Herr Pflüger, ist das jetzt der richtige Zeitpunkt schon wieder wie gewohnt auf die nächste TV-Saison zu blicken?
Es ist der perfekte Zeitpunkt – angelehnt an das Datum, zu dem eigentlich in Köln die Screenforce Days stattgefunden hätten. Einerseits spät genug um vorstellen zu können, was wir bereits alles in Vorbereitung haben und dann wiederum früh genug für die Werbekunden, um Sat.1 in den Planungen für die kommende Saison zu berücksichtigen. So setzt uns dieser Termin immer eine ganz gute Deadline für programmliche Entscheidungen (lacht).
Das gilt natürlich jedes Jahr. Ich bezog es jetzt auf die Corona-Krise und ihre Auswirkungen.
Die Corona-Krise hat unsere gesamte Branche – weltweit – vor große Herausforderungen gestellt. Und das tut sie noch immer. Aber der Lockdown von Mitte März bis Mitte Mai kam für uns bei Sat.1 zu einem Zeitpunkt, zu dem zum Glück ein Großteil unserer Programme für das Frühjahr bereits produziert oder sogar schon angelaufen waren. Natürlich gab es auch bei uns Drehstopps und wir mussten einige Produktionen schieben. Und jedes Mal, wenn mich Rainer Laux anrief, befürchtete ich, wir müssen „Big Brother“ stoppen. Ich möchte all unseren Produzentinnen und Produzenten noch mal ein großes Kompliment aussprechen für die Arbeit unter diesen Bedingungen. Wir haben als Branche in den vergangenen Monaten wirklich sehr gut zusammen funktioniert. Egal ob bei einem starken „The Voice Kids“-Finale oder auch bei „Luke! Die Schule und ich!“, wo kurzerhand das Konzept geändert wurde, weil wir nicht nur ohne Publikum, sondern natürlich auch ohne Schulkinder produzieren mussten. Und die Änderungen sind aufgegangen! Oder auch wie die Kollegen von Filmpool, die mit großer Leidenschaft Wege für die schnellstmögliche Wiederaufnahme unserer Scripted-Drehs für den Nachmittag gesucht und gefunden haben. Und das sind nur drei Beispiele, es gibt viele mehr. Und dann konnten wir in den letzten Wochen zum Glück trotz Corona gut vorbereiten, was wir nach den Sommerferien zeigen wollen, wenn die Reichweiten wieder steigen. Wir können mit all unseren Erfolgsformaten mit jeweils frischen Staffeln zurückkommen. Aber nicht nur das: Wir haben darüber hinaus ein schönes Paket mit neuen Ideen geschnürt – von der Reality-Show übers Quiz bis zum Doku-Experiment. Wir sind für den Herbst also richtig gut aufgestellt.
Aber wie viel Programmoffensive können Sie sich erlauben, wenn die Werbeblöcke der vergangenen Wochen und auch heute noch kürzer sind als normal, weil weniger Kunden Werbung buchen?
Wir sind als Medienunternehmen ja in zwei Märkten unterwegs: dem Publikumsmarkt und dem Werbemarkt. Wir sehen, dass viele unserer Programme im Publikumsmarkt in der Corona-Krise sehr gefragt waren und sind. Der Werbemarkt ist im Moment zurückhaltend, das ist richtig, aber gerade deshalb müssen wir die vorhandene Stärke im Zuschauermarkt ausbauen. Und ganz ehrlich: Wir erklären ja auch unseren Werbekunden, warum es Sinn macht, in der Krise weiter zu investieren. Also tun wir das auch und gehen mit gutem Beispiel voran. Als börsennotierter Konzern natürlich mit Maß, aber wir warten nicht.
Sie wollen ohne Programmeinsparungen durchs Jahr gehen?
Wir müssen als Wirtschaftsunternehmen natürlich auch jeden Cent hinterfragen und Einsparungen treffen. Aber eben so gut es geht nicht in den reichweitenstärksten Zeitzonen, dem Vorabend und der Primetime. Unser Ziel ist es, dass weder unsere Zuschauer noch unsere Kunden die Sparmaßnahmen spüren werden.
