Herr Schwarzkopf, fühlen Sie sich in den USA bei Ihrer Arbeit noch sicher?
Steffen Schwarzkopf: Grundsätzlich ein klares "Ja!" Es gibt immer mal wieder Situationen, die ungemütlich werden können, und dazu zählen natürlich Proteste und insbesondere Krawalle. Aber das ist sicherlich eher die Ausnahme.
Ich frage deshalb, weil zuletzt immer wieder Journalisten angegriffen worden sind, insbesondere von der Polizei. Sie haben auch schon Tränengas abbekommen, wie man auf einem Video (siehe unten) sehen kann. Wie haben Sie die Situation erlebt?
Wir waren ab ca. 19 Uhr vor Ort am Weißen Haus, direkt am Lafayette Park, der mit Gittern abgesperrt war. Dahinter standen mehrere Reihen an Polizisten, Einheiten der sogenannten Park Police und der State Police, quasi als Verteidigungslinien vor dem Weißen Haus. Die Stimmung war von Beginn an extrem aufgeheizt. Immer wieder flogen Wasserflaschen und Böller in Richtung der Sicherheitskräfte. Dann passierte etwas, wovon ich glaube, dass es bei vielen Demonstranten gewissermaßen die Sicherungen hat durchbrennen lassen: Die Polizisten knieten nieder – was von den Protestierenden zunächst als Zeichen der Solidarisierung gewertet wurde. Die Demonstranten klatschten, gingen ebenfalls in die Knie – um dann zu erkennen, was wirklich geschehen war: Die Polizisten hatten, verschanzt hinter ihren Schildern, die Gasmasken angelegt und sich so zum Gegenangriff vorbereitet. Das ließ die Emotionen hochkochen. Mehr und mehr Geschosse flogen in Richtung Polizei. Auf der Straße wurden Barrikaden in Brand gesteckt, ein Gebäude am Rande des Parks. Und dann wurde massiv Tränengas eingesetzt. Was folgte, war schwerer Krawall. Brennende Autos, geplünderte Geschäfte, eingeschlagene Fensterscheiben – und alles vor unserer Kamera. Den Randalierern war es völlig gleichgültig, dass wir das alles filmten.
Wie ist die Situation derzeit generell für Journalisten, die über die Proteste berichten? Werden sie gezielt von der Polizei ins Visier genommen oder sind das Einzelfälle bzw. Missverständnisse?
Das hängt davon ab, auf welche Sicherheitskräfte man trifft. Wir hatten am vergangenen Montag zum Beispiel die Situation, dass wir die Einkesselung von ca. 50 Demonstranten filmten, übrigens direkt vor unserem Bürogebäude downtown. Ein Polizist kam auf uns zu und sagte, wir sollen verschwinden. Ich fragte ihn warum. Er entgegnete, weil er uns sonst verhaften würde, wegen Verstoßes gegen die Ausgangssperre. Mein Verweis darauf, dass diese nicht für Journalisten gelte, wurde von ihm ignoriert und er drohte erneut mit Festnahme. Darauf wollte ich es dann nicht ankommen lassen.
Es gibt aber auch andere Beispiele?
Später trafen wir dann wieder auf ausgesprochen freundliche Polizisten, die – und das darf ich wohl verraten – an einer Straßensperre während unserer Liveschalte extra das Blaulicht anmachten. "Das sieht doch besser aus", sagte der Officer. Auch die Nationalgardisten, mit denen wir gerade erst gestern sehr viel Kontakt hatten, waren sehr kooperativ. Um also nochmal auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich kann nur für Washington D.C. und meine Arbeit sprechen, und hier sind das eher Einzelfälle.
"Grundsätzlich hat vor allem der US-Präsident die Atmosphäre vergiftet."
Koordinieren Sie sich mit deutschen und/oder amerikanischen Kollegen während der Proteste? Und wie läuft dieser Austausch ab?
