Frau Park, es ist bei Disney Tradition, dass neue Führungskräfte zunächst als Disney-Charakter durch einen der Parks laufen. Das fiel 2020 flach, oder?
Eun-Kyung Park: Ja und ich find es total schade, weil ich’s so gerne gemacht hätte. Aber ich weiß gar nicht als was ich gegangen wäre. Alle sagen immer automatisch Pocahontas, aber ich sehe mich ja eher als Mulan.
Anne Tide: Ich hab das vor vielen Jahren gemacht. Aussuchen kann man sich das leider nicht, weil das was mit Größe, Gewicht und allem möglichen zu tun hat. Man muss im Vorfeld alle Maße angeben, die man so angeben kann und dann kommt der Reveal Moment, in dem man mitgeteilt bekommt, was man ist. Ich war Tweedledee aus „Alice im Wunderland“.
Vor einem Jahr sind Sie, Frau Park, neu angetreten bei Disney, dies ist ihr erstes Interview in dieser Rolle. Es war viel zu tun?
Eun-Kyung Park: Das war ein Wahnsinnsjahr, das da hinter uns liegt und das in jeglicher Dimension. Ich hatte schon erwartet, dass es spannend wird und viel los ist durch den bevorstehenden Start von Disney+, aber dann kam Corona und wir haben mal eben einen Streamingdienst aus dem Home Office gelauncht und Fox bei uns im Haus integriert. Ich kann wirklich sagen: Das war ein außergewöhnlich herausforderndes erstes Jahr.
Und der Disney Channel blieb on air trotz Disney+…
Eun-Kyung Park: Diese Spekulation kam von außen hin und wieder auf, weil der Markt da offenbar gerne etwas hineininterpretiert, aber ich kann Ihnen sagen: Es gab bei uns zu keinem Zeitpunkt Zweifel am Disney Channel. Ein SVoD-Service ist etwas Anderes als Free-TV und kommt sich nicht in die Quere. Man hat da weitgehend unterschiedliche Zielgruppen mit einem sehr geringen Überschnitt und da, wo es den gibt, kann der frei empfangbare Sender sehr befruchtend wirken für unser SVoD-Angebot.
Eun-Kyung Park: Ich war sehr dankbar, auf ein komplettes Team mit sehr viel Erfahrung zu treffen, das Kinderfernsehen seit Jahren lebt, gerade weil man sich die Besonderheiten dieses Marktes nicht über Nacht verinnerlichen kann. Es gilt zu verstehen und respektieren, dass man hier nicht vorrangig Fernsehen für sich selbst macht und genau deshalb braucht man Expertinnen und Experten wie Anne an seiner Seite, die seit Jahren für die Disney Channel Eigenproduktionen zuständig ist.
Wo sehen Sie Ihren Schwerpunkt?
Eun-Kyung Park: In meinen Bereich fällt dann eher die Frage, wie unsere Plattformen übergreifend miteinander funktionieren und harmonisieren und wie wir den Disney Channel über das Tagesprogramm hinaus weiterentwickeln, denn bei uns wird nicht - wie beispielsweise in Spanien - Kinderfernsehen bis in die Nacht gezeigt und wir verfolgen mit unserer Primetime auch eine andere Strategie.
Dazu kommen wir noch. Im Tagesprogramm spielen Eigenproduktionen weiter eine Rolle?
Eun-Kyung Park: Auf jeden Fall und das Thema ist bei Anne in besten Händen. Die Trefferquote von ihr und ihrem Team finde ich wahnsinnig beeindruckend. Sie hat mich kurz nach meinem Antritt hier auch direkt mit ihrer Begeisterung für „Gag Attack“ angesteckt. Bei einer Sketch-Comedy mit Kids, auch wenn ich die Zielgruppe zuhause habe, dachte ich mir als Erwachsene erstmal: Hmm, okay, also ich lache da ungefähr so viel wie bei manchen Witzen meiner Kinder (lacht). Aber es lief auf Anhieb grandios, war ein toller Erfolg im vergangenen Jahr und die zweite Staffel, die seit Anfang des Jahres läuft, feiert schon jetzt tolle Quoten.
Anne Tide: Es ist wichtig, dass die Kinder sich bei uns im Programm wiederfinden können, sich so mit dem Programm identifizieren können, eben bis hin zur Beeinflussung des Programms und Nennung bei den gestellten Aufgaben von „Die Beni Challenge“, unserer erfolgreichsten Eigenproduktion. Das haben sie bei den amerikanischen Programmen ja nicht.
Inwiefern hatte die Corona-Pandemie im vergangenen Jahr Auswirkungen auf das Programm des Disney Channels und seine Eigenproduktionen?
Eun-Kyung Park: Das stellte uns natürlich vor verschiedene Herausforderungen und wir haben da, wie alle anderen auch, eine Lernkurve hinter uns. Gleichzeitig gibt es immer neue Situationen, denn auf den derzeitigen zweiten Lockdown reagieren wir anders als noch auf den ersten.