Dann werfen wir den Blick voraus. Welche Programme sind im zweiten Halbjahr geplant? Können Sie der Versuchung widerstehen „Promis unter Palmen“ wie „The Masked Singer“ bei ProSieben gleich im Herbst nochmal zu machen?
„Promis unter Palmen“ kommt im Frühling 2021 zurück und wir freuen uns sehr darauf. Mit diesem Format aus dem Stand so einen Erfolg zu haben, war ein wichtiges Zeichen in den Markt: Auch bei uns ist alles möglich, Sat.1 kann große Überraschungserfolge.
Im Verlauf der Staffel wurde aber die berechtigte Kritik lauter, dass hier Mobbing eine Plattform geboten wurde. Haben Sie den Bogen überspannt? Wenn so ein Verhalten am Ende noch mit dem Preisgeld belohnt wird?
Wir setzen bei Formaten mit Reality-Profis sicherlich etwas andere Maßstäbe. Seien wir ehrlich, hier ist die Selbstinszenierung ja Teil des Jobprofils. Aber natürlich hatten wir auch hier vor Ort allen nötigen psychologischen Support. Trotzdem: Wir hätten das Geschehen in der Postproduktion sicherlich noch expliziter einordnen können. Erschwerend kam dann für manche Kritiker hinzu, dass der Gewinner nicht durch das Publikum bestimmt wurde. Sicherlich lernt man bei jedem neue Format auch schon für die Produktion einer möglichen nächsten Staffel und wir werden uns nochmal anschauen, ob und wo wir etwas verändern an der Mechanik von Spielen und Entscheidungen. Die Vorbereitungen für „Promis und Palmen“ und die Postproduktion, also der nötige Feinschliff, brauchen aber Zeit. Das wäre bis Herbst unter den aktuellen Bedingungen schwierig und auch gar nicht nötig: Wir haben ja mit „Promi Big Brother“ im August unser Reality-Flaggschiff, das für uns weiterhin der Startschuss in die neue Saison ist. In diesem Jahr aber mit einer Neuerung: Wir machen erstmals drei Wochen „Promi Big Brother“, weil wir gemerkt haben, dass sich in der zweiten Woche viele Beziehungen und Geschichten erst so richtig zu entfalten beginnen – und das wollen wir länger begleiten.
Stichwort „Big Brother“. Wie fällt die Bilanz am Vorabend aus? Hat die Erwartungen nicht erfüllt, oder?
Das ist richtig. Es hat nicht den gewünschten Effekt gehabt und bei einem Format dieser Größe reicht es nicht, dass wir digital so erfolgreich waren. Es gab ein beachtliches Interesse für den Auftakt und auch eine sehr treue, aber leider eben zu kleine Fangemeinde, die dranblieb. Letztendlich muss man vielleicht die Frage stellen, ob eine sich täglich entfaltende Realityshow noch zeitgemäß ist. Es lag sicher nicht an der Qualität der Produktion. Aber die Dichte von Drama und echten menschlichen Geschichten ist dann heute auf Social Media so viel größer, dass die Beobachtung von „normalen“ Menschen als Format nicht mehr so außergewöhnlich ist. Da braucht es mehr. Aber das Genre Reality an sich ist populärer denn je.
Deswegen halten Sie an Reality weiter fest, entnehme ich der Aussage?
Ja. Der Deutsche Fernsehpreis berücksichtigt dieses Genre ja zu Recht auch endlich mit einer eigenen Kategorie. Weil die Reality ohne Frage eines der großen Genres der letzten Jahre ist. Deshalb legen wir nach. Wir haben jetzt die Situation, die ich mir immer gewünscht habe. Mit „Promis unter Palmen“ und „Promi Big Brother“ je ein großes Format pro Halbjahr on Air. Im Herbst wollen wir den Charakteren auch Bühnen abseits des klassischen Reality-TV-Settings bieten und freuen uns auf eine Rückkehr des „Promi Boxen“, die große Deeskalationsshow für noch ausstehende Konflikte, die von Angesicht zu Angesicht mit den Fäusten geklärt werden müssen. Das wird ein großes Live-Event.
