Herr Link, vielleicht als Karriere-Tipp für andere da draußen: Wie wird man aus dem Home-Office heraus zum Vorstand der ProSiebenSat.1 Media SE?

(lacht) Ich saß wie wir alle zuhause während des größten Ausnahmezustands, den dieses Land je erlebt hat. Denn auch, wenn unser Unternehmen relativ krisenerprobt ist, Corona stellt natürlich auch uns vor viele neue Herausforderungen. Und dann kam die Berufung zum Vorstand via Telefonkonferenz ins Home-Office, das war dann natürlich etwas Besonderes. Ich freue mich sehr auf die Aufgabe, mein Dank gilt vor allem natürlich dem Aufsichtsrat für sein Vertrauen. Die Zusammenarbeit mit Rainer Beaujean und Christine Scheffler funktioniert sehr gut, weil wir uns in unseren Kompetenzen ergänzen. Viel wichtiger als die Berufung meiner Person ist aber die Botschaft, dass Entertainment wieder im Vorstand der ProSiebenSat.1 Media SE vertreten ist. Das ist ein wichtiges Zeichen für uns und die Branche: Denn Entertainment in all seinen Formen ist unser Kerngeschäft.

Also eine dringend nötige Kurskorrektur?

Es gab sicher Zeiten, in denen wir bewusst stärker auf andere Geschäftsfelder gesetzt haben und das war in der Zeit damals dann auch richtig. Sich jetzt aber wieder klar in Strategie und Personal zu Entertainment zu bekennen, motiviert sehr viele Menschen bei uns im Haus.



Für den Sommer war die Bündelung aller Tochterfirmen des Entertainment-Sektors unter der neuen Marke SevenOne Entertainment Group geplant. Ist der Plan in Corona-Zeiten noch aktuell?

Natürlich. Wir werden wie geplant unser gesamtes Entertainment-Geschäft unter einem Dach bündeln. Das Projekt läuft, ist aber natürlich hinter den Kulissen organisatorisch und administrativ ein Mammut-Projekt. Unter normalen Umständen hätten wir unseren neuen Auftritt zu den Screenforce Days in Köln präsentiert. Jetzt haben wir zwar etwas mehr Zeit, wollen das aber im Spätsommer umsetzen.

Was sagt denn der Vorstand Entertainment zum Kerngeschäft. Wie läuft’s?

Es ist ein zweigeteiltes Bild.

Das war zu erwarten.

Ja, auf der einen Seite stehen die steigende TV-Nutzung, unsere Programmerfolge, sehr gute Digitalzahlen, vielversprechende Projekte wie FYEO. Auf der anderen Seite steht, dass unsere gesamte Branche – TV-Anbieter, Produzenten, Vermarkter und Werbekunden – mit noch nie dagewesenen Herausforderungen konfrontiert ist. Es ist nicht absehbar, wie lange wir gemeinsam durch diese schwierige Zeit gehen müssen. Aber der April hat auch gezeigt: Die steigende TV-Nutzung ist eine Chance für uns. Wer Fernsehen macht – egal ob linear oder digital – möchte möglichst viele Menschen informieren oder unterhalten. Und wenn man dann in diesen für uns alle herausfordernden Zeiten merkt, den Menschen da draußen gefällt, was wir hier tun, dann tut das richtig gut. Wir waren letzte Woche Dienstag, Mittwoch und Donnerstag Marktführer in der jungen Zielgruppe mit „The Masked Singer“, „Promis unter Palmen“ und „Germany’s Next Topmodel“. Letzteres hat nochmal toll Fahrt aufgenommen. Die schönste Überraschung ist natürlich die Performance von „Promis unter Palmen“. Ein komplett neues Format für Sat.1, wo es bislang gerne hieß, dass so etwas dort nicht funktionieren würde.

Erklärtermaßen wollte Sat.1 unbedingt lauter werden. Bei „Promis unter Palmen“ gibt es aber auch Kritik, dass das Format zu weit geht mit der Eskalation vor der Kamera. Was sagen Sie?

