Herr Breitenecker, auf dem Gelände von ProSiebenSat.1 PULS 4 lese ich überall, das Unternehmen sei die "Company for Gamechanger", Sie haben mit dem 4Gamechanger-Festival außerdem innerhalb weniger Jahre eines der größten Digital-Festivals aufgezogen. Was ist eigentlich ein Gamechanger?
Markus Breitenecker: Wir wollen Leute zusammenbringen, die die Welt positiv verändern. Gamechanger sind Menschen, die im Zeitalter der digitalen Transformation unsere Zukunft aktiv verändern wollen. Das 4Gamechanger-Festival soll allen Gestaltern Raum geben, deshalb werden auch Wettbewerber wie Google, Amazon, Uber und Vertreter anderer Medienhäuser dabei sein. Wir bringen die gesamte digitale Szene aus Amerika, Asien und Europa zusammen, um Gamechangern eine Bühne zu geben.
ProSiebenSat.1 PULS 4 will auch einer dieser Gamechanger sein. Sie sind kürzlich eine Partnerschaft mit dem österreichischen Unternehmen FACC und dem chinesischen Konzern Ehang eingegangen, um die Produktion von Flugtaxis bis 2020 serienreif zu machen. Was hat es damit auf sich und was machen Sie da als Medienkonzern genau?
Das wird eines unserer Highlights auf dem Festival. Wir werden die ersten in Österreich und unter den ersten drei in Europa sein, die autonome Flugtaxis in den Testbetrieb schicken werden. In wenigen Jahren wird es die Möglichkeit geben, für den Preis einer Taxifahrt in Wien von einem Ort zum anderen Ort zu fliegen. Mein Gefühl ist: Wir werden zuerst autonom fliegen, noch bevor autonomes Fahren möglich sein wird. Das Projekt passt sowohl zum Festival-Motto "Europe meets Asia", als auch zum Begriff "Gamechanger" und unserer Kernkompetenz, der Kommunikation. Wir sind in dem Joint Venture der Medienpartner und werden die Kommunikation und das Branding für ganz Europa übernehmen.
Inwiefern ist es denn ein "Gamechanger", wenn Sie jetzt als Dienstleister die Kommunikation für ein solches Projekt übernehmen?
Wir machen nicht nur die Kommunikation für das Projekt, wir werden auch die Screens in den Flugtaxis bespielen. Außerdem arbeiten wir bei der App-Entwicklung mit, über die man künftig ein solches Taxi bestellen kann. Was wir beim 4Gamechangers Festival wollen: Die einzelnen Branchen, seien es Banken, Energiebetriebe oder Telekommunikationsanbieter, Handel, Politik und Medien, bekommen die Gelegenheit, ihre Innovationen und Ideen für die digitale Zukunft zu präsentieren.
Wie wichtig wird es auf absehbare Zeit für ProSiebenSat.1 PULS 4 bei diesen Themen, sei es autonomes Fahren oder Fliegen, dabei zu sein? Inwiefern wird das sogar vielleicht einmal zum Kerngeschäft?
Wir glauben stark an unser Kerngeschäft, das ist Qualitätscontent aus den Bereichen Entertainment und News. Die Channels und Geräte, über die Konsumenten die Inhalte nutzen, werden sich natürlich verändern. Aber das Produkt, vor allem auch im lokalen Bereich und mit einer starken Live-Komponente, ist und bleibt unser Kerngeschäft. Hier investieren wir sehr viel, sowohl im deutschen Mutterkonzern als auch hier in Österreich. Das schließt jedoch nicht aus, dass wir uns im Digitalen mit Breakout-Ideen beschäftigen, die über das klassische Business hinausgehen.
2018 haben Sie in einem Interview mit der "FAS" gesagt, dass Sie den Markt von den Silicon-Valley-Giganten "zurückerobern" wollen. Wie weit sind Sie auf diesem Weg?
Der Weg beginnt erst und wir kämpfen. Es gibt noch keine großen pan-europäischen Plattform-Erfolge.
Seit Jahren betonen Sie fast mantraartig, dass man das frühere Konkurrenzdenken überwinden und verstärkt mit anderen Medien zusammenarbeiten muss. Haben Sie das Gefühl, das ist mittlerweile Realität?
Wir haben mit Max Conze einen neuen CEO, der ein echter Macher ist und die verschiedenen Player zusammenbringt, um auf vielen Ebenen Kooperationen zu schließen. Eine Ebene ist die länderübergreifende Allianz von europäischen Broadcastern, die European Media Alliance. ProSiebenSat.1 hat dieses Netzwerk vor über fünf Jahren initiiert, ein Gipfeltreffen dieser Broadcaster findet jetzt auf unserem Festival statt. Innerhalb von Deutschland arbeitet ProSiebenSat.1 mit Discovery an der neuen Streamingplattform 7TV, auch dort sind ja schon einige Partner mit dabei. Vom ZDF über Welt oder bis hin zur BBC oder Bloomberg.
