Der erste Teil dieses Gesprächs mit Christiane Ruff (Geschäftsführerin ITV Studios Germany), René Jamm (Geschäftsführer Warner Bros. ITVP Deutschland), Axel Kühn (Geschäftsführer Tresor TV) und Jobst Benthues (Geschäftsführer Redseven Entertainment) ist vergangenen Donnerstag erschienen - und hier nachzulesen. Weiter geht es mit dem ersten DWDL.de-Gipfel...
In letzter Zeit war die Betrachtung des TV-Markts oft von einer Überbetonung der High-End-Fiction geprägt, die zwar für Qualitätsspitzen und Auslandsverkäufe sorgt, aber nicht so sehr für breite Programmflächen. Wie steht es aus Ihrer Sicht aktuell ums Image und ums Business der nonfiktionalen Unterhaltung?
Benthues: Recht gut, würde ich sagen. Mit der richtigen Kombination aus prägnantem Format, spannendem Storytelling und starkem Cast kommt man im Moment durch ziemlich viele Türen.
Kühn: Wobei das nächste "The Voice" uns allen gut tun würde. Wir haben zwar alle gut zu tun – aber der Boost, den ein wirklich durchschlagendes Hit-Format mit sich bringen würde, wäre für die Energie in der nonfiktionalen Unterhaltung schon wünschenswert und würde das ganze Genre mit sich ziehen.
Ruff: Leider lässt sich das nicht vorausberechnen. Es kommt manchmal aus ebenso unerwarteten wie gar nicht so fernen Ecken: Physical Gameshows zum Beispiel. Trampolinspringen im Fernsehen? Zack, bumm, Primetime. Auf jeden Fall ist das Geschäft immer noch äußerst formatgetrieben. Ich bin jeden Tag aufs Neue froh, in einem Haus zu arbeiten, das mir zahlreiche internationale Formate durch die Pipeline schickt. Darauf springen die deutschen Sender am ehesten an, weil sie relativ einfach den Transfer herstellen können von einer Show, die sie in UK oder sonst wo gesehen haben, zu einer möglichen lokalen Adaption für ihr Programm.
Also das altbekannte Thema des Proven Success im Ausland statt der deutschen Eigenentwicklung?
Jamm: Das ist nicht zuletzt eine Geldfrage. Um eine große Show zu entwickeln, muss man richtig viel investieren. Bei unseren US-Kollegen bewegt Mike Darnell, President Warner Bros. Unscripted and Alternative Television, derzeit eine ganze Menge. Leider hatten wir mit der lokalen Version von "Little Big Shots" zuletzt nicht so viel Erfolg. Eine eingebaute Garantie bringen die internationalen Formate also auch nicht mit.
Benthues: "Little Big Shots" – oder "Little Big Stars", wie es bei Sat.1 hieß – ist ein gutes Stichwort. Wir hatten zuvor mit "Superkids" ein leidlich erfolgreiches eigenentwickeltes Format on air – mit immerhin bis zu 12 Prozent Marktanteil am Freitagabend. Sat.1 hat dann aber die internationale Lizenz von "Little Big Stars" gekauft. Ich hätte euch trotzdem Erfolg gewünscht, weil wir dann wieder eine Chance gehabt hätten, auch "Superkids" nochmal zu verkaufen. Aber "Little Big Stars" klappte nicht und damit wurde leider erst einmal das ganze Genre Kinder-Entertainment beerdigt. Sehr schade, wie ich finde.
Ruff: Der große Glaube an die internationalen Erfolge. Ich sage nur "Rising Star", das Hype-Format. Wie froh waren all die Märkte, die nach den Erfahrungen von RTL noch schnell den Stöpsel ziehen konnten und nur das Geld für die Lizenz verbrannt haben!
Kühn: Moment! (lacht) Da muss ich jetzt kurz was zur Ehrenrettung von "Rising Star" sagen. (Gelächter in der Runde) Das gehört ja sozusagen zu meiner Erbmasse, weil es ein Keshet-Format ist. "Rising Star" verkauft sich international immer noch gut. Und gerade hat Netta Barzilai bewiesen, dass "Rising Star"-Siegerinnen auch den Eurovision Song Contest gewinnen können.
Benthues: Ich verkaufe auch immer noch "Mein Mann kann" international, gerade als tägliches Format nach Mexiko…
Kühn: …was genau das stützt, was ich sagen will: Nur weil in Deutschland etwas nicht funktioniert, kann es international trotzdem funktionieren.
