Herr Gniffke, wenn Sie den SWR auf dem Reißbrett komplett neu bauen könnten – würde er dann genauso aussehen wie jetzt?

Wahrscheinlich käme ich nicht auf diese gute Idee. (lacht) Das ist hypothetisch. Wenn eine gute Fee käme und mir befiehlt, einen neuen Sender zu bauen, würde er wahrscheinlich anders aussehen. Aber der SWR ist wie er ist – und er hat verdammte Stärken. 

Sind drei Standorte in zwei Ländern wirklich eine Stärke?

Dieses Länderding ist für mich nicht das entscheidende. Ich komme aus einer Vier-Länder-Anstalt – was sollen die denn sagen? Mir geht es auch nicht darum, in Ländern, Standorten und Direktionen zu denken. Viel wichtiger ist es, dass der ganze Laden nach vorne kommt. Schon jetzt hat der SWR sehr unterschiedliche Stärken, beispielsweise im Radio, wo wir mit SWR3 die größte "Waffe" im Hörfunk besitzen. Aber auch bei Video-Formaten oder im Doku-Bereich gibt es eine tolle Tradition, wie unsere jüngste Oscar-Nominierung zeigt. Gleichzeitig können wir auch Unterhaltung. "Verstehen Sie Spaß?" ist der erfolgreichste YouTube-Channel der ARD. Hier lässt sich also eine ganze Menge bewegen. 


In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass Sie die Hörfunknachrichten künftig an einem Standort in Baden-Baden produzieren wollen. Welcher Gedanke steckt dahinter?

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Eine Meldung über die Geschehnisse in Aleppo bleibt gleich – egal ob sie in Baden-Baden, Stuttgart oder Mainz geschrieben wird. Wenn sie an drei Standorten geschrieben wird, halten wir das in der Geschäftsleitung nicht für die klügste Form der Auslastung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deshalb wollen wir die Nachrichten in Baden-Baden konzentrieren, während regionale Nachrichten selbstverständlich weiterhin aus den SWR-Studios vor Ort kommen. Damit geht also kein Einheitsbrei einher. Jede Welle bekommt nach wie vor genau die Nachrichten konfektioniert, die sie haben will. 

Also keine Sparmaßnahme?

Es geht uns hier nicht um einen Stellenabbau. Wir wollen aber viele neue Sachen machen – um das möglich zu machen, ohne die Leute sozusagen durch den Fleischwolf zu drehen, müssen wir uns an den einzelnen Standorten differenzierter aufstellen als das bisher der Fall war.

Was bedeutet das für den Radiosender SWR Aktuell, der ja nur in Stuttgart über UKW zu empfangen ist?

Über SWR Aktuell haben wir uns sehr intensive Gedanken gemacht und sind zu dem Entschluss gekommen, dass der Sender erst mal bestehen bleibt. Hier wird unser Weg sein, in den nächsten Monaten mit anderen Info-Wellen in der ARD Kontakt aufzunehmen, um mehr gemeinsam machen und Kräfte sparen zu können. 

Ein anderes Thema ist das Innovationszentrum, an dem Sie derzeit arbeiten. Was erhoffen Sie sich davon?

Es geht darum, Menschen mit innovativen Ideen in einem geschützten Zeitraum eine Chance zu geben. Diese Menschen brauchen zur erfolgreichen Umsetzung ihrer Ideen mitunter Unterstützung, Expertenrat, Daten und methodische Kompetenz. Das alles sollen sie in Form eines Helferteams bekommen. Während dieser Zeit kann sich herausstellen, ob aus der Idee ein Pilot entsteht und das Produkt in Serie geht – es kann allerdings auch genauso gut sein, dass die Idee nicht funktioniert. Aber wenn am Ende eines von zehn Projekten zum Erfolg führt, dann wäre das schon eine super Erfolgsquote. Mir ist wichtig, dass sich die Ideen nicht auf einem Stapel türmen, sondern schnell und intensiv weiterverfolgt werden können.

"Ich habe nicht die Illusion, Menschen zwischen 14 und 40 in nennenswerter Zahl zum SWR Fernsehen zu locken."
SWR-Intendant Kai Gniffke

Wenn wir aufs Fernsehen blicken, dann stellt man schnell fest, dass der SWR in zahlreichen Formaten ein Publikum bedient, das 70 Jahre und älter ist. Können Sie alle davon fortsetzen, wenn Sie doch verstärkt auch die Jüngeren ansprechen wollen?

Natürlich werden wir weiterhin die Menschen bestmöglich bedienen, um die sich außer uns sonst niemand kümmert, denn für die Über-70-Jährigen gibt es im Medienbereich nicht so viele Angebote. Wir werden daher auch nicht versuchen, mit ganz vielen Ressourcen den Altersschnitt unserer Zuschauer von 70 auf 66 runterzubringen. Das wäre vergebene Liebesmüh. Ich habe deshalb nicht die Illusion, Menschen zwischen 14 und 40 in nennenswerter Zahl zum SWR Fernsehen zu locken. Trotzdem werden wir dem jungen Publikum zielgerichtete, attraktive Angebote machen – allerdings auf den Plattformen, auf denen sie sich ohnehin verstärkt aufhalten.

Dazu passt, dass Sie gerade einen jungen Hoffnungsträger wie Thomas Gottschalk fürs Radio verpflichtet haben.

Wir sind sehr froh über dieses junge Nachwuchstalent. (lacht) Er macht uns große Freude, weil er das SWR3-Programm massiv bereichert, insbesondere durch das Zusammenspiel mit einem deutlich jüngeren Co-Moderator. Ich höre das wahnsinnig gerne. Und mal schauen, ob wir mit Thomas Gottschalk darüber hinaus auch noch etwas anderes machen können.