Es ist wirklich kaum zu glauben, was Reality-erfahrene Prominente freiwillig vor der Kamera tun, oder? Das ist wirklich irre. Man schaut fassungslos zu und fragt sich: Wo bleibt denn da der angeborene Anstand? Deswegen gestehe ich an dieser Stelle: Ich bin Team Tobi. Der hat das Herz am rechten Fleck. Ist man mit „Promis unter Palmen“ bis an die Grenzen gegangen? Ja. Geht das Format zu weit? Nein.

Wie begründen Sie das?

Man muss sich das Format als Ganzes anschauen: Es gibt viel Eskalation, aber man sieht auch, wie das unmögliche Benehmen auf diejenigen zurückfällt, die sich eben auch unmöglich benehmen. Man darf gewisse Dinge nicht stehen lassen, aber das tun wir auch nicht. Die Zuschauer entwickeln sehr wohl ein Gefühl dafür, wer sich anständig verhält und wer nicht. Niemand der Kandidatinnen und Kandidaten hat sich übrigens nach der Aufzeichnung Ende letzten Jahres beschwert, vor Ort gab es auch jederzeit die Möglichkeit sich beraten und betreuen zu lassen.

Angesichts des Erfolges dürfte eine zweite Staffel außer Frage stehen oder? Oder wird das schwierig, weil die jetzigen Stars ja vorher nichts vom Untertitel „Für Geld mache ich alles“ wussten…

Ach, ich glaube, wenn Herr Laux (Produzent Rainer Laux von Endemol Shine Germany, Anm. d. Red.) anruft und fragt, ob man vielleicht für Geld in eine schöne Villa mit ganz vielen Kameras ziehen würde, dann weiß inzwischen jeder Prominente, was ihn erwartet (lacht).

Jetzt enden diese Woche „The Masked Singer“ und "Promis unter Palmen. Eine bittersüße Woche also?

Das ist natürlich eine freudige Woche, auch, weil wir mit „The Masked Singer“ in der zweiten Staffel wieder so einen wunderbaren Erfolg haben. Und das, obwohl der Weg ein steiniger war ohne Studio-Publikum und mit einer Corona-bedingten Unterbrechung. Das war für alle Beteiligten ein großer Kraftakt. Und „Promis unter Palmen“ ist in diesem Frühjahr der Überraschungserfolg so wie „The Masked Singer“ im vergangenen Sommer und bietet den Eskapismus, den wir gerade brauchen. Niemand darf reisen und wir haben die Menschen eingeladen zu Sonne, Strand – und ein bisschen Drama (lacht).

"Wir mussten lernen, dass die Menschen abends kein Teams-Zoom-Skype-Fernsehen mehr sehen wollen, wenn sie endlich auf dem Sofa sitzen"

 

Aber damit ist es ja jetzt eben vorbei.

Und es kommen schon die nächsten vielversprechenden Programme: „Joko & Klaas gegen ProSieben“ kommt am 5. Mai zurück, die Abenteuershow „The Mole“ startet einen Tag später in Sat.1. Das ist ja die eine Konstante in unserer Branche: Das Spiel um die Zuschauergunst geht immer wieder von vorne los. Was wir in der Branche allerdings gemeinsam gelernt haben: Das Teams-Zoom-Skype-Fernsehen, das wir alle kurzzeitig versucht haben, kommt nicht an.

Wo Sie es ansprechen. Wie blickt man jetzt mit einigen Wochen Abstand auf diesen Erfindergeist mit begrenzten Mitteln aus den ersten Tagen der Corona-Krise zurück?

Ich bin wahnsinnig stolz auf das, was wir alles so kurzfristig auf die Beine gestellt haben. Und bevor ich zu den eben angesprochenen Unterhaltungsformaten komme, muss ich unserer Chefredaktion ein großes Kompliment aussprechen. Was die Kolleginnen und Kollegen rund um Sven Pietsch seit Ausbruch der Pandemie hier täglich leisten – angefangen von Newsflashes über ein verlängertes Frühstücksfernsehen bis hin zu Sondersendungen und der Aufrechterhaltung des Livemagazin-Betriebs – hat meinen tiefen Respekt. Wie natürlich auch alle Kolleginnen und Kollegen, die im Unterhaltungsbereich ihre Kreativität unter Beweis gestellt haben. Was wir hier spontan ausprobiert haben, sei es mit Luke Mockridge oder Hugo Egon Balder in Sat.1 oder mit dem Wohnzimmerfestival bei ProSieben.

