Wenn absehbar war, dass es möglicherweise einen Engpass an Erstausstrahlungen geben wird: Warum hat man „Bauer sucht Frau international“ auf einem ungewohnten Sendeplatz, den Sonntagabend, und letztlich ohne großen Erfolg vorgezogen?
 
Wir haben in den vergangenen Jahren stringent unsere Strategie des Local Hero umgesetzt und immer stärker auf Fremdprogramm verzichtet. Wir haben unseren Programmeinkauf in den USA auch stark reduziert, damit auch die Sendeflächen für Lizenzprogramme. Früher gab es noch die US-Serien am Dienstag mit u.a. „Bones“. Jetzt füllen wir das lieber mit eigenen Programmen und arbeiten da auch mit ungewöhnlichen Programmierungen, etwa „DSDS“ am Dienstag. Das Gleiche machen wir jetzt auch bei den Hollywood-Filmen, weil wir immer weniger Filme finden, die für RTL noch in Frage kommen. Auch weil sich die Preise der Hollywoodstudios nie den Realitäten angepasst haben. Die Filme, die wir haben, wollen wir deshalb bündeln und dann gibt es dazwischen Strecken, in denen wir auch am Sonntagabend mit Eigenproduktionen on air sein werden, so wie jetzt mit „Bauer sucht Frau international“. Das war ein Versuch. Wir hatten 11,0 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 59-Jährigen. 12 Prozent hätten mir noch besser geschmeckt, aber wir sind auf dem Weg, langfristig auch den Sonntag mit lokalen Formaten zu gewinnen.


 
Und dabei geht es vermutlich um eher kostengünstige Produktionen?
 
Gute und günstige Programmideen umarmen wir gerade, gedanklich. Ein Thema in 2020 ist natürlich: Publikum im Studio, auch wenn es wieder erlaubt ist. Das ist ein Kostenfaktor und bei „Denn sie wissen nicht, was passiert“ weiß ich noch gar nicht, ob wir jemals wieder Studio-Publikum haben werden. Das hat super funktioniert mit mehr Spielfläche und so vielen Protagonisten vor der Kamera.
 
Wie sieht es mit der Daytime aus. Da haben Sie sich gerade von „Marco Schreyl“ verabschiedet. Die Daytime hat im Corona-Jahr 2020 angesichts der Budgets wohl keine Priorität erstmal, oder?
 
Doch, denn das gefällt mir natürlich nicht, wie wir gerade performen. Bei „Marco Schreyl“ muss ich sagen: Weder Filmpool, noch Marco Schreyl noch meinen eigenen Leuten kann man irgendeinen Vorwurf machen. Da wurde viel ausprobiert und handwerklich gute Arbeit gemacht. Das war in sich schlüssig aber wir haben am Interesse des Publikums vorbeigeschossen. Mein fester Wille ist, schon zum Saisonstart im Herbst mit einem neuen Format am Nachmittag den Zuschauerinnen und Zuschauern ein neues Angebot zu machen. Natürlich wird es aber am Nachmittag auch einen Corona-Effekt geben. „Die Superhändler“ werden wir weiter machen, ist auch schon bestellt, aber sicher auch um 15 Uhr mit einer Wiederholung ergänzen.
 
„Let’s Dance“ holte starke Quoten für RTL und doch verzeichnete RTL beim jungen Publikum im Mai den schlechtesten Monat seit mehr als einem Vierteljahrhundert, wenn man Sport-Monate außen vorlässt...
 
Obwohl von Corona-Maßnahmen direkt betroffen, war „Let’s Dance“ nicht nur ein voller Erfolg mit tollen Tänzern und einer bestens aufgelegten Jury, sondern auch die stärkste Staffel seit 2014: Wenn wir am Jahresende auf 2020 zurückblicken werden, dann wird der Jahresmarktanteil auch beim jungen Publikum höher liegen als im Mai, wo wir mit dem TVNOW-Original „Are you the one?“, was dort großartig läuft, und den „Nachtschwestern“ an gleich zwei Abenden über Wochen nicht überzeugt haben. Die Abwesenheit unserer erfolgreichen Sportereignisse, Fußball und Formel 1 macht sich deutlich bemerkbar und die für uns schon lange schwierige Daytime spielt auch eine Rolle. Gerade deswegen sind wir gefordert.
 
Wie groß ist angesichts der Situation die Erleichterung, dass alle drei Dailysoaps wieder produziert werden können?
 
