Hat "Kontrakt 18" also den Fehler gemacht, zu viel über einen Kamm scheren zu wollen?
Zahn: Bei uns haben über 200 Autorinnen und Autoren unterschrieben, die sagen: Wir möchten unsere Verträge künftig gern nach den Maßgaben von "Kontrakt 18" gestaltet sehen. Dieses Ziel durchzusetzen, ist natürlich in jedem Einzelfall Verhandlungssache. Und es liegt auch auf der Hand, dass meine Interessen als Autor unterschiedlich sind je nachdem, ob ich eine sechsteilige Miniserie erfunden und entwickelt habe oder ob ich ein Episodenbuch für eine langlaufende Vorabendserie schreibe. Trotzdem wehre ich mich dagegen, die Arbeit für langlaufende Serien als zweitklassig oder weniger schützenswert herabzuwürdigen, da steckt oft viel Herzblut in den Geschichten, und deshalb war es uns wichtig, auch diesen Bereich für "Kontrakt 18" zu erschließen. Übrigens mit beachtlichem Erfolg, zum Beispiel bei den ZDF-Serien "Notruf Hafenkante" oder "SOKO Leipzig". Aber abgesehen davon: Wir verstehen den "Kontrakt 18" auch als politisches Signal. Ohne dramatisieren zu wollen: Wir führen einen Kulturkampf um die Frage, wer welchen Einfluss bei der Entstehung von Fiction-Programmen hat. Manche Regisseure halten sich für die einzig wahren Showrunner. Da müssen wir ein bisschen gegensteuern.
Quentell: Mit Verlaub: Im US-System tragen Showrunner nicht nur die kreative, sondern auch die budgetäre Verantwortung. Auf der Position muss jemand sitzen, der beide Seiten gleichermaßen im Blick hat. Das muss man wollen und das muss man können.
Zahn: Völlig d'accord. Wir als Autorinnen und Autoren müssen präziser definieren, wozu wir bereit und in der Lage sind, welche Kompetenzen wir haben und welche wir noch entwickeln müssen...
Quentell: ... und welche Verantwortung ihr bereit seid zu übernehmen.
Zahn: Ja, aber wir stehen erst am Anfang. Wir sind gerade dabei, die Art und Weise, wie in Deutschland fiktionales Programm gemacht wird, grundlegend zu hinterfragen. Vielen Leuten dämmert langsam, dass wir endlich eine Kultur der angemessenen Wertschätzung von Autorinnen und Autoren etablieren müssen. Ohne deren Geschichten, ohne deren Content kann man den Laden nämlich dicht machen. Gleichzeitig verändert sich der Markt in einem atemberaubenden Tempo, da müssen definitiv alle Gewerke auf den Prüfstand.
Drehbuchautoren Volker Zahn ("Zarah - Wilde Jahre") und Orkun Ertener ("KDD - Kriminaldauerdienst")
Generell ist ja bemerkenswert, wie sich die Wahrnehmung für Fiction und insbesondere für Serien verändert hat. Serien laufen auf Festivals, bekommen Preise, werden ausführlich im Feuilleton besprochen. Gleichzeitig scheint die Zahl richtig guter, hochwertiger Serien unaufhörlich zu steigen. Wie lange kann das so weitergehen? Wann ist die Decke erreicht?
Benedict: Es hilft ja manchmal, sich selbst als Privatzuschauer zu prüfen: Ich persönlich empfinde die heute vorhandene Serienvielfalt in erster Linie als großartige Bereicherung, aber gelegentlich auch als Anforderung, weil ich bei all den tollen neuen Serien überhaupt nicht mehr nachkomme. Rein betriebswirtschaftlich gesehen, limitiert sich mit zunehmender Fragmentierung des Marktes irgendwann das Erlöspotenzial. Nun ist die spannende Frage, ob man mit Hilfe von weltweiter Expansion und dem Erschließen immer neuer Zuschauerschichten die Fragmentierung kompensieren kann. Das ist ja beispielsweise die Strategie von Netflix. Ich traue mir da keine allzu langfristige Prognose zu, glaube aber, dass wir zumindest in den nächsten fünf Jahren noch eine wachsende Konkurrenz von Sendern und Plattformen erleben werden. Diese Konkurrenz belebt ganz klar unser Geschäft, weil es Konkurrenz um Qualität und um Ideen ist. Wenn ich kreativ arbeite, sollte ich bereit sein, diese Herausforderung anzunehmen. Im Idealfall kann die Welt mein Publikum werden.
Quentell: Ich empfinde es als absolutes Geschenk, dass ich als Produzentin heute sowohl langlaufende TV-Serien wie "Der Lehrer" oder "Heldt" machen als auch eine komplexe Streaming-Serie wie "Die Welle" mitproduzieren darf. Der Markt war doch noch nie so spannend und vielseitig. Viele Beschränkungen, die wir jahrelang gewohnt waren, existieren einfach nicht mehr. Und angesichts der weiter wachsenden Zahl von SVoD-Services wird der Markt in absehbarer Zeit bestimmt nicht kleiner werden.
Ertener: Noch spannender als die Frage, was Netflix und Amazon machen, finde ich, wie das lineare Fernsehen darauf reagiert. Serien wie "Bad Banks" oder "Babylon Berlin" zeigen sehr deutlich, dass es bei den Sendern ein gewisses Erwachen gibt. Das lineare deutsche Fernsehen wird durch diese Konkurrenz eindeutig besser. Ich finde, das sind tolle Zeiten für uns Geschichtenerzähler, denn auf absehbare Zeit werden die deutschen TV-Sender quantitativ unsere wichtigsten Auftraggeber bleiben. Da ist es ermutigend, wenn moderne, komplexe Erzählformen, die im Streaming möglich sind, mehr und mehr auch ins Mainstream-Fernsehen kommen.
Benedict: Und genau genommen, ist das lineare Fernsehen gar nicht mehr nur linear. Was ich nämlich äußerst ermutigend finde, ist die Tatsache, dass gerade High-End-Serien wie "Bad Banks", "Babylon Berlin" oder auch unser "Ku'damm" zu den absoluten Rennern in den jeweiligen Mediatheken zählen.
Simon Amberger (NeueSuper, Bildmitte) mit Zahn, Ertener und Torsten Zarges (DWDL.de)
Das ist wohl auch der Grund, warum eine Serie wie "Hindafing" fortgesetzt wird, oder? Früher wäre das kaum denkbar gewesen, als die linearen Einschaltquoten noch das Maß aller Dinge waren.
Amberger: "Hindafing" war im Dritten Programm des BR kein Mega-Quotenhit, das stimmt. In der Mediathek hat es aber extrem gut funktioniert – soweit ich weiß, eines der abrufstärksten Formate des BR überhaupt. Und Netflix hat die Serie ziemlich schnell nach der Free-TV-Premiere gekauft, dadurch wurde sie nochmal einem ganz anderen Publikum zugänglich. Auch in der Presse hat "Hindafing" eine überdurchschnittlich große Aufmerksamkeit und Zuneigung bekommen. Wenn man das alles zusammennimmt, sind es sicher gute Gründe, eine Serie fortzusetzen, zumal der BR diese Farbe sonst eher selten im Programm hat.
Im zweiten Teil des DWDL-Gipfels diskutieren Astrid Quentell, Simon Amberger, Benjamin Benedict, Orkun Ertener und Volker A. Zahn über die Missachtung mancher Erfolgsserien, neue Genre-Trends, die Zukunft des 90-Minüters und die dramatische Unterfinanzierung der Stoffentwicklung. Die Fortsetzung lesen Sie am Mittwoch, 7. November hier bei DWDL.de.