Ranja Bonalana© Ranja Bonalana
Frau Bonalana, Herr Herbing, was macht eine Synchronisation zu einer guten Synchronisation?

Björn Herbing: Wenn sie das Original so wenig wie möglich verändert, die Intention des Regisseurs also versteht und überträgt.

Ranja Bonalana: Es ist ja nicht unsere Aufgabe, das zu synchronisierende neu zu interpretieren, sondern uneingeschränkt, sinngemäß ins Deutsche zu übertragen.

Und was macht die Nominierten 2020 diesbezüglich preiswürdig?

Bonalana: Es sind alles Produktionen, die mit viel Herzblut bearbeitet und daher von den Firmen oder Auftraggebern eingereicht wurden. Ein Fachpublikum aus rund 450 Mitgliedern des Synchronverbands, des Bundesverband Synchronregie und Dialogbuch e.V. sowie dem Verband angeschlossenen Firmen haben sie dann ausgewählt. Prämiert werden keine Einzelleistungen, sondern jeweils das gesamte Team.

Herbing: Synchronschauspieler*innen arbeiten ja nicht allein, sie werden im Idealfall durch die Synchronregie und das gesamte Team geführt und getragen.

Und für misslungene Synchronisationen?

Björn Herbing© Björn Herbing
Herbing: Gibt es viele Gründe. Es beginnt bei der Übersetzung, geht weiter mit Technik und Mischung, reicht bis zur Auswahl der Schauspieler*innen und Regie und endet noch lange nicht bei Lippensynchronität oder der Auswahl des Studios.

Bonalana: Wenn die Übersetzung schon misslungen ist, hat es die Synchronisation jedenfalls von Anfang an schwer. Eine schlechte Recherche, das zeigt sich gerade im Amerikanischen, wo es ungeheuer viele, sehr abstrakte Begrifflichkeiten gibt, verfälscht sofort den Inhalt.

Bei einer der nominierten Animationsserien 2020 – den "Simpsons" – füllt falsch übersetzter Wortwitz ganze Kommentarspalten…

Bonalana: Das stimmt, aber vorweg: Witze eins zu eins lippensynchron zu übertragen, ist unter allen Übersetzungen mit Abstand am schwierigsten. Wobei der Zeichentrickbereich nochmals speziell ist.

Herbing: Aber gerade den "Simpsons" merkt man an, dass sie seit 30 Jahren synchronisiert werden. Eine lange Zeit, in der sich die Branche – vor allem technisch, aber auch redaktionell – weiterentwickelt hat. Da kann die Synchronisation das Original sogar verbessern.

Bonalana: Und weil mittlerweile immer mehr Serien immer schneller gedreht werden, treten inhaltliche Fehler auf, die wir gegebenenfalls entdecken und korrigieren, also verbessern.

Wobei Original und Synchronisation dabei gleichermaßen mit einem Mangel der beiden Hauptressourcen guter Arbeit zu kämpfen haben.

Bonalana: Zeit und Geld.

Herbing: Wenn man von ersterem zu wenig hat, braucht man von letzterem mehr und umgekehrt. Das gilt aber für die Filmbranche insgesamt.

Verschärft die aktuelle Corona-Krise diesen Mangel noch?

Herbing: Bis auf die Tatsache, dass wir vier Wochen komplett geschlossen haben, um Mitarbeiter zu schützen, und Studios coronasicher umzubauen, hat sich da nicht viel geändert. Aber die Krise hat auch die wahnwitzige Idee hervorgebracht, Synchronisationen künftig im häuslichen Umfeld der Synchronschauspieler*innen erledigen zu lassen.

Homeoffice-Synchronisation?!

Herbing: Ein paar Markteilnehmer, vor allem die, die keine eigene Studios haben, sehen darin eine Chance, die wir als Verband energisch ablehnen. Da gab es die seltsamsten Ansätze, professionell ausgestattete und gedämmte Studios zu umgehen. Lustige Tipps wie Raumdämmung mit der Bettdecke über dem Schreibtisch und ein Bücherregal im Rücken machen zum Beispiel die Runde.

Bonalana: Das geht gar nicht! Schon, weil man zuhause nicht mit Regie, Schnitt, Tontechnik im Team spielt. Synchronisation ist ja nicht Texte ablesen, sondern körperliche Arbeit.

