Bleiben wir bei großen Projekten: Welche Learnings haben Sie aus dem Jahr 2019 mitgenommen?
Es klingt wie eine Phrase, ist aber absolut ernst gemeint: Man muss noch strenger auf die wirklich besondere Idee gehen. Es gibt einfach, speziell in der Primetime, keine Chance mehr, erfolgreiche andere Formate einfach so zu kopieren und damit Erfolg zu haben. Das ist nicht nur ein Appell an uns, sondern an alle Kollegen. Wenn man sich anschaut, was "Denn sie wissen nicht was passiert" oder "The Masked Singer" auslösen können, ist doch klar, welche besonderen Ideen es braucht. Meiner Meinung nach gehört live dazu, ebenso wie Interaktivität. Auch "Die Live-Show bei dir Zuhause" ist mit diesem Gedanken gestartet. In der Retrospektive muss man dann aber auch sagen, dass die Show die Erwartungen nicht erfüllte, weil es das besondere Versprechen dann doch nicht einlösen konnte. Heute muss man ein Versprechen geben und dem Zuschauer etwas Einzigartiges liefern, da er ganz viele andere Alternativen zu ProSieben hat. Früher ging es darum, im Vergleich mit anderen Sendern besser zu sein. Heute fragen wir uns bei unseren Produktionen zuerst, ob wir selbst einen privaten Termin absagen würden, um in diese Sendung reinschauen zu können.
Gibt es im Genre Eigenproduktionen Show/Reality noch etwas zu erzählen?
Ja, wir bringen "Beauty and the Nerd" zurück. Die Sendung war schon immer zeitgeistig und ist es heute umso mehr. "Beauty and the Nerd" spielt im Dating-Genre und das auf untypischste Art und Weise. Das wird ein Fest für Reality-Fans, da es eine Menge zu lästern und lachen gibt. Neu ist, dass wir die Gender-Barriere aufgehoben haben. Die Beautys sind also nicht alle weiblich und nicht alle Nerds sind männlich.
Wir müssen mit Blick auf die Vorwürfe der vergangenen Woche über Joko & Klaas sprechen: Darf Unterhaltung alles oder kratzen die dokumentierten Fälle nicht am Image der authentischen Unterhalter?
Große Unterhaltung hat andere Freiheiten als der klassische TV-Journalismus - das muss auch so bleiben. Das empfinden die Zuschauer auch so. Trotzdem hätten wir bei einem Film über Fahrraddiebstähle in Berlin deutlich klarer machen müssen, dass das ein satirischer Beitrag ist. Und die Diebe nicht so zahlreich erschienen sind, wie es sich die TV-Macher gewünscht haben.
"Late Night Berlin" hat sich beim Publikum in den letzten Monaten etabliert. Wäre mehr Late-Night-Comedy bei ProSieben denkbar?
Klar kann ich mir vorstellen, dass mich Klaas mit "Late Night Berlin" jeden Abend in den Schlaf begleitet. Ich will das aber nicht ausprobieren, nur um zu merken, dass die Sendung mehrfach die Woche nicht mehr so gut wäre wie jetzt. Ich weiß nämlich, was an dieser Sendung Zeit kostet und wo die Anstrengungen reinfließen. Im Moment sind wir mit dem jetzigen "Late Night Berlin" absolut happy. Auch wenn wir wissen, dass Klaas und seine Leute in Berlin nichts dagegen hätten, mehr machen zu können. Jedoch würde auch Klaas bei einer Zusage von uns nicht ja sagen, wenn er nicht wüsste, dass die Qualität die Gleiche bleiben würde. Ansonsten kann man so eine Show ganz leicht zerstören.
"Wir müssen Inhalt entwickeln, der das Bedürfnis weckt, dass man als Zuschauer auch kurzfristig einschalten möchte."
Daniel Rosemann
Mit ihren "15 Minuten Live" wurde das Duo gerade mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Was nehmen Sie von dem Erfolg des vergangenen Jahres mit?
Das war in erster Linie eine schlechte Nachricht für unseren Marketing-Chef. (lacht) Die Kampagnenplanungslogik wurde über den Haufen geschmissen. Die Leute sind anscheinend auch so kurzfristig aktivierbar. Die 15 Minuten mit Joko & Klaas kann man jedoch nicht so einfach reproduzieren, da sie das Ergebnis des Vorabends sind, wo bereits über Stunden eine Geschichte erzählt wird. Wenn wir sagen würden, dass wir jetzt nur noch die 15 Minuten machen, und diese Idee ist nicht nur einmal an mich herangetragen worden, wäre es absolut nicht das Gleiche. Meine Standardantwort ist dann: Wir machen schon eine Stunde pro Woche mit Klaas und das war bereits ein hartes Stück Arbeit. Was man aber daraus lernen kann: Die Leute wollten einschalten, weil sie wissen wollten, wie die Geschichte in den 15 Minuten zu Ende geht. Das Bedürfnis wurde geweckt, wodurch Relevanz entsteht. Wir müssen also Inhalt entwickeln, der das Bedürfnis weckt, dass man als Zuschauer auch kurzfristig einschalten möchte.
