Vor drei Jahren ist Tresor TV von Keshet übernommen worden. Damals haben Sie, Herr Kühn, auch angekündigt, verstärkt in die Fiction zu investieren. Jetzt kommt das erste Projekt. Ist das den langen Entwicklungszyklen in der Fiction geschuldet oder woran kann man diese lange Zeit festmachen?
Axel Kühn: Nein, gar nicht. Das ist den langen Personalfindungszyklen in der Fiction geschuldet (lacht). Wir haben sehr lange nach der idealen Besetzung gesucht. Nachdem Keshet an Bord kam war schnell klar, dass wir in die Fiction gehen. Gerade natürlich auch mit dem starken Keshet-Katalog im Rücken. Dafür brauchten wir die richtigen Leute und deshalb haben wir uns lange umgeschaut. Und ich bin umso glücklicher, dass wir Christina und ihr Team gefunden haben. Dieser Prozess hat eine gewisse Zeit in Anspruch genommen. Als wir das Team hatten, ging alles eigentlich sehr schnell. Im Oktober 2018 ist Christina gestartet und für "Unter Freunden stirbt man nicht" hatten wir die Zusage…. (überlegt)
Christina Christ: … genau ein halbes Jahr später. Also zum Halbjahrestag.
Wie viele Fiction-Projekte kann Tresor TV pro Jahr stemmen?
Axel Kühn: Da sehe ich wenig Grenzen, wir können ja immer neues Personal an Bord holen. Irgendwann bräuchten wir natürlich größere Räume. Aber auch dann könnten die Kollegen noch ein Büro aus der Non-Fiction bekommen.
Gibt es dort jetzt mehr Platz, nachdem langjährige Formate wie "Curvy Supermodel" und "Ewige Helden" beendet wurden? Gleichzeitig waren "Masters of Dance" und "No Body is perfect" keine Erfolge. Wie sehr hat das die Tresor getroffen und ist der Fokus auf Fiction auch darauf zurückzuführen?
Axel Kühn: Seit dem Einstieg von Keshet haben wir gesagt, dass es sinnvoll ist, sich auf zwei Beine aufzustellen. Weil wir dadurch eben Schwankungen einzelner Genres besser ausgleichen können. Das Ende von den zwei langjährigen Formaten hat uns, da bin ich ganz ehrlich, im vergangenen Jahr eiskalt erwischt. Damit haben wir teilweise nicht gerechnet. Nachdem es 2018 für uns sehr gut lief und wir unsere Prognosen deutlich übertreffen konnten, hatten wir nicht damit gerechnet, dass uns ein Jahr später zwei große Projekte wegbrechen. Aber es kommen neue Projekte nach. Von unserer Sat.1-Show "United Voices" stehen noch zwei Ausgaben aus und eine weitere Musikshow steht in den Startlöchern, die mussten wir aber auch erst einmal wegen Corona verschieben.
"Ich kann nicht von allen Einschnitte verlangen, wenn ich dazu nicht auch selbst bereit bin."
Axel Kühn
Können Sie über die neue Show schon etwas verraten?
Axel Kühn: Nur so viel: Wir haben sie, wie "United Voices" auch, aus Korea von CJ ENM adaptiert. Und ich glaube, dass wir da das nächste große koreanische Format im Portfolio haben, das bereits in über 25 Länder weltweit verkauft wurde. Jetzt müssen wir nur mal abwarten, bis wir wieder mit Publikum produzieren können. Bei diesem Format würde das Publikum der Show nämlich sehr gut tun.
Wird der koreanische Markt wichtiger für Tresor TV, wenn es um neue TV-Formate geht?
Axel Kühn: Aufgrund der erfolgreichen Zusammenarbeit mit CJ ENM, sowohl bei "United Voices" als auch bei der neuen Show, haben wir uns erst letzte Woche mit ihnen auf ein First-Look-Agreement geeinigt. Das erstreckt sich neben dem Show-Bereich zusätzlich auf fiktionale Produktionen und das ist für uns spannend, weil CJ ENM der Produzent des Oscar-Gewinners "Parasite" ist. Ich glaube sehr an den südkoreanischen Markt, weil es dort einfach sehr viele Sender gibt, die immer wieder Neues entwickeln. Und die Koreaner sind im asiatischen Raum noch die, die am ehesten einen westlichen Geschmack haben. Von daher gibt es hier sicher einige Perlen zu entdecken.
Das Ausland wird also wichtiger.
Tendenziell ja. Wir sind daneben auch eine Development-Kooperation mit der französischen Produktionsfirma DeeplySuperficial eingegangen. Das ist das Unternehmen von Thierry Lachkar, meinem ehemaligen Kollegen von der Shine. Gemeinsam entwickeln wir neue Formate in der Non-Fiction. Gleichzeitig tauschen wir Formate aus, sodass wir seine Produktionen hier anbieten können. Und Christina hat erste Gespräche über fiktionale Projekte aufgenommen.