Aber können die Synchronstudios mit ihrer Möglichkeit zur räumlichen Trennung nicht auch Altlasten abarbeiten? Über Monate hinweg wurde weltweit ja kaum was gedreht…

Herbing: Von wichtigen Drehplätzen wie den USA kommt da in der Tat gerade wenig nach. Schon durch die Maßnahme, zwischen den Wechseln der Sprechenden zu lüften, nehmen wir uns aber mehr Zeit als vor der Krise. Bis vor kurzem gab es zum Beispiel häufiger Ensemble-Tage, an denen wir – bei Schlachtengetümmel etwa – mehrere Stimmen zugleich aufnehmen; das fällt jetzt erstmal weg. Wenn sowas jetzt isoliert synchronisiert wird, können wir uns natürlich besser auf Einzelne konzentrieren.

Bonalana: Mit dem Nachteil, dass ohne Teamwork viel an Dynamik und Spontaneität verloren geht.

Herbing: Dieses gegenseitige Befruchten fehlt. Und wenn im Herbst die Nachfrage – was wir alle hoffen – steigt, könnte die Qualität durch den Zeitdruck leiden. Schon jetzt ist der Druck durch die zeitgleiche Veröffentlichung aller Folgen einer Serienstaffel bei Streamingdiensten enorm und dürfte spätestens weiterwachsen, wenn die Kinos endlich wieder öffnen.

Bonalana: Wobei das Kino der Synchronisation weit größere Ressourcen bietet als das Fernsehen. Schon die Übersetzungsprozesse sind länger. Und wenn wir ins Atelier gehen, ist die Take-Zahl pro Stunde deutlich geringer, das fördert definitiv die Qualität.

Wobei sich daran in Film und Fernsehen die Geister scheiden. Mehrere Sprachforscher haben kürzlich in der "Zeit" moniert, nach der Synchronisation festigen kernige Männer- und kindliche Frauenstimmen alte Rollenklischees…

Herbing: Die Sicht kann ich für unsere Synchronisationen nicht teilen. Bei den Männern suche ich zum Beispiel händeringend deutsche Stimmen, die dem amerikanischen Original an Kernigkeit nahekommen. Und nehmen Sie den nominierten Film "Bohemian Rhapsody", dessen Hauptdarsteller ständig zwischen übersetztem Text und originalem Gesang wechselt; das ist in diesem Falle sehr gut gelungen.

Gilt das auch für die Vielzahl sexualisierter Frauenstimmen, die aus Sicht der Linguistin Susanne Günther ein "binäres Geschlechterbild vom kraftvollen Mannsbild und schutzbedürftigen Weibchen" inszenieren?

Bonalana: Auch eine Sprecherin versucht, den Duktus der Originalvorlage zu treffen. Bei der Synchronisation geht es außerdem nicht nur um Stimme; die Menschen dahinter müssen auch spielen können. Und weil die Atmosphäre am Set fehlt, brauchen da selbst gestandene Profis großes Abstraktionsvermögen.

Ist fehlende Haptik das Grundproblem guter Synchronisation?

Bonalana: Eher Grundvoraussetzung. Gute Sprecher brauchen die Set-Umgebung nicht, um gute Arbeit zu leisten – wobei viele in unserer Branche, wie ich selbst, beides sind. Sprecherin und Schauspielerin.

Herbing: Auch da ist wieder der Faktor Zeit und Geld von Bedeutung. Je weniger davon zur Verfügung steht, desto weniger kann man sich in die Figur einarbeiten. Genau dort setzt sich aber auch wieder die Qualität der Akteure durch.

Bonalana: Wie in jedem Job gibt es Begabte und weniger Begabte, aber auch da gilt: Routine macht den Meister. Deshalb haben Synchronsprecher Originalschauspielern oft was voraus.

Gibt es einen Standesdünkel zwischen Schauspielerin und Synchronsprechern?

Bonalana: Lange Zeit herrschte unter einigen Schauspielern schon die Sicht, Synchronsprecher hätten es vor der Kamera nicht geschafft.

Herbing: Wenn man sich aber die Hingabe ansieht, mit der Anke Engelke seit Jahren Marge Simpson spricht und das als wichtigen Teilaspekt ihres Hauptberufes betrachtet, löst sich der Dünkel auf.

