Herr Danger, welche Rolle spielt das Radio in Ihrer täglichen Routine?
Daniel Danger: In meinem Leben spielt das Radio glücklicherweise eine große Rolle – ganz einfach, weil ich oft in unserer Frühsendung bei 1Live zu Gast bin und dadurch die Menschen in den Tag begleite. Und wenn ich mal nicht mit aktuellen Geschichten zu hören bin, höre ich mir einfach alte Geschichten von mir an. (lacht)
Das werden Sie sicher gerne hören, Herr Rausch. Dennoch lässt die Bindung junger Menschen an das Radio nach.
Jochen Rausch: Ich halte die Entwicklung derzeit nicht für dramatisch, aber der Trend ist klar. Das ist kein Votum gegen das Radio, sondern hat schlicht damit zu tun, dass andere Angebote parallel verfügbar sind. Das entscheidende Tool ist das Smartphone. Das Radio hatte immer einen exklusiven Verbreitungsweg, weil Sender und Gerät identisch waren und man mit dem Gerät auch nichts anderes machen konnte. Die Voraussetzungen haben sich mittlerweile geändert, wir konkurrieren mit zahlreichen Apps. Darauf muss sich aber nicht nur das Radio einstellen. Mich versetzt diese Entwicklung nicht in Panik, weil die neuen Verbreitungswege auch uns zugänglich sind.
Bei 1Live gibt’s dieser Woche einen Tag lang die Aktion "Daniel Danger Undercover" zu hören. Das klingt sehr nach Eventisierung. Haben Sie sich das beim Fernsehen abgeschaut?
Danger: Wir brauchen keine Schablonen, sondern haben unseren eigenen Weg gefunden. Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich als falscher Philosophie-Professor eine Vorlesung an der Uni geleitet, ohne jemals Philosophie studiert zu haben. Damals wie heute geht uns darum, auf unterhaltsame Weise darauf aufmerksam zu machen, manche Dinge ein wenig kritischer zu hinterfragen. So wie jetzt auch bei unserer neuen Aktion, in der ich als KFZ-Meister versucht habe, den Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen, was erstaunlich gut funktioniert hat.
Inwiefern ist es wichtig, solche Ereignisse im Radio zu schaffen, über die sich Menschen unterhalten?
Rausch: Das ist keine Neuerfindung von 1Live. Generell ist jeder Sender gut beraten, in einer gewissen Taktung gesprächswertige Aktionen zu machen. Wenn man es jeden Tag machen würde, würden die Leute allerdings irgendwann durchdrehen und sich abwenden. Aber es tut uns doch allen gut, wenn immer wieder so ein schräges Ding ins Programm kommt, über das man lachen kann, das aber auch zum Nachdenken anregt. Beim Fernsehen haben wir uns das im Übrigen nicht abgeguckt: Ich werde als älterer Mensch nicht müde darauf hinzuweisen, dass sich das Fernsehen – historisch betrachtet – alles beim Radio abgeguckt hat!
Was hat sich das Fernsehen denn am meisten abgeschaut?
Rausch: Einfach alles. (lacht) Selbst eine Show mit Hans Rosenthal, die vor vielen, vielen Jahrzehnten lief, war ursprünglich eine Radiosendung. Oder nehmen Sie Talkshows. Das sind eigentlich klassische Radioformate – im Studio passiert da ja nicht viel.
Begleitet wird die "Daniel Danger"-Aktion allerdings von einem ausführlichen YouTube-Video. Das Radio macht also immer mehr Bewegtbild – wie passt das zusammen?
Rausch: Ich denke gar nicht so stark in diesen Kategorien, denn wir haben bei 1Live schon immer mehr gemacht als nur Radio. Vielleicht erinnern Sie sich an unsere Plattform "Liebesalarm", die so erfolgreich war, dass man sie uns zugemacht hat. Eigentlich ist es doch ein Anachronismus, immer nur in Fernsehen, Radio oder Internet zu denken. Das ist ein dynamischer Prozess. Natürlich kann es sein, dass sich das Radio in den nächsten fünf oder zehn Jahren bei den Jungen weiter reduziert. Gleichzeitig werden wir aber unsere Präsenz im Netz ausbauen. Ob ich Flugblätter verteile oder einen Podcast mache – darauf kommt es nicht an. Die wichtige Frage ist, welchen Inhalt ich transportieren will und welche Wege sich dafür am besten anbieten.