Um ehrlich zu sein: Ein Koordinieren ist meist schwer möglich – vor allem in solch unübersichtlichen Situationen wie in der Nacht von Sonntag zu Montag. An "normalen" Protesttagen ist das etwas anderes. Da tauscht man natürlich Informationen aus, gibt kurze Lageberichte per Textnachricht durch. Wo ist was los? Wie viele Demonstranten? Polizei? Mit meinem WELT-Kollegen Daniel Sturm vom Print zum Beispiel. Das ist eine sehr wertvolle Zusammenarbeit. Und bei anderen Einsätzen, beispielsweise in der letzten Hurricane-Saison hier in den USA, habe ich in ständigem Austausch mit einem Kollegen unserer direkten Konkurrenz gestanden. Man hat sich gegenseitig gebrieft, sogar Hotelzimmer für den anderen gleich mitgebucht. Der "Konkurrenz"-Kollege ist längst ein sehr guter Freund von mir. Das angebliche Gegeneinander, der harte Kampf um die besten Geschichten und Bilder: das erlebe ich so nicht.
Sie sind seit 2016 in den USA. Wie hat sich die Lage für Journalisten seitdem verändert? Wie sind die Bedingungen für die Presse? Gefühlt ist die Stimmung im Land immer aufgeheizter geworden, gerade auch gegenüber Reportern.
Ja – und nein. Grundsätzlich hat vor allem der US-Präsident die Atmosphäre vergiftet, in dem er alles, was ihm nicht passt, als Fake News bezeichnet. Das Misstrauen der Menschen gegenüber Reportern ist extrem gewachsen. Interessanterweise gilt das aber offensichtlich nicht so sehr für deutsche Journalisten – das ist zumindest meine Erfahrung. Sehr häufig habe ich es zum Beispiel bei Trumps "Make America Great Again"-Veranstaltungen erlebt, dass amerikanische Kamerateams von den Menschen fast vom Hof gejagt wurden, dass man uns als deutschem Fernsehsender aber immer Rede und Antwort stand. Und das in typisch amerikanischer Freundlichkeit und Offenheit. Je weiter du aus der Hauptstadt gen Westen fährst, desto offener werden oftmals die Menschen – auch die Hardcore-Trumpisten, wenn man das so sagen darf.
Sie haben Donald Trump bereits angesprochen. Welche Rolle spielt er, wenn Journalisten von US-Medien "vom Hof gejagt" werden?
Er hat in den vergangenen dreieinhalb Jahren - und auch schon im Wahlkampf davor - den Menschen quasi eingehämmert: "Alles Lüge, alles Fake News. Das ist der Sumpf, den wir trockenlegen müssen". Man muss ihm zugestehen: Er hat das sehr erfolgreich betrieben, diese Form von Brainwashing. Es ist eine klare Botschaft, die er hinausträgt in die Öffentlichkeit: Ich gegen DIE. Er meint damit "die Medien" und "das Establishment". Wir gegen alle anderen (die Liberals, die Socialists).
Diese Leier hat aber schon einen ziemlich langen Bart, oder?
Interessanterweise schießt er nicht nur gegen die üblichen Verdächtigen – New York Times, Washington Post, CNN, MSNBC, sondern er beschwert sich auch zunehmend über seinen Haussender Fox News, dessen Umfragen seine Zustimmungswerte betreffend seien zu negativ, einzelne Moderatoren seien Versager. Das gipfelte in einem Tweet vor gut anderthalb Wochen, in dem er sich beschwerte, dass es zwar einige gute Moderatoren gebe, aber sonst auch jede Menge Müll. Fox News tue nichts, um ihm dabei zu helfen, wiedergewählt zu werden. Das charakterisiert, denke ich, ziemlich treffend, in welcher Rolle er sich die Medien wünscht: Als Steigbügelhalter.
"Ich möchte Trump nicht verteidigen, aber etwas mehr Fairness, vielleicht auch Gelassenheit wäre manchmal angebracht."
Wie hat sich die Medienlandschaft und die Berichterstattung unter Trump entwickelt? Lässt kritische Berichterstattung eher nach oder hat sie sogar zugenommen?
