Herr Hofmann, Herr Kosack, wenn wir einmal auf das Jahr 2020 zurückblicken werden, wird dann für die TV-Branche etwas anderes hängen geblieben sein als die Corona-Pandemie?
Nico Hofmann: Die Corona-Pandemie ist natürlich das Ereignis des Jahres aber rückblickend betrachtet gibt es eine Frage, die für mich ganz zentral ist: Wie wollen wir miteinander leben? Und dazu gehört auch der Aspekt, wie wir miteinander arbeiten wollen. Wir haben in diesem Jahr viel Solidarität und Empathie erlebt, nicht nur innerhalb unserer Branche.
Joachim Kosack: Und ich glaube, wir werden uns erinnern an ein Jahr mit sehr ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn, dem auch mit dem Ergebnis der US-Wahl Rechnung getragen wurde. Es ist vor allem für eine junge Generation wichtig zu sehen, dass auch ein fragwürdiger Populist mal verliert - so muss man es sagen. Nach all den Jahren mit Johnson, Putin, Erdogan, Bolsonaro und Lukaschenko, die alle auf unterschiedliche Art und Weise nicht vertretbar sind, war es an der Zeit, dass einer dieser alten Männer - und es sind allesamt Männer - mal in seine Schranken gewiesen wird. Und wie wichtig und inspirierend die klare Ansage von Kamala Harris war, die sagte: „Ich bin zwar die erste Frau in diesem Amt - aber ich bin nicht die letzte.“
Wie beantworten Sie die Frage „Wie wollen wir miteinander arbeiten?“ für die UFA?
Nico Hofmann: Als Arbeitgeber muss man die gleichen Fragen beantworten können, die wir uns als Gesellschaft stellen: denn je länger ich diesen Job mache, desto deutlicher werden Parallelen auch bei der UFA. Es gibt die gleichen Konflikte, die gleichen Themenfelder vom Generationenvertrag über Gender Equality bis zur Diversität. Das macht die UFA durchaus zu einem politischen Unternehmen, weil uns die Vielfalt unserer Mitarbeiter*innen dazu auffordert. Und wir merken, dass besonders von der jungen Generation Haltung zu diesen Themen erwartet wird. Keine Haltung zu haben ist keine Option.
Daher eine neue Selbstverpflichtung der UFA, in der Sie den Begriff „Creative Responsibility“ benutzen. Was verstehen Sie darunter?
Joachim Kosack: Naheliegenderweise geht es um die beiden Begriffe der Kreativität und Verantwortung. Nico und ich sind immer schon davon überzeugt gewesen, dass es bei jeder Kreation von Neuem wichtig ist, sich vor Augen zu führen, welche Verantwortung man damit übernimmt.
Nico Hofmann: Unsere Gesellschaft ist vielfältiger denn je, das müssen wir abbilden, weil wir damit mehr Menschen einbeziehen, ohne jemandem etwas wegzunehmen. Die Mehrheit der Deutschen findet sich bereits im Programm wieder. Es geht darum - wie beispielsweise auch bei der politischen Debatte um die “Ehe für alle“ - dafür zu sorgen, dass Lebensentwürfe möglich werden - in unserem Falle in den Programmen, die über die Bildschirme gehen. Vielfalt bereichert die Gesellschaft und bedroht sie nicht.
Joachim Kosack: Unser Geschäft besteht darin, Millionen von Menschen zu unterhalten, an vielen Tagen erreichen unsere Produktionen mehr als 20 Millionen Menschen. Wir schaffen Bilder, deren Wirkung uns bewusst sein muss. In all diesen Produktionen erzählen wir Geschichten von Charakteren. Mit der Auswahl von Geschichten und Charakteren geht bereits die Verantwortung einher, sich damit zu beschäftigen was ich zeige und was vielleicht fehlt, selbst wenn es unbewusst passiert. Also müssen wir früh ansetzen und auch intern Veränderung bewirken, angetrieben schon seit Jahren durch unsere Mitarbeiter*innen. Nico und ich sind Begleiter dieses Weges.
"Im Zuhören liegt eine Kraft, die viele Führungskräfte unterschätzen."
