Herr von der Lippe, wie schwer fällt es Ihnen in dieser Zeit, nicht unterwegs zu sein?
Ich hatte bei all der Corona-Scheiße das Glück, in den Sommermonaten recht kurzfristig auf etlichen Open Airs auftreten zu können. Dafür hatte ich mir ein anderes Programm, ein reines Sprachprogramm, draufgeschafft, weil wir nicht mit unserer Technik kommen konnten. Dazu kamen einige Lesungen und jede Menge Fernsehauftritte, die ich sonst in dieser Form während der Tour-Zeit nicht hätte wahrnehmen können. Natürlich hat auch das Spaß gemacht, aber eine Tour kann das nicht ersetzen.
Hinter Tourneen stehen mehr Menschen mehr als nur der Star auf der Bühne. Wie nehmen Sie die Situation in der Branche gerade wahr?
Was mir wirklich zu schaffen macht, ist, dass ich meine Leute momentan nicht beschäftigen kann. Es sind so viele Menschen betroffen, die Techniker, der Tour-Leiter, aber auch die Agentur, die örtlichen Veranstalter, die Theaterbesitzer, zum Beispiel das Renitenztheater in Stuttgart, in dem ich nächste Woche vier Mal vor ausverkauftem Haus hätte auftreten sollen. Die Kollegen haben sich bemüht, für diese vier Tage einen größeren Saal zu bekommen, um die Abstände sicherzustellen. Sie haben sogar einen gefunden – wahrscheinlich verbunden mit enormen Mehrkosten. Und jetzt kommt der Lockdown. Dabei gibt es Ärzte, die sagen, wenn die Besucher Maske tragen, die Nachverfolgbarkeit gegeben ist, keine Gastronomie stattfindet, der Luftaustausch gewährleistet ist, besteht keine Gefahr. Die Uneinheitlichkeit und Nicht-Nachvollziehbarkeit vieler Regelungen ist ein echtes Problem.
Ab Sonntag sind Sie wieder zusammen mit Sabine Heinrich in der WDR-Show "Nicht Dein Ernst!" zu sehen. Dabei haben Sie vor einem Jahr haben in einem Interview gesagt, dass Sie auf Fernsehen keinen Bock mehr haben. Was hat zum Sinneswandel geführt?
Die Aussage bezog sich auf das Bemühen, mit einem eigenen Format bei einem Sender zu landen. Darauf habe ich keine Lust mehr, das ist mir zu mühselig. Im Falle von "Nicht Dein Ernst" kam der WDR mit einer fertigen Idee auf mich zu, die mich direkt überzeugt hat. Das ist ein wirklich hübsches kleines Format. Genau das, woran ich Spaß habe, vor allem an der Zusammenarbeit mit Sabine, die ich ungemein schätze Mein einziger Kritikpunkt sind diese komisch gemeinten Filme, die leider nicht so komisch sind wie im australischen Original. Aber ansonsten hat die Produktion richtig Bock gemacht, auch wenn wir mit viel weniger Publikum auskommen mussten. Da muss ich der Redaktion ein großes Kompliment machen, weil sie aus der Not geboren eine wunderbare Idee hatte. Aus den paar Leuten, die man ins Studio einladen durfte, haben sie Mitwirkende gemacht, die eine zusätzliche Facette zum jeweiligen Thema beigetragen haben. Das hat großartig funktioniert, weil es Tempo bringt und die Sendung reicher macht.
Ein gutes Beispiel dafür, dass Ausnahmesituationen die Kreativität fördern?
Die Umstände, unter denen es zu dieser Idee kam, sind keine schönen. Aber alles Schlechte hat bekanntlich auch sein Gutes. Dass es unsere Sendung bereichert hat, wiegt allerdings sicher nicht die Tatsache auf, dass das halbe Land pleite geht. Das wollte ich damit nicht gesagt haben. (lacht) Und es ist ja keineswegs so, dass die Leute in normalen Zeiten keine Kreativität hätten. Vielmehr macht mich dieser unselige Hang zum Brainstorming fertig. Dieser furchtbare Satz: "Ich geb's mal in die Runde". Sowas braucht keiner. Oder wie oft habe ich den Satz gehört: "Das will unser Publikum nicht sehen." Große Runden haben den entscheidenden Nachteil, dass sich zuverlässig Leute finden, die jede gute Idee abblocken. Und es traut sich keiner mehr was.
