Herr Bellut, was beschäftigt den ZDF-Intendanten im Herbst 2019 am meisten? Immer neue Streamingdienste, die medienpolitischen Debatte um die Öffentlich-Rechtlichen, Serienhype bzw. Lust aufs Live-Fernsehen oder als Journalist die aktuelle Nachrichtenlage?

Sicherlich ist das Zusammenspiel von linearem Fernsehen und digitalen On-Demand-Angeboten das langfristig wichtigste Thema für unsere Branche. Aber in der Tat, Sie haben es beschrieben: Es gibt unglaublich viele Bälle, die im Moment in der Luft sind. Es ist so spannend wie noch nie, auch aus der journalistischen Perspektive. 

Und dann stehen noch Entscheidungen über Aufgaben und Budget der Öffentlich-Rechtlichen sowie die künftige Ermittlung des Rundfunkbeitrags aus. Grund zur Sorge für Sie?

Als Intendant hat man immer das Budget der nächsten Jahre im Blick. Ich bin im Prinzip positiv gestimmt, die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen wird auch breit in der Politik anerkannt. Die politische Zuspitzung der vergangenen Jahre hat die Daseinsberechtigung von ARD, ZDF und Deutschlandradio eher unterstrichen. Ich bin gespannt wie im Dezember die Empfehlung der KEF aussieht. Danach liegt der Ball dann bei den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten.



Gefühlt beschwören die Intendanten der Öffentlich-Rechtlichen vor jeder vermeintlich unumgänglichen Beitragserhöhung in der nächsten Periode jetzt aber wirklich rechtzeitig und wirksam zu sparen. Und doch muss es nun wieder mehr sein…

Ich stamme aus einer landwirtschaftlichen Gegend in Norddeutschland und weiß: ein guter Bauer klagt über das Wetter und die Ernte. Aber unterm Strich habe ich immer gesagt: Das ZDF hat eine gute Ausstattung für die Herstellung von guten Inhalten - und das ist ja unsere Verpflichtung. Bei der Diskussion um den Rundfunkbeitrag geht es um die Abdeckung von Preissteigerungen. Aus unserem Etat von rund 2,4 Milliarden Euro im Jahr gehen allein über 700 Millionen Euro an externe Produzenten. Dort gibt es ebenso Preissteigerungen wie bei unseren eigenen Kosten.

Genau um die geht es aber. Diese Preissteigerungen sind seit je her erwartbar. Genau deswegen frage ich mich: Würde denn eine proaktive Reduzierung des Angebots - Sie selbst haben ja einst ZDFkultur für Funk eingestellt - nicht nur der Wirtschaftlichkeit dienen sondern auch dem Eindruck der Nimmersatten entgegenzustellen?

Unsere Angebote sind von den Ländern beauftragt. Das gilt für unsere Digitalkanäle, die Dritten oder auch für Arte, 3sat oder Phoenix - alles sehr geschätzte Angebote. In den Bundesländern, in denen sie angesiedelt sind, jeweils noch ein bisschen mehr geschätzt. Grundlegende Veränderungen des öffentlich-rechtlichen Angebots brauchen aber die einstimmige Entscheidung aller Länder, das kann ich als ZDF-Intendant nicht selbst regeln.

Bis auf die Ausnahme ZDFkultur…

Wir hatten damals angeboten, ZDFkultur einzustellen, um zu sparen. Die Medienpolitik hat dann beschlossen, die Einsparungen für das neu beauftragte junge Angebot Funk einzusetzen. Darüber bin ich rückblickend sehr froh. Sehen Sie: Die Erwartungen an das ZDF und insbesondere seine digitalen Angebote steigen. Wir müssen dort weit mehr investieren als früher, bekommen dafür aber keinen Zuschlag. Wir sparen daher schon enorm und der Prozess wird sich fortsetzen: Wenn wir im Digitalen den Anschluss nicht verpassen wollen, werden wir das durch weitere Einsparungen im linearen Programm finanzieren müssen.

Stichwort Digitales: Sie haben dem Fernsehrat vor einem Monat ein neues Konzept für die verlängerte Verfügbarkeit von Programmen in der ZDF-Mediathek präsentiert. Aus Zuschauersicht erst einmal super, kostet aber auch mehr…

Es geht da um einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag, der weitgehend in die Rechte für den längeren Verbleib in der ZDF Mediathek fließt. Wir sind in Gesprächen mit Produzenten und offen für flexible Lösungen, wie etwa bei „Bad Banks“, das schon eine längere Verweildauer hatte. Ich weise aber darauf hin: Wenn wir mittelfristig einen signifikanten Anstieg der On-Demand-Nutzung erleben werden, steigen auch die Kosten für diese Verbreitungsform.

Ist es dem Publikum vermittelbar, warum welche Sendungen wie lange online abrufbar sind? Es erschließt sich jetzt nicht unbedingt, warum für „Wiso“, „Bergdoktor“ und „Das Parfum“ unterschiedliche Regeln gelten…

Das ist für das Publikum schon unangenehm, vor allem für diejenigen, die unsere Angebote gerne unbegrenzt nutzen würden. Aber es nun einmal so, die neuen Nutzungsformen im Netz machen das Angebot aus rechtlichen, vertraglichen und technischen Gründen einfach unübersichtlicher als früher, wo es einfach nur ein klares Programmschema gab. 

