Herr Walulis, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit dem Fernsehen allgemein und einzelnen Sendungen im Speziellen. Ganz grundsätzlich gefragt: Wie ist es um das deutsche Fernsehen 2020 bestellt?
Philipp Walulis: (lacht) Ich bin sehr hoffnungsvoll. Denn der Trend der Digitalisierung erreicht inzwischen auch die Fernsehschaffenden. Wenn ich mich bei ARD und ZDF umsehe, finde ich immer mehr Serien, die international koproduziert oder an Streaminganbieter verkauft werden. Inhalte werden zuerst in der Mediathek veröffentlicht, auch bei den Privaten. Das ist toll, denn so langsam scheint das Fernsehen mit der Herausforderung Internet klarzukommen.
Und wie sieht’s mit den Inhalten aus?
Vom Gefühl her hat sich im "normalen" linearen Fernsehen nicht viel verändert. Es ist sogar noch ein bisschen lauter und trashiger geworden, weil den Machern plötzlich bewusst wird, dass sie mit Inhalten aus dem Internet konkurrieren. Insofern sehe ich keine inhaltlichen Verbesserungen. Auf der anderen Seite gibt es Sender, die nischige Inhalte ausprobieren, die oft auch anspruchsvoller sind. Diese Inhalte sind aber oft gar nicht primär für das lineare Fernsehen konzipiert. Aber wenn wir nur vom linearen Fernsehen reden würde ich nicht sagen, dass in den letzten Jahren eine intellektuelle Neuausrichtung stattgefunden hat. Es ist lauter und bunter geworden.
Im SWR präsentieren Sie ab sofort das neue Format "Walulis Woche". Wie viel Medienkritik wird es dort geben und wie viel Platz nehmen andere Themen ein?
Wir haben uns überlegt, was "typisch Walulis" ist. Das ist ganz klar die kritische Auseinandersetzung mit Medien jeglicher Art. Deswegen werden wir uns Fernsehsendungen anschauen, aber wir beschäftigen uns auch mit anderen, jungen Medieninhalten. Wir versuchen auch, uns immer in einem großen Block dem zu widmen, was alle Zuschauer betrifft. Die Sendung geht eine halbe Stunde lang, 15 bis 20 Minuten davon soll dieses große Thema einnehmen.
In der Ankündigung zur Sendung heißt es, dass es auch um "perfide Methoden von Konzerngiganten" gehen soll. Sowas wäre dann ein großes Thema?
Unsere Themen haben durchaus eine Medienfärbung, werden aber nicht immer zu 100 Prozent medientypisch sein. Da kann es auch schon mal sein, dass wir uns sogar mit deutschem Bier beschäftigen. Klar, es gibt schon viele Sendungen, die sich den großen gesellschaftlichen Themen widmen. Auch da haben wir überlegt, wie wir uns abheben können. Neben einem Fokus auf Medienthemen ist das der differenzierte Blick auf die Dinge. Ich stelle mich nicht vor die Kamera und predige die ultimative Wahrheit. Wir wollen den Zuschauern nichts vorschreiben, sondern wollen ihnen alle Seiten präsentieren. Bei anderen Sendungen sind die Moderatoren gern mal dauer-empört und pushen eine vermeintlich unfehlbare Meinung. So was schlägt doch aufs Gemüt. Wir wollen, dass sich unsere Zuschauer eine eigene Meinung machen.
Ich stelle mich nicht vor die Kamera und predige die ultimative Wahrheit.
Vorgefertigte Meinungen und ein lautstarkes Kommunizieren eben dieser sorgt vermutlich für mehr Aufmerksamkeit, oder?
Das kann sein. Aber ich habe festgestellt, dass wenn ich eine Diskussion über etwas anregen will, es nicht zielführend ist, den Leuten die eigene Meinung als einzig wahre entgegenzuschreien und dann im Zweifel alle Kritiker ans heilige Twitter-Kreuz der reinen Lehre zu nageln. Da machen die Leute innerlich sofort zu und es kommt kein Gespräch oder Nachdenken zustande. Wir wollen herausfinden, wie unsere Gesellschaft tickt aber auch warum Konzerne bestimmte Sachen machen. Dazu gehen wir erstmal neugierig und neutral ran, nehmen die Zuschauer mit auf die Suche und finden dann im Verlauf unsere Meinung.
Wie aktuell wird "Walulis Woche" produziert? Nach dem Ende von "Walulis sieht fern" hatten Sie ja mal gesagt, dass es bei der Sendung mit der Aktualität etwas schwer war, weil die Herstellung einen Monat lang gedauert hat.