Ist genug Budget drin für den Kampf Desiree Nick gegen Claudia Obert?
(lacht) Wir sind mit allen in Gesprächen. Neu im Herbst kommen dazu „Die Festspiele der Realitystars – Wer ist die hellste Kerze?“, in denen alle Stars und Sternchen bei kniffligen Denkspielen beweisen dürfen, dass mehr in ihnen steckt. Moderiert vom fantastischen Duo Jochen Schropp und Olivia Jones. Die Stars der Reality-Formate sind so beliebt, weil sie unterhalten, sich auch mal wagemutig überschätzen und gerade das eigene Scheitern oft auch mit Humor nehmen. Das wird eine pralle, lustige Show. Mit dem „Promi Boxen“ und „Die Festspiele der Realitystars“ wollen wir das Genre für Sat.1 weiter ausbauen.
Jetzt sprachen wir eben über den Vorabend. Dort ist jetzt ja nach „Big Brother“ wieder die Frage: Wie soll der dauerhaft aussehen bei Sat.1?
Die Neuauflage von „K11“ und die neue Crime-Serie „Richter & Sindera“ haben schon sehr ordentliches Wachstum am Vorabend verzeichnen können. Wir drehen von beiden Formaten neue lange Staffeln für den Herbst. Da wurden wir von der Corona-Krise in der Produktion unterbrochen, deswegen waren beide Formate jetzt auch nur so kurz on air. Aber wir wollen auch am Genre Light Entertainment für den Vorabend festhalten und haben uns das internationale Quiz-Format „5 Gold Rings“ gesichert, eine optisch sehr opulente Quizshow, mit einem wirklich neuen und anderen Spielprinzip. Da gehen wir in Kürze in die Produktionsvorbereitungen. Und wir sind noch an einem weiteren Quiz-Format dran.
Und wie siehts über den Vorabend hinaus aus? Womit wollen Sie in den kommenden Monaten bzw. Zweiten Halbjahr punkten?
Wie eingangs schon erwähnt, bin ich sehr glücklich, dass wir alle unsere bekannten Erfolgsformate diesen Herbst wiederbringen können. Es wird ein Wiedersehen geben mit „Bitte melde dich“ und „Das große Backen“ am Sonntagvorabend. „The Voice of Germany“ kommt in der Jubliläumsstaffel mit noch mehr Folgen und tollen Überraschungen, „The Taste“ mit Angelina Kirsch als neuer Moderatorin und Alex Kumptner als neuem Spitzenkoch am Jurypult. Bei „Hochzeit auf den ersten Blick“, einem Format, das von Staffel zu Staffel mehr glückliche Paare hervorgebracht hat, gehen wir in diesem Jahr sogar den großen Schritt in die Primetime. Um diesen Aufschlag groß zu zelebrieren, starten wir die neue Staffel zum allerersten Mal mit einer Live-Hochzeit. Ja, wir verheiraten tatsächlich zwei Menschen, die sich vorher noch nie gesehen haben, live zur besten Sendezeit. Und so wie „Hochzeit auf den ersten Blick“ eine laute Prämisse hat, aber letztlich sehr emotional und authentisch erzählt ist, wird es auch bei unserem neuen Experiment „Mütter machen Porno“ sein. Ein Projekt, dass mir sehr am Herzen liegt, weil es den Blick auf das Thema der Sexualisierung lenkt und wie man damit verantwortungsvoll umgeht. Fünf Mütter begeben sich auf eine ungewöhnliche Aufklärungsmission und finden heraus, was Sex für Jugendliche heute bedeutet, was da schief läuft angesichts überall und immer verfügbarem pornografischen Materials und was man tun kann, um falschen Erwartungen und Bildern entgegenzuwirken.
