Herr Wachtel, vor anderthalb Jahren haben Sie die Führung von RTL Interactive übernommen. Was konnten Sie bislang schon erreichen?

Wir haben zunächst eine sehr klare Strategie entwickelt und diese auch schon insofern angewendet als dass wir unser Portfolio bereinigt, die Organisationstruktur- und prozesse verändert und das Personal massiv aufgestockt haben. Wir haben damit eine neue Geschwindigkeit entwickelt, die uns bei den bevorstehenden Großprojekten hilft.

Es gab offenbar viel zu tun als sie den Job übernommen haben.

Ich glaube man muss gar nicht so viel auf die Vergangenheit eingehen, auch vor meinem Antritt haben wir ja die digitale Transformation unseres Kerngeschäfts durchaus erfolgreich im Blick gehabt. Mit Blick nach vorne war uns aber schnell klar, dass wir uns hierauf noch deutlicher konzentrieren müssen. Wenn wir über Diversifizierung und andere digitale Geschäftsmodelle reden, dann ist das längst internationaler Wettbewerb, dem man auf anderer Ebene begegnen muss. Das ist dann bei der RTL Group oder Bertelsmann richtig angesiedelt. Wir konzentrieren uns hingegen auf die Frage der Transformation des Kerngeschäfts Unterhaltung und Information. Daran arbeiten wir.



Sie kamen von Springer und haben dort die Marke Bild rechtzeitig digitalisiert, um den sinkenden Reichweiten auf dem traditionellen Verbreitungsweg entgegen zu wirken. Ist das Bewusstsein bei den Fernsehmachern auch schon soweit, dass das Netz mehr Bedeutung hat als die Website zur Sendung mit Backstage-Infos?

Absolut. Es ist als Externer natürlich immer einfacher alles erstmal zu hinterfragen. „Warum machen wir das so?“, war eine meiner meistgestellten Fragen der Anfangszeit. In den Reaktionen darauf habe ich gemerkt, dass die Bereitschaft enorm ist, das Digitale voranzutreiben. Das geht so weit, dass Inhalte nicht mehr kanal-spezifisch betrachtet werden. Letztlich produziert die Mediengruppe RTL Inhalte für alle Plattformen und wir überlegen gleichberechtigt, auf welchen Kanälen mit welchem Windowing wir sie am besten zur Verfügung stellen. Ein Beispiel: Heute sitzen Kollegen aus der RTL-interactive-Redaktion bei wichtigen Formaten mit der entsprechenden Programmredaktion zusammen. Anderes Beispiel: Vox-Geschäftsführer Bernd Reichart kam vor Start der 3. Staffel „Club der roten Bänder“ vorbei und fragte, ob wir den Auftakt nicht vorab ins Netz stellen wollen. Die Transformation des Kerngeschäfts wird von den Senderchefs nicht nur akzeptiert, sie wird aktiv gestaltet.

RTL Interactive ist also stärker eingebunden in die Mediengruppe als es vielleicht mitunter in der Vergangenheit war?

Ich blicke nach vorne. Wo wer auf dem Papier im Unternehmen zugeordnet ist, spielt für mich keine Rolle. Ich versuchs mal wirklich plastisch darzustellen: Es ist mir wirklich sowas egal, wer den Urlaubsantrag unterschreibt, hauptsache wir kriegen die Herausforderungen hier gestemmt. Wir alle hier haben die Aufgabe, gemeinsam das beste Angebot für unsere Zuschauerinnen und Zuschauer bereitzustellen. Und ich freue mich, dass ich im gesamten Unternehmen eine Euphorie spüre, mit TV Now die digitale Transformation aktiv zu gestalten.

TV Now existiert ja schon. Das wollen bzw. sollen Sie weiterentwickeln. Wie viel mehr soll denn da kommen?

Herr Lückerath, stellen Sie sich vor, ein neuer VoD-Anbieter plant seinen Deutschland-Start und würde versprechen, jedes Jahr allein in Deutschland eine Milliarde Euro ins Programm zu investieren, den Großteil davon deutsche Eigenproduktionen und dazu Lizenzware, non-exklusiv und exklusiv. Das wäre ein Paukenschlag, oder nicht? Da würden alle groß berichten.

Ich ahne worauf sie hinaus wollen…

Genau. Ich rede von TV Now. Wir sind dieser neue VoD-Anbieter, zu dem auch lineare Sender gehören, die jeden Tag übrigens unverändert ein großes Millionenpublikum erreichen. Diesen Wettbewerbsvorteil einer derart großen hausinternen Promotionpower und die geballte Kompetenz, fantastische Inhalte für ein Massenpublikum zu produzieren, haben SVoD-only-Konkurrenten nicht. Das ist ein ganz schönes Pfund. Und wir haben weitere Alleinstellungsmerkmale.

Welche?

Während wir beim Alter in etwa ähnlich positioniert sind wie die Konkurrenz - 60 Prozent unserer Nutzer sind unter 39 Jahren, 40 Prozent unter 29 Jahren - unterscheiden wir uns durch eine sehr weibliche Nutzerschaft. Andere SVoD-Anbieter sind sehr männlich, bei uns sind aktuell zwei Drittel weiblich.

