Lavinia Wilson, hat der Begriff "Kammerspiel" je besser gepasst als in der Serie "Drinnen"?

Nein, nie. "Drinnen" spielt ja in exakt einer Kammer mit exakt einem Fenster zur Welt, nämlich dem Bildschirm des Laptops. Ich habe von der Produktionsfirma natürlich massenhaft Technik erhalten, die eine Vielzahl Menschen im Hintergrund koordiniert. Ich dagegen bin allein zuhause.

Und zwar buchstäblich, bei Ihnen in Berlin.

Das Publikum sieht einen Ausschnitt meines echten Wohnzimmers, in dem ich als Charlotte am Rechner klebe und mit meinem echten Mann zusammen bin, so wie überhaupt alle Filmpaare auch in Wirklichkeit zusammen sind.

Und wo sind Barnaby Metschurat und ihre drei Söhne?

Zufälligerweise in unserem kleinen Haus auf dem Land, wo sie grad wie Markus die Corona-Zeit überbrücken. Das wollte ich dort eigentlich auch tun, hänge nun aber hier im Homeoffice fest und kommuniziere vor allem digital mit ihnen. Alles also fast wie in der Serie, wo die Kontakte aller Beteiligten inklusive der Darsteller ausschließlich über Netzwerke läuft.

Werden die 15 Episoden zu knapp zehn Minuten demnach in Echtzeit hergestellt, geschnitten und online gestellt?

Die Scripts und Storylines der Autoren kommen am Vorabend jedes Drehtages, werden gleich nach Drehschluss mit den Ansichten des Desktops zusammengeschnitten und schon tags drauf ausgestrahlt. Ich habe noch nie unter solchem Hochdruck gearbeitet; zumal ich noch zehn andere Jobs von Maske über Ausstattung und Requisite bis Catering übernehme.

Profitieren Sie als Schauspielerin, profitiert womöglich auch die Branche insgesamt von diesem Ausnahmezustand?

Was Improvisationsvermögen und Kreativität betrifft, unbedingt, sowohl menschlich als auch beruflich. Das liegt aber vor allem an den Leuten hinter den Kulissen, die Wahnsinniges leisten: der Produktionsfirm btf, die auch das "Neo Magazin Royale" macht, dem Regisseur Lutz Heineking, der mit mir noch "Andere Eltern" dreht.

Und das mit einer Reihe von Darstellern, die auch hier dabei sind.

Genau. Was wir hier machen, funktioniert nur deshalb so gut, weil sich fast alle Beteiligten schon über einen längeren Zeitraum kennen und miteinander arbeiten. Nur so gelingt es, die Figuren nicht zu Karikaturen geraten zu lassen. Ohne dieses Vertrauen könnte ich das in einem derart intimen Rahmen meiner eigenen Privatsphäre gar nicht machen. Der Erfolg ist aber zugleich auch eine Gefahr.

Inwiefern?

Insofern als Sender und Produzenten auf die Idee kommen könnten, dieses Selbstausbeutungsprinzip für relativ geringes Budget dahingehend auszunutzen, künftig mehr Aufgaben auf weniger Schultern verteilen zu wollen, um damit Geld zu sparen.

Ist diese Angst wirklich konkret?

Ja. Aber ich würde mich dagegen wie hoffentlich alle anderen mit Händen und Füßen wehren.

Wie groß ist Ihre Angst vor der realen Pandemie?

Anders als bei Charlotte, die permanent am Corona-Ticker hängt und sich selbst für infiziert hält, komme ich vor lauter Arbeit gar nicht dazu, Angst davor zu haben. Und das tut mir sehr gut. Aber während die Krise journalistisch ständig für Sternstunden sorgt, könnte sie fiktional negative Konsequenzen haben. Umso mehr wünsche ich mir, dass wir die Spontaneität dieses Projektes mit in die coronafreie Zeit nehmen, die Produktionsbedingungen aber hinter uns lassen – so beeindruckend ich die technischen Möglichkeiten finde.

Dramaturgisch könnte dagegen eine neue Form der filmischen Unterhaltung in Echtzeit entstehen, so was wie Instant-Fiction.

In der Tat, klingt spannend. Sollte es sich allerdings vom aktuellen Kontext lösen und verselbständigen, könnte es auf Dauer ähnlich interessant sein wie diese Promi-Homestorys. Um das zu bewerten, stecke ich zwar viel zu sehr im Prozess, aber das Besondere an "Drinnen" ist ja, dass die Geschichte etwas widerspiegelt, das fast alle Menschen erleben. Die Pandemie ist gerade unser einziger gemeinsamer Nenner, quasi Überforderung durch Unterforderung. Wobei es natürlich viele Menschen im Land und weltweit viel schlimmer treffen könnte als Charlotte, die eine große Wohnung und eher zu viel als zu wenig Arbeit hat.

Wo Sie zumindest vom sozialen Status her der gleichen Schicht entstammen – verwahrlosen Sie gerade ähnlich wie die Werberin Charlotte?

Zum Verwahrlosen habe ich schlicht keine Zeit, dafür muss man sich ja gehenlassen können.

Kommunizieren Sie denn ähnlich wie Charlotte, die auch ohne Corona nahezu vollumfänglich über Bildschirme mit Menschen in Kontakt träte?

Nein, gar nicht. Klar, ich checke Emails und schreibe auch sonst Nachrichten, sende aber zum Beispiel nie Videobotschaften. Ich bin allerdings auch zehn Jahre älter als sie und damit ganz knapp an der Grenze zur Analogie. Wir kommunizieren schon sehr unterschiedlich.

Das Kernthema der Serie ist nicht nur Corona, sondern auch eine Kommunikation, die analog nicht mehr, aber digital noch nicht richtig funktioniert…

Wobei sich fragt, ob Kommunikation jemals ohne das unmittelbar zwischenmenschliche Element, dafür mit zwei Screens dazwischen funktionieren kann.

Das klingt ein bisschen wie jene Fortschrittsskeptiker, die vor 150 Jahren meinten, der Mensch könne mehr als 30 Stundenkilometer mit der Eisenbahn unmöglich überleben…

Dann bin ich diesbezüglich wohl nostalgisch und ohnehin alles andere als ein Early Adopter; es hat ja auch ewig gedauert, bis ich mir einen DVD-Player angeschafft habe. Aber falls uns Corona jetzt keinen Strich durch die Rechnung macht, gehe ich davon aus, dass die analoge, direkte Kommunikation sogar eine Renaissance erleben könnte. Wir alle erleben gerade, wie uns der direkte Kontakt von Mensch zu Mensch fehlt. Und das gilt auch für die Filmbranche.

Wie fühlt es sich eigentlich an, sich darin von Ihrem echten Mann Barnaby Metschurat trennen zu wollen?

Komisch. Aber wir sind zum Glück beide professionell genug, um von der Fiktion abstrahieren zu können. Außerdem: abwarten, wie sich die Beziehung der beiden in der Serie bis zur 15. Folge entwickelt!

Neue Folgen von "Drinnen" werden jeden Werktag um 20 Uhr in der ZDF-Mediathek veröffentlicht. Immer dienstags um 22:45 Uhr zeigt ZDFneo die Folgen der vergangenen Tage am Stück.