Herr Valente, Herr Wesseler, man hört, Sie wollen verstärkt in die Serien-Produktion einsteigen. Wie sehen Ihre Pläne aus?
Vittorio Valente: Wir haben ein neues Label gegründet, "TFS – The Fiction Syndicate", bei dem ich als Produzent und Geschäftsführer fungiere. Dabei handelt es sich um eine Produktionsfirma unter dem Dach der all3media, also eine Schwesterfirma der filmpool entertainment. Damit tauchen wir in den seriellen, fiktionalen Drama-Bereich ein und beginnen auch ab sofort mit den Dreharbeiten. Unser erstes Projekt ist die 180-teilige Serie "Herz über Kopf", die wir für RTL auf einem riesigen Areal in Köln-Niehl produzieren. Die Sendung wird ab Herbst auf dem 17-Uhr-Sendeplatz zu sehen sein. In Zukunft sind aber auch sechs- oder achtteilige Serien für alle denkbaren Plattformen angedacht. Aktuell laufen bereits erste Pitches mit Playern wie Amazon Prime oder Netflix.
Warum braucht es dafür ein eigenes Label?
Felix Wesseler: Wir verstehen TFS als Boutique-Fiction-Label, mit dem wir klar signalisieren möchten, dass wir hier etwas anderes machen als bei filmpool entertainment. Wir nutzen aber die Effektivität, die wir im Laufe der Jahre entwickelt haben, und versuchen sie auf fiktionale Produktionen zu transferieren. Analog zu filmpool wollen wir perspektivisch außerdem eine Fiction-Academy gründen, die wiederum als Inkubator dienen kann.
Auf welche Personen setzen Sie hinter der Kamera?
Valente: Für "Herz über Kopf" haben wir Klaus Witting, den ehemaligen Chef-Regisseur von "Alles was zählt", als Creative Director an Bord geholt. Daneben fungiert Nina Blum als Headautorin und Diana Benzien als Producerin. Beide haben in der Vergangenheit ebenfalls für "AWZ" gearbeitet und bringen daher viel Soap-Erfahrung mit in das neue Projekt, das sich aber von bestehenden Dailys unterscheiden soll.
Was bedeutet das konkret?
Valente: Wir haben uns den internationalen und dabei ganz besonders den südamerikanischen Markt intensiv angeschaut und das Genre der Crimenovela für uns entdeckt. Wir bringen also Crime und Telenovela zusammen. Unsere Neuentdeckung Mandy Neidig spielt die Hauptrolle, eine Enddreißigerin, deren Mann vor zwei Jahren spurlos verschwunden ist und sie mit Kindern und Schulden alleine gelassen hat. Was sie nicht weiß: Sein Verschwinden hat womöglich damit zu tun, dass er in kriminelle Machenschaften verwickelt ist. Sie selbst wird nach einem schweren Unfall von einem fremden Mann gerettet. Auf der einen Seite haben wir also klassische Novela-Elemente – eine Frau zwischen zwei Männern –, auf der anderen Seite einen spannenden Crime-Plot.
Auf dem 17-Uhr-Sendeplatz tat sich zuletzt "Freundinnen" schwer, auch andere tägliche Serien sind gescheitert. Wieso wagen Sie es trotzdem?
Valente: Eine tägliche Serie zu machen, ist immer ein Risiko. Wir sind aber nicht größenwahnsinnig und können nur versuchen, unser Bestes zu geben, in der Hoffnung, dass die Zuschauer nicht nur bei RTL einschalten, sondern auch bei TVNow. Natürlich muss man heutzutage geduldig sein und einem täglichen Format sicher sechs bis acht Wochen Zeit geben, damit es von den Zuschauern gefunden wird.
"Wenn der Kunde Factual will, dann werden wir ihm Factual produzieren."
Felix Wesseler
Die Zahl der Scripted-Reality-Formate im deutschen Fernsehen ist in den letzten Monaten zurückgegangen. Was bedeutet das für filmpool?
Valente: Wir haben noch immer sechs Daily-Formate im Programm, zwei bei RTL II und vier in Sat.1. Und wenn wir uns aktuell die Quoten anschauen, dann profitieren diese Sendungen durchaus von der RTL-Entscheidung, nicht mehr auf Scripted Entertainment zu setzen.
Das war in gewisser Weise allerdings auch zu erwarten...