Derzeit gibt es einen regelrechten Reality-Boom. Sei es bei den SVoD-Diensten oder den klassisch linearen Sendern. Tresor TV hat eine lange Tradition in dem Segment, bislang konnten Sie von dem Boom gefühlt aber noch nicht profitieren. Wieso?
Axel Kühn: Es ist immer alles eine Frage der Bezeichnung. Im Januar lief unser "No Body is Perfect" bei Sat.1. War das jetzt Reality, Factual Entertainment oder Coaching? Bei den aktuell ausgestrahlten Dating Realities sind wir tatsächlich nicht dabei, was besonders schade ist, da wir bereits letztes Jahr ein Format im Markt hatten, das nahezu identisch zu dem ist, was bei Netflix jetzt als "Finger weg" erfolgreich ist. Und um an die Tresor-Historie der Casting-Shows anzuknüpfen, entwickeln wir aktuell ein völlig neues Format mit einem der derzeit größten deutschen Stars.
"Das Ende von den zwei langjährigen Formaten hat uns im vergangenen Jahr eiskalt erwischt."
Axel Kühn
Vor zwei Jahren haben Sie bei uns im Produzentengipfel gesagt, dass ein nächstes "The Voice" allen im Markt gut tun würde. Jetzt gibt es ein solches Hit-Format mit "The Masked Singer". Welche Auswirkungen hatte das? Hat das Energien im Markt freigesetzt?
Axel Kühn: Ich glaube "The Masked Singer" hat unter anderem dazu geführt, dass man sich viel offener asiatischen Programmen widmet. Ich bin mir nicht sicher, ob ein Sender in Deutschland vor einem Jahr die Show gekauft hätte, wenn er nur die koreanische Ur-Variante gesehen hätte (lacht). Die thailändische war ja dann schon ein großer Fortschritt. Und auch generell hat der Markt dank "The Masked Singer" gesehen, zu welchen enormen Reichweiten und Marktanteilen Shiny-Floor-Shows immer noch fähig sind.
Herr Kühn, Sie sind jetzt seit fast fünf Jahren Geschäftsführer bei Tresor TV. Gerade hinter den Kulissen (Entlassungen zu Beginn, Neuaufstellung, Übernahme durch Keshet) hat sich einiges getan. Wird in den nächsten fünf Jahren ähnlich viel passieren?
Axel Kühn: Hoffentlich nicht (lacht)! Ich bin inzwischen 50 geworden und weiß nicht, ob ich das gesundheitlich durchstehe. Das war schon kein Unternehmerleben, sondern ein Unternehmensleben im Schnelldurchlauf. Ich habe angefangen mit einer Sanierung der Tresor inklusive Stellenabbau und Umzug, dann kam der neue Eigentümer und wir sind stark gewachsen. Wir hatten Jahre, die weit über den Erwartungen lagen. Letztes Jahr lief es dann nicht so gut und wir hatten auch noch einen Todesfall und einen schweren Unfall unter den Mitarbeitern. Und jetzt noch Corona. Das hätte für locker 25 Jahre Firmengeschichte gereicht. Und auch die nächsten Monate werden sicherlich abenteuerlich, aber so wird es mir und keinem hier langweilig und wir lernen täglich neue Dinge.
Was nehmen Sie aus der Krise mit?
Axel Kühn: Das zwangsweise Gewöhnen an das Arbeiten im Home Office hat uns weitergebracht. Gerade im Development haben wir gesehen, dass eine räumliche Zerstreuung vielen Mitarbeitern geholfen hat. Bislang saßen die Kollegen alle zusammen an einem großen Tisch, das war nicht mehr möglich. Daher haben die Mitarbeiter aus dem Home Office gearbeitet und der Output ist sprunghaft angestiegen. Ich muss zugeben, dass ich persönlich immer ein bisschen skeptisch war, wenn es ums Home Office ging. Da haben mich meine Mitarbeiter eines Besseren belehrt und ich habe meine Meinung geändert. Inzwischen glaube ich, dass man die Mitarbeiter sogar vor zu viel Arbeit zu Hause schützen muss. Dort gibt es nicht die Zerstreuung wie im Büro und man arbeitet oft sehr konzentriert und ohne Pause durch. Bei mir kam dann noch immer das schlechte Gewissen hinzu. Ich dachte, hoffentlich denkt niemand, dass ich nichts mache. Deshalb habe ich extra viel gearbeitet.
Da wandelt sich eine ganze Arbeitskultur, bei der Tresor, aber wahrscheinlich auch bei vielen anderen Unternehmen.
Axel Kühn: Andere Branchen waren da schon viel weiter, wir hatten da Nachholbedarf. Ich finde das begrüßenswert, wir sind in unserer Branche in den letzten Jahren wahnsinnig viel durch Deutschland geflogen für einzelne Termine. Morgens hin, nachmittags wieder zurück. Das hatte teilweise absurde Züge. Ich glaube in Zukunft werden wir das stärker hinterfragen.
Herr Kühn, Frau Christ - vielen Dank für das Gespräch!