Herr Jollet, es gibt nicht viele Manager, die zwei Streaming-Plattformen gleichzeitig aufbauen – eine werbe- und eine abofinanzierte. Wie werden Sie Ihre Energie dieses Jahr zwischen Pluto TV und Paramount+ aufteilen?
Wenn man die Möglichkeit hat, mehrere Produkte und damit ein zusammenhängendes Streaming-Ökosystem aufzubauen, dann ist das eine spannende Herausforderung. Der Markt entwickelt sich momentan auf beiden Seiten rasend schnell, es gibt viele neue Player. Für ViacomCBS ist das kein 'entweder oder', sondern ein 'sowohl als auch'. Für mich persönlich fühlt sich das an wie ein 'good place to be'. Insofern stecke ich meine volle Energie in beide Projekte und kann mich dabei auf meine großartigen lokalen Teams verlassen.
Paramount+ startet am 4. März in den USA und am 25. März in den nordischen Märkten, die zu Ihrem Verantwortungsgebiet gehören. Wann ist Deutschland an der Reihe?
ViacomCBS ist eines der größten und stärksten Content-Powerhouses der Welt. Da liegt es natürlich nah, diesen reichhaltigen Schatz auch direkt beim Konsumenten auszuwerten. Deutschland ist für uns ein wichtiger und attraktiver Markt und Paramount+ wird ein globaler Streaming-Dienst sein. Aber es gibt bislang noch keine konkreten Pläne, wann Paramount+ nach Deutschland kommen könnte. So ein Vorhaben ist ja nicht ohne Komplexität in den lokalen Märkten. Wir haben bestehende Deals mit geschätzten Partnern, das ist Teil unserer DNA. International haben wir ein Netzwerk aus über 3.000 Distributionspartnern. Unsere Ambition ist es, das Direct-to-Consumer-Geschäft und die langjährige Zusammenarbeit mit diesen Partnern unter einen Hut zu bringen.
WarnerMedia bringt HBO Max vorerst nicht nach Deutschland, weil der Output-Deal mit Sky wirtschaftlich noch attraktiver ist. Das dürfte für ViacomCBS und den Output der Showtime-Programme ebenso gelten.
Sky ist ein großartiger Partner, mit dem wir in ganz Europa und in weiteren außereuropäischen Märkten zusammenarbeiten. Wir sind mit dieser Konstellation sehr glücklich. Unabhängig davon werden wir unsere Distributionsstrategie immer wieder hinterfragen und im Hinblick auf die künftigen Marktbedürfnisse anpassen.
Die Frage heißt also nicht "ob", sondern "wann".
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Auch bei Pluto TV stehen die Zeichen auf Expansion. Sie haben im Oktober in Spanien gelauncht, am 8. Februar folgt Frankreich, in der zweiten Jahreshälfte Italien. Wie steht Pluto TV denn in Deutschland da?
Ich bin unheimlich glücklich über die Entwicklung von Pluto TV im deutschsprachigen Markt. Es ist gerade mal zwei Jahre her, dass wir als Start-up in die Betaphase gegangen sind – mit 15 Channels auf einem einzigen Device und noch ohne ViacomCBS als Gesellschafter. Heute sind wir mit 90 Kanälen live und haben unsere Distribution auf nahezu alle relevanten Geräte vervielfacht. Zuletzt sind die Smart-TVs von LG und die PlayStation 5 hinzugekommen. Das heißt, wir können fast alle deutschen Haushalte erreichen. Der deutsche Markt tickt ja völlig anders als der US-Markt, weil es hier eine reichhaltige frei empfangbare Senderlandschaft gibt. Insofern war es nicht selbstverständlich, dass ein neues Angebot wie Pluto TV hier auf ähnlich großes Interesse stoßen würde. Inzwischen wissen wir: Auch hierzulande gibt es ein riesiges Potenzial für die Kategorie FAST, also Free Ad-Supported Streaming TV.
Geht es ein bisschen konkreter?
ViacomCBS veröffentlicht keine Geschäftszahlen für lokale Einzelmärkte. Für Pluto TV insgesamt haben wir Ende letzten Jahres knapp 36 Millionen monatlich aktive Nutzer berichtet, davon 28,4 Millionen in den USA und 7,5 Millionen international. Die internationalen Nutzer gehen zu einem hohen Anteil aufs Konto der europäischen Märkte.