Danger: Von der Erzählweise entwickeln wir uns mit jeder Geschichte, die wir machen, weiter. In diesem speziellen Fall bot es sich an, mehr zu bieten als Kopfkino, und wir sind von der Qualität nicht weit entfernt vom Fernsehen, wenn nicht sogar ebenbürtig. Mit Chincilla Films wurde der KFZ-Werkstatt-Film von einer Produktionsfirma gemacht, die sonst Inhalte fürs Fernsehen herstellt.
Wie sind Sie eigentlich zu der Rolle des Reporters Daniel Danger gekommen?
Danger: Das ist ein guter Beweis dafür, dass man manche Dinge nicht von der Pike auf planen kann. Angefangen hat alles mit Tests, die ich regelmäßig am Sonntagvormittag gemacht habe. Mit der Zeit wurden die Aktionen größer und die Marke bekannter. Das wuchs also immer weiter, ohne dass ein großer Masterplan dahintergesteckt hätte, und macht auch deshalb Spaß, weil viel Input von unseren Hörerinnen und Hörern kommt. Auf die Idee, als Dixiklo-Reiniger in Mönchengladbach zu arbeiten, wäre ich alleine vor dem Rechner nie gekommen.
"Wir können das Land nicht ohne Ende mit neuen Podcasts fluten."
Jochen Rausch
Nun machen Sie beim WDR vermehrt Podcasts, senden aber trotzdem das klassische Radioprogramm weiter. Auch die Politik dürfte es interessieren, was denn im Gegenzug wegfällt, wenn das Geld angeblich knapp ist?
Rausch: Wir haben unsere Etats – und wenn wir damit nicht auskommen, kommen wir schon selbst darauf zu sparen. Dafür braucht es gar nicht die Politik. Allerdings sprechen Sie einen wichtigen Punkt an: Wir haben inzwischen beim WDR ein gutes Management, das sich damit auseinandersetzt, was wir machen wollen und welche Ziele wir damit verfolgen. Dieses Ungeplante, mal eben auf die Schnelle einen Podcast zu starten, gibt es schon lange nicht mehr. Wichtig ist eine inhaltliche Relevanz. Wir können das Land nicht ohne Ende mit neuen Podcasts fluten.
Erstaunlicherweise gibt es seit einigen Wochen einen jungen Nachrichten-Podcast namens "0630", der von WDR aktuell kommt – und nicht von 1Live. Das klingt jetzt nicht so, als wäre das gut koordiniert, wenn das Fernsehen plötzlich Audio macht.
Rausch: "0630" ist kein Fernsehformat, sondern ein Format des Newsrooms, der crossmedial arbeitet. An dem Format sind auch 1Live-Mitarbeiterinnen beteiligt, Lisa Bertram und Carolin Bredendiek. WDR Aktuell ist auch der Name der Hörfunknachrichten im WDR sowie der digitalen Angebote, vielleicht rührt daher das Missverständnis. Grundsätzlich sind wir in einer Zeit, in der viel ausprobiert wird. Würden wir das nicht tun, käme der Vorwurf, wir würden nur das machen, was wir immer schon gemacht haben. Man muss den Dingen eine Chance geben – und im Zweifel lässt man es auch wieder. Im Fernsehen ist das nichts Ungewöhnliches. Da werden ständig neue Formate ausprobiert, die man manchmal sogar zu früh wieder sein lässt, weil die Einschaltquote nicht stimmt. Versuch und Irrtum muss möglich sein, sonst kann man sich nicht weiterentwickeln.
Lassen Sie uns einen Blick in die Glaskugel werfen, zehn Jahre voraus. Herr Danger, machen Sie dann immer noch Radio oder was ist das dann?
Danger: Ich hatte während meiner gesamten Laufbahn das Gefühl, dass das Radio von einigen abgeschrieben wurde. Das begann schon während meines Praktikums bei Radio Berg vor zehn Jahren. Tatsächlich aber treffe ich noch immer viele Menschen, die Anfang 20 sind und uns gerne hören. Deshalb glaube ich auch nicht, dass das Radio nur ein Medium für Menschen Ü50 ist. Ich bin deshalb davon überzeugt, dass es auch in Zukunft darum gehen wird, das berühmte Kino im Kopf herzustellen – beispielsweise in Form von Reportagen mit viel Atmosphäre und starken Protagonisten, die Emotionen rüberbringen.
