Herr Kren, Sie drehen ab Oktober die Thriller-Serie "Freud" als Koproduktion für ORF und Netflix. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Vor einigen Tagen habe ich mich zum ersten Mal in meinem Leben hypnotisieren lassen und dabei, offen gestanden, eine Stunde lang durchgeheult. Ein Teil deines Hirns fühlt sich wie betäubt an und du kannst völlig fokussiert in dich hineinblicken. Du siehst plötzlich, was für ein unendlicher Ozean von Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen hinter dir liegt. Das ist ein ebenso schöner wie schockierender Moment. Unglaublich, was für ein mächtiges Werkzeug Sigmund Freud da in seiner frühen Phase genutzt hat! Hier in Wien wandelt man ja quasi ständig auf seinen Spuren. Da fühlt sich die Recherche manchmal so an, als sei man selbst in einem Film.
Sie neigen offenbar zum 'Method-Directing'.
Nein, das ist eher der Respekt vor dem Sturm von 90 Drehtagen. Mein Ziel ist die möglichst perfekte Vorbereitung, um einer Legende wie Freud gerecht zu werden. Dieser Mann flößt mir Respekt ein. Das setzt wiederum Energien in mir frei, wenn ich versuche, Bilder für das Unbewusste zu finden, die später Lust machen sollen, die Serie anzuschauen. Von allen meinen bisherigen Projekten ist es definitiv das, was mir am meisten abverlangt.
Inwiefern?
"4 Blocks" hat mir als Regisseur und Showrunner vor allem eine instinktive und körperliche Annäherung abverlangt. Hier geht es viel stärker um einen intellektuellen Prozess, um ein ganz tiefes Eintauchen in Wort und Sprache. Freuds Werke und wissenschaftliche Erkenntnisse waren für mich als Regisseur immer schon bedeutsam. Gerade für meine Horrorfilme war eine fundierte Auseinandersetzung mit der menschlichen Psyche unumgänglich.
Ist es Ihnen schwer gefallen, die Regie der zweiten Staffel von "4 Blocks" in andere Hände zu geben?
Kreativ gesehen, tut mir die Energieverlagerung, die ich gerade beschrieben habe, sehr gut. Die erste Staffel von "4 Blocks" war für mich ein enormer Kraftakt. Mein ganzes Herz und meine gesamte Wahrnehmung gehörten diesem Projekt. Da habe ich mich schon gefragt: Kann ich dieser Rolle noch einmal gerecht werden, ohne mich zu wiederholen? Oder kostet es zu viel Kraft? Meine Herangehensweise bei der ersten Staffel war geprägt vom Entdecken dieser Welt, die mir wie den meisten Zuschauern zuvor fremd war. Mir war es wichtig, dem Genre des Gangsterfilms gerecht zu werden, aber gleichzeitig Kriminalität nicht zu glorifizieren. Der Zuschauer sollte im besten Fall hin- und hergerissen sein zwischen der menschlichen Nahbarkeit und den gefährlichen Abgründen der Hauptfiguren.
Gilt das für Staffel zwei nicht mehr?
Sie leben inzwischen wieder in Ihrer Heimatstadt Wien, haben aber viele Jahre in Deutschland verbracht. Gibt es markante Unterschiede zwischen der deutschen und der österreichischen Art des Filme- und Serienmachens?
Die Frage nach unseren Gemeinsamkeiten und Differenzen treibt mich um, seit ich vor 15 Jahren nach Deutschland zog. Als Filmemacher stehe ich da, wo ich jetzt bin, weil der deutsche Markt mir die Chance dazu gegeben hat. Diese Chance hätte ich in Österreich so nicht bekommen. Wäre ich hier geblieben, hätte ich mit meinen 38 Jahren womöglich erst zwei Filme gemacht. Der Markt ist viel kleiner, das System geschlossener. Es gibt einen starken Sender, der fast alles produziert. Für die jungen Talente gibt es eine ziemlich lange Warteliste. An Deutschland liebe ich, dass man seine Chance bekommt, wenn man fleißig und talentiert ist. Es gibt nicht nur viel mehr Sender, sondern auch viel mehr Offenheit. Durch die diversen "Tatorte" habe ich erst so richtig mein Handwerk als Filmemacher gelernt. Es gibt aber auch einen Aspekt, der für Österreich spricht: Ist man erstmal drin im System, dann kann man mit Redakteuren vom ORF etwas leichter Barrieren durchbrechen, weil sie eine Spur mutiger sind als ihre deutschen Kollegen.