"Als wir gestartet sind, war der Werbemarkt noch nicht bereit"
Olivier Jollet, Europa-Chef von Pluto TV
Das Geschäftsmodell steht und fällt mit den Werbeerlösen. Die Marktforscher von Digital TV Research prognostizieren eine Verdopplung des weltweiten FAST-Volumens von 22 Milliarden Euro in 2020 auf 44 Milliarden Euro in 2025. Der deutsche Werbemarkt hat Sie vermutlich nicht mit offenen Armen empfangen, oder?
Als wir gestartet sind, war der Werbemarkt noch nicht bereit. In den USA und Großbritannien ist es für die meisten TV-Mediapläne schon selbstverständlich, dass ein eigenes Budget für Connected-TV-Inventar eingeplant wird. Das ist hier noch nicht angekommen. Wir haben sehr, sehr viele Gespräche mit Agenturen und Werbetreibenden geführt und ihnen ausführlich erklärt, welche Vorteile unser Inventar für sie hat. Sie können ihr Budget viel genauer aussteuern und haben viel mehr Targeting-Möglichkeiten als im klassischen TV, dabei aber gleichzeitig den gewohnten Look & Feel des Werbespots im Programmstream. Unser Fokus liegt ganz klar auf dem Big Screen im Wohnzimmer, was durch unsere Partnerschaften mit Samsung, LG, Sony, Apple, Amazon oder Google garantiert wird. Obwohl 2020 für die Branche insgesamt wegen Covid-19 ein hartes Jahr war, sind unsere Umsätze entgegen der Prognose nicht eingebrochen und haben im vierten Quartal sogar stark zugelegt. Das ist eine klare Botschaft, dass der Markt einen spürbaren Shift macht und unser Inventar als zukunftssichere Investition betrachtet.
Zu Beginn war der Anteil von Nischenkanälen deutlich höher, inzwischen bedienen ViacomCBS-Marken wie MTV oder Nickelodeon stärker den Mainstream. Ist das Teil Ihrer Wachstumsstrategie?
Die Beobachtung ist durchaus richtig. Wir haben einige Kanäle entwickelt, die mainstreamiger angelegt sind. Zu unseren Top-Performern zählen derzeit der "SpongeBob Schwammkopf"-Channel oder auch "Pluto TV Paranormal", wo beispielsweise "X-Factor: Das Unfassbare" läuft. Unser Konzept sieht aber auch weiterhin vor, thematisch klar eingegrenzte Sender zu kreieren, bei denen der interessierte Zuschauer genau weiß, was ihn erwartet. Die Aggregation vieler Nischen führt schließlich auch zum Mainstream-Produkt.
Welche neuen Channels haben Sie in petto?
Aktuell haben wir 90 Channels und wollen recht bald die 100 erreichen. Wir sind etwa dabei, die Musikkategorie aufzubauen. Kürzlich haben wir den "Beat Club"-Channel gelauncht, der für viele gute musikalische Erinnerungen sorgt. In den kommenden Wochen startet der "MTV Unplugged"-Channel, auf dem die Live-Konzerte etlicher Stars aus der legendären MTV-Reihe laufen werden. Außerdem kommt ein eigener Channel für die Anime-Serien "Avatar – Der Herr der Elemente" und "Die Legende von Korra" von Nickelodeon. Generell liegt ein starker Fokus auf dem Ausbau unserer fiktionalen Inhalte, also weitere Film- und Serienkanäle. Und wir werden weitere Partnerschaften mit Dritten über Branded Channels eingehen. Dabei verbreiten wir Kanäle, die komplett mit Partner-Inhalten gefüllt und von uns kuratiert werden. Im vierten Quartal 2020 haben wir in diesem Rahmen etwa "Focus TV Reportage" und den "auto motor und sport channel" in unser Angebot aufgenommen.
Pluto TV soll also nicht zur reinen Abspielstation für ViacomCBS-Marken werden?
Nein, auf keinen Fall. Natürlich ist es eine enorme Chance, direkten Zugriff auf die weltbekannten Marken und die riesige Library von ViacomCBS zu haben. Aber wir verstehen Pluto TV als neutrale Plattform, die mit vielen verschiedenen Studios und lokalen Content-Partnern zusammenarbeitet. Jeder, der spannendes Programm mitbringt, ist bei uns willkommen.
"Das ist kein Markt für Start-ups mehr, sondern ein weiterer Schauplatz im 'Streaming War' der Großen"
Olivier Jollet, SVP Emerging Business EMEAA, ViacomCBS
Was wissen Sie über Ihre Nutzer und deren Verhalten? Geht der FAST-Konsum eher zulasten von klassischem TV oder von anderen Streaming-Plattformen?
