Frau Nguyen-Kim, Sie kennen beide Seiten, die Wissenschaft und den Journalismus. Ist die Wissenschaft in den vergangenen Wochen und Monaten richtig medial dargestellt worden?

Es gibt sicher Sachen, die nicht so gut gelaufen sind - keine Frage. Dennoch bin ich der Meinung, dass die Wissenschaft in der Corona-Krise so realistisch dargestellt worden ist wie noch nie. Vorher bin ich oft auf das Laien-Verständnis gestoßen, dass Wissenschaft "die Wahrheit" ist - womöglich ist das der Diskussion um den Klimawandel geschuldet, bei der es an den relevanten Stellen einen starken Konsens gibt, dass dieser menschengemacht ist. Bei dem Coronavirus ist es nun spannend zu beobachten, dass eine Art Live-Dokumentation entsteht, etwa durch den Podcast von Christian Drosten. Denn so funktioniert Wissenschaft ja tatsächlich: Neue Erkenntnisse kommen rein, Einschätzungen ändern sich oder werden angepasst, andere sind nicht haltbar. 


In der "Bild"-Berichterstattung über eine Corona-Studie von Christian Drosten kam dieser Aspekt jüngst allerdings nicht rüber.

Die Geschichte mit der "Bild" ist äußerst unglücklich, weil sie völlig außen vor lässt, wie wissenschaftliches Arbeiten funktioniert. Andererseits gab es in Folge der Berichterstattung zahlreiche Artikel, die genau das zum Thema machten. Dadurch haben letztlich also trotzdem viele etwas darüber gelernt. Unter dem Strich sehe ich die Entwicklung der letzten Wochen deshalb eher positiv. Ich hätte es bis dahin kaum für möglich gehalten, dass nicht nur über wissenschaftliche Erkenntnisse berichtet wird, sondern auch über den Weg dorthin. 

Allerdings hat nicht nur die "Bild" mehrfach kritisiert, dass die Wissenschaftler ihre Meinung oft ändern. Fehlt es in den Medien daher nicht trotzdem an Wissen über die Abläufe?

Ausgerechnet das, was die Leute momentan eigentlich beruhigen sollte, nämlich dass die Wissenschaftler alles hinterfragen, sorgt derzeit dafür, dass viele Menschen der Meinung sind, dass diese Wissenschaftler und Virologen überhaupt keine Ahnung hätten. Diese Denkweisen hat man Politikern gegenüber bereits akzeptiert. Bei Wissenschaftlern sieht das aber anders aus. Natürlich könnte man sagen, warum soll ich mich überhaupt auf die Wissenschaft verlassen, wenn die es auch nicht so genau wissen? Bloß: Andere wissen es noch weniger. Die Wissenschaft spricht solche Unsicherheiten nur sehr klar aus. Das ist für viele ungewohnt, die sich damit nicht Tag für Tag befassen. Gerade deshalb ist es auch die Aufgabe von Wissenschaftsjournalismus, immer wieder klar zu machen, dass die wissenschaftliche Arbeit eine gute Sache ist.

Was raten Sie denjenigen Wissenschaftlern, die es nun in die Öffentlichkeit zieht?

Am Anfang der Krise, als es noch um die Grundlagen ging und alles noch nicht so kontrovers diskutiert wurde, war es toll zu sehen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Öffentlichkeit stehen. Nun, da Professor Drosten im Fadenkreuz steht, wirkt das auf viele sicherlich eher abschreckend. Drosten ist allerdings ein spezieller Fall, weil er mittlerweile eine derartige Reichweite hat, dass er sich bestens wehren kann. Er selbst kann Dinge wieder gerade biegen und kommunizieren. Andere, die nicht so reichweitenstark sind, können das nicht und stehen dann möglicherweise doof da, wenn ein Shitstorm über sie hineinbricht. 

Wie wichtig ist eine klare, einfache Sprache bei all dieser Komplexität?