"Deutsche Autoren kommen aus der Schreibstube, während US-Showrunner vom Filmset kommen"
Marvin Kren
Das Miteinander der Gewerke, insbesondere zwischen Drehbuchautoren und Regisseuren, wird gerade wieder heftig diskutiert, seit die Initiative "Kontrakt '18" sich für mehr kreative Mitsprache der Autoren stark gemacht hat. Welche Position bezieht jemand wie Sie, der bei modernen High-End-Serien sowohl schreibt als auch Regie führt und eine umfassende Verantwortung trägt?
Ich finde diese Diskussion unglaublich spannend und kann die Gefühlslage der Drehbuchautoren zum Teil verstehen. Es ist nachvollziehbar, dass sie in den Prozess der Umsetzung eines Films stärker einbezogen werden wollen. Allerdings finde ich die konkreten Forderungen, die jetzt auf dem Tisch liegen, weit überzogen und nicht gerechtfertigt. Vielleicht muss man ja diese harte Gangart wählen, um überhaupt etwas durchzusetzen.
Die Autoren wollen bei der Besetzung der Regie mitreden und sämtliche Buchbearbeitungen autorisieren.
Ein Drehbuch ist noch kein Film, sondern bestenfalls eine Grundlage, die alle anderen Gewerke zu Höchstleistungen inspiriert. Wenn Autoren ihre Bücher selbst umsetzen wollen, dann sollen sie halt Regisseure werden. Was manche gern vergessen: Film ist zwar Gemeinschaftsarbeit, aber keine Demokratie. Am Ende steht der Regisseur da draußen und muss die Schauspieler, die Drehorte, die Auflösungen finden, die seiner künstlerischen Sichtweise entsprechen. Dabei entsteht etwas ganz Eigenes und es gehört zum organischen Prozess des Filmemachens, dass diese Abnabelung stattfindet. Das hat nichts mit meinem Ego als Regisseur zu tun. Es erfordert die Dialektik des kreativen Prozesses, dass da ein eruptiver Gegenschlag erfolgt, dass eine neue Kraft ins Spiel kommt. Fürs künstlerische Resultat ist das in aller Regel besser als eine bloße Mono-Sichtweise. Einige Autoren kommen mir so vor wie Eltern, die nicht wollen, dass ihr Kind groß wird und sich abnabelt, obwohl das doch ein gesunder Prozess ist.
Zielgruppe des "Kontrakt '18"-Aufrufs sind de facto Produzenten und Sender. Wie sollten die sich Ihrer Ansicht nach in diesem Konflikt verhalten?
Ob der Übergabeprozess vom Autor zum Regisseur organisch stattfindet oder nicht, hängt natürlich auch von der Diplomatiefähigkeit eines Produzenten oder eines Redakteurs ab. Daran hapert es manchmal. Mitunter wird so viel produziert, dass die menschliche Komponente etwas zu kurz kommt. Dann passieren so blöde Sachen, dass man etwa vergisst, Autoren auf wichtige Festivitäten einzuladen oder ihnen eine Schnittfassung zu zeigen. Das hat auch viel mit wertschätzender Kommunikation zu tun. Man sollte den Urhebern eines Drehbuchs durchaus das Gefühl vermitteln, dass ihre beratende Teilhabe am Prozess der Fertigstellung erwünscht ist. Das halte ich für eine Selbstverständlichkeit.
Können wir daraus schließen, dass Sie das vorherrschende System des US-Serienmarkts – starke Autoren, die als Creator und Showrunner den Regisseuren sagen, wie sie ihre Episoden umzusetzen haben – lieber nicht übernehmen möchten?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es hier bei uns in den nächsten Jahren so kommen wird, weil wir eben ein regiegeprägter Kulturkeis sind. Das Showrunner-System im US-Markt lebt ja von Autoren und Produzenten, die ein extremes Verständnis für Film- und Regiearbeit haben, oftmals basierend auf jahrelanger eigener Erfahrung. Das stellen sich viele deutsche Autoren meiner Meinung nach zu einfach vor. Sie kommen eben aus der Schreibstube, während US-Showrunner vom Filmset kommen.
Herr Kren, herzlichen Dank für das Gespräch.