Über die letzten drei Jahren hatten wir die große Ehre, bei Funk Sachen auszuprobieren. Und da haben wir festgestellt: Sieh an, es geht auch schneller (lacht). Deswegen wird die neue Sendung aktuell produziert. Wir zeichnen am Donnerstagnachmittag auf und in der Mediathek ist sie dann noch am selben Abend. Für ARD-Verhältnisse ist das sehr zügig, vermute ich mal. Der SWR zeigt die Folgen dann immer am Sonntagabend. An dem tiefgründigen Thema haben wir natürlich schon Wochen vorher recherchiert, da gibt es einen größeren Vorlauf. Aber im Rest der Sendung greifen wir die Medienereignisse der Woche aktuell auf.
Es gibt dann nun "Walulis Woche", "Walulis Story", "Walulis Daily" und früher eben auch "Walulis sieht fern". Wieso tragen eigentliche alle Formate Ihren Namen im Titel?
(lacht) Ich habe Angst, dass mir jemand die Sendungen wegnimmt und dann selber moderiert. Deshalb schreibe ich überall meinen Namen drauf. Im schlimmsten Fall heißt es dann: Walulis Woche mit Pierre M. Krause. Ich hoffe, dass ich das verhindern kann. Aber Spaß beiseite: Wir haben uns früher viele Gedanken um den Namen gemacht und irgendwann festgestellt, dass es noch viele freie Domains und Twitter-Namen mit "Walulis" gibt. So einen gestörten Namen hat niemand und für unsere Zuschauer ist das so einfacher im Internet zu finden. Zumindest einfacher, als wenn die Sendung "Achtung, Fernseher!" heißen würde. Inzwischen sind wir so ein großes und grandioses Team, das "Walulis" auch für das Team steht und nicht mehr nur für mich als Person.
Bis die ARD-Mediathek einen Algorithmus hat, sind wir alle schon am Klimawandel gestorben.
Neben "Walulis Woche" bleiben auch die anderen Walulis-Kanäle bestehen, künftig existiert alles nebeneinander. Ich frage mich: Wer soll da noch durchsteigen und weiß ein normaler Zuschauer im SWR wirklich, wie sich die Formate unterscheiden?
Auf Youtube haben wir das inzwischen optisch gelöst, da hat jeder Kanal seine eigene Farbe. Außerdem arbeiten wir mit den Zusätzen in den Titeln. Bei "Walulis Daily" bekommt der interessierte Youtube- Connaisseur seine täglichen Nachrichten zu dem Wahnsinn, der gerade online passiert. "Story" ist einmal die Woche und ist tiefgründiger, da gehen wir Sachen auf den Grund. Und "Woche" ist die Zusammenfassung einer Woche und die gibt’s in der Mediathek. Zum Glück hat "Walulis Woche" nicht auch noch einen eigenen Youtube-Kanal, dann wäre es wahrscheinlich wirklich etwas unübersichtlich. Aber ich glaube so haben wir das gut sortiert.
Haben Sie keine Angst, dass Ihnen jetzt mehr Leute reinreden, wo Sie wieder im Fernsehen laufen? Das war damals bei "Walulis sieht fern" ein Kritikpunkt, den Sie mal angebracht hatten.
Das stimmt. Mit "Die Fernseher" war ich ja auch mal kurz im Hauptprogramm zu sehen und habe bemerkt, dass da aus vielen Ecken etwas kam. Jetzt haben wir uns drei Jahre lang zurückgezogen und die Zeit genutzt, um uns einen Streitwagen zu bauen. Der ist gepanzert und mit dem fahren wir jetzt in die ARD-Mediathek. Auf dem Weg dorthin versuchen wir, nicht in einen Hinterhalt von irgendwelchen Fernsehmenschen zu kommen. Wir haben uns mittlerweile aber auch Zaubertränke gebraut und kennen die Gegenmittel, falls wir in ein friendly fire geraten. Insofern bin ich guter Dinge. Auch, weil das lineare Fernsehen bei uns nicht den Ausschlag gibt. Dort laufen wir zwar auch und das freut uns, vielleicht findet ja sogar eine 80-Jährige Gefallen an unseren Themen. Der Hauptfokus liegt aber definitiv auf der Mediathek, deshalb haben wir von den TV-Leuten bislang noch recht wenig gehört. Außer natürlich den Klassiker: Die Sendung darf nur 29 Minuten lang sein. Da sind uns die beschränkenden Formen des linearen Fernsehens wieder bewusst geworden, aber ich glaube damit können wir umgehen.
