Mit welchen Ideen und Ansätzen haben Produzenten die besten Chancen, bei Ihnen durchzudringen?

Ich wünsche mir Menschen, die Lust haben, den Weg ins Non-Lineare kraftvoll und entschlossen zu gehen. Wenn es um unser Programm geht, dann ist es mir wichtig, die Zuschauer zu unterhalten. Das heißt nicht, dass das Programm schlichter werden oder an Komplexität verlieren soll. Im Gegenteil: Der Anspruch, relevant zu sein und die Inhalte möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, macht die Aufgabe eher komplexer.  

Wie ist es um den Nachwuchs bestellt?

Es gibt nie genug Leute, die gute Geschichten schreiben können. Und gleichzeitig wächst der Bedarf. Daher müssen wir daran arbeiten, die interessanten Talente für uns zu gewinnen.

Ist der WDR für den Nachwuchs genauso sexy wie Netflix?

Mit den Schwerpunkten Fernsehfilm, Kino und Serie haben wir ein sehr breites Portfolio, verbunden mit einer großen Reichweite. Dazu kommt, dass wir hier in Köln unsere Homebase haben. Wir haben kein Headoffice in Los Angeles, wohin die Leute fliegen müssen, um zu nachtschlafender Zeit Verträge abzuschließen. Wir sind nahbar, müssen es künftig aber vielleicht noch mehr sein als in der Vergangenheit.

Von Ihrem Vorgänger haben Sie drei Serien geerbt: "Meuchelbeck", "Phoenixsee" und die "Schnitzel"-Reihe. Wie geht es damit weiter?

Nachdem die Serien im ersten Halbjahr gelaufen sind, haben wir uns relativ viel Zeit genommen, um die Resonanz von Zuschauern und Öffentlichkeit sehr genau zu betrachten und uns gemeinsam mit den Kreativen auseinanderzusetzen, welche Schlüsse wir daraus ziehen. Mit Blick auf die "Schnitzel"-Serie sind wir zu der Erkenntnis gekommen, dass die Geschichte auserzählt ist. Bei "Phoenixsee" hat es ebenso wie bei "Meuchelbeck" einen deutlichen Zuschauerrückgang im Vergleich zur ersten Staffel gegeben. Das ist schade und bedauerlich, müssen wir aber akzeptieren. Aus diesem Grund werden wir die Produktionen nicht fortsetzen und neue Ideen angehen.

"Was nach der 'Lindenstraße' kommt, ist eher nicht eine neue 'Lindenstraße'."
Alexander Bickel

Wollen Sie weiterhin in Serien fürs Dritte investieren?

Ich bin überzeugt davon, dass der WDR eine „fiktionale Adresse“ im Dritten braucht. Da haben wir nun einige Learnings gesammelt, wie es nicht funktioniert, aber auch Erkenntnisse gewonnen, was man anders machen kann. Die kurzen Staffeln hatten den Nachteil, dass die Serien beendet waren, bevor die Zuschauer sie überhaupt finden konnten. Wir suchen deshalb nach einem Modell, das sich auf Strecke bringen lässt. Daneben stellt sich die Frage, ob es eine Idee gibt, die vergleichbar ist mit dem, was der NDR mit dem "Tatortreiniger" oder der BR mit "Hindafing" erreicht hat. Das sind spannende Programme, die auch non-linear sehr erfolgreich sind.

Ein Dauerbrenner war die "Lindenstraße", deren Einstellung jedoch beschlossen wurde, bevor Sie zum WDR kamen. Ist so etwas heute überhaupt noch einmal denkbar?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in 80ern jedem sofort eingeleuchtet hat, dass die "Lindenstraße" eine Serie ist, die mehr als 30 Jahre lang auf Sendung sein wird. Was nach der "Lindenstraße" kommt, ist eher nicht eine neue "Lindenstraße". Sie gibt uns aber eine Idee davon, dass man eine Serie sehr nah an der Lebenswirklichkeit erzählen kann. Diesen Aspekt will ich in unseren Programmen weiter stärken. 

Welche Projekte liegen Ihnen in den nächsten Monaten am Herzen?

Für das erste Halbjahr 2020 planen wir die Ausstrahlung des Dreiteilers "Unsere wunderbaren Jahre" von UFA Fiction. Eine Geschichte, die sehr selbstbewusst die nordrhein-westfälische Provinz erzählt – hochkarätig besetzt und sehr modern und lustvoll inszeniert von Elmar Fischer, nach Büchern von Robert Krause und Florian Puchert, und produziert von Benjamin Benedict. Degeto und Filmstiftung sind mit an Bord. In Entwicklung haben wir eine Miniserie mit dem Arbeitstitel "Bonn", die ich mir gut vorstellen kann als Teil der ARD-Serienoffensive für die Mediathek. Claudia Garde, Martin Rehbock und Peter Furrer haben die Serie geschrieben, H&V Entertainment produziert. Schauplatz ist die westdeutsche Bundeshauptstadt Bonn im Jahre 1954. Hinter den adretten Fassaden lauern die Abgründe eines Familienthrillers, der die Perspektive einer jungen Frau mit der Agentenwelt von Verfassungsschutz und der Operation Gehlen zusammenbringt. Mit der Produktion wollen wir im nächsten Jahr beginnen.

Lassen Sie uns auf die Kinokoproduktionen zu sprechen kommen. Ist das Gebiet angesichts der Vielzahl an Filmen, die ins Kino kommen, überhaupt noch interessant?

Für mich, als jemand, der beim ZDF ausschließlich im Fernsehbereich gearbeitet hat, ist dieses Feld eines, auf dem ich noch viel lernen kann – und auch will. Für uns stellt sich die Frage, wie wir unser Kino-Engagement zurückführen können auf die anderen Felder. Es geht darum, dem Kino-Nachwuchs perspektivisch den Weg zum "Tatort", zum FilmMittwoch oder zu einer Serie zu ebnen – aber auch wieder zurück. Wir müssen unser Portfolio nutzen, um die Nähe zu diesen Talenten zu halten. Außerdem sehe ich im Kino die Chance, mit neuen Talenten auch neue Erzählweisen zu erproben, die man später ins Fernsehen bringt. Das ist inhaltlich, aber auch ökonomisch sinnvoll.

Weil Sie gerade den "Tatort" erwähnten: Müssen Sie da überhaupt was machen?

(lacht) Ein Selbstläufer ist auch der Tatort nicht. Wer den Erfolg verwaltet, der hat ihn bald nicht mehr. Daher ruhen wir uns nicht auf dem Erfolg unserer drei "Tatorte" aus. Im nächsten Jahr feiern wir den 50. Geburtstag der Reihe. Dazu planen wir ein Crossover mit dem BR. In Arbeit ist auch ein hochkarätig besetzter Impro-"Tatort" von Jan-Georg Schütte. Bei aller Begeisterung über das, was wir da in der Hand halten, sind wir gut beraten, uns zu fragen, wie der "Tatort" der Zukunft aussehen wird.

Herr Bickel, vielen Dank für das Gespräch.