch ein Kind, das heute geboren wird, schaut irgendwann zum Himmel hinauf und sieht einen Regenbogen zum ersten Mal. Da kommt natürlich irgendwann die Frage auf, wie so etwas entsteht.
Uns wurde alles vorgeworfen, was man sich nur vorstellen kann.
Gibt es Sachgeschichten, die Sie gerne machen würden, an denen Sie sich bislang aber die Zähne ausgebissen haben?
Ja. Die Redaktion wollte immer mal wieder eine Geschichte darüber machen, wie eigentlich Krieg entsteht. Ich habe unheimlich viel Literatur dazu gelesen und mit Leuten gesprochen. Sieben oder acht Drehbücher habe ich zu dem Thema geschrieben, aber das war der Redaktion letztendlich nicht schlüssig genug. Insofern ist das eine Geschichte, die ich in der Schublade liegen habe. Ich weiß aber nicht, ob ich sie jemals fertig bekommen werde.
Hatten Sie in der Vergangenheit neben der Maus eigentlich Zeit für andere, große Projekte? Sie sind ja geschäftsführender Gesellschafter der Flash Filmproduktion, ihrer eigenen Produktionsfirma.
Ja, es gab andere Projekte neben der "Sendung mit der Maus". Aber die "Maus" ist mittlerweile zu einer Alltime-Geschichte geworden, sodass ich kaum Zeit habe für andere, große Projekte.
Wie sind Sie damals eigentlich zum Sprecher und sichtbaren Protagonisten der Sendung geworden? Das war ja nicht Ihre Idee.
Ganz und gar nicht! Ich bin ja eigentlich ein Mensch, der von hinter der Kamera kommt. Ich habe den Beruf des Regisseurs gelernt. Dass ich die Geschichte erzähle, ist einem dummen Zufall zuzuschreiben. Wir hatten Verkehrsspots für die "Maus" gemacht und da war ein kleiner Junge, der mitspielte. Den hatten wir danach zu Hause unangekündigt zum Geburtstag besucht, da war er total überrascht. Später haben wir den Beitrag geschnitten und Gert Müntefering (ehem. Chef des WDR-Kinderprogramms, Anm.) hat ihn abgenommen. Ich habe dann den Text geschrieben und Günter Dybus hat ihn eingesprochen. Bei der Abnahme war Gert wütend und hat mich gefragt, was ich mit dem Film gemacht hätte. Ich wusste gar nicht, was los war. Ich habe mich auch nicht schuldig gefühlt.
Was war passiert?
Am nächsten Tag rief er mich an und hat es mir erklärt. Am Schneidetisch hatte ich ihm die Geschichte nebenbei erzählt, in dem Film war der Text dann professionell eingesprochen. Gert war der Meinung, dass das ganz anders klingen würde. Deshalb musste ich ins Studio und die Geschichte einsprechen. Das habe ich gemacht und so bin ich dazu gekommen, die Filme zu erzählen. Das war nicht mein Wille. Zwei Redakteurs-Generationen später hieß es dann, alle würden meine Stimme kennen, aber niemand habe mich jemals gesehen. Das wollte ich auch nicht, aber der damalige Redakteur Dieter Saldecki hat dann so lange an mir herum gezerrt, bis ich nachgegeben habe. Es gibt also nicht nur bei der Polizei den Kommissar Zufall, sondern auch beim Fernsehen.
Sie sind also zufällig zu einer Institution im deutschen Fernsehen geworden.
Daran musste ich mich auch erst gewöhnen. Als mich vor vielen Jahren zum ersten Mal jemand auf der Straße angesprochen hat und ein Autogramm wollte, habe ich mich umgedreht, weil ich dachte, hinter mir würde jemand Berühmtes stehen. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und kann damit leben.
Das so wenig über Wissenschaft berichtet wird, ist nicht nur ein Problem der Darsteller, sondern auch der Wissenschaftler selbst.
Was steht in der nächsten Zeit bei der "Maus" an?
Die Redaktion denkt derzeit sehr an die Zukunft. Also: Wie stellen sich die Kinder die Zukunft vor und wie sollte sie aussehen? Da gibt es sowohl im Hörfunk, im Internet als auch im Fernsehen Mitmach-Aktionen, bei denen die Kinder ihre Ideen einschicken können. Wir haben uns natürlich auch schon einige Gedanken dazu gemacht. Zum Beispiel was mit dem Klima passiert, welche Veränderungen es bei Häusern geben wird und was die Menschen in Zukunft essen werden. Wie wird die Mobilität in Zukunft aussehen? Das sind Sachen, die uns alle betreffen.
Ist die "Maus" eine Vermittlerin von Medienkompetenz? Das ist ein Thema, das immer wichtiger wird, in der Schule aber kaum stattfindet.
Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit der Frage, wie ein Handy funktioniert. Woher weiß das Gerät, dass ich auf der Kölner Domplatte stehe? Zuletzt haben wir uns damit beschäftigt, wie die Cloud funktioniert und wir haben auch mal gezeigt, wie die Programmierung eines Computerspiels abläuft. Aber Medienkompetenz nach dem Motto "Du sollst nicht mobben" kann die "Maus" wahrscheinlich nicht leisten.
Gibt es irgendwas, das Sie heute nicht mehr so machen würden als früher? Irgendetwas, das aus heutiger Sicht falsch war?
Nein, ich würde viele Dinge noch genau so machen, nur eben in einer modernen Form. Aber es gibt bei mir keine Tabus. Damals haben wir eine Geschichte gemacht, in der es um Fleisch ging. Da sind wir mit einem toten Tier gestartet. Das gab einen Aufschrei. Die Frage, wie man mit Tieren umgeht, ist eine ganz wesentliche. Wir haben schon vor Jahrzehnten gesehen, dass das automatische Schreddern von Küken furchtbar ist. Auch die Tierhaltung ist ein wichtiges Thema. Und wenn da die Fragen von den Kindern kommen, würde ich die Geschichten auch machen.
In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer mal wieder Sendeplatzwechsel der "Maus". Sie hatten das in der Vergangenheit auch schon kritisiert. Die Zuschauer sind aber immer geblieben. Wie macht die "Maus" das und welchen Stellenwert hat die Sendung für die ARD?
Bis jetzt finden alle die "Maus" in Ordnung. Und auch Tom Buhrow hat ja gerade erst gesagt, dass es weiter geht. So lange es akzeptiert wird und die Zuschauer uns folgen, wird das sicherlich so bleiben. Ich habe damals den Sendeplatzwechsel von 11:30 auf 9:30 Uhr kritisiert und gedacht, das könnte der Todesstoß sein. Ich dachte, es würde nicht gelingen, die Zuschauer an die neue Sendezeit zu gewöhnen. Kinder sind da auch sehr konservativ. Aber es ist uns gelungen, die Zuschauer sind uns gefolgt. Dafür bin ich sehr dankbar und ich hoffe, das bleibt so.
Das war nicht mein Wille.
Armin Maiwald über seine Rolle in der Sendung.
Ich frage auch deshalb, weil Sie vor einigen Jahren in einem Interview mal die Befürchtung geäußert haben, die "Maus" könnte bald nicht mehr so wichtig für die ARD sein und dann eingestellt werden. Haben Sie diese Befürchtung noch?
Nein, diese Befürchtung habe ich derzeit nicht. Max Schautzer hat seinerzeit aus der Zeitung von seiner Kündigung erfahren, das hat mir zu denken gegeben. So gehen manche Sender eben mit ihren Leuten um und das war für mich der Anlass zu sagen: Hoffentlich passiert uns das nicht auch einmal. Ich hoffe einfach, dass es uns noch lange gibt.
2009 haben Sie in der "Zeit" auch mal gesagt, dass die Spirale nach unten noch lange nicht zu Ende sei. Sie meinten da das Niveau diverser TV-Formate. Wie geht es Ihnen heute, wenn Sie Fernsehen schauen?
Die Spirale dreht sich weiter nach unten (lacht).
Auch für die "Maus" war Corona in den vergangenen Monaten ein großes Thema. Wie haben Sie die Pandemie aufgegriffen?
Wir haben relativ viel gemacht. Zum Beispiel haben wir gezeigt, wie Masken hergestellt werden oder wie sich Aerosole beim Singen und Husten in der Luft ausbreiten.
Durch Corona standen Wissenschaftler und deren Kommunikation stark im öffentlichen Fokus. Sie haben schon viel länger mit Wissenschaftlern zu tun und wissen, dass sich diese nicht immer so ausdrücken, dass es die breite Masse der Gesellschaft versteht, oder?
Wissenschaftler reden untereinander in einem bestimmten Parteichinesisch. Das gilt aber auch für Musiker und andere Berufsgruppen. Das ist für Umstehende häufig nicht zu verstehen. Das grundsätzliche Problem von Wissenschaftlern ist, dass sie sich unwissenschaftlich und von Kollegen nicht ernst genommen fühlen, wenn sie einen komplizierten Sachverhalt in einfachen Sätzen beschreiben sollen. Das so wenig über Wissenschaft berichtet wird, ist nicht nur ein Problem der Darsteller, sondern auch der Wissenschaftler selbst.
Sie sind jetzt 81 Jahre alt. Das 50-jährige Jubiläum der "Maus" ist für Sie kein Grund, aufzuhören, oder?
Nein, überhaupt nicht. Wieso sollte ich? Ich bin ja gesund und fit. Außerdem macht mir die Arbeit Spaß.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Maiwald!