Haben Sie Angst, dass es zu "friendly fire" kommt?
Die Sendung machen wir in erster Linie für die Zuschauer. Aber natürlich muss man auch wissen, was sich welche Leute in der ARD wünschen. Denn wenn man denen nicht das liefert, was sie in ihren aktuellen Bestrebungen brauchen, kann man die ganze Sache auch sein lassen. Es ist öffentlich-rechtliches Fernsehen und das hat einen gewissen Anspruch. Auf verschiedenen Ebenen. Früher bin ich da total blauäugig reingelaufen. Heute beobachte ich sehr genau, wie sich die Läufer auf dem großen Schachbrett der ARD-internen Kampffelder bewegen. Insofern können wir uns sicherer auf diesem Parkett bewegen.
Was erwarten sich Teile der ARD? Was sind deren Bestrebungen?
Wir haben mit Freude festgestellt, dass die Verantwortlichen in der ARD registriert haben, dass sie mit Hilfe des Internets die verlorengegangenen Zuschauer zwischen KiKa und Musikantenstadl ansprechen können. Dafür braucht man aber spezielle Inhalte und das ist inzwischen angekommen. Wir, aber auch viele andere Formate, sollen diese verlorengegangene Generation ansprechen und zurückholen.
Wie viel ihrer Medienkritik zielt eigentlich auf Private und wie viel auf die Öffentlich-Rechtlichen?
Gute Frage, die Mehrheit zielt auf jeden Fall auf die Privaten. Das ist für sie aber auch ein Lob: Wir thematisieren vor allem die Dinge, die unsere Zielgruppe interessieren. Und es tut mir ja herzlich Leid, aber so ein Geplänkel wie "Rote Rosen" interessiert junge Leute nicht. Sie lehnen es nicht mal ab, sie wissen schlicht und ergreifend einfach nicht, was das ist. Deshalb widmen wir uns verstärkt den Privaten. Es ist nicht so, als gäbe es bei ARD und ZDF nicht auch viel zu kritisieren. Aber solche Inhalte erreichen unsere User oft nicht. Bei Youtube ist der Algorithmus ja durchaus ein mächtiger Faktor. Wenn ich also ein Video mache über "Eisenbahn-Romantik" des SWR, interessiert das kaum User. Der Youtube-Algorithmus sieht, dass das keinen interessiert und rankt das Video schlechter. Und im schlimmsten Fall werden dann auch die nächsten Videos weniger präsent ausgespielt. Das ist interessant, aber auch gleichzeitig beängstigend, weil das konkrete Auswirkungen auf redaktionelle Entscheidungen hat.
Durch die Ausstrahlung im SWR und der Mediathek könnten Sie sich von diesem Zwang ja frei machen. Also Feuer frei für "Rote Rosen" und "Eisenbahn-Romantik" in "Walulis Woche"?
Ja, das ist natürlich sehr erfreulich. Und bis die ARD-Mediathek einen Algorithmus hat, sind wir alle schon am Klimawandel gestorben.
2019 sind Sie mit dem Bert-Donnepp-Preis für Medienpublizistik ausgezeichnet worden. Hat sich dadurch für Sie etwas in Ihrer Arbeit geändert? War das vielleicht auch der Anstoß für die neue Sendung?
So sehr ich mich über den Bert-Donnepp-Preis freue, glaube ich, dass diese Auszeichnung nicht ausschlaggebend für die neue Sendung war. Da war unsere bisherige Arbeit für Funk wichtiger. Dort hat man gesehen, dass das, was wir machen, nicht schlecht ist. Und dass wir innerhalb von recht kurzer Zeit eine gute journalistische, ausgewogene Sendung auf die Beine stellen können. Funk ist da als Plattform sehr dankbar, um sich auszuprobieren und die Dinge erst mal reifen zu lassen. Da hat man noch nicht gleich den ganz großen Druck, perfekt sein zu müssen. Natürlich kann man auch samstags um 20:15 Uhr etwas im Ersten ausprobieren, aber da weht dann eben ein ganz anderer Wind, der schon viele vom Schachbrett gefegt hat.
Herr Walulis, vielen Dank für das Gespräch!
"Walulis Woche" ist ab sofort immer am Donnerstagabend in der ARD-Mediathek zu sehen, der SWR strahlt die Folgen dann sonntags ab 23:20 Uhr aus. "Walulis Story" ist ein Teil von "Walulis Woche" und wird auch immer bei Youtube zu sehen sein.