Können Sie das näher ausführen?
Eun-Kyung Park: Letztes Jahr im März sind wir alle einfach direkt auf Ferienprogrammierung gegangen. Die Kids sind komplett zuhause, also müssen wir den Umstand berücksichtigen. Den ersten Lockdown habe ich - rein subjektiv - als vergleichsweise positive Erfahrung von Solidarität und Zusammenhalt in Erinnerung. Dann entspannte sich alles, die Sommerferien kamen - in Deutschland natürlich auch immer ein Vergnügen für Programmplaner mit den 16 Bundesländern - und Corona war weniger Thema. Als sich dann im Herbst der zweite Lockdown abzeichnete, war uns klar: Diesmal müssen wir etwas anders an die Sache rangehen. Eine langfristige Planbarkeit und Verlässlichkeit wurde wichtiger, denn man konnte und kann derzeit ja leider immer nicht absehen, wie lange das Ganze noch andauern wird. Einfach alles umwerfen wie im Frühjahr, kam für uns nicht mehr in Frage, da wir den Kindern bzw. Eltern ein vertrautes Gefüge geben möchten, um so viel Alltag und Orientierung wie möglich zu bieten.
Aber nochmal zurück zu den Produktionen konkret. Wie hart war der Disney Channel da getroffen?
Anne Tide: Ein Fazit kann ich schon vorweg nehmen: Wir konnten alle unsere Produktionen abschließen, waren wirklich am letzten Wochenendtag bevor der November-Lockdown kam, fertig. In den Wochen schläft man schon schlecht und hofft, dass alles gut gehen möge. Besonders natürlich, weil wir eben mit Kindern arbeiten. Aber es hat alles geklappt, wir hatten auch keinen einzigen Corona-Fall. Aber zurück zum März letzten Jahres: Da haben wir natürlich schnell überlegt, was wir jetzt machen können, um die Kinder in dieser besonderen Zeit zu unterstützen.
Mit welchem Ergebnis?
Anne Tide: Über Benedikt Weber, der für seine „Beni Challenge“ Aufgaben von Kindern gestellt bekommt und diese sehr aufwändig mit Reisen und Recherchen löst, haben wir die stärkste direkte Kommunikation mit den Kindern. Also haben wir die Herausforderung der Kids zu seiner Herausforderung gemacht: Sie haben ihm weiter Aufgaben gestellt, die aber zuhause gelöst werden müssen - und so nachmachbar sind. Banale Dinge wie: Schaffst du es, in einer Minute zehn Oberteile übereinander anzuziehen? Alles wie immer und eben doch nicht, denn natürlich waren die Sendungen ohne große Reisen kürzer und Benedikt musste sich selber drehen. Wir haben ihm die nötige Technik vor die Haustür gestellt und dann hat er sich unter Anleitung selbst seine Sendung zuhause eingerichtet. Aber es klappte, wir haben in den Osterferien jeden Tag eine Folge ausgestrahlt und es kam super an.
Anne Tide: Ich glaube, da durften wir im Kinderprogramm schon immer pragmatischer und authentischer sein. Wir hatten immer eine größere Spielwiese, weil Kinder die Unterhaltung wichtiger ist als Perfektion. Da habe ich auch hin und wieder Diskussionen mit unseren technischen Kollegen. Da wurde schon über Lichtsprünge in geschnittenen Beiträgen diskutiert, die den Kids letztlich egal sind. Aber in diesem konkreten Fall war mir - wenn wir uns an Ende März zurückerinnern - wichtig, dass es keine Sendung wird, die aussieht wie ein Videocall. Das gab es damals ja auch reichlich.
Wie Ihre Halbschwester Super RTL hat der Disney Channel einerseits Kinderprogramm tagsüber und abends dann die Herausforderung, Erwachsene ansprechen zu wollen. Wie verteilt sich da das Budget der Eigenproduktionen?
Anne Tide: Wir haben ja schon so Einiges ausprobiert, auch im Familienprogramm für Erwachsene. Wir mussten aber erkennen, dass Erwachsene unter der Marke Disney eine klare Vorstellung und Erwartung haben. Wenn sie Disney Channel gucken, muss für die meisten Zuschauer auch das bekannte Disney drin stecken. Wenn Disney stark integriert ist wie bei den „Magic Moments“ oder einer Quizshow, dann ist das ein Hit. Der Versuch breiter zu produzieren, etwa unser „100 Tage Freundlichkeit“ mit Jan Köppen, haben nicht funktioniert. Vom Herzen her war es zwar Disney, aber es war keine Mickey Mouse, Prinzessin oder Yoda drin. Kinder sind da offener, da kann man auch mal ein Tierformat wie das „Tierduell“ machen.
