Herr Beckmann, Sie haben vor wenigen Tagen im "Tagesspiegel" eine gemeinsame Mediathek von ARD und ZDF gefordert. Wie realistisch ist das wirklich?

Frank Beckmann: Nach meiner Auffassung ist eine gemeinsame Mediathek der richtige Weg. Je mehr gute öffentlich-rechtliche Inhalte gebündelt werden, desto besser. Für die Rundfunkbeitragszahlenden ist es ein einfacherer und eindeutig besserer Service. Innerhalb der ARD haben wir uns bereits auf den Weg gemacht, die Mediatheken zu vereinen. Beim NDR, aber auch bei anderen Anstalten, gibt es schon seit mehr als einem Jahr keine Bestrebungen mehr, die eigene Mediathek weiterzuentwickeln. Wir setzen ganz auf ein einheitliches Angebot.

Wieso eigentlich erst jetzt? Das hätte doch schon viel früher passieren können oder müssen? Und noch gibt es auch viele eigenständige Mediatheken der Dritten.

Ja, aber der Trend ist eindeutig. Wir haben uns auf eine starke ARD Mediathek verständigt. Das Problem ist derzeit noch der technische Übergang. Der NDR wird mit seiner Mediathek auch sehr zügig in der neuen ARD Mediathek aufgehen. Das ist ein völlig richtiger Schritt.

Sind Sie mit dieser Forderung nach einer gemeinsamen Mediathek mit dem ZDF ein Einzelkämpfer innerhalb der ARD? Oder artikulieren Sie diese Forderung stellvertretend für den gesamten Senderverbund?

Ich spreche nicht für die ARD insgesamt, aber in der ARD wünschen sich das viele und auch vor allem unsere Nutzerinnen und Nutzer. Wir werben sehr dafür. Es liegt ja in der Logik der Sache: Wir können doch nicht die übermächtige Konkurrenz der Tech-Firmen aus Übersee beklagen und uns zugleich selbst klein machen. Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm hat zu Recht formuliert: Viele Zwerge machen keinen Riesen. Wir müssen versuchen, mit dem gesamten öffentlich-rechtlichen Inhalt zu überzeugen. Das Angebot von ARD und ZDF in den Bereichen Information, Unterhaltung und fiktionale Programme ist großartig. In einem gebündelten Angebot hätte es die besten Chancen, im Konkurrenzkampf zu bestehen.

Wie realistisch ist die Forderung nun tatsächlich?

Man kann auch andersherum fragen: Was spräche dagegen? Für die Rundfunkbeitragszahlenden wäre ein gebündelter Zugang am komfortabelsten. Und schauen Sie auf die Drittplattformen: Dort finden Sie zum Beispiel bei der Telekom fast alle öffentlich-rechtlichen Angebote vereint. Die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler sollten kein Magenta-TV-Abo abschließen müssen, um in den Vorzug einer gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Mediathek zu kommen.

Muss man, wenn man konsequent an die Nutzer denkt, nicht auch in neue Inhalte investieren?

Wir haben zwei Ziele: Wir müssen die technischen Fragen lösen. Wir brauchen eine personalisierte Mediathek, die im Sinne der Nutzungsfreundlichkeit auf Augenhöhe mit den Streaming-Diensten ist. Daran arbeiten wir intensiv. Daneben stellt sich natürlich auch die Frage nach den Inhalten, die aktuell fast noch drängender ist. In einer neuen Mediathek brauchen wir nicht nur die Inhalte, die wir schon jetzt vorhalten, sondern neue. Erfolgreiche Inhalte auf Streaming-Diensten sind oft andere als im linearen Programm. Als Fernsehdirektor habe ich die Aufgabe, für einen klar umrissenen Sendeplatz zu produzieren. Diese Sendeplätze sind mit Erwartungshaltungen der Zuschauerinnen und Zuschauer verknüpft. Für ein nicht-lineares Angebot gilt das nicht in gleicher Weise.

