Frau Winger, was macht die Serie von Ihnen und Ihrem Mann so besonders, dass ich meine lange Liste an noch zu schauenden Serien hintenanstelle und zuerst ihre Serie schaue?
Also natürlich hat es eine spannende Geschichte, die dann wieder herausragend besetzt wurde, wie schon bei „Deutschland 83“. Was „Deutschland 86“ so besonders macht, ist aber die Tatsache, dass wir hier ein Stück Geschichte nehmen, von dem viele glauben, zu wissen wie es war oder schon alles gehört zu haben. Aber wir betrachten das Jahr 1986 und die Probleme der DRR aus einem Blickwinkel, der bisher beinahe untergangen ist.
Sie meinen die in „Deutschland 86“ thematisierte Verbindung mit Südafrika?
Genau.
Wie kamen Sie auf diesen Dreh?
Ende der 80er Jahre gab es beinahe parallel den Zusammenrbuch zweier politischer Systeme: Der Kommunismus in Ostdeutschland und die Apartheid in Südafrika bröckelten und fielen letztlich. Wir haben uns gefragt, ob es irgendeine Verbindung zwischen den beiden Niedergängen von Kommunismus und der Apartheid gegeben hat. Also haben wir uns eingelesen und waren fasziniert, wie im Konflikt um die Apartheid in Südafrika auch internationale Mächte gewirkt haben und es quasi zu einem Stellvertreter-Krieg des Kalten Krieges machten. Die Sovjetunion und mit ihr Ostdeutschland unterstützten den ANC, der Westen wollte lange lieber Stabilität in der Region und fürchtete einen Domino-Effekt. Daher wurde Südafrikas Regierung im Kampf gegen Nachbarländer unterstützt, letztlich aber so auch die Apartheid gestützt.
Wieviel Deutschland steckt in „Deutschland 86“ angesichts des erweiterten Handlungskosmos?
Viel. Für das deutsche Publikum dürfte es aber vor allem interessant sein, die Kriegspolitik durch die Brille der ostdeutschen Führung zu sehen. Wir erzählen aus der Sicht von überzeugten Deutschen, die unbeirrt an ihren Grundsätzen festhielten und an den Kampf für eine richtige Sache glaubten. 1986 sehen sie aber den Eisberg und bekommen das Ruder nicht mehr rechtzeitig rumgerissen. In meinen Augen ist so mancher sozialistischer Grundgedanke von damals auch heute noch interessant - damals waren sie finanziell aber einfach nicht funktionsfähig und hat zuhause unglaublichen Druck verursacht. Ich fand’ die Idee faszinierend, dass obwohl der Kampf zu Hause zwar spürbar verloren ging, der Glaube unbeirrt in die Welt getragen wurde. Davon erzählt „Deutschland 86“.
Wie verlief die Produktion in Südafrika?
Um ehrlich zu sein, war es ein Traum, dort zu drehen. Es wurde höchst professionell mit uns gearbeitet. Das ganze Erlebnis wurde damit abgerundet, dass ich in meinem Leben noch nie ein solch wunderschönes Setting hatte. Unser Team vor Ort war sehr divers und viele der Crew-Mitglieder haben diese Zeit noch selbst mitgemacht. Deswegen war es auch sehr interessant, all die Geschichten zu hören über die heute unwirklich erscheinende Apartheid. Es war ein reger Ideenaustausch, der „Deutschland 86“ noch besser gemacht hat. Es hat also einen großen Unterschied gemacht, wirklich vor Ort gedreht zu haben, und nicht irgendwo anders, um es dann als Südafrika zu verkaufen.
Glauben Sie, dass das ein Aspekt der Geschichte ist, an den sich Ostdeutsche, die das damals miterlebt haben, gerne noch einmal erinnern?