Ein bisschen der Fluch der erfolgreichen Marke also?
Anne Tide: Das haben Sie jetzt gesagt. Wenn wir für Erwachsene produzieren, müssen wir wirklich top sein, weil wir an dem, wofür die Marke Disney weltweit steht, gemessen werden. Kinder haben noch keine so ausgeprägte Erwartungshaltung, deswegen können wir da mehr machen.
Können Sie einen Ausblick auf die Eigenproduktionen 2021 geben?
Anne Tide: Wir haben alle vier bestehenden Eigenformate plus die „Die Beni Challenge Zuhause“ für dieses Jahr verlängert plus ein neues Projekt, über das ich noch nicht sprechen kann. Was ich verraten kann: „An die Töpfe, fertig, lecker!“ - unsere Koch-Comedyshow - werden wir zur fünften Staffel mit einem neuen Konzept relaunchen. Das Einzige, was ein bisschen Abstriche machen muss: Das „Tierduell“ kann nicht so viel reisen, wie wir das geplant hatten. Wir waren schon in Afrika, wollten letztes Jahr nach Australien, aber blieben dann zuhause bei uns. Jetzt hoffen wir, dieses Jahr eine europäische Staffel drehen zu können. Da fällt die Attraktion der exotischen Tiere zwar weg, aber ich glaube, dass die heimische Tierwelt faszinierender sein kann als wir denken.
Wenn Sie alle Formate fortführen, gleichzeitig aber auch Neues planen: Hat Ihnen Frau Park also ein größeres Budget für Eigenproduktionen genehmigt?
Anne Tide: Ja, in der Tat. Und ich bin sehr stolz darauf, dass wir mit allen Eigenproduktionen über Sender-Durchschnitt liegen. Das kann wirklich nicht jeder von sich behaupten. Das ist die sicherste Strategie für mehr Budget (lacht).
Und was ist jetzt 2021 die Strategie des Disney Channels in der Primetime. Da wurde gerade ein neuer Serien-Abend gestartet. Geht es in die Richtung weiter?
Eun-Kyung Park: Wir wollen uns neu erfinden und dabei auf die Veränderungen im Markt reagieren, Stichwort SVoD und wir selbst haben ja auch einen Streamingdienst gestartet. Gleichzeitig leben wir in Zeiten mit so viel Breaking News und anhaltenden komplexen Nachrichtenlagen. Da wollen wir eine Alternative bieten. Wir möchten mit unserem Programmangebot einerseits erwachsener werden, andererseits der angesprochenen Erwartungshaltung an die Marke Disney gerecht werden. Unseren Lieblingsfilm-Abend behalten wir natürlich, aber wir haben auch einen neuen Serienabend gelauncht, der mit der Kombination von „This is Us“ und - ab 1. Februar - auch „Desperate Housewives“, ein perfektes Beispiel darstellt. Das sind zwei absolute Ausnahmeserien mit viel Gefühl und Drama. Dieses Lebensgefühl zu vermitteln und die Werte von Disney rüberzubringen, aber eben für eine jüngere Zielgruppe als manche bisherigen Programme bei uns. Auch bei den Filmen werden wir noch ordentlich nachlegen.
Weil Sie die Disney Werte ansprachen: Bei den genannten Serien geht es ja schon auch um Intrigen, Sex und kriminelle Energie. Das dehnt dann die Disney Werte ein bisschen, oder?
Eun-Kyung Park: Beide Serien haben aber Herz und Seele. Ich kann Ihnen aber versichern: Sie werden nicht „Alien“ bei uns sehen. Und es gibt auch einen Grund, warum wir erst „This is Us“ zeigen, weil wir damit aus dem Kinderprogramm in die Primetime gehen. Und „Desperate Housewives“, die bekanntere Marke, kommt eben später am Abend.
Kurze Nachfrage: Ist die Tatsache, dass „This is Us“ und „Desperate Housewives“ jetzt im Disney Channel laufen, ein Hinweis darauf, was es ab Ende Februar dann auch on demand bei Star auf Disney+ zu sehen gibt?
Eun-Kyung Park: Gerade bei „Desperate Housewives“ kann ich es klar sagen, die Kultserie hat ab dem 23. Februar unter Star auf Disney+ ihre neue SVoD-Heimat. Das spiegelt dann auch genau das wieder, was ich eingangs erwähnte: Hier können wir mit den verschiedenen Plattformen wunderbare Synergien schaffen, da spielen wir uns die Pässe gegenseitig zu. Wir haben es linear im Programm für alle, die sich auf ihr wöchentliches Date in der Wisteria Lane freuen. Und wir haben es on demand für die, die nicht genug bekommen können. Und für mehr Neuigkeiten zu Star müssen Sie nicht mehr lange warten, versprochen.
Frau Park, Frau Tide, herzlichen Dank für das Gespräch