Heute würde man vermutlich "Controller-Fernsehen" dazu sagen.
Als ich anfing, gab es nur einen Unterhaltungschef, der alles absegnete – und über ihm war schon der Intendant. Das führte dazu, dass die Redakteure sehr viel mehr Freiheiten hatten. Irgendwann kam dann ein Fernsehdirektor dazu und noch einer und exponentiell zum Zuwachs übergeordneten Personals sank das Budget fürs Programm. Mehr Bestimmer machen leider kein besseres Programm. In der Kunst sind Geniestreiche meist Einzelleistungen. Aber Genies werden müde, wenn irgendein Idiot immer alles abbürstet.
Hätten Sie denn noch Ideen?
Dadurch, dass ich wirklich alles gemacht habe, gehen meine Interessen mittlerweile mehr in die Nische. Ich würde auch gerne meine Buchsendung wieder machen, die ja ausgesprochen erfolgreich war. Es kann doch niemand ernsthaft bestreiten, dass sie auch einen außerordentlichen öffentlich-rechtlichen Auftrag verfolgt – nämlich Menschen ans Lesen zu bringen. Jetzt mache ich es eben auf eigene Kosten auf meinem YouTube-Kanal. Das gönne ich mir als Hobby.
"Comedy funktioniert nicht ohne Publikum."
Sie betreiben damit einen ziemlich hohen Aufwand.
Das ist es mir wert. Jetzt wollten wir eigentlich die nächste Ausgabe mit Torsten Sträter produzieren, aber mit 120 Leuten in einem Saal, der für 500 Leute gedacht ist, sieht das einfach ärmlich aus.
Viele Shows haben in den letzten Monaten komplett auf Publikum verzichtet.
Bei manchen Formaten geht das, beim Quiz oder bei Talkshows. Aber Comedy funktioniert nicht ohne Publikum. Es muss nicht viel sein, schon 30 Leute können meinen Spaß und damit meine Leistung mindestens mal verdoppeln. Als Dieter Nuhr eine Zeit lang ohne Publikum gesendet hat, konnte ich das nicht mehr gucken, weil ich mich zu sehr mitgelitten habe.
Wie würden Sie eigentlich Ihre Beziehung zum WDR beschreiben? Sie galten früher als der größte Star des Senders, waren dann auch mal für einige Zeit weg, sind jetzt wieder da. Ist das eine Art Hassliebe?
Ich würde das überhaupt nicht so hoch hängen. Ich hatte ja nie ein Problem mit dem WDR, sondern mit Leuten – und von denen ist heute keiner mehr da. Die Zusammenarbeit macht deshalb wieder großen Spaß, auch weil es bei zwei Aufzeichnungen pro Tag keine Zeit für Gesprächsrunden gibt. Am liebsten sitze ich mit den Autoren zusammen, suche nach Gags oder wertvollen Informationen. Das sind für mich immer die schönsten Momente beim Herstellungsprozess.
Wie viel Arbeit steckt in einer Show, damit das Publikum gar nicht merkt, dass das richtige Arbeit ist?
Es gibt Leute, die bereiten sich überhaupt nicht vor. Die sagen dann, ihnen fällt schon etwas ein. Muss jeder machen, wie er meint. Ich bin Rudi-Carrell-Fan, der sagte: "Wenn man etwas aus dem Ärmel schütteln will, muss man vorher etwas reinstecken." Ich versuche daher, den Ärmel so gut es geht zu befüllen.
Wann haben Sie denn zu "Geld oder Liebe"-Zeiten damit begonnen, den Ärmel voll zu machen?