Im Fernsehen?

Es gibt noch keine konkrete Planung, aber der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Thomas Gottschalk ist auch jetzt noch ein Entertainer par excellence. Wir haben ein Publikum, das ihn wahnsinnig schätzt – ich selbst bin ja auch mit ihm groß geworden. Mal schauen, was da noch zusammen geht.

Sie haben kürzlich gesagt, Sie wollen im Fernsehen auch mögliche Marktanteilsverluste in Kauf nehmen. Wie weit darf der SWR-Marktanteil denn sinken, bis Unruhe in Ihrem Haus entsteht?

Es gibt keine Marke, die sich da definieren lässt. Natürlich würde es keinen Spaß machen, wenn die Quote ins Bodenlose fällt. Die Menschen, die bei uns arbeiten, haben aber die Sicherheit, dass der Intendant nicht aus dem Hemd springt, wenn wir im Ranking der Dritten einen Platz nach hinten rutschen. Das ist nicht unser Ziel – wenn wir aber gleichzeitig sehen, dass zusätzliche Anstrengungen auf anderen Feldern Früchte tragen, dann könnte ich gut mit einer sinkenden TV-Quote leben. Schlimmer wäre es, wir würden nirgendwo sonst Boden gut machen und gleichzeitig im Linearen an Akzeptanz verlieren.

Der SWR gilt als einer der großen Treiber des Jugendangebots funk. Welche Bilanz ziehen Sie persönlich nach über drei Jahren?

Ich gestehe ganz offen, dass ich dem Projekt zu Beginn skeptisch gegenüberstand. Heute staune ich mit großem Vergnügen, denn die Abrufzahlen sind außerordentlich erfreulich, zumal weit mehr als die Hälfte der Nutzer erkennen, dass es sich bei funk um ein öffentlich-rechtliches Angebot handelt. 

Andererseits gibt es einige Webserien, deren Folgen nur ein paar tausend Mal aufgerufen wurden, während bei anderen Formaten die großen Reichweiten auch deshalb zustandekommen, weil sich ARD und ZDF etablierte Stars und Kanäle zu Eigen machen. 

Ich finde es nicht illegitim, auf bekannte YouTuber zu setzen und mit ihnen neue Formate zu entwickeln. Das ist meist erfolgsversprechender als ein Konzept von Null aus dem Boden zu stampfen. Dennoch ist funk ein Innovationstreiber, weil die Kolleginnen und Kollegen eben auch Ideen zulassen, deren Erfolg nicht von Anfang an garantiert ist und die am Ende vielleicht wirklich nur sehr überschaubare Nutzerzahlen generieren. Solche Dinge auszuprobieren, halte ich für außerordentlich wichtig. 

In Kürze werden die Weichen für die künftige Höhe des Rundfunkbeitrags gestellt. Was bedeutet das für die künftige Aufstellung des SWR?

Die KEF wird ihre Empfehlung demnächst offiziell bekanntgeben. Das wird mit Sicherheit nicht das werden, was wir uns erhofft haben, aber in diesem Leben gehen eben nicht alle Wünsche in Erfüllung. Wenn es die konkrete Zahl gibt, dann werden wir mit ihr leben und arbeiten müssen – sofern sie von den Landtagen ratifiziert wird. 

Im Vergleich zu anderen Anstalten steht der SWR finanziell doch ohnehin ganz gut da.

Wir besitzen keinen Tresor, in dem ganz viel Geld lagert. Mein Vorgänger Peter Boudgoust hat allerdings früh dafür gesorgt, dass dieser Sender auch in schweren Zeiten noch handlungsfähig ist. Daher wird es mit den erwarteten 18,36 Euro zwar schwer, aber wir müssen es hinkriegen. Bei allem Ärger können wir in Deutschland doch immer noch von Glück sagen, dass wir ein System haben, das unsere Unabhängigkeit garantiert und uns arbeitsfähig hält. Da finde ich Wehklagen echt fehl am Platze.

Sie haben jetzt noch viereinhalb Jahre bis zum Ende Ihrer Amtszeit vor sich. Wo wird der SWR zu diesem Zeitpunkt bestenfalls stehen?

Unabhängig von meiner Amtszeit haben wir uns das Ziel gesetzt, dass der SWR dann mindestens die Hälfte der Altersgruppen zwischen 14 und 30 sowie zwischen 30 und 40 einmal am Tag anspricht. 

Und Sie selbst schauen nach wie vor einmal am Tag die "Tagesschau"?

Natürlich schaue ich die "Tagesschau". Ein Tag ohne "Tagesschau" ist kein Tag – sonst kann ich nicht ins Bett gehen. (lacht) Inzwischen weiß ich noch mehr als bisher zu schätzen, was es für einen Arbeitnehmer in Deutschland bedeutet, in Form einer 15-minütigen Druckbetankung zu erfahren, was heute wichtig ist. Es gibt allerdings noch immer Momente, in denen ich mich erwische, wie mich aktuelle Themen aufwühlen. Bei den Ereignissen im Rot am See habe ich direkt in unserer Chefredaktion angerufen und gefragt, was wir dazu machen – und dabei selbst gemerkt: "Gniffke, es ist nicht mehr dein Job." Bei der Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen habe ich mich jüngst schon zurückgehalten. Ich arbeite ja an mir. (lacht) 

Herr Gniffke, vielen Dank für das Gespräch.

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