Herr Willbrandt, in "Ferdinand von Schirach: Feinde" wird ein Kriminalfall aus zwei Perspektiven erzählt – und zwar parallel im Ersten und in den Dritten. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Idee?
Nachdem wir bereits "Schuld" gemacht hatten, kam ich durch die Produktionsfirma mit der Schirach-Vorlage zu "Feinde" in Berührung. Feinde erzählt wie Schuld sehr real – mit vielen Details, Genauigkeit und Sachlichkeit. Aus der Vorlage habe ich schließlich zusammen mit Jan Ehlert, dem Produzenten, begonnen, die Drehbücher zu schreiben.
Wie lange hat es gedauert, bis die Drehbücher standen?
Drehbücher haben ja immer sehr unterschiedliche Entwicklungs-Geschichten, manchmal dauert das Schreiben sogar Jahre. In diesem Fall ging alles schnell, innerhalb weniger Wochen waren wir auf Basis der Vorlage fertig. Ferdinand von Schirach hat dann noch einmal korrigiert und verändert, sodass wir die Bücher innerhalb weniger Monate zur Drehreife bringen konnten. Wahrscheinlich hat es geholfen, dass wir schon in der Vergangenheit zusammengearbeitet hatten.
Das war eine der Grundideen, die Ferdinand von Schirach zusammen mit Oliver Berben hatte, nämlich mit zwei Perspektiven und zwei Sendern auf das gleiche Verbrechen zu schauen. Diese Vorstellung fand ich direkt faszinierend, zumal innerhalb der Filme auch drei formale Matchpunkte existieren, die es theoretisch möglich machen zwischen den Filmen hin- und her zu wechseln. Das sekundengenau zu erreichen, war eins unserer Ziele, das entpuppte sich später im Schnitt als große Herausforderung.
Ist Umschalten erwünscht oder funktionieren die Filme einzeln besser?
Als Regisseur sollte man natürlich daran interessiert sein, dass kein Zuschauer während deines Films umschaltet. Gleichzeitig war das aber formal durchaus gewünscht. Und wir wissen ja wie Menschen sind: Wenn es Möglichkeiten gibt, Parallelen zu entdecken, dann wird das auch genutzt. Aber idealerweise schaut man sich zunächst den einen Film an und dann den anderen, um anschließend zu diskutieren.
Der Film will zur Diskussion über Recht und Gerechtigkeit anregen. Ist das auch 2021 noch etwas, das nur das Fernsehen in diese Form kann? Dass also möglichst viele Menschen zur selben Zeit über ein Thema sprechen?
Diese Gleichzeitigkeit ist eine große Stärke des linearen Fernsehens gegenüber den Streamingdiensten. Das gute, alte öffentlich-rechtliche Fernsehen kann es so immer noch schaffen, dass Gesellschaft miteinander ins Gespräch kommt.
Wir wollen nicht, dass die Leute belehrt werden.
Sind Sie der Meinung, dass es einen Unterschied macht, ob eine Produktion im linearen Fernsehen oder auf einem Streamingdienst konsumiert wird?
Tatsächlich haben wir einen dritten Film geschnitten, der nur für die Mediathek gedacht ist und beide Filme miteinander kombiniert. Diese Idee entstand erst etwas später. Die Mediathek ist ja gewissermaßen auch ein Streamer und wir wollten die Geschichte dafür noch einmal anders aufbereiten.
Stellen Sie fest, dass sich bei den Fernsehsendern diesbezüglich etwas tut? Dass also die Mediathek nicht mehr nur eine reine Abspielstation dessen ist, was im linearen Programm läuft?
Mediathek klingt vielleicht immer noch etwas 80er. Unabhängig davon sind die aber voll auf dem Weg eine sehr viel größere Bedeutung zu bekommen und wahrscheinlich werden auch vermehrt eigene Produktionen dafür entstehen. Das ist ja auch genau die Idee, die wir mit unserem Projekt verfolgen: Wir wollen einerseits das Publikum erreichen, das linear schaut, andererseits die Zuschauer, die auf den klassischen Wegen immer seltener zu finden sind.
Was bedeutet diese Entwicklung für Sie als Drehbuchautor und Regisseur?
Im linearen TV entstehen immer tolle Projekte. Für mein Gefühl ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen dennoch immer etwas vorsichtig mit der Vielfalt der Erzählformen. Wir hatten Glück, viel Support aus der Redaktion und ein bekanntes Label wie Ferdinand von Schirach.
Weil Sie gerade die Krimis angesprochen haben: Wie schwierig ist es selbst in diesem Genre, einen ungewöhnlichen Ansatz unterzubringen?
Die Sender stehen in Konkurrenz zu den Streamern und merken, dass sie sich öffnen müssen, was sie auch in Teilen tun.
Ihr Film läuft auf dem "Tatort"-Sendeplatz. Ist das Fluch und Segen zugleich?
Es ist ganz toll, dass wir diesen wunderbaren Sendeplatz bekommen haben – erst recht in dieser Breite. Und natürlich starten wir den Film wie einen Krimi, aber dann merkt man schnell, dass der Film eine andere Erzählweise hat als ein "Tatort". Das ist ein Risiko, natürlich. Aber ich freue mich sehr, dass die ARD sich darauf eingelassen hat.
Wann ist "Feinde" für Sie persönlich ein Erfolg?
Wir stellen die Frage, wie diese Gesellschaft zusammenleben will, was gerade jetzt in der Corona-Krise ein wichtiges Thema ist. Daneben hoffe ich, dass beim Publikum die Botschaft ankommt, dass es eine Bereicherung sein kann, mit unterschiedlichen Perspektiven auf ein Thema zu blicken. Wenn davon ein Mü hängen bleibt, würde mich das sehr freuen. Wir wollen nicht, dass die Leute belehrt werden. Sie sollen in einen Diskurs kommen, ohne sich groß anstrengen zu müssen.
Herr Willbrandt, vielen Dank für das Gespräch.
"Ferdinand von Schirach: Feinde - Gegen die Zeit" läuft am Sonntag um 20:15 Uhr im Ersten, in den Dritten und bei One läuft parallel dazu "Feinde - Das Geständnis". In der ARD-Mediathek ist zudem ein eigenständiger Teil abrufbar.