Frau Dr. Loist, beim Workshop "Beyond Stereotypes: Genderbewusstes Erzählen" der Film-Uni Babelsberg geht es um neue, diverse Figuren und Narrative – welche sind damit gemeint?
Wie der Name des Workshops schon sagt, geht es zunächst darum, Stereotypen jeder Art sichtbar zu machen, ob zum Beispiel weibliche Hauptfiguren in Film und Fernsehen als zickig, emotional, teilzeitbeschäftigt oder mütterlich gezeichnet werden. Erst am Wochenende gab es im "Tatort" eine, die lesbisch war und wie üblich die Mörderin.
Immerhin mal eine lesbische Figur.
Und immerhin mal nicht die Leiche, wie bei Facebook geschrieben wird. Da beispielsweise Homosexualität in der Fiktion immer noch als etwas Besonderes beschrieben wird, ist unser Hauptziel, Stereotype ausfindig zu machen, die mit der Lebensrealität 2019 nichts mehr zu tun haben.
Bezieht sich der Diversitätsbegriff demnach auf die LGBTQ-Gemeinde nicht heterosexueller Lebensentwürfe?
Nein, das ist nur ein Aspekt unter vielen, die der Komplexität unserer Gesellschaft nicht mehr gerecht werden. Aber ein Fokus liegt natürlich auf der Geschlechterfrage. Wie die größte repräsentative Erhebung über Ungleichbehandlung in Film und Fernsehen der MaLisa Stiftung…
Von Maria und Elisabeth Furtwängler, mit der Ihre Universität und das Erich Pommer Institut den Workshop ausrichtet.
Ihrzufolge kommen in den Medien viel weniger Frauen vor als Männer – und zwar nicht nur fiktional, sondern mehr noch im Informations- und Showsegment. So verheerend die Zahlen aus Diversitätssicht sind, haben sie gezeigt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen den Inhalten und Erzählweisen auf Bildschirm und Leinwand. Wenn mehr Frauen in Regie, Produktion, Buch verantwortlich sind, sind auch mehr und komplexere Frauenfiguren zu sehen.
Trotz andauernder Thematisierung dieser Ungleichbehandlung durch Initiativen wie ProQuote Film zeigt sich keinerlei Besserung. Woran liegt das?
Auf zwei Worte herunter gebrochen: unconscious bias, also ungewollte, unterschwellige Vorurteile. Die meisten Film-Gewerke sind ja von vorneherein gegendert gedacht. Während im Bereich Make-up und Kostüm zu 90 Prozent Frauen arbeiten, ist das Verhältnis bei Kamera und Ton umgekehrt. Das hat mit Geschlechterzuschreibungen zu tun. So werden Frauen in der Branche immer noch als Risiko gesehen und vermutet, dass sie nicht alles fürs Projekt geben, weil sie sich nebenbei ja noch um Haushalt und Kinder kümmern müssten. Einem Regisseur würde das niemand absprechen, egal ob er Vater ist oder Familie hat.
Aber entscheiden darüber am Ende nicht weiterhin Männer, die unter ihre Führungsetagen bewusst gläserne Decken einrichten?
Sicher, diese gewachsenen Strukturen und Netzwerke existieren. Und weil viele Entscheidungen darin zugunsten all jener gehen, die den Verantwortlichen ähneln, existiert das Ungleichgewicht fort. Das heißt allerdings nicht, dass diese Vorurteile nur von Männern gepflegt werden. Deshalb ist es nicht mit Quoten getan. Wir brauchen einen echten Kulturwandel, der sich nicht als Kampf gegen Männer versteht, sondern für Fairness und Gerechtigkeit. Da müssen wir uns etwa fragen, warum sich 50 Prozent hochqualifizierte Absolventinnen der Filmhochschulen später nicht annähernd auf den Führungsebenen der Branche wiederfinden.
Und Ihr Lösungsansatz?
Wir müssen den Menschen klarmachen, wie viel kreatives Potenzial durch dieses System verloren geht, wie viel Mehrwert. Und weil es in unserem Workshop ums Erzählen geht: wie viel reicher wären Geschichten, wenn sie nicht nur von und aus Sicht von Männern erzählt würden. Diese Mutlosigkeit der Branche, alte Strukturen zu zerschlagen, müssen wir angehen.