Gerade weil Guilty Pleasure omnipräsent sind, fragt sich die Branche: Warum haben Sie sich nach fünf Staffeln mit guten Quoten dann gegen eine Fortsetzung von "Adam sucht Eva" entschieden?

Das ist eine gute Frage. "Adam sucht Eva" hat tatsächlich gar nicht so schlecht funktioniert. Aber wenn Sie sich das RTL-Programm mal anschauen, werden Sie feststellen, dass wir sehr viele lang laufende Formate haben. Die große Kunst bei RTL ist immer: Für neue Programme muss man sich auch von alten Programmen trennen. Es ist eine natürliche Tendenz, lieber das zu bewahren, was man hat und was noch "ganz gut" läuft. Aber dann blockieren wir uns selbst. Bequemlichkeit ist der Feind des Neuen. Und wir haben konkret "Adam sucht Eva" rausgenommen, weil wir hier keine so große Weiterentwicklungsmöglichkeit gesehen haben wie zum Beispiel beim "Sommerhaus der Stars".

Also keine inhaltliche Kurskorrektur in dem Sinne, dass "Adam sucht Eva" nicht zu Ihrer Vorstellung von gutem Programm gehört?

Nein, ich fürchte mich nicht vor nackten Menschen vor der Kamera. RTL steht auch dafür. RTL muss für die ganze Bandbreite stehen - von "Team Wallraff", Nachrichten und aktuellen Sondersendungen einerseits bis hin zur Party für die gute Laune, egal ob mit oder ohne Kleidung, anderseits.

Und die Fiction gehört auch dazu, wo RTL schon diverse Ansätze verfolgt hat. Wie sieht Ihr Weg aus?

Als Mainstream-Sender muss man aufpassen, dass nicht alle Programme in sich zu Mainstream sind, will sagen: Es braucht Ecken und Kanten, und Charaktere sowie Geschichten, die im Kopf bleiben. Wenn ich mir einige unserer Serien anschaue, dann denke ich, dass wir da noch einen Zacken zulegen können. Ich glaube, dass wir in Teilen zu viel Leichtigkeit versucht haben und niemandem weh tun wollten, um möglichst alle Demografien zu bespielen. Und wir sollten uns horizontal erzählten Serien nicht verschließen, nur weil "Deutschland 83" bei uns nicht ganz die Erwartungen erfüllt hat. International hat die Serie ja sehr gut funktioniert und das Genre ist grundsätzlich nach wie vor sehr gefragt. Bei "Alarm für Cobra 11" arbeiten wir mit Hochdruck daran, einen neuen Impuls zu setzen und ich hätte gerne in der Neuentwicklung der Serien kantige Hauptfiguren. Interessanterweise fällt uns das im Unterhaltungsbereich ja viel leichter, wo manche Personalie stark polarisiert, eben weil sie aneckt.

Wie lässt sich die Strategie zusammenfassen?

Wir wollen die abgeschlossene Event-Serie, die vielleicht auch anders programmiert wird, um nicht eine Woche auf die nächste Folge warten zu müssen. Wir wollen die Helden-Geschichten, in welcher Disziplin auch immer, in möglicherweise länger laufenden Serien. "Der Lehrer" fällt in diese Kategorie. Und dann haben wir die "Nachtschwestern", vom Konzept her klar langlaufend und auf Weekly angelegt. In der zweiten Staffel wird es jetzt also entscheidend, die Kurve zu bekommen, um daraus eine dauerhafte Weekly, also Primetime-Soap zu machen.

Jetzt dauert die Entwicklung fiktionaler Projekte ja seine Zeit. Aber neben der neuen Aktualität dürfte ja Live-Unterhaltung das Schlagwort der Saison bei RTL sein, wenn ich Ihre Worte von den Screenforce Days richtig verstanden habe.

