Herr Gniffke, in den vergangenen Wochen wurde - ausgelöst von der Politik in Sachsen-Anhalt - wieder intensiv über die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen diskutiert. Dazu wollen Sie mit „Strukturüberlegungen“, wie Sie es nennen, einen Impuls geben. Was bedeutet das?
Mir liegt viel an einer vernünftigen und am Ende ergebnisorientierten Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, damit ein exzellentes Medienangebot erhalten bleibt. Da kann es ja nicht schaden, wenn Betroffene mal öffentlich sagen, was sie sich vorstellen könnten und was nicht, weil ich überzeugt bin, dass es Zeit wird, Dinge zu denken, die bislang unvorstellbar gewesen wären.
Das klingt nach Revolution, in der ARD nur schwer vorstellbar.
Wir haben uns angesichts der medienpolitischen Diskussion in den vergangenen Monaten - und seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu unserem Eilantrag - noch einmal intensiver Gedanken gemacht, wie wir knapp unterhalb der staatsvertraglichen Regelung an uns selber arbeiten können. Und das nicht, um nur kurzfristig Geld einzusparen, sondern die Diskussion um Auftrag und Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit neuen Impulsen zu bereichern.
Was meinen Sie mit „Strukturüberlegungen“ konkret?
Wir können sehr viel intensiver miteinander kooperieren.
Das ist jetzt noch kein revolutionärer Gedanke…
Das Novum wären Sender-übergreifende Strukturen mit unserem Schwester-Sender im Südwesten der Republik, dem Saarländischen Rundfunk. An einigen Stellen pflegen wir schon heute eine sehr gute Kooperation, aber ich möchte die Kolleginnen und Kollegen des SR einladen, um zusammen darüber nachzudenken, ob wir gemeinsame Direktionen schaffen wollen. Das könnte sich z. B. auf die Produktion, das Justiziariat und auf die Verwaltung beziehen. Hier geht es um institutionell definierte, gemeinsame Strukturen. Ein solcher Vorschlag soll den Sendern ihre redaktionelle Autonomie und Präsenz in ihren Regionen belassen, das ist wichtig. Aber deswegen kann man trotzdem in noch größerem Umfang als bisher zusammenarbeiten.
Wenn Sie vom Abbau von Doppelstrukturen sprechen: Würde auch der SWR zurücktreten?
Ja, wenn wir mit dem SR über sowas reden würden, dann wären es Gespräche auf Augenhöhe. Dann darf es auch keine Tabus geben. Aufgrund der Größenunterschiede bietet sich die Struktur des SWR an einigen Stellen als Grundlage, um Vorteile für SWR und SR zusammen zu erzielen - wenn wir zum Beispiel über den Erwerb von IT-Technik sprechen oder generell eine Einkaufsgemeinschaft bilden würden. Aber das kann genauso umgekehrt gelten.
"Ich möchte ein Denken anregen, das in den Mittelpunkt stellt, ob über Jahrzehnte etablierte Strukturen nötig sind."
Synergien bei Einkauf und IT sind jetzt allerdings eher ein Running Gag, der schon in vielen Spar-Runden angeführt wurde. Ihr Vorschlag ginge darüber hinaus?
Erhebliche Potentiale lägen in der gemeinsamen Werbevermarktung, aber es geht weiter: Rechnungswesen, Gebäudemanagement, Buchhaltung, Honorare und Lizenzen sind denkbare Felder. Bis hin zur Überlegung, ob man einzelne Sendungen des SR auch in Studio-Kapazitäten des SWR produzieren könnte. Da geht es um eine klügere Auslastung vorhandener Ressourcen. Es sind ganz viele Punkte, bei denen es aus unserer Sicht lohnenswert wäre, das Gespräch zu suchen.
Das klingt nach einer Fusion, ohne es Fusion zu nennen.
Der SWR ist ein Sender, der mit strukturellen Veränderungen schon viele Erfahrungen gemacht hat und auch die Mühen und Beschwernisse einer Fusion kennt. Das heißt nicht, dass ich für immer und ewig eine Fusion ausschließen würde, aber ich weiß wie schwer sie sind und wie viele Jahre sie dauern. Wir müssen aber nun schneller und vor allem pragmatisch agieren, zumal eine Fusion nichts ist, was wir selbst beschließen können.
Glauben Sie, dass eine neue Intendantin oder ein neuer Intendant des SR - die Wahl findet im Februar statt - sich auf so einen Deal einlassen kann, der böswillig betrachtet ein Ausverkauf des SR wäre?
Ihre Frage ist legitim, sie stammt aber aus diesem alten Denken, was einen Sender definiert. Ich bin fest davon überzeugt, dass es um die Vielfalt von Programmangebot geht, aber sich die Eigenständigkeit eines Senders nicht an der Verwaltung, dem Gebäudemanagement oder Werbeverkauf definiert - alles inklusive entsprechender Führungsposten. Das sind Investitionen, die im Programm nicht hör- oder sichtbar werden. Ich möchte ein Denken anregen, das in den Mittelpunkt stellt, ob über Jahrzehnte etablierte Strukturen nötig sind. Ich glaube, dass unsere Beitragszahlerinnen und -zahler für ihr Geld ein genuines Programm für ihr Bundesland erwarten. Deshalb soll die Programmautonomie nicht angetastet werden, damit eine klare Identität für Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland erhalten bleibt.
Und das halten Sie für machbar?
