Inzwischen sind zahlreiche Datingformate ähnlicher Art angekündigt. Das macht den Markt schwieriger…
Dass mit den vielen Nachahmern im Reality-Dating beobachten wir natürlich genau. Da wollen wir uns die Butter nicht vom Brot nehmen lassen und haben zwei weitere Formate aus dem Genre optioniert. Einmal „The Bi Life“, also eine Datingshow mit Bisexuellen. Absolut zeitgemäß meiner Meinung nach, aber wir erleben gerade noch eine Zurückhaltung bei den Sendern. Da wird gerade noch befürchtet, dass LGBT-Themen fürs breite Publikum zu progressiv sein könnten. Vielleicht ist es eher ein Programm für eine Plattform.
Der Erfolg von „Love Island“ hatte in Großbritannien auch eine Schattenseite. Zwei ehemalige Kandidaten haben Selbstmord begangen, was eine Diskussion über die Verantwortung von Produzenten und Sendern für ihre Protagonisten ausgelöst hat. Haben Sie in Köln diese Diskussion auch angenommen?
Wir haben uns sehr damit beschäftigt. Das waren Meldungen, die uns alle geschockt haben. Wir hatten schon seit der ersten Staffel einige Filter eingebaut: Das beginnt beim Casting, das bei uns im Haus wirklich auf einem hohen Level der Exzellenz arbeitet und bei der Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten auch auf die psychische Stabilität achtet. Vor Ort bei der Produktion haben wir - wie auch bei „Ich bin ein Star - holt mich hier raus“ - einen Psychologen für eventuell nötige, akute Krisenintervention. Er spricht aber mit den Leuten auch im Vorfeld.
Also kein Handlungsbedarf?
Doch. Durch die Ereignisse in Großbritannien ist das Bewusstsein für einen „duty of care“ Prozess natürlich groß und es gab einen intensiven Austausch zwischen allen Territorien, die inzwischen „Love Island“ produzieren. Alle Produzentinnen und Produzenten werden in die Verantwortung genommen. Uns hat es nicht überrascht, weil wir schon immer ein Auge drauf hatten. Und trotzdem wollen wir mehr tun: Wir haben eine Expertenteam im Haus, die Ansprechpartner für alle „Love Island“-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer sind. Vor, während und eben - ganz wichtig - auch nach der Sendung. Wir nehmen damit ganz bewusst die Verantwortung an, dass eine Sendung für einen Fernsehproduzenten nicht mit der Ausstrahlung beendet ist. Ich appelliere an die gesamte Branche sich dessen bewusst zu werden.
Eine klare Ansage. Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt wie in Großbritannien.
Wir können die Menschen nicht 24/7 betreuen und für alle Entscheidungen verantwortlich gemacht werden. Es lässt sich nicht alles ausschließen, aber wir können mehr tun, um möglichst viel auszuschließen.
Das Genre an sich ist natürlich schwierig: Es lebt ja von möglichst extrovertierten Kandidatinnen und Kandidaten. Diese aus vorauseilender Sorge zu zügeln, würde unter Umständen auch wieder als Zensur oder Beschränkung der Persönlichkeit gewertet.
Das ist der schmale Grat, aber wir haben nach all den Jahren und so vielen Produktionen einen guten „Bullshit-Detektor“ entwickelt, der den Unterschied zwischen bewusst extrovertiertem Auftreten und einfach irrational verrücktem Verhalten aufspürt. Umgekehrt auch zwischen introvertiert und depressiv. Dazu sitzen sehr erfahrene Producer auf der Sendung, zusammen mit dem Psychologen vor Ort. Was mich eigentlich viel mehr besorgt, mal losgelöst von Fernsehformaten: Wer berät und betreut eigentlich die tausenden Menschen, die sich bei Instagram ganz von allein der Öffentlichkeit preisgeben und oft erst später begreifen, was sie getan haben? Von nackter Haut über zur Schau gestellte Dummheit. Wir übernehmen Verantwortung für die Sendungen, die wir produzieren. Wer trägt für eine Generation die Verantwortung, die alles von sich in die Welt rausbläst?
Wichtige Frage, die aber an dieser Stelle leider zu weit führen würde. Reden wir über Projekte von ITV Studios Germany in der kommenden Saison, über „Love Island“ und die Fiction hinaus. Was kommt?