Sie sagten vor einiger Zeit in einem Interview mit dem "Kurier", dass diese Allianz in Deutschland auch ein Vorbild für Österreich und Europa sein kann. Entweder schaffe man das oder man werde in naher Zukunft "keine Chance" mehr haben. Was macht Sie so sicher, dass es nicht schon zu spät ist? Alle reden von Netflix und Amazon, andere wie Disney und Apple kommen bald hinzu.
Netflix und die meisten anderen Dienste sind Pay-VoD, diese Frage muss also an Sky gehen. Unser Kerngeschäft ist Free-TV, und das ist ein großer Unterschied. Wir bieten eine Plattform, die sowohl linearen als auch On-Demand-Konsum über alle Kanäle hinweg ermöglicht. Bei uns wird es erst im zweiten Schritt eine Bezahlvariante geben, bei der etwa Maxdome oder Lizenz-Rechte wie Bundesligaspiele angeboten werden. Wir hatten letzten Sommer 2,5 Millionen aktive User im Monat und liegen jetzt bei 3,3 Millionen. Wir starten jetzt jedenfalls lokal im größten europäischen Markt, von welchem aus wir dann weiter expandieren können. Jedenfalls ist es sinnvoll, jetzt anzufangen und das partnerschaftlich mit allen.
Wird es künftig eine ähnliche Plattform also auch in Österreich geben?
Ja, die haben wir bereits seit 2017. Die heißt Zappn und funktioniert mit einer Million Downloads sehr gut.
Aber dort gibt es nur die Sender von ProSiebenSat.1 PULS 4.
Noch, aber wir laden auch andere Sender ein, dort mitzumachen. Zusätzlich wird es das neue 7TV auch in Österreich geben.
Trotz der Einladung an andere Medien kann man das Gefühl bekommen, dass jeder sein eigenes Süppchen kocht. ProSiebenSat.1 und Discovery mit 7TV, die Mediengruppe RTL mit TVNow und selbst ZDF-Intendant Thomas Bellut sagt ja, dass eine europäische Plattform unrealistisch ist und Verlinkungen viel mehr Sinn machen. Kann es die große europäische Lösung überhaupt geben?
Ich halte viel von der Vision und halte es für richtig, an einer gemeinsamen Lösung zu arbeiten. Beide Varianten haben ihre Berechtigung.
"Mit Public Value verdient man keine Millionen."
Wo wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Zukunft seinen Platz haben?
Das ist auch eine Idee, die ich gemeinsam mit meiner Puls-4-Infochefin Corinna Milborn im Buch "Change the Game" ventiliert habe. Das duale Rundfunksystem muss neu definiert werden. Rundfunkgebühren sollen nicht mehr dafür eingesetzt werden, dass die Öffentlich-Rechtlichen den europäischen Privaten Konkurrenz machen. Vielmehr sollten wir gemeinsam den Silicon-Valley-Giganten ein starkes Angebot gegenüberstellen. Das heißt: Die Öffentlich-Rechtlichen sollten die Gebührengelder nicht dafür verwenden, Sportrechte oder Hollywood-Filme zu kaufen, nur damit sie nicht bei der privaten Konkurrenz von RTL oder ProSieben laufen. Es wäre viel sinnvoller, sie würden in Forschung und Entwicklung investieren, um zum Beispiel eigene europäische Plattformen, auch Social-Media-Plattformen, zu entwickeln.
Sie wollen auch, dass private Anbieter Rundfunkgebühren erhalten, wenn sie in Public-Value-Inhalte investieren. Das machen Sie in Österreich ja jetzt schon – und verdienen Millionen. Wieso überhaupt etwas ändern?
Mit Public Value verdient man keine Millionen, das kann man so nicht sagen. Tatsache ist, dass sich das Mediengeschäft massiv verändert hat und der Wettbewerbsdruck enorm hoch ist. Dazu trägt natürlich auch bei, dass die Firmen aus dem Silicon-Valley in praktisch allen Bereichen regulatorische Privilegien haben. Da ist es logisch, dass man sich in Europa zusammenschließt, um erstens dagegen vorzugehen und zweitens eigene Projekt auf die Beine zu stellen. Dazu zählen auch gemeinsam mit den Öffentlich-Rechtlichen entwickelte Streamingplattformen, die zum Teil von den Rundfunkgebühren finanziert werden könnten.
Gab es da in Österreich schon Gespräche mit dem ORF? Dort hat man ja gerade erst seine TVthek einem umfassenden Relaunch unterzogen.
Da ist Deutschland einen Schritt weiter. Es gab Gespräche, aber ich kann noch keine gemeinsame Plattform verkünden.
Auf Seite zwei spricht Markus Breitenecker über das mögliche Ende der ORF-Gebühren, die inhaltliche Ausrichtung von Puls 4 und ATV und darüber, wie es ATV zwei Jahre nach der Übernahme heute wirtschaftlich geht.