Ja, weil es genau auf der Linie dessen liegt, was gerade viele Kritiker der Öffentlich-Rechtlichen fordern: Strukturelle Veränderungen. Sehen Sie, was wir gerade zum 1. Februar im SWR realisieren, ist die komplette Veränderung der Nachrichtenstruktur. Dabei sind wir schon erfolgreich aus diesem alten Denken rausgekommen, dass Länder sich aus Standort-politischen Motiven gegen solche Überlegungen sperren. So können wir unsere Hörfunknachrichten künftig an einem Standort produzieren. Wir sind im SWR dabei, erfolgreich auszubrechen aus dem Denken in Ländergrenzen, die uns - sagen wir es doch ganz offen - den Sender früher lange gelähmt hat. Und deswegen glaube ich, wir können noch einen Schritt weiter gehen und im Südwesten noch intensiver zusammenarbeiten, der SWR mit dem SR. Ich sehe zwei Sender, die füreinander bestimmt sind.
Ihr Ansatz wäre - Stichwort Fusion - also ein pragmatischer Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Medienpolitik?
Sie haben mich ertappt: Ich bin ein elendiger Pragmatiker, versuche Dinge zu lösen und das gerne schnell. Wenn ich alles auf die Medienpolitik abschiebe und auf fertige Lösungen warten würde, verschenken wir zu viele Jahre. Ich glaube wir können die Medienpolitik so auch ein Stück weit entlasten, weil nicht das ganz große Rad gedreht werden muss, wenn wir von uns aus vor der eigenen Haustür anfangen.
"Wenn wir alle nach der Prämisse agieren 'Wie mache ich mir das Leben am leichtesten', dann werden wir eine Auftrags- und Strukturdebatte erleben, die uns um die Ohren fliegt."
Streng genommen wollen sie ja eher vor der Tür ihres Nachbarn anfangen…
Nein, das wäre eine böswillige Auslegung, außerdem meine ich den Südwesten. Ich möchte auch nochmal ganz, ganz deutlich sagen: Was der Saarländische Rundfunk unter außerordentlich schwierigen Bedingungen in den letzten Jahren geleistet hat, nötigt mir einen riesengroßen Respekt ab. Thomas Kleist hat den Sender großartig durch bewegte Zeiten geführt, aber die Zeiten werden nicht einfacher. Deswegen mein Appell: Lasst uns überlegen, wie wir zwei eigenständige Sender erhalten und dabei über Dinge nachdenken, die bisher nicht vorstellbar waren. Das sage ich wissend, dass ein solches Vorhaben dem SWR auch nicht nur Freude macht, weil es viel Energie und Arbeit verlangt. Aber wenn wir alle nach der Prämisse agieren „Wie mache ich mir das Leben am leichtesten“, dann werden wir eine Auftrags- und Strukturdebatte erleben, die uns um die Ohren fliegt.
Haben Sie denn schon das Gespräch mit dem SR gesucht?
Ich habe informell mit dem scheidenden Intendanten Thomas Kleist darüber gesprochen. Aber beim SR steht ein großer personeller Wechsel nicht nur in der Intendanz bevor. Deshalb könnten wir mit einer neuen Administration des Saarländischen Rundfunks sehr schnell in Gespräche einsteigen um zu klären, was möglich wäre. Vielleicht will eine neue Intendantin oder ein Intendant diese Idee aufgreifen.
Der Zeitpunkt unseres Gesprächs kommt also nicht von ungefähr: Am Samstag endet die Bewerbungsfrist um die Intendanz des Saarländischen Rundfunks. Klingt als hätten Sie einen Favoriten bzw. eine Favoritin?
Das entscheiden einzig und allein die Gremien des SR. Da haben sich andere Sender, auch der SWR, rauszuhalten.
Zum Zustand der Medienpolitik in Deutschland eine Abschlussfrage: Auftrag und Umfang zu definieren, wäre eigentlich Aufgabe der Medienpolitik, doch statt diese zu gestalten kommen von dort oft falsch adressierte Forderungen an ARD und ZDF. Ärgert oder amüsiert Sie das?
Weder noch, aber in der öffentlichen Debatte werden oft medienpolitische Forderungen erhoben, die außerhalb unseres Kompetenzbereiches liegen. Bei mancher Veröffentlichung wundert man sich und würde empfehlen, sich wenigstens rudimentär mit dem Gesetzestext zu befassen, damit die Kritik mehr Substanz hat. Wenn es um die Reduzierung der Anzahl von Sendern geht, haben wir das nicht in der Hand. Intendantengehälter wäre auch so ein Thema, auch die liegen nicht in unserem eigenen Ermessen. Da müsste die Medienpolitik tätig werden. In 15 Bundesländern beschäftigte man sich ja auch frühzeitig mit der Thematik und hat seine Hausaufgaben gemacht, ein Landtag hat sich der Entscheidung entzogen und wir sind, drin in der Diskussion über Auftrag und Struktur der Öffentlich-Rechtlichen. Wenn unsere Strategie weiterhin darin besteht, nur zu wiederholen und betonen wie angemessen und wichtig der Rundfunkbeitrag ist, gewinnen wir niemanden. Wir haben eine Debatte über Auftrag und Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. In dieser Diskussion würde ich gerne nicht hinterher laufen und getrieben werden, sondern Vorschläge einbringen, die aus den Häusern selbst heraus angegangen werden können.
Herr Gniffke, herzlichen Dank für das Gespräch.