"Das einzige, das uns hilft, ist die Relevanz."
Jochen Rausch
Wenn es darum geht, das Radio der Zukunft zu bauen – wie weit ist der WDR, Herr Rausch?
Rausch: Jeder, der Ihnen sagt, wie das Radio in zehn Jahren aussehen wird, ist ein Scharlatan. Das weiß kein Mensch. Wir versuchen deshalb nach wie vor, möglichst gutes Radioprogramm zu machen und gleichzeitig unsere digitalen Möglichkeiten auszubauen. Wenn Sie so wollen, bauen wir im Hintergrund schon das Back-up auf. Die einzig vernünftige Strategie, die man verfolgen kann, besteht darin, die Sensoren dauerhaft einzuschalten – und nicht nur alle fünf oder zehn Jahren, denn dann verpennt man die Entwicklung.
Wie könnte die Entwicklung denn aussehen?
Rausch: Theoretisch ist es in ferner Zukunft möglich, dass das klassische Radio durch ein Talkradio abgelöst wird. Das würde aber bedeuten, dass man nicht mehr so viele Hörerinnen und Hörer hat wie bisher, weil sie sich stärker als jetzt ihre eigenen Programme zusammenstellen – vielleicht sogar auf Basis eines Algorithmus. Größere Beträge würde ich allerdings nicht darauf wetten. Unabhängig davon ist aber das einzige, das uns hilft, die Relevanz. Ich bin skeptisch, dass Radiosender, die auf Inhaltsleere und die neuesten Hits von morgen und übermorgen setzen, überleben werden. Das ist Radio von gestern.
… es gibt auch öffentlich-rechtliche Sender, die Ihrem Publikum täglich die sogenannte "Wetterfarbe" nennen.
Rausch: Ich sage ja nicht, dass alle meiner Meinung sein müssen. Aber wenn man die Dinge ein bisschen visionär betrachtet, dann kann es auf Dauer doch nur über den Inhalt gehen.
Aber wie passt das denn zu dem Trend, dass die Programme harmloser werden und vieles von Beratern zurechtgestutzt wird, nur um möglichst niemandem wehzutun?
Rausch: Das ist ja nicht meine Politik. Das, was Sie ansprechen, ist Radio der 90er. Formatradio ist für mich erledigt.
Auch bei WDR2 tragen viele Sendungen keine Namen mehr. Das ist doch ein Paradebeispiel für Austauschbarkeit.
Rausch: Ich habe bei WDR 2 das "Mittagsmagazin" wieder eingeführt, weil ich nie verstanden habe, warum das überhaupt abgeschafft wurde. Das mag nicht hunderttausende neue Hörer bringen, aber Sendungen wie diese schaffen Orientierung. Ein Radioprogramm zu machen, ist letztlich kein abgeschlossener Prozess. Momentan sind wir zum Beispiel dabei, den Morgen bei WDR 2 zu überarbeiten, indem wir uns die Frage stellen, ob wir das, was wir uns vor ein paar Jahren ausgedacht haben, selbst noch gut finden. Wo liegen Schwächen? Sind wir zu redundant oder gar zu leicht? Ruft unsere Zeit nicht nach einer stärkeren Sachlichkeit? Darauf müssen wir Antworten finden – und manche Sachen auch vorausahnen. Damit wir nicht alle durchdrehen, können wir den Leuten bei all der Überinformation helfen, den Überblick zu bewahren, indem wir das Wichtige vom Unwichtigen, Fakten von Fake News trennen.
Eine große Aufgabe. Herr Danger, um den Bogen zu spannen: Wann betrachten Sie Ihre Aktionen als Erfolg?
Danger: Ich finde, wir sollten uns alle nicht so sehr verrückt machen lassen. Und wenn wir es schaffen, dass ein paar Menschen bei ihrem nächsten Werkstattbesuch ein wenig hellhöriger und aufmerksamer werden, dann haben wir schon viel erreicht.
Herr Rausch, Herr Danger, vielen Dank für das Gespräch.