Herr Kren, haben Sie sich selbst mal einer Psychoanalyse unterzogen?
Das nicht. Ich habe in der Vorbereitung zu "Freud" aber mehrfach Psychoanalytiker getroffen, die sich mit ihm auskennen. Nur so konnte ich den Ansatz medizinisch, aber auch geschichtlich verstehen. Das war zwar eher trocken, aber um sie selbst mal zu erleben, muss man sich ja mindestens sieben Jahre lang fünfmal pro Woche auf die Couch legen. So viel Zeit hatte ich dann doch nicht.
Auch nicht, um mal am eigenen Leib zu spüren, wie es sich darauf anfühlt?
Das habe ich sogar mal getan, bei einem Doktor in Wien, der das tut, womit sich Freud auch in unserer Serie auseinandersetzt, bevor er sich davon löst, weil sich reihenweise Patientinnen in ihn verliebt haben: Hypnose mit Psychoanalyse zu verbinden. Dieser körperliche Zugang zum Thema war mir wichtig.
Und wie hat er sich angefühlt?
Das war ein sehr massives, wahrhaftiges Erlebnis. Allerdings auch, weil ich es am Todestag meines verstorbenen Vaters gemacht habe. Dadurch kam sehr viel Trauer nach oben, das hat mich voll erwischt.
Soll die Serie ihr Publikum ähnlich erwischen, also psychologisch unterwandern, oder bloß damit unterhalten?
Wer meine Arbeit kennt, der weiß, dass meine Figuren immer ein Gefühl von Wahrhaftigkeit transportieren, die den Zuschauern in die Seele vordringt. Das gilt eigentlich für jeden meiner Filme. Ich war also auch bei "Tatorten" oder "4 Blocks" auf der Suche nach Charakteren, die mit dem Guten und dem Schlechten, Bewussten und Unterbewussten, mit Freud ausgedrückt: dem Ich und dem Es ringen. Hier allerdings ist dieses Vordringen, wie sagt man?
Generisch?
Danke! Deshalb ist "Freud" auch für mich persönlich ein echter Entwicklungsschritt, da geht es wirklich an die Substanz meiner dramaturgischen Ästhetik.
Bleibt die Serie dabei streng biografisch, also historisch verbürgt, oder gönnt sie sich fiktionale Freiheiten?
Natürlich letzteres. Aber auch, wenn es kein Biopic ist, habe ich versucht, der Figur durch intensives Studium seiner Schriften so nah wie möglich zu kommen. Woher kommt der Ödipus-Komplex? Woher seine Sehnsucht zum Vatermord? Woher rührt das Unbehagen mit der Kultur? Warum ist er, wie er ist? Nur wer ins Innerste seiner Figuren vordringt, kann spannende Geschichten erzählen.
Erzählen Sie diese hier demnach entlang eines realen Handlungsfadens und verweben ihn dann mit Fantasie im Detail?
Na ja, wir starten die Erzählung im Jahr 1885, nehmen also einiges seiner späteren Erkenntnisse vorweg.
Die er damals noch gar nicht hatte?
Die er damals noch nicht veröffentlicht hatte! Freud war ein zögerlicher Mensch, in einer Zeit zumal, die von unfassbarer Ehrfurcht gegenüber Autoritäten und Eltern geprägt war; da haut man nix raus, bevor man sich dessen absolut sicher ist. Aber vielleicht war Freud am Ende ja auch deshalb so revolutionär, weil er seine Ideen vorm Ausscheiden so lange verdaut hat.
Also nochmals: Wie viel ist Fiktion, wie viel verbürgt?
Man kann den hypothetischen Anteil der Serie nicht in Prozent angeben, aber wir nehmen alles darin sehr ernst und haben dafür schon deshalb reichlich Originalmaterial, weil Freud sehr intensiv an seiner eigenen Legende gestrickt und sich larger than life gemacht hat.
Wie schafft man es, auf einer so guten Quellenlage nicht verkopft zu erzählen?
Indem man mich als Regisseur engagiert (lacht). Mich interessiert zwar immer die Katharsis meiner Figuren, aber sie muss bei aller Präzision auch Spaß machen. Deshalb sind viele meiner Filme Opern. Kein Minimalismus. All in!
Wobei Sie dafür historisch nun weiter zurückreisen als je zuvor, also klassisches Kostümfernsehen machen. Ist die Arbeit daran anders als bei zeitgenössischen Stoffen?
Ganz ehrlich? Es ist jeden Tag, wenn man zum Set kommt, ein bisschen wie Kindergeburtstag. Kurze Trips in die Vergangenheit, bei denen das Gewöhnliche ungewöhnlich wird und umgekehrt. Kulissen und Kostüme erlauben es einem, auch in andere Geisteszustände zu reisen.
Stets mit der Gefahr versehen, Inhalt durch Form zu ersetzen…
Wobei ich der Meinung bin, dass es hier gelungen ist, uns nicht hinter der Geschichte zu verstecken. Deshalb gibt es bei "Freud" bis auf eine kaum Totalen, in denen die Kulissen zentral würden. Da sind mir Close-ups auf Gesichter allemal lieber. Ich wollte kein normales Historytainment.
War Netflix dafür der richtige Partner?
Übers Budget darf ich nicht reden, aber inhaltlich hatte ich alle Freiheiten; die ich mir allerdings auch über diesen Auftraggeber hinaus hart erarbeitet habe. Das klingt jetzt arg martialisch, aber mein bisheriges Schaffen erlaubt mir da eine gewisse Schlagkraft und damit kreative Freiheiten. Die hatte ich zwar auch schon in "Rammbock". Kennen Sie den?
Der erste und beste deutsche Zombiefilm, klar.
Echt? Cool! Aber so viel Freiheit wie in "Freud" hatte ich bislang nie. Auch dank meiner drei Autoren, mit denen wir aus fast jedem Budget was Spannendes gemacht hätte. Natürlich wäre es toll, mal ohne Budgetgrenze zu arbeiten, aber wir Künstler brauchen schon auch Rahmen.
Sonst wird man Christo und packt am Ende ganze Städte ein.
Ganz genau. Irgendwann fällt einem außer Überfluss gar nichts mehr ein.
Gibt es einen roten Faden, der von "Rammbock" über "4 Blocks" zu "Freud" führt?
Habe ich mich auch schon gefragt. Vielleicht eine gewisse Faszination von Gewalt, sei es körperliche, sei es psychische. Gewalt kommt aus meiner Sicht zunächst aus dem Herzen; das zu analysieren, ohne es zu bewerten, bildet den Kern meiner gesamten Arbeit.
Gibt es für diese Faszination Erweckungserlebnisse in Ihrer eigenen Biografie? Als Kind mal einem Huhn den Hals umgedreht?
Nein, nein (lacht), eher die Betroffenheit, dass mich die entfesselte Energie der Gewalt immer wieder aufs Neue schockiert. Warum tun wir selbst denen so oft weh, die wir lieben?
Wollen Sie mit Serien wie dieser hier Antworten geben oder erstmal nur Fragen stellen?
Weder noch und beides. "Freud" ist größer. "Freud" will zeigen, was wir für großartige, aber auch abgründige Wesen wir sind. Trotzdem will "Freud" auch ganz dringend gut unterhalten.