Aber es kam nicht so an, wie gedacht.

Hier mussten wir – anders als bei den Informationsformaten – lernen, dass die Menschen eben abends kein Teams-Zoom-Skype-Fernsehen mehr sehen wollen, wenn sie endlich auf dem Sofa sitzen. Wer Home-Office macht, hat meist schon den ganzen Tag Videocalls hinter sich und will abends lieber Highend-Unterhaltung. Corona-Themen laufen nach wie vor sehr gut in unseren Magazinen und Nachrichten oder im Rahmen des derzeit verlängerten Sat.1-Frühstücksfernsehens. Da werden sie auch gesucht. Sonst aber ist die Erwartung an uns: Sorgt bitte für Zerstreuung.

Wolfgang Link

Wie sieht denn die mittelfristige Programmversorgung aus? Werden wir im zweiten Halbjahr spüren, dass sich gewisse geplante Projekte nicht realisieren ließen?

Bei fiktionalen Produktionen warten wir natürlich wie der Rest der Branche darauf, wann und wie sich die Projekte wieder fortführen lassen. Im Non-Fiktionalen mussten wir zum Glück nur wenige Produktionen absagen, bei den meisten können wir hoffentlich durch Verschiebungen weitgehend alles produzieren, was geplant war. Wir werden einige Programme, die jetzt in Produktion sind oder wären, eher Richtung Jahresende schieben. Es geht ja auch um Fragen wie: Wann können verantwortungsvoll wieder viele Menschen, möglicherweise auch Publikum, an einem Set zusammengebracht werden? Da verschieben wir gerade von Juni und Juli eher auf August und September und sprechen mit Produzenten, ob und wie man die verlorene Zeit wieder aufholen kann. Gleichzeitig versuchen wir jetzt, einige Dinge wie Castings virtuell fortzuführen, um dann gleich wieder produzieren zu können, wenn es möglich ist.

Sie haben vergangene Woche auch einen Pitch Day virtuell organisiert, zu dem Sie über DWDL aufgerufen haben. Mit welchem Ergebnis?

Wir wollen uns trotz der Umstände mit der Branche vernetzen. Kreativität ist das Lebenselixier unserer Industrie, ebenso wie die Vielfalt der Produktions-Szene in diesem Land. Der Pitch Day ist für uns ein klares Invest in die Zukunft. Und der Impuls in den Markt kam anscheinend genau zur richtigen Zeit, der Zuspruch war phantastisch. Wir hatten über 250 Anmeldungen und mussten sogar auf zwei Tage ausweiten. Die Form der einzelnen Pitches war sehr konzentriert, auf den Punkt und oft wirklich sehr kreativ. Und niemand musste dafür durchs Land fahren oder fliegen. Unsere Senderchefs und Programmverantwortlichen sind sehr zufrieden, es wurden über 300 Formate gepitcht, es gibt schon sieben fest zugesagte Entwicklungsaufträge, weitere 40 Formate sind in der engeren Auswahl.

Macht so ein virtueller Pitchday möglicherweise auch in Zukunft das Reisen durch die Republik unnötig, nur um Ideen vorzustellen?

Diese Krise wird unser Arbeiten massiv verändern. Wir haben über 2000 Mitarbeiter im Home-Office und auch, wenn wir ab dem 11. Mai hier in Bayern wieder könnten, werden wir sicher nicht alle gleichzeitig wieder auf den Campus holen. Wenn die ersten Kolleginnen und Kollegen wieder auf den Campus kommen, dann natürlich unter Berücksichtigung aller Empfehlungen. Home-Office ist anstrengend, aber ich stelle jetzt schon fest: Wir arbeiten schneller, unbürokratischer und konzentrierter. Ich hoffe, wir fallen nach der Krise nicht wieder in den alten Trott zurück. Das gilt für unser Unternehmen, die Branche und das ganze Land.

Gleichzeitig zum Pitchday vermeldete ProSiebenSat.1 Media SE vergangene Woche eine Einsparung von 50 Millionen Euro im Programm. Wie passt das zusammen?