Bonalana: Er hat sich ja schon deshalb gewandelt, weil die Gagen so in den Keller gerutscht sind, dass viele Schauspieler gezwungen sind, zu synchronisieren. Darüber hinaus hat Dünkel viel mit Unkenntnis zu tun. Wir erleben es immer wieder, dass die größten Kritiker nie in einem Synchronstudio waren.

Herbing: Da können wir alle nur einladen, uns über die Schulter zu schauen. Wir bieten als Synchronverband auch Seminare für die Abschlussklassen der Schauspielschulen an, die sehr gut angenommen werden – schon, weil viele Absolventen später durch internationale Koproduktionen in die Situation kommen können, sich selbst zu synchronisieren. Darüber hinaus ist das ein gutes Training für die Aussprache.

Dem großen Nuschler Til Schweiger täte ein Synchronseminar also gut?

Bonalana: Unbedingt!

Wie sehen Profis die dritte Sprecher-Gruppe: Popstars, die etwa animierte Blockbuster synchronisieren?

Herbing: Ich sehe es kritisch, weil so der Eindruck erweckt wird, im Grunde könne das jeder. Als Marketingeffekt werden besonders Youtuber beliebter, und es gibt einige, die das mit viel Coaching auch hinbekommen, aber einige eben nicht. Da würden wir uns wünschen, dass die Qualität wieder Vorrang vor Marketingentscheidungen bekommt.

Bonalana: Die Branche ist da gespalten. Wir hatten Rennfahrer oder Schwimmweltmeisterinnen, die bei Betonung und Timing nicht die geringste Ahnung, geschweige denn Ausbildung mitbringen. Das merken übrigens nicht nur Fachleute, sondern viele im Publikum.

Wie schauen Sie selber Serien und Filme – synchronisiert oder Original mit Untertiteln?

Bonalana: Untertitel mag ich gar nicht. Die häufige Kritik an unserer Arbeit, sie würde das Original beeinträchtigen, gilt dabei ja doppelt, weil man sich vor lauter Lesen vom Original entfernt. Als Muttersprachlerin habe ich zwar den Vorteil, Englisch im Original sehen zu können, aber bei all den Produktionen anderer Sprachkreise bevorzuge ich die Synchronfassung.

Herbing: Ich schaue schon aus beruflichem Interesse immer synchronisiert. Weil ich dazulernen möchte, aber auch, weil es für mich entspannter ist – wenn es denn gut gemacht wurde.

Falls mein halbes Umfeld nicht aus Coolness-Gründen lügt, sehen Menschen unter 55 nur Originale. Meinen Sie, die Synchronisation stirbt buchstäblich bald aus?

Herbing: Ein Gegenbeispiel sind Streaming-Anbieter, die in der Regel erst mit dem Original einer Serie on air gehen. Wenn vier Wochen später die deutsche Fassung kommt, schnellt die Zahl der Zugriffe oft um 90 Prozent hoch. Vielleicht ist der Eindruck mit dem Coolness-Faktor nicht ganz falsch.

Bonalana: Und es kommt auch aufs Original an. Bei einer US-Serie aus den Südstaaten verstehe selbst ich nur jedes dritte Wort. Und eine Studie aus der Schweiz besagt, dass ein Großteil der Bevölkerung gar nicht in der Lage ist, so schnell mitzulesen, dass sie alles verstehen. Synchronisation wird also nicht aussterben, sie muss aber hochwertig bleiben. Dazu möchten wir auch mit der Verleihung des Synchronisationspreis beitragen.

Ranja Bonalana sammelt mit elf erste Erfahrung als Lachdouble ihres Bruders in "Ich heirate eine Familie", wird aber zunächst Schauspielerin. Die Berlinerin engagiert sich im Sprecherverband "Die Gilde" und organisiert seit 2019 den Deutschen Synchronpreis.

Björn Herbing begann 1989 als Synchroncutter, bevor er 1996 als Produktionsleiter tätig wurde und seit 2004 Geschäftsführer der Arena Synchron GmbH ist. 2011 gründete er den Synchronverband mit, dessen Vorstandsmitglied er seit vorigem Jahr ist.

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