Herr Rosemann, vergangene Woche hat ProSieben die Verpflichtung von Jenke von Wilmsdorff bestätigt. Was wollen Sie miteinander machen?
Das was wir beide am liebsten machen: spannendes, gutes Fernsehen.
Ja ja, schön gesagt. Aber was genau wollen Sie jetzt miteinander machen?
Wir haben Jenke von Wilmsdorff nicht zu ProSieben geholt, damit er dann etwas macht, was wir uns ausgedacht haben. Das passt nicht zu unserer Arbeitsweise. Und das passt nicht zu ihm und zu dem Genre, in dem Jenke für uns aktiv sein soll. Jenke von Wilmsdorff soll keine Formate bei ProSieben füllen. Er wird mit seiner besonderen Art Themen finden - und je nach Recherche wird daraus die Form ergeben. Jenke wird sicher wieder Experimente machen, aber wir sprechen auch über Reportage oder Talk. Es werden viele Primetime-Abende mit ihm. Er bekommt viel mehr Sendezeit als er es zuletzt hatte. Im Herbst geht es los.
Wie kommt solch ein Senderwechsel zustande?
Als Fan von dem, was Jenke schon seit Jahren macht, bin ich auf ihn zugegangen. Wir haben darüber gesprochen, was wir voneinander erwarten würden und dabei haben wir viele Gemeinsamkeiten ausgemacht. Wir erhöhen seit einiger Zeit die Relevanz von ProSieben, setzen mit Recherchen und Reportagen Themen für Deutschland. Wir haben dafür gut etablierte Magazine, Spezials in der Primetime und einen unglaublich tollen Thilo Mischke mit seinen Reportage-Filmen. Das Genre bindet viel Arbeit, wenn man sich in ein Thema vertieft. Da hilft es, wenn man das Genre auf mehreren Schultern verteilen kann. Jenke wiederum wollte auch mehr. Mehr Platz, mehr Sichtbarkeit und mehr Raum für seine Ideen. Das ist ein sehr persönlicher Deal für mich und ich bin echt happy darüber.
Wir sprachen zuletzt, bevor die Corona-Krise so richtig in Deutschland ankam. Seitdem gab es viele Herausforderungen, für Sie natürlich in Bezug auf Ihr Programm. Welches Projekt hat Sie die meisten Nerven gekostet?
Das war ehrlich gesagt mal das Projekt „Papa ist jetzt zuhause und braucht dauerhaft einen Tisch zum Arbeiten und ist dann den ganzen Tag in Video-Calls.“ Das hat mich und meine Familie manchmal wirklich an die Grenzen gebracht. Aber das meinen Sie vermutlich nicht. (lacht) „The Masked Singer“ hat sicher so sehr mit unseren Nerven gespielt wie keine andere Produktion. Das ist eine der größten Live-Show von ProSieben, für die die Protagonisten jede Woche wieder anreisen. Und dann werden quasi alle Flüge gestrichen, Hotels geschlossen und Kontaktverbote eingeführt. Da wird einem bewusst: Das Schicksal dieser Sendung hängt am seidenen Faden. Aber wir hatten die feste Überzeugung: So lange es irgendwie machbar ist, ist diese Unterhaltung wichtig, weil sie so vielen Menschen Ablenkung verspricht.
Und dann kamen die Corona-Fälle im Team….
Ja, dann kam irgendwann der Anruf: Wir haben einen Corona-Fall in der Produktion. Da zerplatzt dann erstmal alles. Zur Pause der Show gab es keine Alternative. Und dann begann die intensive Planung diverser Szenarien, wie wir wieder einsteigen können. An der Stelle vielleicht eine kleine Anekdote: Am Tag der Rückkehr von „The Masked Singer“ waren alle wieder genesen und fühlten sich gut, aber von einem Erkrankten fehlte noch das Ergebnis des sogenannten Negativ-Tests, den er brauchte, um wieder bei uns auf das Team zu treffen. Er ist trotzdem losgefahren nach Köln, obwohl klar war: Wenn wir das Ergebnis nicht haben, kann er nicht auftreten. Auf der Autofahrt nach Köln kam dann der Anruf und die Entwarnung: Alles gut. Das war aber weniger als drei Stunden vor Showstart.
"Der 'Free ESC' wird nächstes Jahr größer und internationaler."
Daniel Rosemann
So, und mit Verlaub, wie bekloppt muss man drauf sein, um in genau dieser Situation auf die Idee zu kommen, im Mai einen „Free ESC“ zu veranstalten?
(lacht) Dem kann ich nichts hinzufügen. Nun, Stefan hatte die Idee, ist natürlich nicht blauäugig bei so einem Projekt und steckt ohnehin alles rein, um so ein Herzensprojekt dann sicher auf die Bühne zu bringen. Aber ja, es gab natürlich das Gespräch, bei dem man sich irgendwann fragte, ob wir eigentlich verrückt sind, so etwas durchzuziehen. Aber es hat uns sehr geholfen, dass ProSieben und Raab TV ja doch schon die ein oder andere große Show gemeinsam realisiert haben und dass man daher weiß, dass man sich sehr gut aufeinander verlassen kann.