Wir erreichen überwiegend eine Zielgruppe, die mit klassischem TV groß geworden ist und inzwischen den Übergang zum Streaming mitgemacht hat. Altersmäßig liegt der Schwerpunkt bei den 20- bis 49-Jährigen. Viele unserer Nutzer haben parallel ein oder mehrere SVoD-Abos, da verstehen wir uns als komplementäres Produkt. Die Zuschauer, die Pluto TV einmal für sich entdeckt haben, sind sehr treu bei stetig steigender Verweildauer. Im Durchschnitt haben sie vier bis fünf Lieblingskanäle, zu denen sie immer wieder zurückkehren. Wir stellen also fest, dass sich das Nutzungsverhalten mehr und mehr dem annähert, was wir vom klassischen linearen Fernsehen kennen. Dabei ist unsere Content-Strategie komplementär zu der eines klassischen TV-Senders. Für uns ist es extrem wichtig, dass der Nutzer nicht groß überlegen muss, was wann wo läuft. Wer "Pluto TV Thrillers" oder "Pluto TV Retro Drama" einschaltet, weiß genau, was ihn erwartet. Damit erübrigt sich langes Suchen nach dem richtigen Programm. Besonders konsequent setzen wir das mit unseren 'single series channels' wie "SpongeBob Schwammkopf", "MTV Catfish", "MTV Teen Mom", "iCarly", "Auction Hunters" oder "Storage Wars" um, die jeweils ausschließlich Episoden dieses einen Formats zeigen.
Im US-Markt ist Pluto TV längst nicht mehr allein auf weiter Flur. Mit welchem Wettbewerb rechnen Sie hierzulande im FAST-Segment?
Der Markt wächst. In den letzten 20 Monaten sind alle großen US-FAST-Anbieter von Medienkonzernen gekauft worden: Pluto TV von ViacomCBS, Xumo von Comcast, Tubi von Fox. Das ist also kein Markt für Start-ups mehr, sondern ein weiterer Schauplatz im 'Streaming War' der Großen. Von daher ist künftig viel mehr Wettbewerb zu erwarten. Hierzulande sehe ich etwa Rakuten TV, Samsung TV Plus oder Xumo als spannende Anbieter. Natürlich haben wir die Ambition, unsere Marktführerschaft zu halten und auszubauen. Aber ich glaube, es tut dem Markt gut, wenn es mehrere Anbieter gibt. Es ist schwierig, ein komplett neues Marktsegment allein zu entwickeln. Wir kooperieren zum Beispiel auch mit Samsung, dort findet man eine Auswahl unserer Kanäle. Generell rechne ich damit, dass sich die TV-Gerätehersteller noch stärker in diesem Segment engagieren werden.
Wie verändert sich die strategische Rolle von Pluto TV innerhalb des Konzerns, wenn Paramount+ kommt? Man sieht bei Pluto TV US schon jetzt, dass Crosspromotion für die Pay-Angebote zugenommen hat, etwa durch einen Channel wie "Showtime Selects", der ältere Showtime-Serien zeigt.
Wenn ich eingangs vom Ziel eines Ökosystems aus Free und Paid sprach, dann wird es selbstverständlich Brücken zwischen den beiden Komponenten geben, wo immer sie sinnvoll sind. "Showtime Selects" ist ein Beispiel dafür, ein anderes ist "Star Trek: Picard": Als CBS All Access, das Vorläuferprodukt von Paramount+ im US-Markt, die Serie voriges Jahr gelauncht hat, war die erste Episode frei auf Pluto TV zu sehen. Wir haben mit Pluto TV einen einfachen Zugang zum TV-Nutzer ohne Hürde, dessen Reichweite wir natürlich nutzen können, um unsere Premium-Angebote schmackhaft zu machen und Sign-ups zu generieren.
Wenn Sie fünf Jahre in die Zukunft schauen, wird ViacomCBS dann mehr Geld mit SVoD oder mit FAST verdienen?
Gute Frage. (überlegt) Ich tendiere zu der Annahme, dass SVoD mehr Umsatz generieren wird, aber die Anzahl der Nutzer bei FAST höher sein wird. Deswegen wollen wir FAST, SVoD und klassisches Fernsehen in einem Ökosystem verbinden. Wir glauben, dass alle drei Ebenen in Zukunft unerlässlich sind, um hochwertigen Video-Content erfolgreich anzubieten.
Herr Jollet, herzlichen Dank für das Gespräch.