Nico Hofmann, CEO der UFA
Das klingt beinahe demütig.
Nico Hofmann: Die Zeiten haben sich geändert und wir uns auch. Ich war früher autoritärer, habe versucht meine Teamworx-Erfahrungen in die UFA einzuspeisen, habe mich zu jedem Programm geäußert, wurde in Diskussionen auch laut oder bin Mitarbeitenden regelrecht über den Mund gefahren. Vieles davon habe ich mir abgewöhnt, weil ich geduldiger geworden bin. Und im Zuhören liegt eine Kraft, die viele Führungskräfte unterschätzen. Ich habe große Freude an dieser Demokratisierung und Debattenkultur bei der UFA. Man muss sie aber auch wollen, weil man immer bereit sein muss für den Diskurs. Hierarchie ist für eine jüngere Generation kein Argument mehr für eine sinnvolle Führung.
Was wollen Sie mit der neuen Selbstverpflichtung konkret erreichen?
Nico Hofmann: Geredet wird seit Jahren viel, weil Aspekte des Themas auch dank der Studien der MaLisa-Stiftung, die von Maria und Elisabeth Furtwängler ins Leben gerufen wurde, zurecht Aufmerksamkeit bekommen. Die politische Energie von Maria bleibt vorbildhaft. Wir selbst haben uns jetzt dazu verpflichtet, bis Ende 2024 in den Programmen der UFA eine Diversität unserer Gesellschaft abzubilden, die sich am aktuellen Zensus der Bundesregierung orientiert und Frauen, People of Color, Menschen mit Beeinträchtigungen und die LGBTIQ*-Community sichtbarer macht. Aber auch hinter der Kamera wollen und müssen wir diverser werden. Die feministische Debatte soll sich um dem Bereich Diversity erweitern.
Joachim Kosack: Wir sprechen von einem Thema, bei dem es jetzt darauf ankommt, dass man es wirklich ernst meint. Wir dürfen nicht von anderen fordern, sondern müssen selber ran. Ganz konkret und auch schon frühzeitig im Bewerbungsverfahren: Wie ändern wir die Bewerbungsverfahren bei der UFA? Erreichen unsere Stellenausschreibungen eigentlich alle, die wir erreichen wollen? Wissen überhaupt alle, dass sie bei uns arbeiten können? Und was müssen wir tun, damit wir wirklich allen die gleiche Chance geben können, bei uns zu arbeiten? Diversität in den Programmen entsteht durch Diversität in den Teams, die wiederum nur entstehen kann, wenn wir es ernst damit meinen, allen eine Chance geben zu wollen. Wir können zum Beispiel nicht nur über Hochschulen gehen.
Auf konkrete Zahlen wollen sie sich aber nicht festlegen, wenn ich das richtig verstehe.
Joachim Kosack: Veränderung entsteht langfristig nicht durch Quote oder Checklisten, sondern durch das Bewusstsein aller Beteiligten, dass es so einfach besser ist. Das bewirkt nachhaltige Veränderung durch die diverse Lebensrealität der tollen Menschen hinter unseren Programmen. Trotzdem werden wir unsere Zielsetzungen für das Programm auf dem Weg noch weiter spezifizieren, wir orientieren uns dabei an den Zahlen des statistischen Bundeamtes.
Nico Hofmann: Die Freude an dieser Selbstverpflichtung liegt auch darin, gemeinsam wieder nach einer Utopie zu streben und das vereint viel Energie. Wir glauben und ich bin hier wirklich sehr inspiriert von unseren Mitarbeiter*innen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, der in Bezug auf Nachhaltigkeit dank Katja Bäuerle und Wiebke Terjung oder LGBTIQ* dank Markus Schroth schon lange innerhalb der UFA eingeschlagen wurde. Und Nataly Kudiabor und Tyron Ricketts haben das Thema People of Color sehr präsent gemacht.