„Dancing on Ice“ geht bei Sat.1 in die zweite Staffel und ich freue mich, dass sie noch in diesem Jahr kommen wird. Das ist irre gut, weil ich mir diesen Sendeplatz schon für die erste Staffel gewünscht hätte: Wir sind jetzt im Herbst on air.
Gab es auch inhaltliche Learnings, die sie bei der zweiten Staffel berücksichtigen wollen?
Das Eislaufen nicht so leicht zu erlernen ist wie Tanzen. Wir möchten aber gleichzeitig eigentlich größere Entwicklungen zeigen können im Laufe der Show, was also heißt: Wir brauchen Kandidatinnen und Kandidaten, denen man in der Kürze der Zeit diese schwierige Aufgabe zutraut. Die Auswahl der möglichen Teilnehmer wird also noch schwerer, weil wir eine gewisse Sportlichkeit und Grundkenntnis voraussetzen müssen, damit wir in der Show mehr erleben.
RTL hat vergangenen Woche im Rahmen der Live-Strategie auch die Übertragung einer Herz-Operation angekündigt. Sie produzieren. Ähnliche Ideen stießen in Deutschland bislang immer auf viel Kritik. Wie sieht es bei „Operation Live“ aus?
Es ist ein Format der britischen ITV-Tochter The Garden Productions, die schon zwei Staffeln mit jeweils drei Operationen übertragen, darunter auch eine Herzoperation und eine Nierentransplation. Wir wollen mit einer Herzoperation beginnen. Defekte am Herzen und seiner Gefäße sind in Deutschland die Todesursache Nr. 1 mit ca. 338.000 Toten jährlich. Geplant ist ein umfassender Thementag, der diese Live-Operation einbettet und ein Bewusstsein schafft dafür, wie es soweit kommen kann, was man dagegen tun kann und wie mit neuesten medizinischen Mitteln geheilt werden kann.
Kurzer Ausflug zur Daytime. Früher hieß es, Daytime-Formate sind das Brot-&-Butter-Geschäft einer Produktionsfirma, das die Rechnungen zahlt. Gilt der Satz immer noch?
Aber sowas von! Mit „Das perfekte Dinner“, „Vier Hochzeiten und eine Traumreise“, „Quizduell“ und „Gefragt, gejagt“ und einer täglichen Schweizer Sendung, die wir ja auch noch produzieren, sind wir gut aufgestellt. Die Daytime ist momentan das größte Rätsel der Branche, weil nicht ganz klar ist, welche Genres jetzt die Antwort sind. Vox hat für sich eine Antwort gefunden, aber wer immer versucht hat, das zu einfach zu kopieren, ist gescheitert. Es gibt nach Talkshows, Gerichtsshows und Scripted Reality gerade keinen einheitlichen Boom, dem alle Sender hinterrennen. Das ist schwierig, aber ermöglicht gleichzeitig, das Trüffelschwein zu sein, das als erstes ein Thema bzw. Genre besetzt. Wir merken aber auch: Die Daytime-Preise haben inzwischen einen Deckel bekommen, der kostspieligere Programminnovationen schwieriger gemacht hat. Also konkret: Niemand wird nochmal für ein großes Access-Experiment wie „Newtopia“ Geld in die Hand nehmen.
Die Tochter eines internationalen Unternehmens zu sein, war früher eine Einbahnstraße. Zum 20. Geburtstag von ITV Studios Germany: Ist das immer noch so oder sind inzwischen in London auch Impulse aus Deutschland gefragt?
Einen solchen Beitrag hat unsere Tochterfirma Imago TV geleistet. Ready mades von "Mein Kind, dein Kind" wurden nach Polen verkauft und weitere Formatrechte nach Kroatien. Wir quengeln ehrlich gesagt hin und wieder rum, dass ein hier entwickeltes Format wie „Quizduell“, das zwar ausgiebig verändert wurde, aber sich nun als erfolgreich bewährt hat, nicht so aktiv in den Markt getragen wurde. Es ist noch immer nicht so einfach, die Briten von guten deutschen TV-Ideen überzeugen. Alle wollen einen Proven Success, aber ein Proven Success in Deutschland scheint immer noch nicht alle Skepsis auszuräumen. Es ist besser geworden, aber wir nehmen es mal als Herausforderung für die nächste 20 Jahre ITV Studios Germany, unsere britischen Kollegen mit unvermeidbar guten TV-Ideen made in Germany zu überraschen.
Frau Ruff, herzlichen Dank für das Gespräch.
Ruff: "Die Verantwortung endet nicht mit der Ausstrahlung"
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