Herr Kessler, als Florian Silbereisen vor einem Jahr seine Premiere auf dem „Traumschiff“ hatte, haben Sie bei Facebook geschrieben „Lieber Gott, lass es Switch Reloaded wieder geben“. Wie genau sah danach die Kontaktaufnahme von oben aus?
(lacht) Diese Kontaktaufnahme erfolgte auf vielerlei Ebenen - telepathisch, Rauchzeichen und Fax. Aber wir wissen jetzt: Gott arbeitet bei Amazon. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.
Jetzt sind Neuauflagen von Erfolgen nicht ohne Risiko, weil man an früheren Leistungen gemessen wird...
Natürlich überlegt man sich seine Zusage genau, weil man selbst sich die gleiche Frage stellt wie wahrscheinlich viele Fans: Kommen wir nochmal ran an das, was wir vorgelegt haben? Die Latte liegt einfach sehr hoch. Ich bin das dritte Mal dabei und freue mich, dass sich das Format bei jeder Neuauflage weiterentwickelt hat, neue Impulse bekam mit neuen Cast-Mitgliedern und jetzt einem Wechsel der Plattform. Und es wurde einfach wieder Zeit. Sowas fehlte.
Was meinen Sie mit sowas?
Nach dem Ende von „TV Total“ vor immerhin auch schon fast fünf Jahren, wo sich Stefan Raab in seinem Standup ja auch regelmäßig mit dem aktuellen Fernsehen beschäftigt hat, wurde die Lücke für eine TV-Satire noch größer und ich habe in den letzten Jahren immer häufiger die Frage bekommen, warum wir denn nicht endlich mal wieder „Switch Reloaded“ machen. Und dann kam Sebastian Benthues von Redseven und fragte, ob ich mir das vorstellen könnte.
Was hat dann letztlich den Ausschlag gegeben als "Switch"-Urgestein wieder dabei zu sein?
Dass wir auf allen Ebenen eine Schippe drauflegen und ich auch als Autor wieder inhaltlich dabei sein kann. Der Rahmen von „Binge Reloaded“ wird anders aussehen als bei „Switch Reloaded“. Und die Qualität der Masken ist nochmal so viel besser als bei „Switch Reloaded“, was für mich ein Bekenntnis von Redseven Entertainment zum Produkt ist, weil das Zeit und Geld kostet. Da spürt man: Die meinen das ernst.
Sie verkörpern u.a. wieder Florian Silbereisen. Welche für Sie neuen Rollen sind noch dabei?
Also Florian Silbereisen taucht bei uns wieder auf, aber diesmal als ganz andere Figur als damals. Das ist dem „Traumschiff“ geschuldet und einer anderen Erzählung. Es gibt witzigerweise auch ein Wiedersehen mit Kai Pflaume, der ursprünglich mal von Max Giermann gespielt wurde. Jetzt bin ich’s, aber ich habe mich bei „Kessler ist…“ schon mal in ihn verwandeln dürfen. Frank Buschmann ist einer der parodierten Kollegen, die neu für mich sind.
War „Kessler ist…“ dann auch nochmal eine Weiterbildung für „Binge Reloaded“?
(lacht) Es war sicher nicht hinderlich. Man lernt mit jeder Person, die man verkörpert ein bisschen mehr darüber, wie man Menschen und ihre Besonderheiten am besten erfasst.
Einst waren es hauptsächlich non-fiktionale Formate, die parodiert wurden. Seit „Switch Reloaded“ boomen die Serien. Wie geht „Binge Reloaded“ damit um?
Wir widmen uns allem. Wir machen uns sowohl über schlechtes Fernsehen wie „Das Sommerhaus der Stars“ als auch über gutes Fernsehen wie „The Handmaid’s Tale“ lustig, die durch ihr Setting und die Kostüme sehr viel Fläche für Parodie hergibt. Das „Sommerhaus der Stars“ ist relativ schwer, weil es in der Realität schon ein gewisses Niveau unterschreitet, dass man da seien Mühe hat, das zu parodieren.
Das war einst bei „Switch Reloaded“ ja eins der erst später erklärten Gründe für das Aus; dass viele Formate im Original schon wie eine schlechte Parodie wirken…
Aber es geht schon, wenn man mit guten Köpfen zusammenarbeitet, die die richtigen Ansatzpunkte finden. Und es hilft, wenn das eingebettet ist in Parodien wirklich guter Sendungen. Das ist am Ende die Mischung, mit der es uns dann auch praktischerweise niemand übelnehmen dürfte, wenn wir sie oder ihn durch den Kakao ziehen. Ich bin natürlich parteiisch und absolut nicht objektiv bei der Frage, aber als ich die erste Folge von „Binge Reloaded“ dann als Ganzes gesehen habe, war ich der erste Fan der Neuauflage, weil mir als Fernsehzuschauer so ein Korrektiv lange gefehlt hat.
Sie beschäftigen sich als Juror der International Emmy Awards noch weitaus intensiver mit Fernsehen als es viele vielleicht wissen. Was lernt man bei dieser Tätigkeit über das internationale aber auch deutsche Fernsehen?
Es ist für mich eine große Ehre an diesem tollen Wettbewerb als Juror teilzunehmen und dabei seit Jahren einen Einblick zu bekommen in das Fernsehen der Anderen, ist wahnsinnig spannend. Ich habe schon Comedy aus so vielen Ländern, aus Israel, Island oder Brasilien begutachten dürfen. Da erlebt man eine riesige Bandbreite, erweitert auch nochmal seinen Horizont in Bezug auf Formen, Tempo und Themen. Es ist auch immer wieder interessant, was woanders erlaubt ist und bei uns als viel zu böse bewertet werden würde. Das Freche und Anarchische gefällt mir besonders. Insgesamt würde ich aber sagen, dass wir mit unserem Fernsehen im internationalen Wettbewerb besser dastehen als es Nörgler oft kleinreden. Das zeigt sich derzeit ja auch durch deutsche Produktionen der Streamingdienste, die über das deutsche Publikum hinaus erfolgreich sind.