Sehr groß. Ich habe bei RTL ja schon viele Sachen gemacht und in den 90ern war ich auch Produktionsmanager für die täglichen Serien. Seitdem habe ich großen Respekt vor dem Output dieser Produktionen - sowohl in Sendeminuten als auch Talent. Es gibt vor und hinter der Kamera viele preisgekrönte Fernsehmacherinnen und -macher, die in ihrer Vita eine unserer täglichen Serien stehen haben. Und in diesen Zeiten habe ich unsere täglichen Serien noch umso lieber, weil wir natürlich Angst hatten, dass die Produktion länger stillsteht und die Programmversorgung stockt. Das war ja ohnehin die Sorge der vergangenen Wochen. War ich immer davon überzeugt, dass wir „Let’s Dance“ geregelt zu Ende bringen werden? Nein. Ich habe jeden Tag damit gerechnet, dass ich einen Anruf bekomme und wir abbrechen müssen. Bei den täglichen Serien standen wir ja zwischendurch auch, aber die Kollegen der UFA haben dann schnell und gewissenhaft Konzepte entwickelt, um dann verantwortungsvoll wieder in die Produktion einzusteigen.

"Wir hängen schon an der Entscheidung von ITV, im Herbst „I’m a celebrity - Get me out of here“ zu produzieren"


Konkrete Nachfrage zu Ihren Aussagen eben: Kommen „Sommerhaus der Stars“ und „Bachelorette“ diesen Sommer?
 
Beim „Sommerhaus der Stars“ sind wir konkret in der Vorbereitung. Eine neue Location haben wir in Deutschland gefunden, wie ja auch schon zu lesen war. Da arbeiten wir vertrauensvoll mit der Stadt Bocholt zusammen. Bin gespannt, wie es funktionieren wird, aber glaube, dass es beim „Sommerhaus der Stars“ nicht auf die exotische Kulisse ankommt, weil das Format extrem Cast-driven ist. Wenn da Persönlichkeiten aufeinanderprallen, dann bin ich mir sicher: Bocholt kann genauso viel Spaß machen wie Portugal. Bei der „Bachelorette“ ist das tatsächlich etwas anders gelagert. Da wollen wir in Griechenland produzieren und im Augenblick glauben wir, dass wir das hinbekommen. Allerdings wird die „Bachelorette“ diesmal dann nicht im Sommer, sondern erst später bei RTL zu sehen sein. „Ninja Warrior Germany“ produzieren wir seit vergangener Woche in Köln statt Karlsruhe, auch das „Supertalent“ kann produziert werden.
 
Und dann gibt es ein quotenstarkes Großprojekt, was den Schatten weit vorauswirft. Es ist noch etwas hin, aber was sagen Sie zu „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus“? Sind Sie da abhängig von den Briten?
 
Die Briten haben das Camp und das gesamte Areal inklusive der Produktionsstätten vor Ort von ITV Studios bauen lassen. Wenn das britische Dschungelcamp im Herbst gedreht wird, bleibt danach alles stehen, es bleiben auch Leute von ITV dort und wir ziehen ein. Dann ist es so, dass wir ja auch bei den Spielen oft auf das zurückgreifen, was die Briten einige Wochen vorher genutzt haben. Nur in dieser intensiven Synergie hat das Projekt bislang geklappt. Damit hängen wir schon an der Entscheidung von ITV in Großbritannien, im Herbst „I’m a celebrity - Get me out of here“ zu produzieren.
 
Und wenn ITV sich gegen die Produktion entscheiden würde?
 
Wenn die sich dagegen entscheiden würden, hätten wir eine echte Challenge.
 
Letzte Frage. Es war angekündigt, dass RTL sich einen neuen Auftritt inklusive neuem Logo und Claim geben würde. Das wäre vermutlich diese Woche bei den Screenforce Days präsentiert worden. Setzt man das trotzdem um jetzt?
 
Wir sind weiter dran, den Markenauftritt von RTL in allen Belangen, vom Logo über Audio und Claim weiter zu entwickeln. Corona hat auch hier einen Effekt: Wenn die Krise etwas mit den Menschen da draußen, unserem Publikum, macht, dann wirkt sich das auch auf uns als Programm und RTL als Marke aus. Das fließt in die Entwicklung ein, auch wenn sich das Timing schiebt. Unsere aktuelle Initiative, „Zeit, die Dinge neu zu sehen“ gibt einen Vorgeschmack darauf, in welche Richtung wir denken. 
 
Herr Graf, herzlichen Dank fürs Gespräch