Die vergangenen Wochen waren auch geprägt von hohem Informationsbedürfnis. Sie wollten letztes Jahr die „Akte“ in-house holen und als Marke für Information ausbauen. Da ist bislang aber nicht viel draus geworden…
Mit den Kolleginnen und Kollegen von MAZ & More und Welt haben wir unsere News- und Sonderberichterstattung stark ausgeweitet, sowohl morgens mit einem verlängerten „Sat.1 Frühstücksfernsehen“ als auch abends mit zahlreichen Sondersendungen, Newsflashes und punktuell verlängerten Nachrichten. Mit den Kollegen von Axel Springer haben wir über Wochen ein „Bild Corona Spezial“ gezeigt und so auf deren starkes Reporter-Netzwerk in Deutschland zurückgreifen können. Das war thematisch fokussiert eine sinnvolle Zusammenarbeit, wir sind auch in guten Gesprächen über weitere Möglichkeiten. Und zur „Akte“: Ist die Sendung von der Kraft der Marke und der Quantität und Qualität des Programms schon da, wo wir hinwollen? Nein. Ist das eine echte Herkules-Arbeit? Ja! Bis man so aufgestellt und eingespielt ist, dass wir nicht nur das regelmäßige Magazin, sondern darüber hinaus auch Sondersendungen stemmen können, dauert es einfach länger, als ich gehofft hatte. Aber: Bei unserem letzten Gespräch sagte ich, dass ich die „Akte“ als unsere „Brennpunkt“-Marke sehe und gerade gestern haben wir das jetzt zum ersten Mal umgesetzt.
Wie sieht es bei der Comedy aus?
Hier sind wir in vielen Entwicklungen, da stehen Corona-bedingt noch ein paar Entscheidungen aus. Bei der Comedy ist für mich die Entscheidung, mit oder ohne Publikum zu produzieren, einfach schwieriger als bei großen Show-Formaten. Die unmittelbare Resonanz des Publikums ist ja schon ein wichtiger Faktor für Comedy. Wir freuen uns im Herbst aber auf jeden Fall auf das Comeback der „Greatnightshow“ mit Luke Mockridge, in der er sich von all seinen Seiten zeigen kann. Die erste Staffel hat uns schon viel Freude gemacht, aber wir haben alle zusammen überlegt, was wir in der zweiten Staffel noch besser machen können. Und so wird die „Greatnightshow“ zwar diese wunderbare große Wundertüte bleiben, aber wir werden dem Publikum jede Woche ein Motto geben, damit der Rahmen klarer ist. So wird es im Herbst dann acht verschiedene Shows geben. Da ist ein Städteduell dabei, die erste klimaneutrale Show, aber auch das Casting einer neuen Boy Band innerhalb nur eines Abends.
Wie steht es denn um die deutsche Fiction bei Sat.1? Darüber sollten wir noch sprechen…
Wir sind bei einigen Produktionen durch die Corona-Krise unterbrochen worden. Unsere neue Serie „Du sollst nicht lügen“, die Adaption des Serienformats „Liar“, war fast abgedreht, als Corona-bedingt pausiert werden musste. Aber das können wir zeitnah fertigstellen und je nach Timing könnte die Serie dann noch 2020 starten. „Blackout“, unsere Event-Miniserie mit Joyn, ist in der Pre-Production, hier finalisieren wir gerade den Cast. Was uns hier aber viel struktureller als die Corona-Pandemie vor anhaltende Herausforderungen stellt – und darüber haben wir letztes Jahr schon gesprochen: Welche Stoffe werden bei linearen Sendern noch gesucht und geschaut? Es gab in der vergangenen Season bei vielen deutschen Sendern so viele tolle Programme, die viel zu wenige Menschen erreicht haben. Woran liegt das? Es geht hier meiner Ansicht nach nicht nur um zu wenig Kontinuität in den Slots. Wir stehen da alle gemeinsam vor einer Herausforderung. Sender, wie Produzenten und Kreative – wir wollen doch alle auch mit Fiction ein großes, breites Publikum erreichen. Wie kriege ich mein Publikum, wie kann ich Zuschauer zurückgewinnen? Wie machen wir auf herausragende fiktionale Programme aufmerksam? Aber vor allem: Welche Geschichten müssen wir dafür erzählen? Diese elementare Diskussion müssen wir als Branche noch schonungsloser fortführen.
Herr Pflüger, herzlichen Dank für das Gespräch.