Aber was ist mit deutscher Comedy passiert? Vor 15 Jahren prägte das Privatfernsehen den Begriff der Spaßgesellschaft und man überbot sich regelrecht am Freitagabend mit Formaten. Davon ist nicht viel übrig geblieben…
Wir haben das Problem, dass gewisse Genres oder Formatideen immer gemolken werden bis nichts mehr herauszuholen ist: Da waren einst Formate wie „RTL Samstag Nacht“, „Die Wochenshow“ und „Freitag Nacht News“, dann gab es die Comedyserien wie „Nikola“ und „Ritas Welt“, dann den großen Boom der Sketch-Comedys die bis heute wiederholt werden. Dann wurde improvisiert mit „Schillerstraße“ und „Genial daneben“, danach dann die Welle der im Fernsehen ausgestrahlten Bühnen-Programme von Comedians.
Und zuletzt dann „Comedian XY lädt sich Gäste - und dann wirds schon irgendwie witzig, hoffentlich“…
Ja, und je intensiver diese Formen bedient wurden, desto schneller waren sie auserzählt. Für mich als Unterhalter ist es gerade auch das große Rätselraten: Wie geht es jetzt weiter? Die Neuerfindung des Rades erscheint unwahrscheinlich, aber es braucht auf jeden Fall wieder Comedy, in die man zusammen mehr Gedanken steckt. Mir fehlen echte Comedyformate, deswegen freue ich mich ja auch immer auf diesen Blick über den Tellerrand bei den International Emmy Awards. Mich hat zuletzt Ricky Gervais mit „After Life“ begeistert, weil das eine ganz besondere Form von Comedy ist. Vielleicht sind wir jetzt mal weg von dicken Brillen und schiefen Zähnen in kurzen Sketchen und es wird gehaltvoller? Ich weiß es nicht.
Passt das Genre der Sketch-Comedy mit schnellen Gags die auf Äußerlichkeiten und Stereotypen passiert, überhaupt noch in unsere Zeit?
Das war immer schon ein grundsätzliches Problem mit Werken vergangener Zeiten. Mal ist es das Handwerk, mal sind es die portraitierten Figuren oder die erzählten Geschichten, die einem später vielleicht fremd vorkommen. Was sich meiner Meinung nach geändert hat, ist die enorme Empfindlichkeit heute. Ich finde es schwierig, wenn in der Comedy jetzt bei allem auf die Finger gehauen wird, weil dies und das nicht erlaubt sei. „Du darfst keinen Dicken mehr spielen, das ist dann anmaßend gegenüber Übergewichtigen.“ Oder du darfst nicht mehr dies und nicht mehr das spielen. Dann können wir ja einpacken. Schauspiel lebt davon, dass man Rollen spielt. Seit Anbeginn geht es darum, etwas zu verkörpern was man nicht ist. Und wir lachen natürlich über lustige Kleidung oder komische Frisuren. Machen wir im realen Leben doch auch.
"Die stetige Anklage- und Empörungskultur, die auch noch durch Twitter verkürzt und multipliziert wird, ermüdet uns für die wichtigen Probleme."
Es wurde vor einigen Wochen schon mal die Frage nach Blackfacing und der Benutzung des N-Wort in einem früheren „Switch Reloaded“-Sketch gestellt. Da hatte sich Bernhard Hoecker geäußert. Was sagen Sie?
Jedes Werk ist ein Dokument seiner Zeit - und sowohl Bernhard als auch ich würden diesen Sketch heute anders machen. Daneben - und ausdrücklich nicht damit verbunden - gibt es aber auch einen anderen Punkt, der mich beschäftigt: Sketche wie auch die bei „Binge Reloaded“ leben davon, dass die parodierten Personen es mit Humor nehmen. Und das verlieren wir gerade ein bisschen, ist meine Sorge. Wir verlieren viel, wenn wir nicht mehr über uns selbst lachen können. Und die stetige Anklage- und Empörungskultur, die auch noch durch Twitter verkürzt und multipliziert wird, ermüdet uns für die wichtigen Probleme.
Sie sprechen Twitter an. Sie waren einer der ersten deutschen Prominenten, die Twitter sehr intensiv genutzt haben. Das ist heute anders. Wie fällt ihr Urteil zu Social Media zehn Jahre später aus?
Das war am Anfang Spaß und Neugier. Es ist über die Jahre dann ein wachsender Druck entstanden, liefern zu müssen. Es hat was von diesem aufregenden Abenteuerspielplatz verloren. Da kamen dann seit Twitter ja noch andere soziale Netzwerke hinzu und ich habe irgendwann entschieden, mich nicht dem Druck auszusetzen, da vorne mitspielen zu wollen wie Jan Böhmermann oder irgendwelche Influencer. Ich bin noch aktiv, aber anders und ja, auch zur Bewerbung dessen was ich sonst so mache. Warum? Da sind wir meiner Meinung nach auch wieder bei dem Thema von eben: Viele melken die eigene Prominenz so lange bis keiner mehr etwas von einem hören will. Auch weil es so viele machen, gibt es ein absolutes Überangebot.
Letzte Frage zu „Binge reloaded“: Zweite Staffel denkbar?
Also ich würde da im nächsten Jahr durchaus noch etwas freigeräumt bekommen im Kalender (lacht)
Herr Kessler, herzlichen Dank für das Gespräch.