Ein historisches Epos wie „Barbaren“ ist kein typisches Genre für eine deutsche Serie und muss sich mit mancher internationalen Großproduktion messen lassen. Halten Sie dem Druck stand?
Rainer Marquass: Das muss der Zuschauer entscheiden (lacht) Klar ist: Es ist in Deutschland eine Geschichte bzw. ein Genre, an dem zwar schon viele Autoren und Produzenten dran waren, aber es war bislang nicht in der nötigen Größe realisierbar. Durch die Bewegungen im Markt der vergangenen Jahre und Netflix mit seiner großen internationalen Reichweite wurde es möglich.
Sabine de Mardt: Es ist dramaturgisch gesehen natürlich ein ziemlich großer Aufschlag für eine Firma, die gerade mal die Büros bezogen hat, als der Produktionsauftrag für die bislang aufwändigste deutsche Netflix-Serie reinkam. Als Produzenten blicken Andreas Bareiss, Rainer und ich zwar auf eine langjährige Erfahrung zurück, aber die Barbaren waren in ihrer Komplexität noch einmal eine besondere Herausforderung, die wir letztlich nur dank eines fantastisches Teams meistern konnten. Aber uns war klar: Wenn, dann muss es Highend sein. Man ist sich des Umfelds, in dem wir uns bewegen, natürlich bewusst. Aber auch bei einem Stoff wie „Barbaren“ gilt: Eine Geschichte fesselt dann, wenn sie emotional erzählt ist.
Sie sprechen von der bislang aufwändigsten deutschen Netflix-Serie. Können Sie das konkretisieren?
Sabine de Mardt: Bei Budgetfragen müssten Sie sich an die Netflix-Kollegen wenden. Aber es ist von den bisherigen deutschen Originals das aufwendigste Projekt. Was mich dabei beeindruckt hat, war die zügige Zusage von Netflix, in dieses Risiko zu gehen. Nach einem Meeting grünes Licht für die Produktion zu bekommen, ist schon sehr besonders und für das Gros der TV-Sender einfach so nicht machbar. Inzwischen hat sich auch eine Menge bei unseren langjährigen TV-Partnern im Free TV getan, siehe Großprojekte wie „Babylon Berlin“. Hier ist man allerdings in der Regel auf Ko-Finanzierungen angewiesen, die manchmal eine Weile brauchen, bis sie stehen. Netflix kann schneller Entscheidungen treffen, und das ist im härteren Wettbewerb um kreative Köpfe nie so wichtig gewesen.
Ist es inzwischen die Ressource Talent statt Geld, die knapp wird in Deutschland?
Sabine de Mardt: Die Produktion der Serie war eine Herausforderung. In einem überbuchten Markt die richtige Crew zu finden, ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Produktion. Da hilft Planungssicherheit. Wir haben von Beginn an sehr international gedacht. Unsere Produktionscrew z.B. war größten Teils südafrikanisch, unser Stunt Coordinator Richard Ryan kam aus Irland, hat auch „Vikings“ gemacht. Wir hatten insgesamt mehr als zehn Nationen am Set. Die kreativen Head of Departments kamen aus Deutschland, und ich bin froh, dass es inzwischen mehr Talente gibt als noch vor wenigen Jahren. Aber sie werden knapp, auch weil manche Skills, wie sie eine aufwendige Historienproduktion erfordert - beispielsweise bei den Kostümbildnerinnen und - bildnern - bisher in Deutschland einfach auch noch nicht in dem Umfang gebraucht wurden wie in Hollywood.
"Uns fehlt die strukturelle Ausbildung und Qualifikation, die sich beispielsweise im US-Markt lange etabliert hat"
Sabine de Mardt
Brauchen wir mehr Ausbildung in Deutschland?
Sabine de Mardt: Für internationale Highend-Produktionen brauchen wir mehr Talente mit fundierten Ausbildungen. Bei uns ist es immer noch oft so, dass man reinrutscht in die Branche, was großartig ist für Quereinsteiger. Aber uns fehlt die strukturelle Ausbildung und Qualifikation, die sich beispielsweise im US-Markt lange etabliert hat. Aber man kann Entwicklungen in die richtige Richtung beobachten.
Rainer Marquass: Wir haben in allen Bereichen Top-Leute in Deutschland, aber das Problem ergibt sich durch die immer höhere Zahl an Produktionen durch immer mehr Sender und Plattformen, die oft auch gleichzeitig bevorzugt im Sommer gedreht werden. Alle greifen auf die vorhandenen kreativen Ressourcen zurück. Und das sorgt für Sorgenfalten bei allen Produzenten, weil klar ist: Man muss so früh wie möglich Talente sichern. Ein Szenenbildner ist bei einer Serie wie „Barbaren“ schließlich nahezu ein Jahr lang beschäftigt. Und genau deshalb hilft es sehr, wenn man mit Produktionsauftrag in der Tasche direkt verpflichten kann und es keine monatelange Phase gibt, in der immer noch die Unsicherheit besteht, ob gedreht wird. Das ist heute gar nicht mehr möglich, weil die größten Namen so viele Angebote vorliegen haben, dass niemand mehr in dieses Risiko geht, monatelang auf grünes Licht zu warten.
