Herr Schulte-Kellinghaus, der RBB wollte in diesem Jahr zehn Mal mit seinen Zuschauern grillen, dann kam Corona. Was ist daraus geworden? 

Auf das Grillen mussten wir leider verzichten. Aber wir haben auch schon im letzten Jahr insgesamt 20 Grill-Veranstaltungen gemacht, von denen ich bei mindestens zehn auch selbst teilgenommen habe. Das waren vor allem Veranstaltungen in Brandenburg, die das Ziel hatten, mit unseren Zuschauerinnen und Zuschauern ins Gespräch zu kommen.  

Warum haben Sie die Leute nicht einfach ins Funkhaus eingeladen?

Die Geste ist eine andere, weil wir auf die Leute zukommen – und sogar noch Würstchen mitbringen. Gleichzeitig weiß ich, dass die Menschen mir einen noch viel größeren Gefallen tun, weil sie zwei Stunden ihres Lebens dem RBB widmen und mit mir über das Programm diskutieren. Das ist ein hoher Wert, für den ich mich gerne viele Kilometer ins Auto setze.

Was sagen Ihnen die Leute über den RBB? 

Sie sehen ganz viele Veränderungen. Die einen fanden früher alles besser, nur weil es früher war, andere wiederum bestärken uns darin, weiterzumachen, moderner zu werden und neue Erzählformen zu finden. Das ist ein sehr unterschiedliches Echo, in der Regel aber sehr wohlwollend und bestätigend. Das gilt fürs Fernsehen, aber auch fürs Radio. Speziell bei 88.8 oder Fritz haben wir ja große Veränderungen vorgenommen, die sich zu meiner Freude auch ausgezahlt haben. Letztlich sind die Reichweiten bei allen Wellen, die wir verändert haben, nach oben gegangen.

Speziell Fritz nennen Sie gerne als Beispiel, wenn es darum geht, den RBB insgesamt zu verändern. Welche Erkenntnisse liefert Ihnen der Sender?

Fritz ist unser Vorreiter bei der digitalen Transformation. Wenn wir die jungen Leute unter 30 erreichen wollen, können wir das nicht ausschließlich mit einem linearen Radioprogramm machen. Die erfolgreichste Neuerung ist aber lustigerweise eine alte Idee: Seit wir das Känguru wieder hervorgeholt haben, geht der Känguru-YouTube-Kanal förmlich durch die Decke. Dazu kommen viele weitere digitale Produkte, die anderen Regeln folgen. Um das zu stemmen, haben wir die Workflows bei Fritz neu aufgestellt. Von dieser Umstellung erwarte ich mir viel hinsichtlich der digitalen Transformation im gesamten RBB.

RBB-Dachlounge

Die neue RBB-Dachlounge "Studio 14" in Berlin (Foto: RBB/Thomas Ernst)

Wenn Sie den Blick auf das gesamte öffentlich-rechtliche Angebot lenken, wie zufrieden sind Sie mit der Ansprache an das junge Publikum?

Ich bin froh, dass wir funk haben, weil dieses Angebot in sehr unterschiedlichen Genres sehr erfolgreich ist. Das zeigt mir, dass man auch mit öffentlich-rechtlichen Inhalten mit Zielgruppen unter 30 Jahren in Kontakt treten kann. Was uns noch fehlt, ist die Gruppe der 30- bis 50-Jährigen. Hier müssen wir mehr Angebote machen, die näher an ihrer Lebenswirklichkeit sind als das, was wir gerade zeigen. Gleichzeitig ist unser jetziger linearer Erfolg ein Problem: Gerade weil ARD und ZDF noch immer immense Reichweiten im Linearen haben, birgt jede Ressource, die wir umwidmen, die Gefahr, die bisherigen Zuschauer ein Stück weit zu vertreiben. 

Wo wollen Sie ansetzen? 

In der ARD haben wir gerade eine Serien-Offensive für die Mediathek beschlossen und Florian Hager zu deren Channel-Manager gemacht. Nach und nach werden wir das, was wir an klassischen Fernsehfilmen machen, in Eventserien umwandeln, die eigentlich für die Mediathek gedacht sind, aber hoffentlich trotzdem im Fernsehen erfolgreich sind. So etwas stelle ich mir auch für den RBB vor. 

Wie soll das konkret gelingen?