Ich finde es aufregend, wie die Ostdeutschen darauf reagieren werden. Viele dürften das tatsächlich noch selbst kennen, wie sie Briefe für „Free Nelson Mandela“ geschrieben haben und wie viele Studenten aus Afrika nach Ostdeutschland gekommen sind, um zu studieren. Es ist Teil ihrer Geschichte. Ich bin mir sicher, dass die Menschen aus dem Osten Deutschlands aufgeregt sind, wieder in diese Welt abtauchen zu können. Der nötige Abstand dazu ist da.
Die zweite Staffel wirkt internationaler, vermutlich ein Effekt des Wechsel zu Amazon?
Wir hatten uns die Staffel eigentlich genau so vorgestellt, aber es hat dann nicht mit der Vorstellung von RTL harmoniert. Sie wären lieber näher an der ersten Staffel dran geblieben, wir wollten etwas radikaler rangehen. Amazon hat uns dabei unterstützt. Wir hatten aber für den Fall der Fälle noch eine Alternative zu der jetzt umgesetzten Idee. Das wäre dannn die Beleuchtung der Iran-Contra-Affäre gewesen.
Wie eng baut „Deutschland 86“ auf „Deutschland 83“ auf? Lässt sich die neue Staffel auch für sich schauen, ohne die erste zu kennen?
Es war von Anfang an unser Vorsatz, dass die zweite Staffel auch komplett für sich funktioniert. Aber natürlich wollten wir auch dafür sorgen, dass die Fans der ersten Staffel sich über ein Wiedersehen mit vielen der bekannten Figuren freuen können. Wir haben also versucht, beides miteinander zu vereinen. Wichtig zu wissen ist, dass „Deutschland 86“ in erster Linie eine Abenteuer- und Coming-of-Age-Serie ist, danach kommen die Thriller-Aspekte. Und natürlich wollen wir aufzeigen, wie es damals war und was die Politik verursachte - ohne jedoch eine Geschichtsstunde sein zu wollen. Historisch korrekter, ganz großer Spaß.
Haben Sie etwas am Look der Serie geändert? Sie wirkt heller, greller?
Wir haben die Optik weiterentwickelt. Ich liebe die Visuals der ersten Staffel, aber die Vision unserer Set-Designers hat sich entwickelt und damit auch die Optik. Das wunderschöne Licht, das uns Kapstadt schenkte, dürfte dann ihr Übriges getan haben. Es gibt damit auch einen Kontrast zu Ost-Berlin.
Anstatt RTL nun also Amazon im Heimatmarkt - ist das für die Produktion an sich überhaupt wichtig?
In diesem Fall macht es mit Amazon einfach mehr Sinn. Wir erzählen eine Geschichte, die dafür geboren wurde, gebingt zu werden. Wir arbeiten mit einer gewissen Geschwindigkeit, die einer wöchentlichen Ausstrahlung nicht unbedingt zuträglich ist. Damit haben wir nicht erst in der zweiten Staffel angefangen, was auch erklären könnte, warum es bei RTL nicht so gepasst hat. Außerdem ist die erste Staffel nun schon seit längerer Zeit bei Amazon verfügbar und daher wissen wir mit Sicherheit, dass es einige Fans da draußen gibt, die dem Format gesonnen sind.
Zwischenzeitlich wirkte es, als wenn das Projekt auf der Kippe stand. Wie waren diese Wochen der Ungewissheit?
Das verrückte war ja, dass die zweite Staffel schon von Partnern in mehr als 100 Ländern bestellt wurde, nur in Deutschland wollte RTL nicht. Also gab es die absurde Situation, dass wir eine deutsche Produktion hatten, ohne deutschen Broadcaster. RTL hatte schon Interesse, aber andere Vorstellungen. Ich muss sagen: Ich bin RTL sehr dankbar für die Unterstützung bei „Deutschland 83“, aber wir haben gemeinsam festgestellt, dass das Primetime-Publikum nicht das Richtige ist für die Serie. Und Amazon bin ich dankbar dafür, diesmal die tragende Rolle übernommen zu haben.