Lassen Sie uns nochmal über „Barbaren“ konkret sprechen. Wie kam es denn inhaltlich überhaupt zu der Serie?
Rainer Marquass: Die Entstehung haben wir unserer Verbindung zu den internationalen Kolleginnen und Kollegen von Gaumont zu verdanken, die mit „Narcos“ früh einen Netflix-Erfolg hatten und gut vernetzt sind. So wussten wir, dass Netflix eine Serie dieser Art sucht. Wir haben uns dann damit beschäftigt, welcher besondere Stoff sich dafür eignen würde, und sind schnell auf die Varusschlacht gekommen, an der auch die Autoren Arne Nolting, Jan Martin Scharf und Andreas Heckmann vor ein paar Jahren schon mal dran waren. Das war die glückliche Fügung. Dieser Umstand hat dann dafür gesorgt, dass alles schnell gegangen ist, weil sie mit der Materie schon vertraut waren und wir Netflix zügig einen 14-seitigen Pitch liefern konnten, auf dessen Grundlage wir grünes Licht für die Staffelproduktion bekommen haben. Das war eine überraschend schnelle Initialzündung, die es uns ermöglichte, Top-Leute zu binden, weil wir den Produktionsauftrag schon vorliegen hatten.
Neben Andreas Heckmann arbeiten Arne Nolting und Jan Martin Scharf an den Büchern, bekannt durch „Club der roten Bänder“. Ein historisches Epos klingt eher Plot-driven, die Expertise der Autoren liegt wiederum in Character-driven Stories. Was erwartet das Publikum bei „Barbaren“?
Sabine de Mardt: Letztlich geht es um eine Reihe sehr universeller menschlicher Probleme, bei Arminius beispielsweise die Identitätsfrage „Wo gehöre ich hin?“ - eine zerrissene Seele zwischen zwei Welten. Aufgehängt ist die Serie an der Geschichte von drei Kindheitsfreunden, die auseinandergerissen wurden. Es geht um Schicksalsschläge, Freundschaft, Liebe, Emanzipation, Anerkennung und Verrat. Das ist großes emotionales Entertainment vor historischer Kulisse, die natürlich auch die Bühne für große Action darstellt, wenn Römer auf Germanen treffen.
Rainer Marquass: All das, was Sabine sagt, geschieht vor dem Hintergrund einer der entscheidendsten Schlachten, die bis dahin auf unserem Kontinent ausgetragen wurde. Sie stoppte schließlich den Vormarsch der Truppen des Römischen Reiches. Europa würde heute anders aussehen, wäre die Schlacht damals anders ausgegangen. Das verbindet die emotionalen Charaktere mit einer epischen Tragweite.
Bei der Betonung auf die Entwicklung der Charaktere geht es also weniger um den Effekt der Varusschlacht. Eine zweite Staffel ist also denkbar?
Sabine de Mardt: Das wäre nicht unerwünscht, aber schauen wir erstmal, wie die erste Staffel bei den Netflix-Nutzern ankommt. Aber natürlich provoziert eine historische Niederlage für das Römische Reich die Frage: Lassen die Römer das einfach so auf sich sitzen?
Die Römer sprechen in „Barbaren“ Latein. An Fremdsprache mit Untertiteln hat man bei Gaumont offenbar nach „Narcos“ Gefallen gefunden, oder?
Sabine de Mardt: Es hat sich in jedem Fall gezeigt, dass es der Authentizität sehr hilft und von Serienfans goutiert wird. Da macht der Latein-Unterricht von früher endlich Sinn. Wir haben für die Römer extra Italiener gecastet, weil das sprachlich nochmal eleganter rüber kommt. Wir hatten für diesen Einsatz von Latein natürlich genauso Berater wie für die historischen Details und Produktions- sowie Kostümdesign der Serie. Da wir die Serie ja aus der Sicht der Germanen erzählen, macht der Latein-Anteil allerdings auch nur 15 Prozent aus.
Rainer Marquass: Das war auch eine inhaltliche Entscheidung, denn nur sehr wenige Germanen verstanden damals Latein. Die Mehrheit sah sich also einem Gegner gegenüber, den man nicht einmal versteht. Und welche eigene Agenda haben die, die den Gegner verstehen können? Tragen sie die Wahrheit weiter? Wir als Publikum finden uns aufgrund der Sprachbarriere natürlich automatisch eher bei den Germanen wieder, auch ein wichtiger Effekt der Entscheidung, die Römer Latein sprechen zu lassen. Die Reaktion eines amerikanischen youtube-users auf den Trailer fand ich da sehr passend: „Endlich sprechen die Römer kein Shakespeare-Englisch wie in vielen anderen Verfilmungen.“
Eine letzte Frage noch zum Cast: „Barbaren“ kommt ohne große Namen aus. Da läuft jetzt kein Wotan Wilke Möhring durchs Bild…
Sabine de Mardt: Wir haben in weiten Teilen auf einen nicht so bekannten Cast gesetzt. Das erleichtert die Illusion des Eintauchens in eine fremde Zeit.
Frau de Mardt, Herr Marquass, herzlichen Dank für das Gespräch.