Und der „Free ESC“ wird 2021 fortgeführt?
Ja, definitiv. Dieses Jahr war der „Free ESC“ ein sehr großer Erfolg. Es wird einen „Free ESC 2021“ geben. Aber wir werden dann nicht am Abend des Eurovision Song Contest in Konkurrenz laufen. Unsere Absicht war nicht in Konkurrenz zu treten mit dem ehrwürdigen ESC. Wir wollten eine Alternative bieten, da der ESC abgesagt war. Der „Free ESC“ wird nächstes Jahr größer und internationaler. Es haben sich schon ein paar Sender gemeldet, die mitmachen wollen. Und wir werden 2021 natürlich bei den Beiträgen der Länder internationaler sein können, als das mit den Reisebeschränkungen der Corona-Zeit möglich war.
Jetzt ist der „Free ESC 2021“ ja noch ein bisschen hin. Was hat ProSieben denn erstmal in den kommenden Monaten vor?
Wir werden unseren Zuschauern und Kunden in der zweiten Jahreshälfte eine pralle Primetime bieten. Da wollen wir den guten Trend des ersten Halbjahres fortsetzen, wo wir im April sogar Marktführer in der Primetime waren. Zeitnah freuen wir uns Mitte Juli am Montagabend auf den Start von „Die! Herz! Schlag! Show!“ mit Steven Gätjen. Wir gehen damit auf den Montag, weil wir wissen wollen, wie Shows am Montag bei uns laufen. Dass „Big Bang Theory“ am Montagabend Federn lässt, sieht man ja. Der Dienstagabend wird im Herbst quasi seinen zweiten Frühling erleben: Wir kommen mit einer neuen Staffel von „The Masked Singer“ live - und nach allem was sich jetzt sagen lässt auch wieder mit Publikum. Und wir haben neue Folgen von „Joko und Klaas gegen ProSieben“ im Angebot. Aber schon ab 21. Juli startet mit „Wer sieht das denn?!“ eine ganz neue Show. Ruth Moschner moderiert zum ersten Mal eine eigene Show auf ProSieben. Zwei prominente Rateteams sehen außergewöhnliche Showacts und müssen sich danach gut genug an alle Details erinnern können. Sie müssen Fragen zu den Acts beantworten: ‚Wie viele Saltos hat der Artist am Trapez gemacht?‘ ‚Welche Farbe hatten die Streifen auf der Hose der Sängerin?‘ Wir verbinden in der Show große Performances und Quizshow-Elemente.
Ist das eine Eigenentwicklung oder Adaption?
Das ist die erste internationale Adaption des kanadischen Showformats „Watch!“ vom kanadischen Distributor Media Ranch. Talpa Germany produziert für uns.
Wie sehen die nächsten Monate am Donnerstagabend aus?
Nach „The Beauty and the Nerd“ werden wir eine kleine Show-Sommerpause mit der Rückkehr von „Die Besten“ einlegen. Irgendwo muss man die ausfallende EM, die ausfallenden Olympischen Spiele und die Corona-Krise ja spüren. Bevor im Herbst die Jubiläumsstaffel von „The Voice of Germany“ mit vielen Überraschungen und Neuerungen startet - wir feiern Zehnjähriges - werden wir schon im Spätsommer mit Stefan Raabs neuer Showidee „FameMaker“ kommen. Das wird über alle Altersgruppen hinweg ein großer Spaß. Und am Samstagabend kommt wie immer im zweiten Halbjahr „Das Duell um die Welt“ zurück, dazu neue Live-Shows von „Schlag den Star“.
Nachfrage zu Stefan Raab. Wie oft kann man noch die Spekulation schüren, dass Raab wieder selbst auftritt? Das war erst bei „The Masked Singer“ der Fall, dann beim „Free ESC“…
Wir haben nie etwas anderes gesagt als Raab selbst: Er ist hinter die Kamera gewechselt. Bei „The Masked Singer“ wurde sein Name vom Rateteam ins Spiel gebracht. Aber natürlich haben wir es geschehen lassen, so wie wir uns auch sonst nicht in die Spekulationen einmischen. Und ehrlicherweise war es beim „Free ESC“ so, dass wir selbst lange nicht wussten, ob er nicht doch irgendwie eingreift und selbst auftritt. Aber ich verspreche hier klar und deutlich: Bei „FameMaker“ wird Stefan Raab nicht auftreten. Aber man wird seine Handschrift in der Show spüren.
Was wird eigentlich aus „Das Ding des Jahres“?
Wir sind jetzt gerade in der Konzeptionswerkstatt. Uns ist bewusst, dass wir nach der letzten Staffel nochmal ran müssen an das Format. Darüber sprechen wir gerade: Deswegen ist es zu früh zu sagen, wann wir „Das Ding“ nochmal machen. Also lassen Sie uns erstmal grübeln und basteln.