Sie hat nach meiner Einschätzung deutlich zugenommen. Jedes Wort, jeder Satz, jede Äußerung des Präsidenten wird seziert, und das gilt eigentlich genauso für die gesamte Administration. Man muss dazu sagen: Die amerikanischen White-House-Reporter sind sehr gut vernetzt, bekommen unentwegt Informationen zugesteckt aus dem direkten Umfeld des Präsidenten. Sie leisten eine bemerkenswerte Arbeit, um die Öffentlichkeit aufzuklären. Man muss andererseits aber auch sagen: Sie schießen dabei häufig übers Ziel hinaus. Ich beobachte das vor allem bei Sendern wie CNN und MSNBC, die oft einseitig und voreingenommen berichten. Kommentatoren und Experten sind fast ausnahmslos Trump-Gegner, ihr Motto lautet sinngemäß: "Wie kann er nur...", "was hat er denn jetzt schon wieder...". Und das schürt bei vielen Amerikanern natürlich auch das Unbehagen und den Vertrauensverlust gegenüber Medien.
Neben den Protesten waren die USA zuletzt auch wegen des Coronavirus oft in den Schlagzeilen. Wie hat sich Ihre Arbeit dadurch verändert?
Ich kann mich zumindest über mangelnde On-Air-Time nicht beklagen, aber das war eigentlich noch nie der Fall. Ganz banal gesagt: Irgendetwas ist ja hier immer los. Im Zweifelsfall Trump. Wir waren aber auch, was die Einschränkungen zuließen, viel unterwegs. In Hotspots wie New York, in Atlantic City, bei Protesten in Richmond oder Harrisburg, bei städtischen Essenausgaben und Hilfsprojekten. Wir haben neben der tagesaktuellen Berichterstattung im ersten Monat des Lockdowns allein vier Reportagen abgeliefert – dank der unermüdlich arbeitenden Kollegen in unserer verhältnismäßig kleinen Redaktion.
Wie erleben Sie die deutsche Berichterstattung, wenn es um die USA geht? Sowohl zu Corona, als auch zu den Protesten. Ist sie ausgewogen? Wird dramatisiert?
Ich glaube, dass meine Kollegen hier in Washington eine ausgezeichnete Arbeit leisten, egal ob TV, Digital, Radio oder Print. Unser Vorteil ist, dass wir mit den Menschen, mit den Betroffenen, mit den Demonstranten, mit den Notleidenden direkt sprechen und dadurch ein besseres Bild zeichnen können. Wenn ich aber auch etwas Kritisches anmerken darf: Ich habe das Gefühl, dass in manchen Heimatredaktionen in Deutschland ebenfalls der Trend dahin geht, bei Donald Trump grundsätzlich erstmal "doof" zu rufen, bevor man genauer hinblickt. Ich möchte Trump nicht verteidigen, aber etwas mehr Fairness, vielleicht auch Gelassenheit wäre manchmal angebracht.
Im November stehen die Präsidentschaftswahlen an, eigentlich wäre jetzt Wahlkampf. Vermissen Sie das und glauben Sie, dass es noch zu einer Art klassischem Wahlkampf kommen wird?
Um ehrlich zu sein: Ja, das vermisse ich sehr! Ich hatte mich, und da kann ich wohl für alle deutschen Korrespondenten hier sprechen, wirklich auf dieses Jahr gefreut. Wahlkampfveranstaltungen, Reportagereisen, im Land unterwegs sein, Geschichten ausgraben – und dann natürlich die Krönungsmessen der Kandidaten, die sogenannten Conventions. Donald Trump will seinen Wahlkampf durchziehen, spätestens ab Juli wieder sogenannte MAGA-Rallys mit tausenden Anhängern abhalten. Auch hat er gerade erst angekündigt, den Wahlparteitag der Republikaner in einen anderen Staat verlegen zu wollen, wo man ihm ein solches Mega-Event mit zehntausenden Teilnehmern möglich macht.
Und Joe Biden?
Joe Biden hat sich ja bislang im Keller seines Hauses verschanzt und hatte somit Schwierigkeiten, gegen den omnipräsenten Präsidenten auch on air oder digital anzutreten. Eine Strategie, die er aber jetzt gerade ändert. Also: Ich hoffe noch, dass der Wahlkampf richtig Fahrt aufnimmt, glaube aber, dass dies nur in einem reduzierten Maße möglich ist.
Herr Schwarzkopf, vielen Dank für das Gespräch!