Jamm (Foto): Aber nochmal zurück zu der Frage, wie es um die nonfiktionale Unterhaltung bestellt ist. Wir merken gerade das langsame Ende des Scripted-Genres. Da geht ein Markt für uns alle auf, in dem wir mit "Bares für Rares" schon sehr gut unterwegs sind, aber die Spielfläche in der Daytime, die sich gerade allen Produzenten eröffnet, ist sicher eines der Themen dieses Jahres. Das ist sehr spannend.
Vor allem wird spannend, wer da als erster nach Vox – und "Bares für Rares" als Einzelformat – erfolgreich einen neuen Genre-Mix am Nachmittag etablieren wird.
Ruff: Wo ich den Sendern auch immer ins Gewissen rede: Bitte macht mindestens 20, besser 40 Folgen von einem neuen täglichen Format. Für die Etablierung eines täglichen Formats ist weniger verheerend. Und dann muss man die Eier haben und das Ding laufen lassen. Danach lässt sich doch überhaupt erst ernsthaft darüber diskutieren, wie es gelaufen ist.
Benthues: Wir hatten bei kabel eins das Format "Gekauft, gekocht, gewonnen". Das hatte beim ersten Durchlauf gute und schlechte Tage, lag aber im Durchschnitt genau auf Senderschnitt. Heute kann man dem Sender vorschlagen, dass man mit den gewonnenen Erkenntnissen nochmal eine zweite Pilotstaffel macht. Keine große Tranche, aber ein paar Folgen. Und vielleicht zuckt die Quote. Ich glaube generell zu spüren, dass die Bereitschaft gestiegen ist, an einem Format nochmal zu schrauben, wenn ich es mit vor ein paar Jahren vergleiche.
Kühn: Willst Du damit sagen, dass das die Vox-Schule ist?
Benthues: Ja, absolut, das hat einen positiven Abstrahleffekt.
Den ewigen Wettstreit zwischen internationalen Formaten und lokalen Eigenentwicklungen haben Sie ja sogar innerhalb Ihrer eigenen Unternehmen. Wie gewichtet man da die Energien und Ressourcen?
Ruff: Ich habe Ende 2017 unsere Development-Abteilung aufgefordert, eine Liste all ihrer Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre zu machen. Dabei kam raus, dass die Kollegen insgesamt 99 internationale Formate für die weitere Präsentation und den Verkauf in Deutschland adaptiert hatten. Im selben Zeitraum waren auch 99 eigene Ideen und Entwicklungen aus der Abteilung gekommen – ein frappierender Gleichstand. Nun würde ich grob schätzen, dass 90 bis 95 Prozent unserer tatsächlichen Verkäufe internationale Formate sind. Da könnte man sich fragen: Warum noch so viele Eigenentwicklungen? Die allermeisten davon sind für konkrete Sendeplatz-Ausschreibungen entstanden. Ich empfinde diese stark gewachsene Ausschreibungswut der Sender mitunter als fragwürdige Beschäftigungstherapie für Produzenten. Andererseits verbessert es nicht gerade das Gesprächsklima, wenn man sich allen Ausschreibungen verweigert.
Kühn: Bei Tresor verteilt es sich gegenwärtig in etwa auf ein Drittel Formate aus dem Keshet-Katalog, ein Drittel internationale Formatakquisitionen von Dritten und ein Drittel Eigenentwicklungen. Aus meiner Erfahrung ist es relativ leicht, eine Eigenentwicklung zu verkaufen, sofern es um Programme mit begrenztem Budget geht. Das gilt vor allem im Factual Entertainment, wo es eine gewisse Offenheit für Papierformate gibt. Nahezu unmöglich ist es dagegen, eine große Shiny-Floor-Studioshow als Eigenentwicklung zu verkaufen. Das gelingt uns in der Regel nur mit Tapes aus Großbritannien, den USA oder Israel.
Jamm: Ist bei uns genauso. Das Schöne bei Warner Bros. ist, dass inzwischen ein echtes Netzwerk entstanden ist, in dem insbesondere Factual-Formate aus vielen verschiedenen Ländern kommen, die der Konzern dann international auf die Reise schickt, wie zum Beispiel unser "Bares für Rares". Ob Format oder Neuentwicklung – für beides haben wir von der Zentrale Unterstützung. Hauptsache, es entsteht neuer Content, der dem Studio gehört und unsere Format-Library wertvoller macht.