"Es bleibt bei unserer Strategie 'Mehr ProSieben von ProSieben auf ProSieben'."
Daniel Rosemann
Jetzt sind Sie eben die Primetime durchgangen. Letzte Woche haben Sie aber am Vorabend auch eine Quizshow ausprobiert - drei Abende lang. Wie kam es dazu?
Wir arbeiten schon lange mit mehreren Produzenten an Ideen für die Daytime und den Vorabend, um vorbereitet zu sein, wenn unsere US-Serien dort nicht mehr performen. „Cash Day“ ist eines der Formate, die wir pilotiert und jetzt auch on Air getestet haben. Unser Test hat guten Zuspruch erhalten.
Kommen solche Tests jetzt häufiger?
Das kann jederzeit passieren. Dafür haben wir rechtzeitig Ideen entwickelt, damit man dann auch spontan ausprobieren kann, wenn Programme nicht mehr die Quote holen, die wir brauchen. Wir ändern nicht um des Änderns willen. Wir wollen unser bestehendes Line-Up gerne so lange fortführen wie möglich. Aber wir sind vorbereitet.
Und es geht vorrangig um die 18-Uhr-Stunde zwischen „taff“ und „Galileo“, nehme ich an?
Ja, grundsätzlich richtig. Die Sendeplätze vor 17 Uhr können zwar auch Kummer machen mit Blick auf den Tagesmarktanteil. Aber wenn es darum geht, wo man investiert, dann ist es sicherlich eher der 18-Uhr-Sendeplatz. Davor und danach stehen wir mit „taff“ und „Galileo“ sicher wie eine Bank. Da wollen wir nichts dran verändern.
War das sozusagen ein Appell an die „Simpsons“-Fans, die Serie am Vorabend häufiger einzuschalten?
Jeder Senderchef und Programmplaner weiß, was ich meine, wenn ich sage: Wir wünschen uns noch einen jahrelangen „Simpsons“-Erfolg. Natürlich machen neue Ideen Spaß. Aber nichts ist einem Sender so lieb wie eine langlaufende Serie wie die „Simpsons“. Aber ja, da dürfen die Fans der Serie auch ihre Liebe zeigen.
Früher war es undenkbar, dass ProSieben einen Ausblick auf die kommenden Monate gibt und keine neue US-Fiction dabei ist…
Es bleibt bei unserer Strategie „Mehr ProSieben von ProSieben auf ProSieben“. Aber ich sehe mit Freude auf die starken Quoten unserer Mega-Blockbuster und die Fanliebe für „Greys Anatomy“. Darauf wollen wir nicht verzichten. Klar hat sich aber im Einkauf und Einsatz von US-Ware nachhaltig etwas geändert. Ob damals beim Autorenstreik oder jetzt in der Corona-Krise ist es für uns sicherer, mehr Programmfläche selber bespielen zu können als vom Output der Studios in Hollywood - quantitativ und qualitativ - abhängig zu sein.
Mit „9 Tage wach“ hatte ProSieben Anfang des Jahres ja den ersten Aufschlag mit einem eigenproduzierten Film seit einiger Zeit. Finden die Bemühungen eine Fortsetzung?
Wir waren mit „9 Tage wach“ sehr zufrieden, weil wir mit dem ersten ProSieben-Film seit Jahren gegen einen erfolgreichen „Tatort“ mit knapp unter zehn Prozent Marktanteil sehr ordentlich lief. Es gibt ehrlich gesagt nicht viele deutsche Fernsehfilme, die einen solchen Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen erreichen. Die Kritiken und Fan-Feedback waren gut. Joyn freut sich über gute Abrufzahlen. Wir machen deshalb gerade weiter mit laufenden Produktionsprojekten für weitere Movies von ProSieben.
Herr Rosemann, eine Frage noch zum Schluss. Wie passen eigentlich „Männerwelten“ einerseits und „Balls“ andererseits auf einen Sender?
Meinen Sie mit Ihrer Frage: ProSieben sollte „Balls“ nicht zeigen, weil Joko und Klaas wertvolle Sendezeit für das Statement gewonnen haben, das viele mutige Frauen um Sophie Passmann mit „Männerwelten“ eindrucksvoll gesetzt haben? Einige werden Ihnen da sicher zustimmen. Und das ist sehr okay. Ich mag das mit einem anderen Bild erklären: ProSieben ist wie ein Kino. Da laufen auch unterschiedliche Filme und man guckt das, was einem gefällt. Ich finde sogar, dass es schade wäre, wenn man nicht unterschiedliche Geschmäcker bedient. „Balls“ ist wie eine sehr lustige Party mit ein paar Drinks. Da wird es irgendwann auch etwas wilder und es gibt den ein oder anderen flachen Witz. Es gibt immer Grenzen. Aber ich finde Varianz nie verkehrt.
Und „Balls“ überschreitet Ihrer Meinung nach keine Grenzen?
Nein. „Balls“ ist ganz knapp noch auf der Grenze.
Herr Rosemann, herzlichen Dank für das Gespräch.