"Wenn man nur die Politiksendungen betrachtet, kommen wir auf mindestens 80 Prozent Marktanteil. Deshalb finde ich es wichtig, dass es den inhaltlichen Wettbewerb zwischen ARD und ZDF gibt, dass wir gegenseitig Benchmark füreinander sind."

2017/2018 war die Idee einer großen gemeinsamen Mediathek von ARD und ZDF viel diskutiert. Es ist etwas ruhiger darum geworden. Wie stehen Sie zu diesen Gedankenspielen?

Ich bin Pragmatiker und immer offen für Gespräche. Aber in der Diskussion über gemeinsame Initiativen werden viele Bälle in die Luft geworfen, ohne die praktischen Auswirkungen zu berücksichtigen. Ich höre da lieber auf meine Fachleute, die wissen, was den Wünschen der Nutzer entgegenkommt und welche Ideen realistisch sind oder eben nicht. Im Moment ist es unser Weg, die ZDFMediathek weiter zu optimieren. Aber ARD und ZDF sollen sich besser vernetzen. Das ist bereits in Arbeit, damit man z.B. den „Tatort“ über unsere und die „heute show“ über die Mediathek der ARD finden kann.

Wenn ARD und ZDF online verschmelzen würden, wäre doch ohnehin die Büchse der Pandora geöffnet. Dann wäre kaum noch zu argumentieren, warum getrennte Strukturen dahinter stehen und es nicht nur einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt…

Ich bin ein vehementer Befürworter von zwei öffentlich-rechtlichen Systemen. Die Macht eines gebündelten Rundfunks wäre enorm. Ich halte es staatsrechtlich und demokratietechnisch nicht für den richtigen Weg, zumal wenn man bedenkt, dass die Meinungsbildung zu den politischen Debatten in unserem Land maßgeblich von unserer Berichterstattung geprägt wird. Die Sender von ARD und ZDF haben beim Gesamt-Fernsehmarkt etwa 50 Prozent Marktanteil. Wenn man nur die Politiksendungen betrachtet, kommen wir auf mindestens 80 Prozent. Deshalb finde ich es wichtig, dass es den inhaltlichen Wettbewerb zwischen ARD und ZDF gibt, dass wir gegenseitig Benchmark füreinander sind. Nehmen Sie die Wahlberichterstattung. Da sind wir froh, dass wir uns an der ARD messen können. Das ist immer auch ein Wettbewerb um Qualität.

Aber jetzt kommen doch die neuen Konkurrenten: Max Conze denkt über einen neuen Nachrichtensender im deutschen Markt nach - und Axel Springer drängt mit „Bild“ ins TV….

Ich finde es erst einmal positiv, wenn Privatunternehmen in Journalismus bzw. Nachrichtenfernsehen investieren. Ich freue mich über den Richtungswechsel von Herrn Conze, weil ich die frühere Strategie von ProSiebenSat.1 nie verstanden habe, sich mit dem Verkauf von N24 aus dem Nachrichtengeschäft zu verabschieden. Der Blick zum Beispiel in die USA zeigt ja: Es gibt einen Markt für Nachrichtenangebote im Fernsehen. Dass „Bild“ jetzt ins Fernsehen drängt, ist interessant. Es gibt Beispiele im Ausland in welche Richtung das gehen kann, wenn bei einem Ereignis wie dem Anschlag in Halle sehr emotional und nonstop berichtet wird. Mit solchen Angeboten zu besonderen Nachrichtenlagen würden aber weniger die Öffentlich-Rechtlichen angegriffen. Das war eine Nebelkerze von Julian Reichelt. Das würde eher n-tv und dem eigenen Nachrichtensender Welt Probleme machen.

Sie streben aber selbst nicht nach einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender, der bei besonderen Nachrichtenlagen immer mal wieder diskutiert wird, weil Phoenix und Tagesschau24 in solchen Situationen missverständlich wahrgenommen werden?

Wir haben den Ereigniskanal Phoenix und Tagesschau24. Einen Nachrichtenkanal dürfen wir nicht machen und ich halte mich an die medienpolitischen Vorgaben der Länder, auch wenn es als junger Journalist immer mein Traum war, einen öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal zu organisieren. Wir haben im Augenblick ein ganz anderes Projekt vor uns, das 2020 für das ZDF von großer Bedeutung ist: Die Weiterentwicklung von „heute“ im digitalen Bereich.

Was bedeutet das?

Im Digitalen existiert schon heute eine unglaubliche Menge an Informationsangeboten. Auftragsgemäß sehe ich es als Verpflichtung des ZDF dort mit seriösen, handfesten und geprüften Informationen stärker präsent zu sein als bisher. Im Netz kann man auf aktuelle Nachrichtenlagen schneller und intensiver reagieren. Kein Nachrichtensender, aber trotzdem eine hochwertige Rundumversorgung mit einer neu aufgestellten heute.de.