Wesseler: Ich bin mir da gar nicht so sicher. Denn warum hätte man dann diese Entscheidung gegen den Zuschauer getroffen, der das Programm doch eigentlich sehen will? Aber womöglich trifft uns die Schuld auch ein Stück weit selbst, weil wir bei RTL in den vergangenen Jahren in diesem Bereich zu viel Ähnliches angeboten und uns nicht radikal genug selbst in Frage gestellt haben. Die Quittung dafür haben wir bekommen. Ob man derart dogmatisch Scripted Entertainment ausschließen muss, weiß ich nicht, zumal die Erscheinungsformen dieser Produktionsweise eigentlich sehr vielfältig sind, beispielsweise lässt sich unsere Expertise ja perfekt für Re-enactments nutzen. Doch wir sind zum einen Dienstleister - für uns heißt das, wenn der Kunde Factual will, dann werden wir ihm Factual produzieren, und zwar genauso zuverlässig, quotenträchtig und auch gern hochvolumig wie gewohnt. Dabei hilft uns unsere Datenbank, in der sich über 200.000 Menschen befinden, von denen mehr als die Hälfte noch nie im Fernsehen zu sehen waren. Das ist ein Schatz für die Zukunft. Und zum anderen kommen wir ja ursprünglich aus dem Bereich Reality und Factual, will sagen, wir möchten einfach gut unterhalten – ob nun gescriptet oder mit guten Typen und ihren realen Geschichten. Intern unterstützen wir das zum Teil mit neuen Leuten, zum Teil setzen wir auf Weiterbildungen im Rahmen der filmpool Academy mit Partner wie der Grimme-Akademie.
Valente: Wir werden unsere Scripted-Expertise weiter ausbauen und entwickeln derzeit neue Formate. Auf der anderen Seite müssen wir es akzeptieren, wenn RTL vorerst nicht mehr auf dieses Thema setzen will.
Woher soll die Expertise im Factual-Bereich kommen?
Valente: Wir haben durch die Gründung einer Factual-Abteilung auf die Entwicklung reagiert und mit Christoph Richter bereits vor einem Jahr einen ehemaligen Vox-Kollegen als Leiter verpflichtet. Derzeit produzieren wir schon für mehrere Sender diverse Factual-Programme, etwa für RTL Beiträge für die Magazine, für Vox Folgen für Goodbye Deutschland, wir arbeiten an Adaptionen von internationalen Formaten - dazu zu gegebener Zeit gern mehr - haben aber auch schon Eigenentwicklungen, etwa für RTLII unsere neue Show "Tattoo Stories" mit dem aus "Köln 50667" bekannten Ingo Kantorek, zu sehen am 13. Juni ab 22:15 Uhr. Wir werden im Factual-Bereich weiter Vollgas geben und hoffentlich neue Hits platzieren.
Bleiben wir bei den Soaps. Als Sie sich zu Jahresbeginn die gesunkenen Quoten von "Kön 50667" und "Berlin – Tag & Nacht" angeschaut haben, wie nervös waren Sie?
Valente: Diese Zeit war für uns ebenso wenig schön wie für RTL II. Wir betrachten unsere Programme immer selbstkritisch und haben sowohl bei "Köln 50667" als auch "Berlin – Tag & Nacht" reagiert. In beiden Fällen befinden wir uns derzeit wieder einmal in Relaunches und glücklicherweise sind die Quoten zuletzt wieder sehr spürbar über den Senderschnitt gestiegen. Insbesondere bei "BTN" wird es bald eine große Überraschung geben und ich bin mir sicher, dass wir dort auch wieder zweistellige Marktanteile sehen werden. Generell darf man eines nicht vergessen: Beide Serien sind lange auf Sendung und man muss sie regelmäßig frisch halten. Das geht den Kollegen von der UFA mit ihren Soaps aber nicht anders als uns.
Was haben Sie genau verändert?
Wesseler: Bei "Berlin – Tag & Nacht" sind wir im vergangenen Jahr fiktionaler geworden und haben die Grenzen ausgetestet, um das Format nochmal auf ein anderes Level zu heben. Vielleicht sind wir da etwas zu weit gegangen, denn die Zuschauer schätzen besonders die Authentizität. Deshalb haben wir an der Drehweise wieder Veränderungen vorgenommen, jedoch versucht, die Elemente, die funktioniert haben, zu behalten.
Valente: Grundsätzlich haben wir seit Jahresbeginn allerdings nichts Weltbewegendes verändert, denn am Ende geht’s vor allem um die Storylines. Es geht darum, emotional zu erzählen, authentisch zu bleiben und nicht zu überziehen. Manchmal werden Charaktere überstrapaziert, indem sie so viel erleben, dass sie nicht mehr glaubwürdig sind. Da gilt es, den Fokus zu verlagern, und genau das haben wir getan.
Herr Valente, Herr Wesseler, vielen Dank für das Gespräch.