Weil Sie gerade das Kinderzimmer erwähnen. Betrachten Sie YouTube eigentlich weiterhin als junges Medium?

Wir reden nicht mehr von der jungen Zielgruppe, sondern sprechen bewusst von fragmentierten Zielgruppen. Auf Facebook haben wir bei den über 60-jährigen mehr als die Hälfte der Leute – YouTube trennen wir da schon gar nicht mehr ab. Die gesamte Community weist mittlerweile alle Altersschichten auf. Generell würde ich aber gerne eine Lanze für die jungen Menschen brechen.

Inwiefern?

Keine Generation war im Medienkonsum jemals so aufgeklärt wie die jetzige. Man belächelt sie gerne, aber die wissen genau, was abgeht. Ob bei der wirtschaftlichen Komponente, bei der sie exakt verstehen, was ein Product Placement ist und dass es notwendig ist, damit der Künstler Geld verdienen kann. Auf der anderen Seite kommentieren sie selbst bei Schminktutorials, wie schön das Licht eingesetzt wird und welcher Winkel ihnen nicht gefällt. Da geht doch jedem Filmemacher das Herz auf! Das hätte es damals bei Viva oder MTV niemals gegeben.

Zeigt das, wie sehr der Anspruch steigt?

Das ist ein weiterer Grund, warum Künstler mit uns zusammenarbeiten. Wir organisieren Drehs, die man eben nicht in seinem Kinder- oder Wohnzimmer durchführen kann und für die man noch drei weitere Drohnen mit Piloten braucht. Wir helfen aber auch beim narrativen Teil. Insbesondere mit unserem Digitalstudio UFA X haben wir in diesem Bereich tolle Produzenten hinzugewonnen, die so etwas realisieren können. 

Inwiefern hat das denn Ihre Arbeitsweise verändert?

Wir sind einer der ganz wenigen Akteure, die sagen können: „Wir erreichen aus einer Hand plattform- und länderübergreifend Menschen“, indem wir über alle Plattformgrenzen hinweg Haltung, Protagonisten und Tonalität abstimmen. Mit authentischen Künstlern, der richtigen Story und mit der datengestützten Expertise, wie ich in welchem Umfeld erzähle. 2019 hat uns gezeigt, dass das von allen Beteiligten gewünscht ist. Auch immer mehr in den klassischen Umfeldern: Wir produzieren immer mehr in Longform-Formate für Sender und andere Plattformen – von fiktionaler Comedy bis im wahrsten Sinne des Wortes ausgezeichnetem Journalismus.

Sie sind ein Teil der RTL Group, deren Hauptfokus ja doch noch auf dem klassischen Fernsehen liegt. Wie lassen sich diese beiden Welten miteinander vereinen?

Ich bin davon überzeugt, dass dem Zuschauer komplett egal ist, ob er TV, SVoD, Shortform oder Longform sieht. Am Ende geht es um die Verbindung aus Zielgruppen, Stories, Talenten und der passenden Werbung. Dass wir mit der RTL Group zusammenarbeiten, ergibt total Sinn, wenn man sich anschaut, wie extrem der Videoschwerpunkt dort gesetzt wurde. Als Teil der „Total Video“-Strategie verbinden wir in verschiedenen Bereichen das Beste aus beiden Welten miteinander. In der Werbevermarktung entwickeln wir zusammen mit der Ad Alliance Komplettlösungen für Branded-Entertainment-Kampagnen. Unser erstes gemeinsames Projekt, eine Webserie für Durex, war für den diesjährigen Deutschen Mediapreis nominiert. Im Bereich des Influencer-Managements arbeiten wir an Konzepten und Ideen, die es unseren Talenten ermöglichen ihre Präsenzen über das Social Web hinaus und innerhalb der RTL-Senderfamilie zu erhöhen. Gleichzeitig sprechen wir mit prominenten Gesichtern aus dem TV-Geschäft darüber, wie wir sie langfristig auch als erfolgreiche Persönlichkeitsmarke in Social Media aufbauen können. Die Inhalteproduktion ist ein weiterer gemeinsamer Fokus. Hier konzentrieren wir uns unter anderem auf die Entwicklung und Produktion von Originals, Spin-Offs und digitalen Markenerweiterungen von TV-Formaten, von denen man schon bald mehr sehen wird.