Eine klare Sprache ist absolut wichtig. Viele Wissenschaftler tun sich schwer damit, vor einem Laienpublikum zu sprechen. Manche können das gar nicht, weil sie der Meinung sind, dass sich bestimmte Dinge nicht in drei Minuten in einfacher Sprache erklären lassen. Dahinter steckt tatsächlich viel Arbeit, denn je kürzer man etwas halten möchte, umso besser muss man sich vorbereiten. Das müssen die Leute aber lernen. Wissenschaft muss transparent sein, sonst verspielt sie irgendwann das Vertrauen.

Manch einer will jedoch gar nicht verstehen, worum es geht.

Es gibt Menschen, die werde ich nie überzeugen können. Extremes Beispiel: Wenn jemand glaubt, dass ich persönlich von Bill Gates bezahlt werde, weil ich einen Impfstoff durchbringen möchte, um damit fett abzucashen. Da hat es keinen Zweck, diese Menschen überzeugen zu wollen. Menschen werden aber auch nicht mit einer Meinung geboren. Irgendwo bildet man sich die im Laufe seines Lebens - heutzutage vor allem im Netz. Und da gibt es nunmal nicht nur Kanäle wie meinen, sondern auch Orte, an denen gezielt Missinformationen und Verschwörungstheorien geteilt werden.

Bieten solche Kanäle den Ursprung von Hassmails und Drohungen per Post, wie man sie zuletzt oft gesehen hat? 

Bei diesen Drohungen denke ich mir schon länger, dass das in Deutschland mal strafrechtlich upgedatet werden sollte. Mein Eindruck ist, dass das Internet lange Zeit nicht richtig ernst genommen wurde. Selbst das finde ich völlig falsch. Doch spätestens, wenn es in die analoge Welt geht, sollte man hart durchgreifen. Viele wissen nicht einmal, was man alles zur Anzeige bringen kann. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass viele Drohungen auch deshalb verschickt werden, weil die Menschen sehr genau wissen, dass sie keine schlimmen Konsequenzen zu befürchten haben. 

Ist Ihnen persönlich schon derartiger Hass begegnet?

Wenn man öffentlich sachlich über Wissenschaft spricht, spürt man das natürlich. Das ist bei YouTube intensiver als bei "Quarks", wo wir auch Zuschauerpost bekommen, die noch ausgedruckt ist. Die Kritik zu unserer TV-Sendung ist auch wesentlich differenzierter und weniger impulsiv als ein schnell geschriebener Kommentar im Internet. Ich persönlich beschäftige mich allerdings immer weniger mit diesen Kommentaren, weil das einfach nicht gesund ist. Wenn aber etwas strafrechtlich verfolgt werden muss, bringe ich das natürlich zur Polizei. Damit habe ich auch schon gute Erfahrungen gemacht. 


Beginnt das eigentliche Problem nicht schon bei der Wissensvermittlung in der Schule?

Tatsächlich ist das ein ganz wesentliches Problem. Dass im Informationszeitalter Medienkompetenz beigebracht werden sollte, das muss allen einleuchten. Was in der Pandemie aber auch ganz deutlich wird, ist, dass ganz klassische Bildung immer wichtiger wird. Ich beschwere mich schon seit jeher darüber, dass Naturwissenschaften und Mathematik nicht zur Allgemeinbildung zählen, wenn wir mal ehrlich sind. Auf dem Papier vielleicht, aber nicht in der Realität. Man muss sich mit Geschichte und Politik auskennen. Aber was jetzt die drei Hauptsätze der Thermodynamik sind, nein, das muss mein Kind doch nicht wissen – das wird oft als Freak-Wissen abgetan. Oder noch einfacher: Wer weiß heutzutage schon, was der Unterschied zwischen einem Virus und einem Bakterium ist? Da überrascht es nicht, dass einem ein Xavier Naidoo da interessante Möglichkeiten liefern kann. 

Frau Nguyen-Kim, vielen Dank für das Gespräch.