Meine organisatorische Idee sind die Content-Boxen. Das heißt, man arbeitet viel intensiver mit Radio und Fernsehen zusammen – da geht’s nicht um Cross-Promo, sondern um Co-Kreation:, Kreative gemeinsame Entwicklung von Inhalten und Events. Im ersten Schritt haben wir im RBB ein Speed-Dating organisiert, bei dem Redakteurinnen und Redakteure von Fernsehen und Radio zusammenkommen und reihum jeweils fünf Minuten Zeit haben, sich ein gemeinsames Projekt zu überlegen. Dabei sind tolle Ideen entstanden, die wir hoffentlich bald umsetzen werden. Daneben haben wir einen crossmedialen Wettbewerb organisiert, aus dem ein Gesundheits-Format für junge Mädchen entstanden ist. Das macht Fritz zusammen mit dem "Praxis"-Team, das sonst eher auf ein älteres Publikum ausgerichtet ist. Ich hoffe, dass es uns dadurch gelingt, die Kompetenz, die wir im klassischen Fernsehbereich für ältere Zuschauer haben, auch für jüngere Zielgruppen nutzbar zu machen.

Mehr als wahrscheinlich jede andere ARD-Anstalt steht der RBB vor dem Problem, dass sich das Sendegebiet sehr stark in Stadt und Land aufteilt. Wie wollen Sie dieses Dilemma im Programm auflösen?

Ich weiß gar nicht, ob das ein Dilemma ist. Wir im Haus sehen uns als Sender der Gegensätze. Es gibt keine Region in Deutschland, die so widersprüchlich ist – mit einer Weltstadt und dem flachen Land drumherum, mit einer queeren Community und braven Bürgerinnen und Bürgern. Das Zusammenleben funktioniert dank einer Mischung aus Gelassenheit und Humor aber letztlich trotzdem. Davon war unsere Kampagne "Bloß nicht langweilen" inspiriert und deshalb bin ich auch froh, dass Kurt Krömer inzwischen wieder Lust hat, etwas für den RBB zu machen. Wir suchen nach genau solchen Programmmarken, die die Gegensätzlichkeiten zum Ausdruck bringen. Auch unsere Serie "Warten auf'n Bus" passt in diese Strategie: Intellektuelle Überlegenheit an der Endstation. Sowas braucht Entwicklungszeit Diesen Schalter können Sie nicht von heute auf morgen umlegen.

"Ich sehe die steigenden Quoten als Resultat unserer intensiven Corona-Berichterstattung."

Wie zufrieden sind Sie mit "Warten auf'n Bus"?

Bei der Serie schauen wir ebenso wie bei Krömer viel stärker auf die Online-Abrufe als auf die klassische TV-Quote, die ja sehr schwankend irgendwo zwischen drei und acht Prozent lag. Wir machen diese Formate nicht fürs Fernsehen, sondern sehen Sie als Teil der digitalen Transformation. Deshalb freue ich mich auch, dass wir "Warten auf's Bus" im nächsten Jahr fortsetzen werden. 

Wie viel Fiction kann sich der RBB leisten?

Der RBB kann sich im Vergleich zu anderen Landesrundfunkanstalten nicht so viel Fiktion leisten. Deshalb achten wir umso mehr darauf, Leuchtturmproduktion zu schaffen. Ein Beispiel dafür ist der Spielfilm "Die Getriebenen" – ein Projekt, das für Gesprächsstoff sorgte. Das gilt in anderer Weise auch für "Die Heiland", weil hier ganz selbstverständlich die Geschichte einer blinden Anwältin erzählt wird.

Warten auf'n Bus

Felix Kramer und Ronald Zehrfeld in der RBB-Serie "Warten auf'n Bus" (Foto: RBB/Frédéric Batier)

Im Juli war der RBB mit fast sieben Prozent Marktanteil so erfolgreich wie lange nicht. Was lief denn eigentlich besonders gut?

Ich sehe die steigenden Quoten als Resultat unserer intensiven Corona-Berichterstattung. Anders als andere Sender haben wir ganz konsequent insgesamt 80 Spezial-Sendungen gemacht. Als erste Anstalt haben wir außerdem damit begonnen, zusätzliche Kultur-Events ins Fernsehen zu holen. Das ist den Berlinern und Brandenburgern aufgefallen und dadurch ist der RBB eine Adresse geworden, bei der man sich heute vielleicht etwas häufiger umschaut als noch vor einiger Zeit. Nehmen Sie die "Abendschau", die vor wenigen Wochen 45 Prozent Marktanteil erzielt hat. Das gab es noch nie.