Kommen aus der Denke auch die aktuellen Sondersendungen wie zuletzt zum Coronavirus?
Das haben wir kurzfristig angesetzt, da wir ein Teil des Themas beleuchten wollten, der noch nicht überall durchgekaut wurde. Wir haben das Galileo-Team darauf angesetzt, da wir hinter die Geschichte blicken und neue Erkenntnisse bringen wollten mit einer Handschrift, die bei ProSieben seit 20 Jahren täglich am Vorabend zu finden ist und sich bei Bedarf erfolgreich in die Primetime verlängern lässt.
Von Factual zu Fiktional: "9 Tage wach" steht bevor, ein ProSieben-Movie, auf den Sie viel setzen. Wie effektiv ist es, so viel Energie - auch im Marketing - in einen Film, also einen Abend zu stecken?
Für uns sind eigenproduzierte Filme etwas ganz besonderes, weshalb jeder Aufwand, den wir dafür veranstalten, gerechtfertigt ist. Warum macht man das für einen Film? Jeder Film ist eine eigene Geschichte und eine neue Chance. "9 Tage wach" haben wir schon vor langer Zeit angekündigt und obwohl ich gerne mal ungeduldig werde, haben wir hier lange auf den passenden Cast gewartet. Auf den sind wir jetzt sehr stolz. Manchmal muss man eben auf seinen Wunschregisseur oder seinen Wunschkameramann warten. Gleiches Spiel beim Cast. Am Ende ist alles so zusammengekommen, wie es zusammenkommen sollte. Außerdem sind wir der Meinung, dass das Thema des Films unfassbar viel Kraft hat. Nicht nur, weil der Roman bereits ein Bestseller war. "9 Tage wach" geht stark und ohne Fingerzeig an das Thema Crystal Meth heran und zeigt auf authentische Weise, was Drogen mit einem Menschen anstellen können. Deswegen wird man den Film außerhalb von ProSieben auch noch in der ein oder anderen Schulstunde gucken, da bin ich mir sicher. Der Film ist anders, sehr hart. Kino fürs Fernsehen. Das ist kein typischer Fernsehfilm. Deshalb werden und können wir davon auch niemals 15 bis 20 Stück im Jahr machen.
Aber weitere Filme sind in der Entwicklung?
Ja. Es schreiben gerade viele talentierte Menschen an verschiedenen Stoffen. Es geht um Krimi-Stoffe, apokalyptische Szenarien und Fantasy-Geschichten, die derzeit aufs Blatt gebracht werden. Über den Film hinaus gibt es außerdem eine Menge serielle Dinge, die ihren Lauf nehmen. Wir spielen "Check, Check" und "Frau Jordan" in der Primetime. Beide Serien haben wir zudem in die Verlängerung geschickt. "jerks" sowieso. Mit Christian Ulmen und Carsten Kelber haben wir eine neue Firma gegründet, was man ja auch nicht macht, wenn man sich nicht sicher ist, dass man noch einiges zusammen umsetzen möchte.
All diese Comedyserien laufen aber zuerst bei Joyn, dann bei ProSieben. Reicht das, um auf die Marke ProSieben einzuzahlen?
Es beschäftigt Nike auch nicht so sehr, ob ihre Sneaker bei sich im Flagstore oder auch bei FootLocker zu kaufen sind. Am Ende sind es immer Nike-Sneaker. Wir sehen das Thema mit Joyn komplett uneitel und eher als Chance. Zusammen können wir außerdem mehr erreichen, als es ein einzelner Sender könnte. Sowohl inhaltlich als auch budgetär. Bei der Auswertung muss man einfach uneitel sein: Es geht also um inhaltliche Gründe, wenn man sich dazu entscheidet, dass die Produktion zuerst bei Joyn oder ProSieben zu sehen sein wird. Es geht einfach darum, das so schlau zu bauen, dass die Serie so viel Reichweite bekommt wie möglich.
Zu guter Letzt: Welche Rolle spielt die US-Fiction bei ProSieben noch?
Die US-Serien-Taktung ist geringer geworden, aber das ist ja auch kein Geheimnis mehr, dass ProSieben mehr von ProSieben selbst zeigen möchte. Aber es wird dieses Jahr noch Neustarts geben. Zudem freue ich mich riesig darauf, dass es "Greys Anatomy" noch zwei Jahre geben wird. Da bin ich seit der ersten Folge großer Fan.
Herr Rosemann, herzlichen Dank für das Gespräch.