Dass TV Now noch nicht als eigenständiger Player im VoD-Markt wahrgenommen wird, mag vielleicht daran liegen, dass es einst mal nicht mehr war als Catch-Up-TV der linearen Sender. Wäre unter einer neuen Marke vielleicht anders…

Ich kann ihnen versprechen, dass wir TV Now im kommenden Jahr neu positionieren und inszenieren werden. TV Now ist mehr als CatchUp der linearen Sender, da haben wir zum Beispiel mit Now US schon erste Schritte getan. Wir arbeiten an einem eigenständigen Produkt mit hybridem Geschäftsmodell aus kostenfreiem, werbefinanzierten VoD, also AVoD, und kostenpflichtigem VoD, also SVoD. Dafür werden wir in der Werbekommunikation natürlich auch eine ganz andere Botschaft rüberbringen als „Hier kannst du nachschauen, was du linear verpasst hast.“

"Wenn ich heute in einer Pressemitteilung schreibe, wie wir etwas nächsten Herbst veröffentlichen, dann hab ich das Digitalgeschäft nicht verstanden, weil sich dieser Markt sehr schnell verändert."

Wenn ich bei mehreren Formaten von Sendern der Mediengruppe RTL Deutschland zuletzt gelesen habe z.B. „Vox und TV Now produzieren ‚Survivor‘“ war meine erste Reaktion: Ja, vermutlich zeigt TV Now es halt dann nach der Ausstrahlung bei Vox. Das wäre ja keine große Sache.

Nein, das wäre tatsächlich langweilig. Wir neigen nicht dazu, Dinge größer anzukündigen als sie sind. Sehen sie, wir haben neben der Verfügbarkeit der linear ausgestrahlten Programme vier besondere Formen von Inhalten bei TV Now. Wir haben Pre-TV, wie wir es bei „GZSZ“ machen, wo die jeweils nächste Folge zuerst online verfügbar ist. Dann gibt es Online First, wo wir ganze Staffeln vorab oder mit der Ausstrahlung der ersten Folge im TV online stellen. In dieses Feld gehört dann grundsätzlich auch „Survivor“, über die genaue Ausgestaltung werden wir noch entscheiden. Das hängt auch von den Erfahrungen ab, die wir bis zum Start von „Survivor“ gesammelt haben. Ihnen da jetzt schon eine konkrete Antwort zu geben, würde bedeuten, sich nicht dafür zu interessieren, wie unsere Kunden das Produkt in den kommenden Monaten annehmen und nutzen. Wenn ich heute in einer Pressemitteilung schreibe, wie wir etwas nächsten Herbst veröffentlichen, dann hab ich das Digitalgeschäft nicht verstanden, weil sich dieser Markt sehr schnell verändert.

Okay, verstanden. Sie sprachen von vier besonderen Formen der Inhalte, welches wären die weiteren beiden?

Wir haben noch exklusive und non-exklusive Drittlizenzen und der vierte Baustein sind dann unsere TV Now Originals.

Und da ist die Realityshow „Temptation Island“ also sozusagen ihr „House of Cards“?

(lacht) Es war die erste Produktion die wir angekündigt haben, aber es wird nicht das erste TV Now Original sein, das wir veröffentlichen. Ich verspreche Ihnen: Wir haben noch einige mehr in Vorbereitung. Das spannende an „Temptation Island“ ist das Genre. Damit generieren Sie ordentlich Buzz. Andere SVoD-Plattformen setzen meist auf Inhalte, die man über Jahre ausspielen kann, damit man möglichst lange etwas von dem Programm hat. Deshalb ist ein Programm wie „Temptation Island“ bei uns eine ganze klare Differenzierung. So etwas machen andere meiner Beobachtung nach aktuell nicht, wir können es, weil wir aus der Kenntnis des lokalen Fernsehmarktes kommen. Wichtig ist aber auch zu sagen: Wir werden natürlich auch mit Fiction überzeugen.

Wenn Sie von Highend-Fiction bei TV Now sprechen, was erwartet uns denn da in 2019?

Wir freuen uns zum Beispiel auf das TV Now Original „M - Eine Stadt sucht einen Mörder“ mit sensationellem Cast und einer Geschichte, die 87 Jahre nach dem Film von Fritz Lang mehr Bezug zur aktuellen Realität hat als uns lieb ist. Mit dabei sind u.a. Lars Eidinger, Moritz Bleibtreu, Udo Kier, Sophie Rois, Verena Altenberger. Die Serie ist das andere Ende des Genre-Spektrums.

Ach, aber wenn „M - Eine Stadt sucht einen Mörder“ jetzt bei Ihnen läuft, dann kann ich mir mein RTL Crime-Abo ja sparen - wo die Serie ursprünglich Premiere feiern sollte.

Nein, hier gilt das, was ich eingangs erwähnte: Zentral Inhalte produzieren und dann schauen, wo wir sie am besten einsetzen. Das ist bei jedem Stoff anders und kann auch umgekehrt mal RTL Crime zu Gute kommen, wenn wir insgesamt mehr produzieren.

Wie viele Eigenproduktionen, also TV Now Originals, planen Sie? Welche Taktung haben Sie da im Blick?

Unser Ziel ist schon, aber ich kann das jetzt noch nicht fürs erste Jahr versprechen, dass wir jeden Monat eine exklusive Eigenproduktion beziehungsweise exklusive lizensierte Inhalte bei TV NOW starten.