(lacht) Ja, Live-Unterhaltung ist eines der Schlagworte dieser Saison, weil Live-Fernsehen eben eine besondere Qualität von Broadcasting ist. Technisch können das natürlich auch Streamingdienste, aber deren Refinanzierung funktioniert über das Produktversprechen, eine Sendung jederzeit gucken zu können. Das ist auch super, nutze ich selbst auch. TVNOW und auch die anderen Dienste, die es da gibt (grinst). Live-Unterhaltung ist aber die Verabredung zu einem fixen Zeitpunkt, um gemeinsam zu schauen. Sich auf das Risiko einer Live-Show einzulassen, bringt allen den Spaß am Fernsehen zurück, weil wir viel zu perfektionistisch geworden sind. Ich möchte auch mal von meinem eigenen Programm überrascht werden - und wenn man live geht, kann eben alles passieren. Und mich freut, dass so viele unserer Talente das ähnlich sehen. Man kann das ja nicht verordnen, aber ob jetzt Barbara Schöneberger, Thomas Gottschalk, Günther Jauch oder Joachim Llambi - die lieben live.

So viel Liebe für Live-Unterhaltung: Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis der "Domino Day" zurückkehrt?

Ich war über viele Jahre für die Finanzierung dieses Programms durch internationale Partner zuständig, was nie so einfach war, weil das Interesse am "Domino Day" schon ein sehr deutsches war und der Event aufgrund der langen Vorbereitung aber kostspielig ist. Deswegen gab es ihn vor zehn Jahren zum letzten Mal, gleichwohl finde ich auch, dass es ein super spannendes Programm ist. Mehr will ich jetzt nicht dazu sagen. (grinst) Nein, natürlich: Es liegt ja auf der Hand, wenn wir auf Eventisierung setzen wollen, dann liegt der "Domino Day" nahe.

Angekündigt sind ja schon eine Live-Operation im deutschen Fernsehen und die Passion zum nächsten Osterfest. Sehr ambitionierte Projekte.

Wir sind bei den Projekten da, wo wir sein wollen. Aber es sind schwierige Projekte. Bei der Live-Operation braucht es natürlich viel Überzeugungsarbeit und den Verweis darauf, wie gut das in Großbritannien schon mehrfach umgesetzt wurde, weil es eben etwas ganz Ungewöhnliches ist. Da arbeiten wir immer noch gegen den Ruf des Privatfernsehens in Deutschland. Das ist ein Gegenwind, den der Privatsender ITV in Großbritannien so nicht erlebt.

Aber mit Verlaub: An dem Ruf hat doch unter anderem RTL auch lange intensiv gearbeitet…

Ich würde eher sagen: Das Medium Fernsehen als Ganzes wurde in Deutschland sehr lange geringgeschätzt und das deutsche Privatfernsehen noch ein bisschen stärker, leider aber oft basierend auf Vorurteilen und nicht der tatsächlichen Sichtung von Programmen. Nur dann könnte man ja in einen Diskurs einsteigen. Mit dem Serienboom wurden dann Fernsehproduktionen zunehmend auch wertschätzender betrachtet. Wer da jetzt bei RTL wieder an "Tutti Frutti" denkt, der lebt wirklich in der Vergangenheit. Beide Projekte, die Live-Operation und die Passion, sind natürlich höchst ambitioniert und bewusst etwas höher gehängt, um uns selbst mal was zu beweisen. Man muss sich doch mal Ziele setzen. Ich glaube daran, dass wir das schaffen.

Sich in der Unterhaltung Ziele setzen, in der Fiction ambitionierter denken und in der Information noch präsenter werden: Sie wollen in die Offensive gehen?

Ich habe mir, wie einige andere Kolleginnen und Kollegen, Anfang des Jahres sehr genau überlegt, ob ich Lust habe auf eine neue Aufgabe. Und wir haben alle Bock auf Angriff. Wir sind die, die an einem Abend auf den Punkt mehrere Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer unterhalten oder informieren. Broadcasting ist ein tolles Gemeinschaftserlebnis.

Herr Graf, herzlichen Dank für das Gespräch