Joachim Kosack: Mir ist ein Gespräch mit Tyron Ricketts in Erinnerung geblieben, der von strukturellen Problemen berichtete, die auf Anhieb vielleicht gar nicht so bewusst sind. Er mahnte an, dass die Besetzung von People of Color in Produktionen ihm gegenüber auch deshalb schon mal als schwierig bezeichnet wurde, weil Maskenbilder keine Erfahrung haben in der Arbeit mit People of Color. Ein rein handwerkliches Problem, das niemandem zum Vorwurf gemacht wird, aber erst dann angepackt werden kann, wenn es thematisiert wird. Wir sind also wieder bei den Themen Ausbildung, Weiterbildung und Personalsuche, die vielleicht bislang eine solche Qualifikation gar nicht berücksichtigten. Aktuell starten wir zum Beispiel eine Storyliner-Ausbildung in Köln und haben von Anfang an Einfluss auf die Bewerber und die Ausbildung.
"Selbstverständlichkeit bedeutet, dass Max Mustermann auch schwarz oder homosexuell oder schwarz und homosexuell sein kann."
Joachim Kosack, Geschäfftsführer der UFA
Wie viel Prozent des angesprochenen Weges haben Sie denn schon geschafft?
Nico Hofmann: Wir haben maximal ein Drittel des Weges geschafft, wobei ich nicht glaube, dass es je eine abgeschlossene Aufgabe sein wird, da sich Gesellschaft stetig wandelt. Joachim und ich sind beide seit mehr als 25 Jahren in der Branche aktiv und haben Veränderungen über diese Zeit miterlebt, inklusive vieler Generationen von Studierenden und Nachwuchstalenten an der Filmhochschule in Ludwigsburg, an der wir beide aktiv sind. Und im Regie-Studiengang haben wir in diesem Jahr erstmals gleich viele Frauen wie Männer - ohne Quotenregelung - aufgenommen. Von den Studierenden hat mehr als die Hälfte einen Migrationshintergrund. Die Generation dieser künftigen Top-Kreativen sieht anders aus als der Jahrgang, mit dem ich 1984 meinen Abschluss in München gemacht habe. Sie spüren die nachhaltige Veränderung für mehr gelebte Diversität, also bereits im Bereich der Ausbildung
Joachim Kosack: Und Diversität muss zur Normalität werden, was sich dann inhaltlich bei Drehbüchern beispielhaft auch darin ausdrücken kann, dass das Ehepaar Susanne und Peter Schneider aus dem Ruhrgebiet nicht zwingend weiß sein muss. Es reicht nicht, dass wir Diversität als Gimmick erzählen oder gleich ganze Formate über eine herausgestellte Rolle definieren, die eigentlich nur Klischees sichtbar macht. Selbstverständlichkeit bedeutet, dass Max Mustermann auch schwarz oder homosexuell oder schwarz und homosexuell sein kann. Die Offenheit brauchen wir dann wiederum z.B. beim Casting.
Nico Hofmann: Inklusion ist ein zentrales Thema. Wir hatten vor zwei Jahren die Bewerbung einer Studentin aus Köln mit Multiple Sklerose und es hat drei Monate gedauert, bis wir ihr einen Homeoffice-Platz einrichten konnten, damit sie für uns Beiträge schneidet. Da wurde schnell klar, dass wir uns mit dem Thema Inklusion nicht angemessen beschäftigt hatten, und es auch keinen Plan gab, wie wir Berufe bei der UFA barrierefrei ermöglichen.
Wenn die UFA als größter deutscher Produzent fiktionaler Stoffe voraus. Sind die Sender, Ihre Auftraggeber, denn genauso progressiv? Oder wollt ihr auch Partnern den Weg weisen?
Nico Hofmann: Die Sender, mit denen wir sprechen, gehen diesen Weg mit, wir stoßen auf eine sehr große Offenheit, auch weil es in den vergangenen Jahren viele Generationswechsel in Führungspositionen gab. Und wir alle erleben auch eine starke Beeinflussung durch amerikanische Streamer, wo die Diversity-Charta nahezu Agenda ist. Diese Ernsthaftigkeit kommt durch die Erkenntnis, dass Diversity unser Leben bereichert. Dieses Denken müssen wir fordern und fördern.
Herr Hofmann, Herr Kosack, herzlichen Dank für das Gespräch.