Weil Sie gerade die Sondersendungen angesprochen haben: Wieso hat der RBB eigene Spezials produziert und nicht einfach den "Brennpunkt" übernommen?

Die Pandemie und ihr Umgang hat regional ganz unterschiedliche Ausprägungen. Hier zeigt sich die Region der Gegensätze in besonderer Weise: Eine Weltstadt wie Berlin geht mit Corona ganz anders um als ein weites Land wie Brandenburg. Deshalb war es uns wichtig, nicht die bundesweiten Sondersendungen zu übernehmen, sondern diese Extra-Meile zu gehen. Das war eine große Gemeinschaftsanstrengung im RBB, insbesondere aber für alle Reporterinnen und Reporter.

Gleichzeitig sehen wir, dass am Rande einer Demonstration ein RBB-Kameramann bespuckt wird oder Reporterinnen und Reporter beleidigt werden. Wie passt das zusammen?

Ich glaube nicht, dass das ein spezielles RBB-Phänomen ist. Der Kern des Problems liegt in unserer polarisierten Gesellschaft, die immer weiter auseinanderdriftet. Man kann doch aus der Mischung der Menschen, die kürzlich gegen die Corona-Regeln demonstriert haben, kaum auseinanderhalten, ob das nun rechtsschaffende Clubbesitzer waren, die um ihre Existenz bangen, oder um Verschwörungstheoretiker. Genau das macht die ganze Sache auch für die Berichterstattung so schwierig. Am Ende haben wir es vor allemmit einem Problem der sozialen Netzwerke zu tun, weil zunehmend Algorithmen darüber bestimmen, welche Informationen die Menschen erhalten – und das sind oft die Beiträge, die besonders polarisieren und viel Reaktionen auslösen. Da wird nach kommerziellen Kriterien eine demokratische Auseinandersetzung katalysiert. Ein echtes Problem.

Lassen Sie uns aufs Programm zurückkommen, konkret auf die "Abendshow", die nun schon mehrere Neustarts hinter sich hat. Was soll nach der Sommerpause anders werden?

Die "Abendshow" mit Ingmar Stadelmann haben wir wegen Corona etwas früher aus dem Programm genommen, weil sie sich mit ihrer Entwicklung hin zu mehr Stand-Up ohne Publikum schwierig umsetzen ließ. Die Pause haben wir genutzt, um das Format zu überarbeiten und auf dem neuen Sendeplatz am Freitag um 22 Uhr mit 30 Minuten Sendezeit kompakter zu gestalten. Neu ist auch, dass die Sendung aus unserer neuen Dachlounge kommen wird, die im Übrigen keineswegs nur als Studio gedacht ist. Das war mal ein Konferenzraum, den wir umgebaut haben, um dort in Zukunft viel mehr Radio und Fernsehen zu machen. Wir verstehen die Lounge aber auch als Ort, den jeder besuchen kann, um den einmaligen Blick über Berlin genießen zu können.

Gibt es etwas Positives, das Sie aus der Corona-Zeit für den RBB mitnehmen?

Der Wechsel der "Abendshow" ist auch deshalb möglich, weil wir gesehen haben, dass der Kino-Sendeplatz am Donnerstagabend sehr erfolgreich funktioniert und die Zuschauer sogar den französischen Film zu schätzen wissen. Daher wollen wir die tollen Kinolizenzen, die die Degeto für die "Sommerkino"-Reihe erwirbt, verstärkt auch für das RBB Fernsehen nutzen. Ohne Corona hätten wir das vermutlich nicht ausprobiert. Und organisatorisch haben wir ebenfalls jede Menge gelernt. Wir haben das Programm umgestellt in einer Größenordnung, wie wir es noch nie gemacht haben – und das alles vom Homeoffice aus. Bei der Berichterstattung wiederum haben Arbeitsweisen Einzug gehalten, um die man jahrelang gerungen hat. Plötzlich war es durch Corona gar keine Frage mehr, ob man mit dem Smartphone filmen kann. Daraus werden wir für die Zukunft und den digitalen Umbau bestimmt noch viel lernen.

Herr Schulte-Kellinghaus, vielen Dank für das Gespräch.