Ich persönlich habe 14 Tage für die Sendung gearbeitet. Es gab damals sechs Spiele-Autoren und einen Head-Autor, von denen jeder eine Sendung geschrieben hat. Daraus wiederum habe ich die Show zusammengestellt. Parallel hat die Requisite bereits notdürftig die Spiele für die nächste Sendung gemacht, sodass man mal vor Kameras ausprobieren konnte, ob das, was man sich ausgedacht hat, überhaupt funktioniert. Manchmal denkt man, das wird ganz toll – und plötzlich sieht man, dass sich die Spannung im Bild überhaupt nicht vermittelt. Dafür haben die heute überhaupt keine Zeit mehr. Ich kam mal als Gast in eine Show und sollte auf einem zum Kamel umgebauten Fahrrad reiten. Dann stellte sich jedoch heraus, dass ich überhaupt nicht an die Pedale kam. Nicht mal für die Minimalia reicht es noch! Da wird nicht gefragt, wie groß man ist. Geschweige denn, dass etwas so gebaut wird, dass man es noch verändern könnte.
Wie ging es dann weiter mit Ihnen und dem Kamel?
Ich habe das Spiel nicht gewonnen. (lacht)
"Ich bin Bühnenmann, alles andere hat sich dem unterzuordnen."
Ist die fehlende Zeit womöglich auch der Grund dafür, warum die Neuauflage von "Geld oder Liebe" vor einigen Jahren nicht funktioniert hat?
Die Idee war es, die Show im Dritten noch einmal neu aufleben zu lassen. Ich wollte es aber auf gar keinen Fall moderieren – abgesehen von einer Promi-Ausgabe, die auch wahnsinnig Spaß gemacht hat. Ich habe dem WDR dann vorgeschlagen, drei Hoffnungsträgern die Chance zu geben, sich in einer Spielshow zu bewähren. Das Problem war, dass nicht so produziert wurde wie wir es früher gemacht haben. Alles war mit heißer Nadel gestrickt und das sah man der Show an. Es fehlte nicht an Liebe, aber an Geld und Zeit.
Macht es für Sie einen Unterschied, wenn sechs oder acht Millionen zuschauen oder vielleicht nur ein paar hunderttausend?
Das ist vollkommen egal. Ich bin sogar schon vor drei Leuten aufgetreten. Vor mehr als 40 Jahren war das. Ich sollte im Zündholz in Nürnberg auftreten, aber plötzlich gab es Blitzeis auf der Straße. Ich habe es gerade noch in diesen kleinen Club geschafft, aber es kam keiner mehr raus und keiner mehr rein. Und drinnen saßen insgesamt drei Leute. Dann habe ich den Fehler gemacht und gesagt: "Ihr wollt doch wohl nicht, dass ich spiele?" Wollten sie aber doch. Aber es war schön, weil es eine wunderbare Eigengesetzlichkeit bekam, sehr intensiv.
Nehmen sie eine schlechte Quote persönlich?
Nein, man weiß doch, was alles zu einer schlechten Quote führen kann. Wenn zeitgleich ein wichtiges Fußballspiel oder das Finale einer beliebten Serie läuft, hat man schlechte Karten. "Nicht Dein Ernst" sitzt zwischen den Stühlen: der "Sportschau" und "Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs". Das bedeutet einen fast kompletten Publikumsaustausch. Keine leichte Aufgabe. Ich kann nur hoffen, dass man der Show die Chance gibt, sich zu etablieren. Zum Glück habe ich von Anfang an, also vor 45 Jahren, gesagt: Ich bin Bühnenmann, alles andere hat sich dem unterzuordnen. Deshalb habe ich bis heute ein treues Live-Publikum, das auch noch meine Bücher und Hörbücher kauft. Fernsehjobs kriegt man angeboten, aber auch wieder weggenommen, ohne dass man darauf Einfluss hätte. Ich sage jedem jungen Comedian: Schaff dir ein Stammpublikum und mach dich nicht nur vom Fernsehen abhängig.
Herr von der Lippe, vielen Dank für das Gespräch.
"Nicht Dein Ernst!" läuft sonntags um 22:45 Uhr im WDR Fernsehen