"Die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler sollten kein Magenta-TV-Abo abschließen müssen, um in den Vorzug einer gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Mediathek zu kommen."

Was heißt das konkret?

Wir haben eine Serienoffensive gestartet, die zum Ziel hat, Produktionen herzustellen, die vor allem non-linear funktionieren. Es geht neben horizontalen Erzählweisen auch um Genres, die wir eher seltener bedienen: Aus den Bereichen Science Fiction oder auch Mystery zum Beispiel. Wir müssen in unserer Mediathek auch solche spezifischen Stoffe anbieten. Die Sender der ARD haben sich zu diesem Ziel bekannt und werden im nächsten Jahr erstmals 20 Millionen Euro in Serien investieren, die zuvorderst für den nicht-linearen Bereich angedacht sind. Für einen kleinen Teil davon werden wir auch Lizenzen erwerben. Wie im Streaming-Markt üblich, werden auch wir dann die jeweilige Staffel auf einen Schlag veröffentlichen.

Das Produzieren fernab von fixen Sendeplätzen wurde zuletzt von vielen Produzenten gelobt, wenn es um Freiheiten ging, die Netflix und Amazon einem bei der Herstellung von Filmen und Serien lassen. Jetzt zieht also auch endlich die ARD nach.

Als wir mit der Idee an die Kreativen herangetreten sind, hatte es eine eher befreiende Wirkung. Im Vordergrund steht bei der Serienoffensive erstmals der Erfolg unserer Mediathek, nicht der des linearen Programms. Wir werden die Sendungen sicher auch im Fernsehen anbieten, allerdings ohne sie mit einer zu hohen Erwartung an die Zuschauerakzeptanz zu verknüpfen. Das ist aber alles nur ein erster Aufschlag, wir werden uns künftig in diesem Bereich verstärken müssen.

Jetzt werden erst einmal die 20 Millionen investiert. Aus welchem Bereich werden die denn abgezweigt?

Wir werden die Mittel umwidmen. Das Erste ist zusammen mit der ARD Degeto bereit, Geld zu investieren. Das gilt auch für die Landesrundfunkanstalten der ARD, alle machen mit.

Die ARD investiert derzeit auch jährlich 30 Millionen Euro in Funk-Formate. Das bleibt von der Mediatheken-Offensive unberührt?

Die Kolleginnen und Kollegen von funk denken schon heute komplett non-linear. Sie müssen nichts umwidmen, weil sie sich ohnehin um junge Zielgruppen kümmern, die gewohnt sind, Inhalte zeitsouverän zu nutzen.

Wie wird am Ende der organisatorische Ablauf sein, um die 20 Millionen zu verteilen und überwachen? Verantworten Sie das?

Meine Aufgabe endet damit, die ARD von dieser Investition zu überzeugen. Die Koordination wird der für Serien zuständige WDR übernehmen. WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn hat sich bereit erklärt, die inhaltliche Ausrichtung zu koordinieren.

Wieso haben Sie das eigentlich alles nicht schon viel früher gemacht? Der "Netflix-Hype" ist ja nicht gerade erst aufgekommen.

Mein Eindruck ist in diesem Fall: Von der Idee bis zur Realisierung vergingen nur wenige Wochen. Das ist gemessen an dem Etat von 20 Millionen Euro eher Lichtgeschwindigkeit. Außerdem: Die ARD hat bereits mit "Babylon Berlin", "Charité" oder auch dem "Tatortreiniger" vom NDR hervorragende Produktionen, die auch auf Streaming-Plattformen sehr gut funktionieren. Aber Sie haben Recht, bislang haben wir nur die Mittel umgewidmet. Serienentwicklungen dauern lange. Das Geld bereitzustellen, kann daher nur ein Anfang sein.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie Frank Beckmann den "Tatort" und den "Polizeiruf" zu Podcasts machen will und weshalb künftig mehr Hörfunk-Korrespondenten im TV zu hören sein werden.