Vordergründig laufen Ihre Talente jedoch bei YouTube, Instagram und TikTok auf – alles Drittplattformen. Damit besteht doch stets eine Abhängigkeit zu großen Firmen aus den USA oder China. Ist das nicht gefährlich fürs Geschäftsmodell?

Wenn man sich nicht darauf vorbereitet, kann das gefährlich werden. Deswegen ist Resilienz ein wichtiges Thema bei uns. Agil arbeiten wir schon lange. Jetzt geht es darum, in einem ständig veränderten Umfeld neue Möglichkeiten zu entdecken und sie für alle unsere Partner zugänglich zu machen. Wir haben Kollegen, die für jede Plattform denken können und die Algorithmen so weit wie möglich verstehen. Unsere Inhalte und Talente finden heute überall statt – egal, ob auf einer deutschsprachigen VoD-Plattform oder einem internationalem Social-Media-Network. Dabei sind wir nicht von einer einzelnen Plattform abhängig. Es ist immer ein Risiko, nur auf eine Plattform zu setzen. Aus diesem Grund bauen wir auch nicht plattformgebundene, sondern plattformübergreifende Persönlichkeitsmarken auf. 

Erstaunlicherweise kommt keine der genannten Firmen aus Europa. Wie sehen Sie diesen Markt und die Innovationskraft aus Europa heraus?

Das ist ein Grundsatzthema. Dass es funktionieren kann, hat beispielsweise Spotify bewiesen. Soziale Netzwerke tendieren zu einer "Winner takes it all"-Mentalität. Das ist nachvollziehbar, weil es nur dann ein echtes soziales Netzwerk ist. Aber andere schaffen es dennoch. Xing wird jedes Jahr totgeredet und dennoch wächst die Plattform immer wieder aufs Neue. Für uns ist es erstmal zweitrangig, wo welche Firma herkommt. Wir gehen dahin, wo wir Menschen erreichen können.

Wenn wir den Blick Richtung Zukunft richten: Ist der Prozess der Übernahme von anderen Unternehmen abgeschlossen, oder ist da noch weiterer Wachstum geplant?

Wir sind jetzt mit neun Büros in etwas mehr als zehn Märkten vertreten. In jedem unserer Märkte sind wir die Nummer eins oder zwei, was die Reichweite angeht. Jetzt müssen wir organisch liefern. Wir wollen das, was wir in einem Markt gut können, in die anderen Märkte übertragen. In Deutschland und den Niederlanden sind wir in der Produktion sehr stark, in den Nordics wiederum sind wir im Bereich Digital Rights Management stärker aufgestellt. All das lässt sich über die einzelnen Grenzen hinaus noch weiter ausrollen. Wir konzentrieren uns jetzt darauf, das Beste aus allen dazugewonnenen Marken miteinander zu vereinen.

Inwiefern lässt sich in diesem schnelllebigen Geschäft überhaupt seriös prognostizieren, wohin die Entwicklung gehen wird?

Dass wir über fragmentiertes Mediennutzungsverhalten sprechen, ist ein Fakt. Daran wird sich auch nichts ändern, auch wenn das Geschäft sehr schnelllebig ist und wir tatsächlich heute schwer einschätzen können, wo der Markt in zwei oder drei Jahren steht. Am Ende ist das Thema so alt wie die Menschheitsgeschichte. "Panta rhei", alles fließt. Wir sprechen ja nicht umsonst von einem Audience Flow. Es gibt Flüsse, die gabeln sich, und Flüsse, die wieder zusammenlaufen. Wir müssen diejenigen sein, die verstehen, wie man die Flaschenpost an die Menschen bringt. 

Herr Schiwek, vielen Dank für das Gespräch.