Wie alle bekommen auch wir den Corona-bedingten Rückgang des Werbemarktes zu spüren und müssen entsprechend agieren. Wir sparen in allen Bereichen verantwortungsbewusst, auch beim Programm. Wir haben zuletzt mehr als eine Milliarde Euro für Content ausgegeben, wir sprechen hier also von einer Einsparung von knapp fünf Prozent. Da gibt es andere Medienunternehmen, bei denen die Einsparungen vergleichsweise deutlich höher bei gleichzeitig insgesamt geringerem Volumen ausfallen. Wichtig ist: Die Einsparungen stammen nicht nur aus dem Local Budget, es geht unter anderem auch um die Einkäufe oder Nachkäufe bei US-Studios. Wir wollen über das gesamte Tableau der Content-Kosten Möglichkeiten identifizieren. Das kann auch eine lokale Idee treffen, die wir vielleicht aufs nächste Jahr schieben. Der Pitch Day zeigt doch deutlich unsere Absicht, hier nicht allein auf Kosten der deutschen Kreativwirtschaft zu sparen.



Wenn Sie von den Einkäufen bei US-Studios sprechen: Dann lässt sich für die gesamte Sendergruppe doch sicher sagen, dass Hollywood keine so große Rolle mehr spielt für ProSiebenSat.1, wenn man erklärtermaßen auf mehr lokale Produktionen setzt…

Es spielt immer noch eine Rolle, aber sicher nicht mehr so eine große wie früher. Natürlich wollen die Zuschauer immer noch mal den neuen Blockbuster oder die angesagte US-Serie sehen – im Free TV oder auf digitalen Plattformen wie Joyn. Aber neben Hollywood zeigt ein Sender wie ProSieben inzwischen deutlich mehr Eigenproduktionen – das werden wir auch weiter ausbauen. Zum einen, weil wir unseren eigenen Content so natürlich viel besser über alle Plattformen verwerten können. Aber wir tragen zum anderen ja auch der Entwicklung auf dem US-Entertainment-Markt Rechnung.

Wie würden Sie die einordnen?

Hollywood produziert weniger Blockbuster, einige Studios wiederum verwerten ihre Inhalte künftig selbst und es gibt auch neue Wettbewerber, die eine Vielzahl von Serien anbieten, die zu speziell sind fürs Free-TV. Deswegen sind wir sukzessive aus unseren Output-Deals raus und haben uns von dem Gedanken leiten lassen: Wie kann man sich vom Wettbewerb abheben? Das tun wir natürlich einerseits mit dem viel zitierten Local Content, zum anderen sind es die verschiedenen Ausspielmöglichkeiten, die wir besser nutzen können – und da kommt natürlich auch Joyn ins Spiel: Schauen Sie sich „Check, Check“ und „Frau Jordan stellt gleich“ an. War das bei ProSieben ein großer Erfolg? Leider nein. Eine Serienverabredung im Free-TV wird immer schwerer. Hat es sich trotzdem gelohnt? Ja, weil die Abrufzahlen bei Joyn sensationell waren. Zusammengenommen also ein toller Erfolg, den wir fortsetzen.

Letzte Frage: Bei einem Erfolg ist die Verlockung immer groß, ihn auszuschlachten. Anders als geplant kehrt „The Masked Singer“ jetzt schon im Herbst für eine dritte Staffel zurück. Keine Sorge, dass es sich so schneller abnutzt?

Wir werden bei „The Masked Singer“ bei kurzen Staffeln bleiben im Vergleich zu langlaufenden Formaten wie „The Voice of Germany“ oder „Germany’s Next Topmodel“ mit eher langen Staffeln. Damit wird der Event-Charakter von „The Masked Singer“ erhalten bleiben, auch wenn wir schon im Herbst wiederkommen. Längere Staffeln würden bei diesem Publikumsliebling eher nicht funktionieren, weil das Rate-Team dann irgendwann zum zwölften Mal dieselbe Vermutung äußert, wer unter der Maske stecken könnte. Abgesehen davon, dass man die Promis so lange gar nicht blocken könnte. Jetzt fiebere ich aber erstmal dem Finale der zweiten Staffel heute Abend entgegen.

Herr Link, herzlichen Dank für das Gespräch.